Leitsatz (amtlich)

Erteilt der Unfallversicherungsträger einen Bescheid, durch den Rente von einem bestimmten Stichtag an gewährt, ihre Zahlung für die vorangehende Zeit aber - ausschließlich - wegen Verjährung (RVO § 29 Abs 3) abgelehnt wird, so ist im gerichtlichen Verfahren dem Unfallversicherungsträger das Nachschieben solcher Gründe verwehrt, die den Bestand des Rentenanspruchs schlechthin verneinen. (Anschluß an BSG 1966-02-28 4 RJ 543/65 = SozR Nr 14 zu § 79 SGG).

 

Normenkette

RVO § 29 Abs. 3 Fassung: 1911-07-19; SGG § 54 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 79 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Mai 1966 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Mutter der im Februar 1942 geborenen Klägerin erlitt bei der Arbeit in einem landwirtschaftlichen Betrieb am 27. April 1951 einen tödlichen Unfall. Bei der Beklagten, die das Sterbegeld gezahlt hatte, fragte der Vater der Klägerin im September 1951 schriftlich an, ob und wann sie die Rentenzahlung an die Klägerin aufzunehmen gedenke. Das dem Vater der Klägerin formlos durch die Post übermittelte Antwortschreiben der Beklagten vom 4. Oktober 1951 lautete: "Hinterbliebenenrente für das Kind kann nach den zwingenden gesetzlichen Bestimmungen nicht gewährt werden, da nicht Ihre verstorbene Ehefrau den Unterhalt des Kindes überwiegend bestritten hat, das Kind vielmehr von Ihnen unterhalten wurde".

Für die Klägerin, die mit dem 31. Dezember 1960 ihre Berufsausbildung beendet hatte, machte ihr Vater mit Schreiben vom 5. März 1964 erneut den Waisenrentenanspruch geltend und wies auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 24. Juli 1963 (BVerfG 17, 1 = SozR GG Art. 3 Bl. Ab 23 Nr. 52) hin. Die Beklagte erwiderte zunächst, dieses Urteil sei auf den 13 Jahre zurückliegenden Unfall nicht anwendbar; schließlich erteilte sie jedoch den Bescheid vom 1. Juni 1964 über Gewährung einer Waisenrente gemäß § 595 der Reichsversicherungsordnung (in der seit 1. Juli 1963 geltenden Fassung - RVO -), worin der Klägerin folgendes eröffnet wurde: "Der Unfall, der Ihrer Mutter bei einer dem landwirtschaftlichen Betrieb ... zuzurechnenden Tätigkeit am 27. April 1951 zugestoßen ist und der am gleichen Tage den Tod zur Folge gehabt hat, wird als landwirtschaftlicher Arbeitsunfall anerkannt. Nach § 595 RVO wird Ihnen nachträglich Waisenrente für die Zeit vom 1. März 1960 bis 31. Dezember 1960, dem Ende Ihrer Berufsausbildung gewährt. Für die Zeit vor dem 1. März 1960 kann eine Zahlung gemäß § 29 Abs. 3 RVO leider nicht erfolgen (Verjährung)".

Das Sozialgericht (SG) Koblenz hat am 10. März 1965 die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides verurteilt, der Klägerin auch für die Zeit vom 1. Mai 1951 bis zum 29. Februar 1960 Waisenrente zu zahlen.

Ihre vom SG nach § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassene Berufung hat die Beklagte damit begründet, ihr Schreiben vom 4. Oktober 1951 sei als "Entscheidung" im Sinne von § 79 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) vom 12. März 1951 (BGBl I 243) anzusehen. Diese Entscheidung sei gemäß § 66 Abs. 2 SGG spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 1954 unanfechtbar geworden; sie werde also gemäß § 79 Abs. 2 BVerfGG von der am 24. Juli 1963 erfolgten Nichtigerklärung des § 592 RVO aF (= § 595 Abs. 2 Satz 3 RVO) nicht berührt. Die Verjährungseinrede sei gerechtfertigt, weil die Berufsgenossenschaft die erforderlichen Mittel alljährlich durch Umlage aufzubringen habe, was einer rückwirkenden Leistungspflicht für unübersehbare Zeiten entgegenstehe.

Durch Urteil vom 27. Mai 1966 (Breith. 1967, 165) hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung die Klage abgewiesen.

