Leitsatz (amtlich)
1. Ein approbierter Arzt befindet sich während der nach ZO-Ärzte § 3 Abs 2 Buchst b, Abs 3 abzuleistenden Vorbereitungszeit für die kassenärztliche Tätigkeit nicht in einer Berufsausbildung iS des RVO § 565.
2. Die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes nach RVO § 563 ist nur dann undurchführbar im Sinne des RVO § 566, wenn er sich rechnerisch nicht ermitteln läßt.
Normenkette
RVO § 565 Fassung: 1942-03-09, § 563 Fassung: 1942-03-09, § 566 Fassung: 1942-03-09; ZO-Ärzte § 3 Abs. 2 Buchst. b, Abs. 3
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 1959 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Klägerin war seit dem 1. Mai 1953 als Assistenzärztin in der Praxis der Frau Dr. med. H-H beschäftigt. Bei einem Patientenbesuch mit dem Kraftwagen erlitt sie am 28. Juni 1953 durch Verkehrsunfall eine schwere Schädelverletzung. Wegen der Unfallfolgen erhält sie von der Beklagten die Vollrente. Der Rente wurde ein Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 3.516,- DM zugrunde gelegt; das entspricht dem Zwölffachen der monatlichen Vergütung - 200,- DM in bar sowie Sachbezüge (volle freie Station) im Werte von 93,- DM -, welche die Klägerin während ihrer Beschäftigung bei Frau Dr. H-H erhalten hatte. Diese Berechnung war für die Klägerin günstiger als die Zugrundelegung des im letzten Jahr vor dem Unfall tatsächlich bezogenen Entgelts (§ 563 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -), denn in der Zeit vom 28. Juni 1952 bis zum 30. April 1953 hatte sie weniger verdient. Der Klägerin war im August 1950 die Bestallung als Ärztin erteilt worden; nachdem sie sodann bis Dezember 1951 ihre Pflichtassistentenzeit abgeleistet hatte, erhielt sie im März 1952 vom Hessischen Innenministerium die zur Ausübung des ärztlichen Berufs in eigener Praxis berechtigende Bescheinigung (Vollapprobation); in der Folgezeit bis zum Unfall war die Klägerin, die als Kassenärztin zugelassen werden wollte, zwecks Erfüllung der hierfür erforderlichen Vorbereitungszeit bei verschiedenen Krankenhäusern und Ärzten tätig.
Die Klägerin verlangt, den JAV für ihre Rente nach der Tarifordnung für Angestellte im öffentlichen Dienst, Vergütungsgruppe III (TO A III) zu bemessen; sie macht geltend, die zur Zeit des Unfalls ausgeübte Vorbereitungstätigkeit sei als Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO anzusehen. Das Verlangen hatte in den ersten beiden Rechtszügen keinen Erfolg.
Das Landessozialgericht (LSG) hat im Urteil vom 6. Oktober 1959 (Breithaupt 1960, 116) ausgeführt, die Klägerin habe mit Erlangung der Vollapprobation im März 1952 ihre Berufsausbildung abgeschlossen. Die Vorbereitung zur Erlangung der Kassenarztzulassung stelle - ebenso wie die Weiterbildung eines vollapprobierten Arztes zum Facharzt - keine Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO dar. Der enge Zusammenhang zwischen Berufs- und Schulausbildung in dieser Vorschrift mache deutlich, daß unter Berufsausbildung nur die Grundausbildung für einen bestimmten Beruf, nicht aber die Fort- und Weiterbildung in demselben zu verstehen sei. § 565 RVO sei eine Ausnahme von dem die Unfallversicherung beherrschenden Grundsatz, daß künftige Erwerbsaussichten bei der Entschädigung nicht zu berücksichtigen seien; daher sei die Vorschrift einschränkend auszulegen. Die Klägerin sei nach der Vollapprobation