Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweis für Facharbeiterfertigkeiten
Leitsatz (redaktionell)
Behauptet der Rentenbewerber die Tätigkeit eines Facharbeiters ausgeübt zu haben und kann dies im Verfahren nicht festgestellt werden, so geht die Beweisfälligkeit zu seinen Lasten.
Normenkette
RKG § 46 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; SGG § 128
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Mai 1972 wird zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Unter den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger als Gesamtleistung aus den zur Rentenversicherung der Arbeiter und zur knappschaftlichen Rentenversicherung erbrachten Beiträgen aufgrund eines am 30. Mai 1968 gestellten Antrags eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen ist. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 18. September 1968 ab 1. September 1968 die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG).
Der im Jahre 1911 geborene Kläger war vom Jahre 1924 an bis zum Jahre 1946 außerhalb des Bergbaus als ungelernter Arbeiter tätig. Von Juni 1946 bis Juni 1948 war er Gedingeschlepper, danach bis Dezember 1950 Lehrhauer. Vom 5. Dezember 1950 bis zum 8. Dezember 1960 wurde er von der Grube, bei der er tätig war, als Hilfszimmerhauer geführt. Die hierbei ausgeübte Tätigkeit mußte er aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Danach war er bis September 1962 erster Kreissägenarbeiter, dann bis Juli 1965 Platzreiniger und anschließend bis zu seiner Krankmeldung am 21. April 1968 Platzvorarbeiter. Der Kläger hatte schon vor dem 30. Mai 1968 drei Rentenanträge gestellt, die die Beklagte mit Bescheiden vom 10. Februar 1961, 24. Oktober 1962 und 27. Juli 1964 abgelehnt hatte. Die Zeche hatte der Beklagten mit Schreiben vom 26. Januar 1961 mitgeteilt, der Kläger sei vom 5. Dezember 1950 bis 6. Dezember 1960 als Hilfszimmerhauer tätig gewesen. Diese Tätigkeit sah die Beklagte in den Bescheiden vom 10. Februar 1961, 24. Oktober 1962 und 27. Juli 1964 als Hauptberuf des Klägers an, von dem bei Beurteilung der Berufsunfähigkeit auszugehen sei. In einer Widerspruchsbegründung vom 24. August 1964 trug der Kläger u. a. erstmalig vor, der Hauptberuf "Hilfszimmerhauer" stimme nicht. Er sei als Gedingearbeiter (Lehrhauer) mit Schachtreparaturarbeiten betraut worden (Hauptschacht).
Auf den am 30. Mai 1968 gestellten Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. September 1968 die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit ab; in diesem Bescheid wurde als "bisherige Berufstätigkeit" im Sinne des § 46 Abs. 2 RKG die Tätigkeit als Platzvorarbeiter angenommen. Der gegen den Bescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 1968 zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg. Während des Klageverfahrens wandte sich die Beklagte wegen der vom Kläger in der Zeit vom Dezember 1950 bis Dezember 1960 ausgeführten Arbeiten erneut an die Zeche des Klägers, und diese erklärte mit Schreiben vom 5. September 1969, die Überprüfung habe ergeben, daß der Kläger während dieser Zeit ständig mit Reparaturarbeiten in zu Tage führenden Schächten beschäftigt gewesen sei. Er habe keinen Hauerschein. Deshalb sei er damals als "Hilfszimmerhauer" geführt worden. Die Berufsbezeichnung "Schachthauer - mit und ohne Hauerschein -" sei damals noch nicht eingeführt gewesen. Die in der Auskunft vom 26. Januar 1961 erfolgte Angabe "Hilfszimmerhauer unter Tage" müsse deshalb jetzt als "Schachthauer - mit und ohne Hauerschein-" berichtigt werden. Diese Auskunft wiederholte die Zeche gegenüber dem SG in einem Schreiben vom 13. März 1970 mit dem Zusatz, der