Gegen das am 1. August 1966 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29. August 1966 Revision eingelegt und sie am 7. September 1966 folgendermaßen begründet: Das LSG habe verkannt, daß die Verjährung des Waisenrentenanspruchs gehemmt gewesen sei. Die Hemmung beruhe einmal auf § 202 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), weil der Beklagten ein Leistungsverweigerungsrecht zugestanden habe, solange § 592 RVO aF dem Gleichberechtigungsgrundsatz nicht angepaßt war. Zum anderen folge sie aus § 203 Abs. 2 BGB; höhere Gewalt im Sinne dieser Vorschrift sei auch eine ständige, dem geltend gemachten Anspruch entgegenstehende Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, NJW 1957, 912); der Klägerin sei nicht zuzumuten gewesen, angesichts der Gesetzeslage eine völlig aussichtslose Klage zu erheben. Schließlich verstoße die Geltendmachung der Verjährungseinrede gegen Treu und Glauben; auf Grund der Dauerwirkung, die dem Belehrungsschreiben der Beklagten vom 4. Oktober 1951 solange anhaftete, wie § 592 RVO aF nicht förmlich aufgehoben wurde, sei dadurch, daß die Beklagte einen Hinweis auf die veränderte Rechtslage unterließ, am 1. April 1953 ein falscher Bescheid "erteilt" worden. Durch ihre Untätigkeit habe die Beklagte also schuldhaft die Klägerin veranlaßt, ihren Anspruch nicht rechtzeitig geltend zu machen, so daß der Beklagten die Erhebung der Verjährungseinrede nach Treu und Glauben versagt sei.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Bescheid der Beklagten dahin zu ändern, daß diese auch für die Zeit vom 1. April 1953 bis zum 29. Februar 1960 zur Waisenrentenzahlung verpflichtet ist.

Die Beklagte beantragt,

Zurückweisung der Revision.

Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil im Ergebnis, nicht jedoch in der Begründung bei. Insoweit trägt sie vor: Auf die Verjährung komme es nicht an, da der Klägerin überhaupt kein Anspruch zustehe. Das Schreiben vom 4. Oktober 1951 stelle einen den Rentenantrag der Klägerin ablehnenden Verwaltungsakt dar (SG Lüneburg, ZfS 1955, 256), für dessen Zustellung seinerzeit noch die Absendung als einfacher Brief genügt habe (BSG 4, 200); die Form des eingeschriebenen Briefes sei durch § 135 RVO nicht zwingend vorgeschrieben. Wegen des - unbestritten - im Oktober 1951 erfolgten Zugangs des genannten Schreibens sei die Entscheidung der Beklagten spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 1954 unanfechtbar geworden (Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 2 zu § 66 SGG). Auf Grund des hiernach anwendbaren § 79 Abs. 2 BVerfGG werde der unanfechtbare Verwaltungsakt der Beklagten durch das BVerfG-Urteil vom 24. Juli 1963 nicht berührt (BVerfG 20, 230; Salzwedel, BG 1965, 63, 68). Davon abgesehen, sei auf den mit dem Tod der Mutter der Klägerin am 27. April 1951 abgeschlossenen Tatbestand die am 1. April 1953 eingetretene Rechtsänderung - Wirksamwerden des Gleichberechtigungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 2, Art. 117 Abs. 1 GG) - von vornherein nicht anzuwenden (BSG 23, 139, SozR Nr. 4 zu § 1271 RVO aF, Nr. 9 zu § 1258 RVO aF). Die Richtigkeit dieser Auffassung werde im vorliegenden Fall dadurch bestätigt, daß § 595 Abs. 2 Satz 3 RVO nF durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 (RVÄndG, BGBl I 476) nicht rückwirkend, sondern erst mit Wirkung vom 1. Juli 1965 an gestrichen worden sei (Art. 5 § 3, § 6 Satz 3, § 10 Abs. 1 Buchst. e RVÄndG), so daß für den hier zu entscheidenden Fall "ein für allemal" nur § 592 RVO aF gelte.

Hieraus ergebe sich zugleich, daß - soweit Verjährung überhaupt in Betracht zu ziehen sei - der von der Klägerin erhobene Vorwurf unzulässiger Rechtsausübung nicht durchgreifen könne. Im übrigen lägen die Voraussetzungen für die von der Revision geltend gemachte Hemmung der Verjährung nicht vor (BAG 12, 97). Es wäre Sache der Klägerin gewesen, die Ungültigkeit des § 592 RVO aF gerichtlich klären zu lassen.

Die Klägerin hält diesem Vorbringen entgegen: Falls das Schreiben vom 4. Oktober 1951 einen Verwaltungsakt darstellen sollte, wäre dessen Bestandskraft auf die Zeit bis zum 31. März 1953 begrenzt; denn zu der seither geänderten Rechtslage habe die Beklagte damit nicht Stellung genommen; die Klägerin könne vom 1. April 1953 an Waisenrente verlangen, ohne daß es einer Aufhebung der Entscheidung vom 4. Oktober 1951 bedurft hätte. Im übrigen verweist die Klägerin auf die vom Standpunkt der Beklagten abweichende Praxis der Rentenversicherungsträger, wofür sie als Beispiel eine Auskunft der Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz vom 21. März 1967 anführt.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG). Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz.