in der Lage gewesen, eine eigene Praxis zu eröffnen oder eine Assistentenstelle in einem Krankenhaus zu übernehmen; wenn dies infolge der wirtschaftlichen Verhältnisse im Arztberuf 1952/53 nicht möglich gewesen sei, könne das kein Grund sein, die Klägerin als noch in beruflicher Ausbildung stehend zu betrachten. Damit stimme auch § 25 der 1956 vom 59. Deutschen Ärztetag beschlossenen Berufsordnung für Ärzte überein; im Hinblick auf diese Regelung erübrige sich die von der Klägerin beantragte Einholung von Auskünften ärztlicher Standesorganisationen. Mit der in den Zulassungsordnungen geregelten Vorbereitung auf die Kassenarztzulassung sei ein Ausbildungsziel nicht verbunden, vielmehr handele es sich um eine - dem Interesse der Krankenversicherten dienende - Bewährungszeit, durch welche die Eignung zur Kassenarzttätigkeit festgestellt werden solle; sie bezwecke - wie auch sonstige Fortbildungsmaßnahmen - lediglich eine Vertiefung und praktische Anwendung der durch die Grundausbildung erworbenen Kenntnisse und sei der Tätigkeit von Assessoren in Justiz oder Verwaltung vor der Anstellung auf Lebenszeit vergleichbar. Der JAV sei entsprechend der Vergütung, welche die Klägerin bei Frau Dr. H erhielt, zutreffend berechnet worden; nach TO A III sei die Klägerin im Jahre vor dem Unfall nicht besoldet worden. Auch eine Feststellung des JAV nach billigem Ermessen (§ 566 RVO) komme nicht in Betracht, da die Berechnung nach § 563 RVO ohne Schwierigkeit vorgenommen werden könne. Auch führe der Umstand, daß der von der Klägerin erzielte Arbeitsverdienst - wie allgemein die Gehälter von Jung-Akademikern zur damaligen Zeit - sehr niedrig und nach heutigen Maßstäben unzureichend gewesen sei, nicht zu einem offensichtlich widersinnigen Ergebnis. - Das LSG hat die Revision zugelassen.
Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Revision hat die Klägerin beantragt, ihr unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen eine Rente nach Maßgabe der TO A III zuzusprechen. In bezug auf das Verfahren des LSG rügt sie mangelnde Erforschung des Sachverhalts; das LSG habe zu Unrecht ihrer Anregung nicht entsprochen, ein Gutachten der Ärztekammer darüber einzuholen, daß die Vorbereitung für die Kassenarztzulassung als ärztliche Ausbildung anzusehen sei. Eine sachverständige Darstellung hätte ergeben, daß der ärztliche Ausbildungsgang im Laufe der Zeit gewechselt habe: Ursprünglich sei die Approbation erst erteilt worden, wenn der Arzt nicht nur die Grundausbildung absolviert, sondern darüber hinaus auch die für alleinverantwortliches Praktizieren erforderliche Routine erworben habe; später habe man die Approbation vorverlegt, um dem Arzt möglichst bald verantwortliche Arbeit zu ermöglichen; dadurch sei ein Teil der Ausbildung in die Zeit nach der Approbation verschoben worden. Bei der Zwangslage, unbedingt Kassenpraxis ausüben zu müssen, sei damit jeder Arzt, der praktisch wirklich Patienten behandeln wollte, genötigt worden, sich der dreijährigen Vorbereitungszeit als einer vorgeschriebenen Ausbildung zu unterziehen. § 565 RVO trage diesen Besonderheiten des akademischen Berufs nicht Rechnung. Der vom LSG gezogene Vergleich zum Gerichts- oder Regierungsassessor passe nicht; viel eher sei ein Kassenarztanwärter mit einem Anwaltsassessor zu vergleichen. Die Unfallversicherung werde von dem Grundgedanken beherrscht, daß