Kläger habe die Arbeiten eines Schachthauers selbständig ausgeführt. Der Verdienst (Lohngruppe II + Zulage bis 3 DM) habe der damaligen Entlohnung für diese Arbeiten entsprochen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 9. November 1970 abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Berufung an das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen eingelegt. Mit Urteil vom 25. Mai 1972 hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Nach den Feststellungen des LSG kann der Kläger noch einfache und leichte körperliche Arbeiten im Bergbau über Tage und außerhalb des Bergbaus teils im Gehen, Stehen oder Sitzen vollschichtig verrichten. Tätigkeiten in andauernder gebückter Haltung sowie solche, die mit längerer einseitiger körperlicher Belastung verbunden seien, könnten ihm nicht mehr zugemutet werden. Im Freien sei ein Einsatz nur unter Witterungsschutz möglich. Als Magazin-, Lager- oder Lampenstubenarbeiter, Markenausgeber, Motorenwärter, Telefonist, Hilfsarbeiter im Büro, Schrankenwärter und dergleichen könne er tätig sein. Es könne jedoch nicht angenommen werden, daß der Kläger durch die Verrichtung der Arbeit eines Schachthauers den besonders geschützten Status eines Facharbeiters erworben habe. Er habe nach der Auskunft seines Arbeitgebers zwar selbständig Reparaturarbeiten in zu Tage führenden Schächten ausgeübt, er sei aber nur als Hilfszimmerhauer geführt und dementsprechend nach der Lohngruppe II unter Tage der damals gültigen Lohnordnungen für den Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau entlohnt worden. Allerdings habe er zum Tariflohn eine Zulage erhalten und auf der Zeche, bei der er damals tätig gewesen sei, seien Arbeiter ohne Hauerschein grundsätzlich in der Lohngruppe II geführt worden; soweit sie Hauerarbeiten ausgeführt hätten, sei ihnen eine Lohnzulage gewährt worden. In der Lohnordnung für den Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau sei der Schachthauer schon im Dezember 1950, als der Kläger vom Lehrhauer zu den Reparaturarbeiten in Tagesschächten gewechselt habe, enthalten gewesen. Der Schachthauer habe zur Gruppe I unter Tage und ab 1. Oktober 1960 zur Sondergruppe gehört. Es sei in hohem Maße unwahrscheinlich, daß der Kläger ab 1950 über einen Zeitraum von 10 Jahren und mit ihm noch andere als Hilfszimmerhauer geführte Arbeiter nicht entsprechend den jeweiligen Lohnordnungen entlohnt worden seien und dies ohne Beanstandungen hingenommen hätten. Im Gegensatz zu den vernommenen Zeugen sei der Kläger weder gelernter oder angelernter Handwerker gewesen, noch habe er die Hauerprüfung abgelegt gehabt. Er habe deshalb nicht vollwertig als Schachthauer eingesetzt werden können, was sich auch daraus ergebe, daß nach den Aussagen des Zeugen R. bei den Reparaturschichten an Sonntagen regelmäßig darauf geachtet worden sei, daß ein Hauer mit Hauerschein dabei gewesen sei, wenn dieser im Einzelfall auch nicht immer die tatsächlich führende Kraft gewesen sein möge. Wenn der Kläger aber nicht vollwertig als Schachthauer habe eingesetzt werden können, so rechtfertige das eine tarifliche Einstufung und Entlohnung unterhalb des Schachthauers und sei für die Bewertung seiner Berufstätigkeit von Bedeutung. Die zum Lohn des Hilfszimmerhauers gewährten Zulagen müßten unberücksichtigt bleiben, weil sie nicht geeignet seien, dem Kläger ohne Hauerschein den Status eines Facharbeiters zu vermitteln. Schließlich habe das Oberbergamt D in einer Stellungnahme vom 7. Juli 1967 erklärt, es sei nur zulässig, daß Bergleute mit Hauerschein nach längerer Einarbeitung die Reparaturarbeiten eines Schachthauers selbständig verrichten.
Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen. Zur Begründung der von ihm eingelegten Revision trägt der Kläger vor, bei der Beurteilung, ob bei ihm Berufsunfähigkeit vorliege, müsse vom Beruf eines Facharbeiters (erste Gruppe) ausgegangen werden, denn er habe über 10 Jahre als Schachthauer gearbeitet und diese Tätigkeit wegen Krankheit aufgeben müssen. Wenn das LSG die Rechtsauffassung vertrete, er könne nicht als Facharbeiter eingestuft werden, weil er keinen Hauerschein erworben habe, so sei das falsch. In seiner Zeche habe keine Veranlassung bestanden, die Schachthauer einen zusätzlichen Hauerkursus durchlaufen zu lassen. Sie seien sogar in den Jahren von 1950 bis 1960 nicht zur Hauerprüfung zugelassen worden, weil es sich bei der Tätigkeit der Schachthauer um eine andere als die des Hauers handle.
Mit der Zulage zur Lohngruppe 2 habe er lohnmäßig immer in der Nähe des Hauerrichtlohnes gelegen, so daß auch lohnmäßig die Voraussetzungen für die Einstufung in die Facharbeitergruppe gegeben seien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Mai 1972, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 9. November 1970, den Bescheid und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 25. September 1968 und vom 11. November 1968 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Gesamtleistung aus der knappschaftlichen Rentenversicherung und der Rentenversicherung der Arbeiter wegen Berufsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe ab 1. Juni 1968 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Mai 1972 zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, das LSG habe zutreffend entschieden, daß der Kläger nicht die berufliche Qualifikation eines Facharbeiters erworben habe und somit auch nicht als (gelernter) Facharbeiter (1. Berufsgruppe), sondern allenfalls als angelernter Arbeiter (2. Berufsgruppe) angesehen werden könne.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet.
Nach § 46 Abs. 2 RKG (= § 1246 Abs. 2 RVO) ist ein Versicherter berufsunfähig, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Nach den Feststellungen des LSG, an die das Revisionsgericht gebunden ist, kann der Kläger noch einfache und leichte körperliche Arbeiten im Bergbau über Tage und außerhalb des Bergbaus teils im Gehen, Stehen oder Sitzen vollschichtig verrichten. Hierbei sind Tätigkeiten ausgeschlossen, die in andauernder gebückter Haltung verrichtet werden müssen sowie solche, die mit längerer einseitiger körperlicher Belastung verbunden sind. Außerdem ist bei einem Einsatz im Freien ein Witterungsschutz erforderlich. Das LSG ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Kläger als Magazin-, Lager oder Lampenstubenarbeiter, Markenausgeber, Motorenwärter, Schrankenwärter und dergleichen tätig sein kann. Es ist richtig, daß er auf diese Tätigkeiten nicht verwiesen werden könnte, wenn sein Hauptberuf, von dem bei Prüfung der Berufsunfähigkeit ausgegangen werden muß, ein Beruf wäre, der in die höchste Gruppe der Arbeiterberufe (Leitbild: Lehrberuf) einzuordnen wäre, zu denen im Bergbau vor allem die Hauer und die gelernten Handwerker gehören. Bei diesen Versicherten ist eine Verweisung auf einfache ungelernte Tätigkeiten ohne besondere Verantwortung - hierzu gehören die Arbeiten, zu denen der Kläger noch tauglich ist - nicht statthaft, Zu der oberen Gruppe der Arbeiterberufe gehört auch der Schachthauer, der von 1950 bis zum 30. September 1960 zur Lohngruppe I (ab 1. Oktober 1960 zur Sondergruppe) gehörte; zu dieser Gruppe gehört aber nicht der Hilfszimmerhauer, als der der Kläger geführt wurde und der in der hier in Betracht kommenden Zeit zur Lohngruppe II gehörte.