Als die Mutter der Klägerin am 27. April 1951 durch Arbeitsunfall ums Leben kam, hing der Waisenrentenanspruch gemäß § 592 RVO damaliger Fassung von der - hier nicht erfüllten - Voraussetzung ab, daß die Verstorbene den Unterhalt der Klägerin überwiegend bestritten hatte. § 592 RVO damaliger Fassung wurde durch § 9 des 2. Gesetzes zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung vom 29. Dezember 1960 (BGBl I 1085) aufgehoben, jedoch blieb die Sonderregelung für den Waisenrentenanspruch des Kindes einer durch Arbeitsunfall getöteten Ehefrau auch in der Folgezeit erhalten (vgl. § 591 Abs. 2 i.V.m. § 559 b Abs. 6 Satz 2 RVO in der seit 1. Januar 1961 geltenden Fassung); zu einer verfassungsrechtlichen Prüfung der hiermit gegebenen Rechtslage kam es nicht, das BVerfG erachtete einen auf diese Prüfung abzielenden Vorlagebeschluß des Bayerischen LSG als unzulässig, da es sich um vorkonstitutionelles Recht handele (BVerfG Beschluß vom 24. Juli 1963 - 1 BvL 6/63 -). Das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. März 1963 (BGBl I 241) brachte keine Änderung mit sich; auch nach § 595 Abs. 2 Satz 3 RVO in der seit 1. Juli 1963 geltenden Fassung wurde den Kindern einer verstorbenen Ehefrau Waisenrente nur gewährt, wenn die Verstorbene den Unterhalt der Kinder im Zeitpunkt des Arbeitsunfalles oder des Todes überwiegend bestritten hatte. Nachdem jedoch das BVerfG mit Urteil vom 24. Juli 1963 (BVerfG 17, 1) hinsichtlich der entsprechenden Vorschriften in der gesetzlichen Rentenversicherung entschieden hatte, die Erschwerung der Waisenrente nach dem Tod einer versicherten Ehefrau sei mit Art.3 Abs. 2 und 3 und mit Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar, wurde schließlich durch das RVÄndG vom 9. Juni 1965 die diskriminierende Vorschrift des § 559 Abs. 2 Satz 3 RVO gestrichen.

Zu diesem Abschluß war die Rechtsentwicklung noch nicht gelangt, als die Klägerin im März 1964 ihren Waisenrentenanspruch unter Bezugnahme auf das BVerfG-Urteil vom 24. Juli 1963 geltend machte. Die von der Beklagten vorgenommene Prüfung der Rechtslage führte zur Erteilung des eingangs zitierten Bescheides vom 1. Juni 1964, dem der Rentenausschuß seine Zustimmung gab. Diesem Bescheid ist nach Meinung des Senats zweifelsfrei zu entnehmen, daß die Beklagte den Rentenanspruch der Klägerin vorbehaltlos anerkannt hat; für die Zeit vom 1. März bis zum 31. Dezember 1960 hat die Klägerin die Waisenrente auch erhalten, für die vorangehende Zeit ist eine Rentennachzahlung allein wegen Verjährung des Anspruchs (§ 29 Abs. 3 RVO) abgelehnt worden. Unter diesen Umständen hätte es vor Klageerhebung der Nachprüfung des Bescheides vom 1. Juni 1964 im Vorverfahren (§§ 78, 79 Nr. 1 SGG) bedurft.

Übereinstimmend mit dem 4. Senat des Bundessozialgerichts - BSG - (vgl. SozR Nr. 14 zu § 79 SGG; siehe auch Tannen, DRV 1967, 305 mit Hinweis auf das Urteil des 11. Senats vom 25. April 1967 - 11 RA 50/65 -) hält der erkennende Senat die Vorschrift des § 79 Nr. 1 SGG in dem Fall für anwendbar, in dem ein Versicherungsträger eine Rentenleistung nach Ablauf der Verjährungsfrist ausschließlich wegen der Anspruchsverjährung abgelehnt hat. Prüft der Versicherungsträger, ob er die Verjährungseinrede gegenüber einem Leistungsanspruch geltend machen oder aber hiervon absehen soll, so handelt es sich dabei nicht allein um die Beurteilung rechtlicher Fragen - etwa, ob unzulässige Rechtsausübung vorliegen könnte -, sondern in der Regel auch um die Ausübung eines dem Versicherungsträger eingeräumten Ermessens, bei der ua Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit, der Billigkeit (Soziale Rechtsanwendung, vgl. RVA Rundschreiben vom 30. Juli 1941 AN 1941, 311), der Koordinierung mit der Verwaltungspraxis anderer Versicherungsträger und ähnliche Umstände zu berücksichtigen sein können, welche vor Klagerhebung die Einschaltung der Widerspruchsstelle angezeigt erscheinen lassen.

Im Verlauf des Rechtsstreits, zumal mit ihrem Vorbringen in der Berufungs- und in der Revisionsinstanz, hat die Beklagte freilich außer der Verjährung auch noch andere Rechtsgründe angeführt, welche nach ihrer Auffassung dem Klagbegehren entgegenstehen. Sie hat sich unter Hinweis auf ihr Schreiben vom 4. Oktober 1951 darauf berufen, die damalige - inzwischen unanfechtbar gewordene - Anspruchsablehnung bleibe gemäß § 79 Abs. 2 BVerfGG von der Verfassungswidrigkeit des § 592 RVO aF unberührt, auch sonst - insbesondere unter Heranziehung des RVÄndG - sei eine Rückwirkung der verfassungskonformen Rechtslage auf den in der Vergangenheit abgeschlossenen Tatbestand zu verneinen. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieses Vorbringen, zu dem der Rentenausschuß bei seiner Beschlußfassung am 1. Juni 1964 nicht Stellung genommen hat, schon deshalb außer Betracht bleiben muß, weil nicht sicher ist, ob der Rentenausschuß sich seinerzeit diese Argumentation zu eigen gemacht hätte (vgl. BVerwG 8, 234, 238; OVG Hamburg, Urteil vom 28. März 1961, DVBl 1961, 828; Böhme, BG 1960, 193, 194, 196). Eine Berücksichtigung des angeführten Vorbringens würde nämlich der ständigen Rechtsprechung zum sog. "Nachschieben von Gründen" zuwiderlaufen.

Im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit wird das Nachschieben von Gründen zur Rechtfertigung eines Verwaltungsakts nur mit der Einschränkung als zulässig erachtet, daß das neue Vorbringen weder den angefochtenen Bescheid in seinem Wesensgehalt und Ausspruch verändern, noch den Bescheidempfänger in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigen darf (vgl. ua BSG 3, 209, 216; 11, 236, 239; 14, 44, 47; 17, 79, 83; Haueisen, BABl 1966, 511, 513). Diesen Voraussetzungen genügt die von der Beklagten im Laufe dieses Rechtsstreits nachgeschobene Argumentation nicht. Sie ist vielmehr geeignet, den Bescheid vom 1. Juni 1964 in seinem Wesensgehalt anzutasten, denn der Rentenanspruch, der in jenem Bescheid als gegeben anerkannt und nur als teilweise verjährt bezeichnet worden war, wird durch das neue Vorbringen dem Grunde nach schlechthin negiert. Bei Zugrundelegung dieses Vorbringens würde sich also die für die Zeit vom 1. März bis zum 31. Dezember 1960 ausgezahlte Waisenrente als ohne Rechtsgrund gewährt darstellen, die Rente für die vorangehende Zeit würde der Klägerin von vornherein streitig gemacht, auf die Erhebung der Verjährungseinrede, über die im Vorverfahren nach den oben dargelegten Gesichtspunkten zunächst nochmals vom Versicherungsträger zu befinden wäre, käme es nicht an. Im Ergebnis liefe somit die von der Beklagten nachgeschobene Begründung etwa auf das gleiche hinaus, als wenn sie den Bescheid vom 1. Juni 1964 zurücknehmen oder als nichtig behandeln würde; hierfür sind jedoch die Voraussetzungen nicht gegeben (vgl. BSG 18, 84; 24, 162).

Der angefochtene Bescheid unterliegt hiernach einer Nachprüfung allein im Hinblick auf die von der Beklagten geltend gemachten Verjährung des Anspruchs für die Zeit vor dem 1. März 1960. Der Senat sieht deshalb keinen Anlaß, auf die sonstigen von den Beteiligten angeschnittenen Rechtsfragen einzugehen.

Weil das erforderliche Vorverfahren bisher nicht durchgeführt wurde, fehlt es zur Zeit an einer Prozeßvoraussetzung. Das Vorverfahren kann jedoch noch während des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden, deshalb braucht die Klage nicht als unzulässig abgewiesen zu werden. Das LSG wird den Beteiligten vielmehr Gelegenheit geben müssen, das Vorverfahren zu Ende zu führen (vgl. BSG 20, 199; 25, 66). Dabei erscheint dem Senat ein Hinweis an die Beklagte angebracht, ihrer Widerspruchsstelle die Praxis der Rentenversicherungsträger (Auskunft der LVA Rheinland-Pfalz vom 21. März 1967) vor Augen zu führen und sie zu veranlassen, auch noch Ermittlungen über die Praxis anderer Unfallversicherungsträger bei der Behandlung gleichliegender Fälle anzustellen.

Hiernach muß die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), dem auch die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens obliegt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2284783

BSGE, 129

MDR 1969, 700

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