die Rente gerecht nach Maßgabe der Vorleistungen zu gewähren sei. In Vollzug dieses Grundgedankens bedeute § 565 RVO, daß demjenigen, der als noch nicht vollwertige Arbeitskraft noch keinen angemessenen Entgelt bezog, der fingierte JAV nach abgeschlossener Ausbildung zukomme; § 565 RVO sei also keine Ausnahmeregelung, sondern eine Verwirklichung des Grundsatzes der gerechten Rente, die Vorschrift bedürfe deshalb einer erweiternden Auslegung. Die versicherungsrechtliche Beurteilung der Weiterbildung zum Facharzt lasse nicht den Schluß zu, daß auch die Vorbereitung auf die Kassenarzttätigkeit keine Berufsausbildung darstelle. Zur Zeit des Unfalls der Klägerin sei wegen des Überangebots an Ärzten die Assistententätigkeit ungewöhnlich schlecht bezahlt worden, während jetzt starke Nachfrage herrsche; der JAV dürfe von solchen abnormen konjunkturellen Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt nicht abhängen, vielmehr müsse das normale Einkommen für die Rente maßgebend sein; für Assistenzärzte sei TO A III der übliche Entgeltsatz. Hilfsweise rügt die Revision auch Verletzung des § 566 RVO; es sei - entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht - ein widersinniges Ergebnis, wenn die der sozialen Sicherheit dienende Unfallrente auf anomale Verhältnisse gegründet sei. Ohne den Unfall würde die Klägerin jetzt aus einer durchschnittlichen Kassenpraxis monatliche Einnahmen von 700.- bis 1.000.- DM erzielen. Man dürfe sie deshalb nicht auf eine Vollrente von nur 210.- DM verweisen. Für den von ihr vertretenen Standpunkt hat die Revision abschließend auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. März 1960 (NJW 1960, 715) verwiesen.
Die Beklagte beantragt Zurückverweisung der Revision. Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei.
II
Die Revision ist statthaft und zulässig, sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Die Rüge, das LSG hätte zur hinreichenden Erforschung des Sachverhalts eine Auskunft der Ärztekammer über die Bedeutung der Vorbereitung auf die Kassenarztzulassung einholen müssen, ist nicht gerechtfertigt. Das LSG hat mit Recht von derartigen Ermittlungen abgesehen, denn für die Beurteilung der Frage, ob sich die Klägerin zur Zeit ihres Arbeitsunfalls noch in einer Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO befand, sind die veröffentlichten, sich auf die Bestallung, Berufsausübung und Kassenzulassung der Ärzte beziehenden Vorschriften maßgebend, die das Gericht selbst auszulegen hatte.
Bei dieser Auslegung ist das LSG ohne Rechtsirrtum zu einem Ergebnis gelangt, welches mit dem vom erkennenden Senat eingenommenen Standpunkt (BSG 12, 109, 115; Urteil vom 13.12.1960 - 2 RU 34/58) übereinstimmt. Wie der Senat dort ausgeführt hat, kommt die Ausnahmeregelung des § 565 RVO für diejenigen Personen nicht in Betracht, die bereits einen erlernten Beruf ausüben und sich dabei beruflich qualifizieren wollen. In den angeführten Urteilen wurde mit diesen Erwägungen unter Hinweis auf § 25 der Berufsordnung für die deutschen Ärzte (ÄM 1956, 947) die Anwendbarkeit des § 565 RVO auf einen für die Facharztanerkennung tätigen approbierten Arzt verneint. Im vorliegenden Fall gibt das Revisionsvorbringen keinen Anlaß, die in den Zulassungsordnungen geregelte Vorbereitungszeit auf die Kassenarztzulassung im Hinblick auf § 565 RVO abweichend zu beurteilen.
Die Revision meint zunächst, aus der Entwicklung des Zulassungsrechts sei zu ersehen, daß durch Vorverlegung der Approbation die ärztliche Berufsausbildung in die Zeit nach der Approbation verlagert worden sei. An diesen Ausführungen ist richtig, daß sich allerdings der Zeitpunkt der Approbationserteilung gewandelt hat, jedoch treffen die hieraus von der Revision gezogenen Schlußfolgerungen nicht zu. Nach der - im Zeitpunkt des Unfalls noch geltenden - Bestallungs- und Prüfungsordnung für Ärzte vom 17. Juli 1939 (RGBl I 1273) galten als ärztliche Ausbildung das Studium von zehn Semestern sowie die dazwischen ausgeübten Tätigkeiten als Famulus usw. (§§ 3 bis 7). Die Bestallung wurde sogleich nach Ablegung der ärztlichen Prüfung erteilt (§§ 2, 76), sie berechtigte jedoch noch nicht zur Ausübung des ärztlichen Berufs in eigener Praxis; hierzu war vielmehr noch die Ableistung der einjährigen Tätigkeit als Pflichtassistent und eines Landvierteljahres erforderlich (§§ 8, 77, 78); erst danach wurde dem bereits approbierten Arzt vom Innenministerium bescheinigt, daß er zur Ausübung des ärztlichen Berufs in eigener Praxis berechtigt sei (§§ 76 Abs. 4, 79). Dementsprechend sahen die im Jahre 1953 geltenden Zulassungsordnungen (ZulO für Ärzte brit. Zone vom 21.4.1948, § 15; damit im wesentlichen übereinstimmend § 17 der Hess. ZulO vom 7.2.1950 - Hess. GVBl 1950, 31) für Kassenarztanwärter eine dreijährige Vorbereitung nach bestandenem Staatsexamen vor. Diese Vorbereitungszeit umfaßte also das Pflichtassistentenjahr, das auf die Vorbereitung anzurechnen war (vgl. Thieding, Die Zulassung zur Kassenärztlichen Tätigkeit, 1948 S. 65) und mit dessen Ableistung die Berechtigung zur Berufsausübung in eigener Praxis begann. Demgegenüber schreibt jetzt die Bestallungsordnung für Ärzte vom 15. September 1953 (BGBl I 1343) vor, daß für die Bestallung das Bestehen der ärztlichen Prüfung sowie die Ableistung der darauf folgenden zweijährigen Tätigkeit als Medizinalassistent erforderlich sind (§§ 2, 63 bis 67). Dementsprechend verlangt die ZulO für Kassenärzte vom 28. Mai 1957 (BGBl I 572) in § 3 Abs. 2 Buchst. b die Ableistung einer eineinhalbjährigen Vorbereitung nach Erteilung der Berechtigung zur Berufsausübung in eigener Praxis. Diese Neuregelung hat zur Folge, daß sich die Wartezeit auf die Zulassung zur Kassenpraxis insgesamt von drei auf dreieinhalb Jahre nach dem Staatsexamen verlängert (vgl. Sievers, Das Zulassungsrecht, Bd. II im Handbuch des Kassenarztrechts, S. 48 Anm. 5); sie ist außerdem systematisch klarer, weil nunmehr der Zeitpunkt der Bestallung und derjenige der Berechtigung zur Ausübung des Arztberufs in eigener Praxis sich decken und auf diesen einheitlichen Zeitpunkt der Beginn der eigentlichen - entsprechend verkürzten - kassenärztlichen Vorbereitungen abgestellt ist. Davon abgesehen stimmen jedoch die frühere und die jetzige Regelung darin überein, daß die Vorbereitungszeit für die Kassenarztzulassung als ärztliche Berufstätigkeit aufzufassen ist, und zwar nach früherem Recht von der Erteilung der Bescheinigung gemäß §§ 76 Abs. 4, 79 der Reichsbestallungsordnung an, nach jetzigem Recht in vollem Umfange. Die Klägerin hatte nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG diese Bescheinigung im März 1952, also über ein Jahr vor dem Zeitpunkt des Unfalls erhalten; sie befand sich demgemäß zur Zeit des Unfalls nicht mehr in einer Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO.
Der Meinung der Revision, das LSG habe zu Unrecht bei der Auslegung des § 565 RVO die Vorbereitung auf die Kassenzulassung und die Weiterbildung eines approbierten Arztes zum Facharzt gleichermaßen aus der Berufsausbildung im Sinne dieser Vorschrift ausgeklammert, konnte der Senat nicht beipflichten. Zwar trifft es sicherlich zu, daß ein junger Mediziner die Facharztanerkennung vorwiegend aus freiem persönlichem Entschluß anstrebt, während die Kassenarztzulassung für die große Masse der ausgebildeten Ärzte das zur wirtschaftlichen Existenzsicherung unerläßliche Ziel bedeutet. Ungeachtet dieser wirtschaftlichen Betrachtungsweise bleibt jedoch einmal zu beachten, daß der Kassenarzt keinen besonderen Beruf hat, der dem des nicht zu den Krankenkassen zugelassenen frei praktizierenden Arztes gegenüber zu stellen wäre, sondern daß die Tätigkeit des Kassenarztes nur eine Ausübungsform des Berufs des frei praktizierenden Arztes ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 23.3.1960 zu IV 2, veröffentlicht in NJW 1960, 715 = DÖV 1960, 262 = SGb 1960, 238; ebenso bereits BSG 2, 201, 214/215). Andererseits muß bei der Auslegung des Begriffs "Berufsausbildung" die Art der zu beurteilenden Tätigkeit als wesentlich berücksichtigt werden. Insoweit kommt aber die Weiterbildung zum Facharzt einer "Ausbildung" sogar erheblich näher als die Vorbereitung zur Kassenarztzulassung; dies zeigt ein Vergleich der einschlägigen Vorschriften: Einerseits §§ 30, 31 der Berufsordnung für die deutschen Ärzte vom 5. November 1937 (DÄBl 1937, 1031) bzw. § 25 Abs. 3, §§ 26, 28 der Berufsordnung von 1956 (aaO), wobei das in der älteren Regelung noch durchgehend gebrauchte Wort "Ausbildung" in der jetzt geltenden Berufsordnung weggelassen wurde; zum anderen die Vorschriften des § 15 ZulO vom 21. April 1948 bzw. § 3 ZulO vom 28. Mai 1957; während hier die Ausfüllung der Vorbereitungszeit ziemlich frei gestaltet werden kann, ist die für die Facharztanerkennung abzuleistende Tätigkeit schon hinsichtlich der Zeitdauer, aber auch der wissenschaftlichen Qualifikation der Kliniken und Ärzte, bei denen diese Tätigkeit zu verrichten ist, erheblich strengeren Anforderungen unterstellt; zu der für die Tätigkeit des Facharztanwärters ausdrücklich vorgeschriebenen ärztlichen Leitung und der fachlichen Beurteilung seiner Beschäftigung (§ 26 Abs. 1 Satz 2, § 28 der Berufsordnung von 1956) findet sich in der Regelung der Kassenärztlichen Vorbereitungszeit keine Parallele. Demgegenüber ist es nach Ansicht des Senats ohne Bedeutung, daß im Sprachgebrauch gelegentlich auch die Kassenarztvorbereitung als Ausbildung bezeichnet wird (so etwa bei Thieding aaO S. 65/66; Sievers aaO S. 49 Anm. 6; Jantz-Prange, Das gesamte Kassenarztrecht, Teil E Abschnitt II, Anm. III A 3 zu § 3 ZulO). Die Vorbereitung hat nichts mehr mit der bereits abgeschlossenen ärztlichen Ausbildung zu tun, vielmehr dient sie der Vertiefung vor allem der praktisch-medizinischen Kenntnisse des an sich schon zur Krankenbehandlung berechtigten Arztes, der sich um eine Kassenpraxis bewerben will; sie ist daher der praktischen Weiterbildung eines bereits fertig ausgebildeten Juristen im Hinblick auf die Laufbahn des Richters oder den Spezialberuf des Rechtsanwalts (evtl. mit besonderer Fachrichtung, z. B. Steuerrecht) vergleichbar (vgl. Jantz-Prange aaO Anm. III). - Hiernach kann die Klägerin auf Grund des § 565 RVO eine ihr günstigere Festsetzung des JAV nicht beanspruchen.
Eine Berechnung des JAV nach TO A III ist auch nicht aus dem vom Reichsversicherungsamt (vgl. Bescheid vom 29.10.1935 und 14.1.1938 in EuM 42, 169) vertretenen Standpunkt herzuleiten, daß bei offensichtlich untertariflicher Bezahlung des Versicherten der Tariflohn der JAV-Berechnung zugrunde zu legen sei. Die Revision hat in dieser Hinsicht nur vorgetragen, eine Vergütung der von der Klägerin bis zum Unfall verrichteten Tätigkeit nach TO A III sei "üblich" gewesen; darin vermag der Senat nicht die Behauptung zu erblicken, der von der Klägerin erhaltene Arbeitsentgelt habe gegen bindende Tarifnormen verstoßen.
Schließlich liegt auch die von der Revision gerügte Verletzung des § 566 in Verbindung mit § 563 RVO nicht vor. Das LSG hat zutreffend angenommen, daß eine Feststellung des JAV nach billigem Ermessen nur in Betracht kommt, wenn eine JAV-Berechnung nach § 563 RVO undurchführbar ist; da diese Berechnung hier vorgenommen werden konnte, sei § 566 RVO nicht anwendbar. Dies entspricht nach Ansicht des Senats dem eindeutigen Wortlaut des § 566 Satz 1 RVO; danach ist eine Feststellung des JAV nach billigem Ermessen mit der Begründung, der nach § 563 RVO berechnete JAV erscheine unbillig, mit voller Absicht ausgeschlossen worden (so bereits Jantz, AN 1942, 209, 214; ferner Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 6. Aufl., Bd. II S. 575; Sauer, SGb 1956, 359; LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1957, 20; LSG Schleswig, Breithaupt 1959, 306, 903). Der vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften vertretenen abweichenden Auffassung (Rundschreiben VB 55/51; vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, Stand: August 1960, Anm. 5 zu § 563 RVO S. 125 f.) ist der Senat nicht beigetreten. Nach dieser Auffassung soll die JAV-Berechnung gemäß § 563 RVO undurchführbar im Sinne des § 566 Satz 1 RVO nicht nur dann sein, wenn rechnerische Unterlagen hierfür überhaupt fehlen, sondern auch, wenn solche Unterlagen zwar vorhanden sind, jedoch zu einem "widersinnigen, vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis" führen. Dieser Standpunkt wurde zunächst entwickelt für Fälle, in denen die Versicherungsträger durch abnorm hohe, bei der Berechnung des JAV nach § 563 RVO sich ergebende Rentenbeträge benachteiligt erschienen (insoweit vgl. auch Hess. LSG, Breithaupt 1956, 904); er wurde dann folgerichtig übertragen auf unbillig niedrig erscheinende Jahresarbeitsverdienste von Versicherten, die einen dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbaren ungewöhnlich geringen Arbeitsverdienst vor dem Unfall erzielt hatten (vgl. LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1955, 1252; LSG Celle, SGb 1956, 357). Der Senat hält die erweiternde Auslegung des § 566 RVO für unvereinbar mit der Systematik des Gesetzes. Dieses hat bereits allgemein in § 563 Abs. 3 RVO, ferner für bestimmte Personengruppen noch besonders in §§ 564, 565 RVO einen Härteausgleich zur Vermeidung von sozialpolitisch ungerechtfertigt niedrigen Unfallrenten vorgesehen. Der darüber hinaus schließlich noch durch § 566 RVO eröffnete Spielraum für Billigkeitserwägungen ist so klar abgegrenzt, daß eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf darin bewußt nicht berücksichtigte Fälle nicht vertretbar erscheint. Der Entwurf eines Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (Bundestagsdrucksache 758, 3. Wahlperiode, § 573) sieht die Feststellung des JAV nach billigem Ermessen auch für die Fälle vor, in denen die Berechnung nach dem Arbeitseinkommen einen in erheblichem Maße unbilligen JAV ergibt. Eine solche Regelung wäre geeignet, dem Klagbegehren zum Erfolg zu verhelfen. Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt sie indessen nicht in Betracht, denn die Systematik der Novelle weicht so offenkundig von der des geltenden Rechts ab, daß § 566 RVO unter Heranziehung dieses Gesichtspunkts nicht ausgelegt werden darf.
Die Revision ist hiernach nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Fundstellen