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß ein Versicherter, der von einer Zeche als Hilfszimmerhauer geführt und nach der Lohngruppe des Hilfszimmerhauers bezahlt worden ist, auch die Arbeiten eines Hilfszimmerhauers verrichtet hat. Damit ist allerdings der Beweis, daß der Versicherte tatsächlich eine andere Tätigkeit ausgeübt hat, nicht ausgeschlossen. Es ist auch nicht richtig, wenn das LSG ganz allgemein zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die Zulagen, die der Kläger zum Lohn des Hilfszimmerhauers erhalten hat, bei der Bewertung seiner Tätigkeit unberücksichtigt bleiben müssen. Es wäre nämlich denkbar, daß er die Arbeiten eines Schachthauers selbständig ausgeübt und mit den Zulagen insgesamt den Lohn eines Schachthauers erhalten hat, wobei die Zulagen gerade wegen der ausgeübten Schachthauertätigkeit gewährt sein könnten. Dann wäre bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit von dem Beruf des Schachthauers auszugehen. Wenn auch das LSG die genaue Höhe der Zulagen während der Tätigkeit des Klägers in den in Betracht kommenden Zeiträumen und damit die jeweilige Differenz des gezahlten Lohnes zum Lohn des Schachthauers nicht festgestellt hat, so lassen seine Ausführungen doch erkennen, daß es bei dem von der Zeche als Hilfszimmerhauer geführten Kläger eine selbständige Arbeit als Schachthauer nicht als erwiesen ansieht. Die Ausführungen des Klägers in der Revisionsbegründung, es sei unstreitig, daß er über zehn Jahre als Schachthauer gearbeitet habe, sind nicht richtig; unstreitig ist nur, daß er während dieser Zeit Arbeiter im Schacht gewesen ist. Das LSG sieht die Tatsache, daß der Kläger als Hilfszimmerhauer geführt und nach der Lohngruppe des Hilfszimmerhauers bezahlt wurde, als wichtiges Indiz für die Art der ausgeübten Tätigkeit an und seine Ausführungen lassen erkennen, daß es die Behauptung, der Kläger habe - abweichend von seiner Einstufung - selbständig die Tätigkeit eines Schachthauers ausgeübt, aufgrund der Auskunft des Arbeitgebers und der Aussagen der Zeugen nicht als erwiesen ansieht. Nach seiner Ansicht ist es vielmehr in hohem Maße unwahrscheinlich, daß der Kläger über einen Zeitraum von zehn Jahren und mit ihm noch andere als Hilfszimmerhauer geführte Arbeiter nicht entsprechend den jeweiligen Lohnordnungen entlohnt worden seien und dies ohne Beanstandungen hingenommen hätten. Es weist darauf hin, daß nach der Stellung des Oberbergamtes D vom 7. Juli 1967 der Kläger als Schachthauer nicht hätte eingesetzt werden dürfen, ohne im Besitz des Hauerscheins zu sein und sich aus der Aussage des Zeugen R ergebe, daß hierauf auch von der Zechenverwaltung geachtet worden sei. Mit der Revision werden keine Rügen gegen die sich aus dem Urteil des LSG ergebende negative Feststellung vorgebracht, es sei nicht erwiesen, daß der Kläger die Tätigkeiten eines Schachthauers selbständig verrichtet habe. Daher muß auch das Revisionsgericht hiervon ausgehen. Der Umstand, daß das Landessozialgericht nicht feststellen konnte, daß der Kläger selbständiger Schachthauer gewesen ist, geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers, da er hierauf seinen Anspruch stützt; nur als Schachthauer könnte er in die obere Lohngruppe der Arbeiterberufe eingeordnet werden, deren Leitbild der Lehrberuf ist. Da auch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Platzvorarbeiter nicht zu dieser Gruppe gehört, ist das LSG mit Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß dem Kläger die berufliche Qualifikation eines Facharbeiters nicht zuzuerkennen ist, so daß er auf die Arbeiten verwiesen werden kann, die er nach den Feststellungen des LSG noch auszuüben vermag.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen