Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz beim Betriebssport
Leitsatz (redaktionell)
Dem Unfallversicherungsschutz beim Betriebssport steht nicht entgegen, daß der Teilnehmerkreis nicht lediglich auf die Beschäftigten des veranstaltenden Unternehmens beschränkt ist, sondern - um eine notwendige Mannschaftsstärke (zB Fußballelf) zu erreichen, die eine sinnvolle sportliche Betätigung erst ermöglicht - gegnerische Betriebssportgemeinschaften mitwirken und Belegschaftsmitglieder gegenseitig ausgetauscht werden.
Orientierungssatz
Dem für die Annahme versicherten Betriebssports erforderlichen Ausgleichszwecke (vergleiche BSG 1961-11-28 2 RU 130/59 = BSGE 16, 1)steht der Wettkampfcharakter des Fußballspielens nicht entgegen, wenn dieser Charakter bei einem durchgeführten Spiel nicht im Vordergrund gestanden hat.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Juli 1971 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger war als Versicherungskaufmanns-Lehrling bei der Firma D R L-AG in H beschäftigt und gehörte deren Betriebssportgemeinschaft - Sparte Fußball - an. Diese Sportart wurde von etwa 30 bis 40 Betriebsangehörigen ausgeübt. Im Winter spielten die Mitglieder der Betriebssportgemeinschaft Sparte Fußball - in der Halle, in der günstigeren Jahreszeit in der Regel montags und mittwochs abends auf dem Sportplatz des Sport-Clubs "S" in A. Aus überwiegend dienstlichen Gründen fanden sich in der Regel jeweils nur etwa 13 bis 14 der fußballspielenden Betriebsangehörigen zu den Übungsabenden ein. Da aus Gründen der Schonung des Sportplatzes des SG S die Durchführung eines sog. "Kick-Trainings" nicht erwünscht war, die Zahl der Anwesenden im Regelfall jedoch für ein Mannschaftsspiel nicht ausreichte, lud die Betriebssportgemeinschaft häufig andere Betriebssportgemeinschaften zum gemeinsamen Spielen ein.
Zu einem der üblichen Übungsabende am Montag, dem 22. September 1969, war die Betriebssportgemeinschaft der H-B in H zum Fußballspielen eingeladen worden. Da diese nicht in voller Mannschaftsstärke erschienen war, wurde ihr ein Mitglied der Betriebssportgemeinschaft der Fa. D R ausgeliehen; diese stellte auch den Schiedsrichter.
Im Verlauf des Spieles wurde der Kläger von seinem an die gegnerische Mannschaft ausgeliehenen Arbeitskollegen versehentlich durch einen Tritt gegen den linken Unterschenkel verletzt. Wegen der Folgen dieser Verletzung (Schien- und Wadenbeinbruch) war der Kläger etwa ein halbes Jahr arbeitsunfähig und bezog während dieser Zeit, nachdem ihm zunächst für 6 Wochen von seiner Arbeitgeberin das Gehalt weitergezahlt worden war, Krankengeld von der DAK; danach hat er nach seinen Angaben noch etwa 1/4 Jahr lang, zuletzt erneut im Juli/August 1970, Beschwerden verspürt, danach jedoch nicht mehr.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 17. März 1970 die Gewährung einer Entschädigung ab, da die Veranstaltung am 22. September 1969 zwischen zwei Sportgemeinschaften durchgeführt worden sei und bei derartigen Begegnungen immer der an sich jeder Sportart innewohnende Wettkampfgedanke, nicht jedoch der für den UV-Schutz vorauszusetzende Ausgleich von betrieblicher Beanspruchung im Vordergrund stehe.
Mit der Klage hat sich der Kläger gegen diese Auffassung gewandt und beantragt,
den Bescheid vom 17. März 1970 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall vom 22. September 1969 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm Leistungen aus der gesetzlichen UV bis Ende August 1970 zu gewähren.
Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat durch Urteil vom 15. Juli 1971 die Beklagte antragsgemäß dem Grunde nach zur Leistung bis zum 31. August 1970 verurteilt. Zur Begründung hat das SG im wesentlichen ausgeführt:
Die nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. November 1961 (BSG 16, 1) maßgebenden Voraussetzungen für den UV-Schutz bei der Teilnahme am Betriebssport seien hier erfüllt. Das im zeitlichen Anschluß an die berufliche Tätigkeit an einem der regelmäßigen Übungsabende am 22. September 1969 durchgeführte Fußballspiel habe dem Ausgleich für die vorangegangene betriebliche Belastung gedient. Die Betriebssportgemeinschaft der befreundeten Firma H-B sei eingeladen worden, um die für ein Fußballspiel notwendige Mannschaftsstärke zu schaffen. Das Spiel habe nicht der Teilnahme am allgemeinen sportlichen Wettkampfverkehr gedient, es sei auch nicht als Wettspiel im Sinne der unter verschiedenen Betriebssportgemeinschaften sonst üblichen Punkt- oder Pokalspiele aufzufassen. Der Übungscharakter der sportlichen Begegnung sei sinnfällig insbesondere dadurch in Erscheinung getreten, daß der gegnerischen Mannschaft, da sie nicht über die ausreichende Spielerzahl verfügt habe, ein Mitglied der Betriebssportgemeinschaft der Firma D R ausgeliehen worden und auch ein unparteiischer Schiedsrichter nicht zugegen gewesen sei. Eine sinnvolle sportliche Betätigung habe - wie bei der gemeinschaftlichen Durchführung des Betriebssports durch mehrere kleinere Unternehmen (vgl. BSG 16, 1, 5) - im vorliegenden Fall nur durch gemeinsame Sportausübung der beiden Betriebssportgemeinschaften gewährleistet werden können.
Die ihrem Umfang nach noch nicht festgestellte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit des Klägers sei mit Sicherheit spätestens mit Ablauf des Monats August 1970 behoben gewesen, so daß die Anerkennung von Unfallfolgen lediglich für einen bereits abgelaufenen Zeitraum in Frage gekommen sei.
Das SG hat die Berufung zugelassen.
Der Kläger hat am Tag der mündlichen Verhandlung vor dem SG zu Protokoll erklärt: "Ich bin damit einverstanden, daß gegen dieses Urteil Sprungrevision gemäß § 161 SGG eingelegt wird".
Die Beklagte hat gegen das ihr am 25. August 1971 zugestellte Urteil am 14. September 1971 Revision eingelegt und zugleich eine beglaubigte Abschrift des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem SG - mit der Einwilligungserklärung des Klägers - vorgelegt. Sie hat die Revision innerhalb der bis zum 25. November 1971 verlängerten Begründungsfrist wie folgt begründet: Die Voraussetzungen eines betrieblichen Ausgleichssports seien aus den in Bescheid der Beklagten angegebenen Gründen nicht erfüllt. Hinzu komme, daß für die Teilnehmer an den Übungsabenden deren privates Interesse am Fußballsport, den die Betriebsleistung aus Entgegenkommen ermöglicht habe, nicht jedoch ein Interesse an der Gesunderhaltung und an der Wiederherstellung der Arbeitskraft im Vordergrund gestanden habe. Das SG hätte jedenfalls ermitteln müssen, in welcher Sparte der Kläger Lehrling gewesen sei; denn es komme darauf an, in welcher Art und in welchem Umfang die betriebliche Tätigkeit den Kläger belastet habe und ob die Teilnahme an Fußball-Übungsabenden geeignet gewesen sei, diese Belastung auszugleichen.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zurückzuverweisen.
Der Kläger ist nicht vertreten und hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig.
In Fällen, in denen Urteile der Sozialgerichte nach § 150 SGG mit der Berufung anfechtbar sind, kann nach § 161 Abs. 1 Satz 1 SGG die Revision unmittelbar beim BSG (Sprungrevision) eingelegt werden, wenn der Rechtsmittelgegner einwilligt. Die Beklagte hat dadurch, daß der Revisionsschrift eine beglaubigte Abschrift des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem SG beigefügt war, in welcher der Kläger sich mit der Einlegung der Sprungrevision einverstanden erklärte, dem Erfordernis des § 161 Abs. 1 Satz 2 SGG - Beifügen der "schriftlichen" Einwilligungserklärung - genügt (vgl. Großer Senat BSG 12, 230 gegen BSG 3, 43). Das SG hat die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen. Es kann dahinstehen, ob das Rechtsmittel nach § 143 SGG statthaft war und es deshalb einer Zulassung nach § 150 Nr. 1 SGG nicht bedurfte. Die Sprungrevision ist zwar grundsätzlich nicht zulässig, wenn die Berufung gegen das Urteil des SG schon nach § 143 SGG gegeben ist; eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht jedoch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, wenn das SG rechtsirrtümlich die Berufung nach § 144 bis 149 SGG für ausgeschlossen gehalten und sie deshalb nach § 150 SGG zugelassen hat (vgl. BSG 2, 135; 3, 276; 5, 140, 143; 8, 84). Der Senat ist an die Entscheidung des SG über die Zulassung der Berufung gebunden. Der Fall einer offensichtlichen Unrechtmäßigkeit der Zulassung, der den Vertrauensschutz ausschließen würde (vgl. BSG 5, 140, 143; 8, 84, 85), liegt nicht vor.
Die Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
Das SG hat mit Recht im vorliegenden Fall die Merkmale als gegeben angesehen, die nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG 16, 1) vorliegen müssen, um den inneren Zusammenhang einer sportlichen Betätigung mit der Beschäftigung im Unternehmen (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO) bejahen zu können. Zutreffend hat es angenommen, daß der Kläger am 22. September 1969 bei der Teilnahme an einem Fußballspiel einen Arbeitsunfall erlitten hat.
In der Regel kann sich jede zweckmäßig und maßvoll betriebene sportliche Betätigung auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit günstig auswirken und die mit der Arbeit verbundene Belastung ausgleichen; auch das Fußballspielen kommt somit als Betriebssportart in Betracht (vgl. BSG 16, 1, 5; BSG in BB 1967, 718; BG 69, 276; Urteil vom 31.10.1972 - 2 RU 116/70 -). Entgegen der Meinung der Revision bestand für das SG keine Veranlassung zu einer besonderen Prüfung, welchen betrieblichen Belastungen im einzelnen der Kläger als Versicherungskaufmanns-Lehrling ausgesetzt war und ob sich nach der Art seiner beruflichen Tätigkeit gerade das Fußballspielen als Ausgleichssport eignete. Es konnte vielmehr mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon ausgehen, daß der Kläger - wie in der Regel bei beruflichen Tätigkeiten - Beanspruchungen körperlicher, geistiger oder nervlicher Art ausgesetzt war, deren Ausgleich eine sportliche Betätigung auch in Form des Fußballspielens herbeiführen konnte. Dem als Voraussetzung für die Annahme versicherten Betriebssports erforderlichen Ausgleichszweck (BSG 16, 1) steht auch der Wettkampfcharakter des Fußballspielens hier nicht entgegen, da dieser Charakter nach der Lage des Falles bei dem am 22. September 1969 durchgeführten Spiel nicht im Vordergrund gestanden hat. Zwar haben, wie die Beklagte zur Begründung ihres eine Entschädigung versagenden Bescheides angeführt hat, am Unfalltag zwei Sportgemeinschaften verschiedener Unternehmen gegeneinander gespielt. Entgegen der Auffassung der Revision schließt auch dies jedoch hier den UV-Schutz nicht aus. Das SG hat zutreffend dem Umstand Bedeutung beigemessen, daß die Betriebssportgemeinschaft der H-B zum Mitspielen eingeladen worden ist, damit die für ein Fußballspiel erforderlichen Voraussetzungen überhaupt erst gegeben waren. Da der Sport-Club S seinen Platz nicht für ein bloßes sog. Kick-Training zur Verfügung stellen wollte, mußte die Betriebssportgemeinschaft D R - Sparte Fußball -, um den Sportplatz für sportliche Betätigungen benutzen zu können, Mannschaftsspiele veranstalten. Eine Teilnehmerzahl von regelmäßig nur 13 bis 14 Personen reichte hierzu nicht aus. Die Einladung gegnerischer Mannschaften - wie am Unfalltag - diente somit dem Zweck, die für die Benutzung des Sportplatzes erforderliche Mannschaftsstärke zu erreichen und damit eine sinnvolle sportliche Betätigung zu gewährleisten. Die Spiele dienten nicht der Erzielung von Spitzenleistungen oder der Teilnehme am allgemeinen sportlichen Verkehr (vgl. BSG 16, 1, 4), sie wurden auch nicht nach der Art von Punkt- oder Pokalspielen durchgeführt, wie sie häufig unter Betriebssportgemeinschaften verschiedener Unternehmen stattfinden, ohne daß für die gemeinschaftliche Sportausübung betriebsbezogene Umstände von wesentlicher Bedeutung sind (vgl. Urt. d. erk. Senats vom 31.10.1972 - 2 RU 95/70 -). Daß der Wettkampfcharakter nicht im Vordergrund gestanden hat, tritt auch dadurch besonders zutage, daß in der gegnerischen Mannschaft die nicht über die erforderliche Anzahl von Spielern verfügte, ein Mitglied der Betriebssportgemeinschaft des D R mitwirkte und auch der Schiedsrichter von dieser Mannschaft gestellt wurde.
Nach den hier gegebenen tatsächlichen Verhältnissen ist auch dem Erfordernis genügt, daß der Teilnehmerkreis im wesentlichen auf die Beschäftigung des veranstaltenden Unternehmens oder der an der gemeinsamen Durchführung des Betriebssports beteiligten Unternehmen beschränkt sein muß (BSG 16, 1, 5). Der erkennende Senat hat den Umstand, daß Belegschaftsmitglieder verschiedener Unternehmen an der Sportausübung - zB einem Fußballspiel - beteiligt sind, für sich allein noch nicht als ausschlaggebend erachtet, um den Versicherungsschutz zu verneinen. Dem Fall, daß mehrere Unternehmen sich zu gemeinsamer regelmäßiger Sportausübung zusammenschließen, weil die Voraussetzungen für die Pflege bestimmter Sportarten wegen zu geringer Teilnehmerzahl bei den einzelnen Unternehmen nicht gegeben sind (vgl. BSG aaO), ist der vorliegende in der rechtlichen Beurteilung gleichzuerachten; die Beschränkung der Sportausübung auf einen im wesentlichen gleichbleibenden Kreis von beteiligten Unternehmen ist nach den Besonderheiten dieses Falles als gegeben anzusehen.
Die sportliche Betätigung der Sparte Fußball in der Betriebssportgemeinschaft, welcher der Kläger angehört, hat auch in gewisser Regelmäßigkeit stattgefunden und nach Zeit und Dauer in einem dem Ausgleichszweck entsprechenden Zusammenhang mit der Betriebsarbeit gestanden (BSG 16, 1, 5 f). Insoweit wie auch hinsichtlich des Erfordernisses, daß die Übungen im Rahmen einer unternehmensbezogenen Organisation durchgeführt worden sind (BSG 16, 1, 6), hat die Revision mit Recht keine Einwendungen erhoben. Der Kläger stand somit bei dem Sportunfall, den er am 22. September 1969 erlitten hat, unter UV-Schutz.
Die Revision der Beklagten ist deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen