Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsbeschränkung des Rehabilitationsträgers. Klagebefugnis des Krankenhausträgers wegen der Feststellung der Schädigung eines Rehabilitanden als Arbeitsunfall
Leitsatz (amtlich)
Der Träger eines Krankenhauses, in dem eine Versicherte stationär wegen einer nicht unfallbedingten Krankheit behandelt und dabei verletzt wurde, gehört nicht zu den nach RVO §§ 636, 637 haftungsbeschränkten Unternehmern mit Klagebefugnis nach RVO § 639.
Orientierungssatz
1. RVO § 636 Abs 2 läßt sich nicht dahin auslegen, daß unter einem Beschäftigten auch ein Rehabilitand und unter einem weiteren Unternehmer der vom Rehabilitationsträger, der selbst Unternehmer nach RVO § 658 Abs 2 Nr 3 ist, zur Durchführung der Rehabilitation des Versicherten herangezogene Krankenhausträger zu verstehen ist. Das verbietet bereits der eindeutige Wortlaut des RVO § 636 Abs 2 mit den Begriffen des Beschäftigten und des Unternehmers.
2. Die Beitragslast der Rehabilitationsträger beruht nicht auf einer Haftungsablösung, sondern ist Teil der gemeinsam getragenen Rehabilitationskosten. Eine Beitragsbelastung der Versicherten zugunsten einer Haftungsbeschränkung der Krankenhausträger wäre nicht systemgerecht.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a Fassung: 1974-08-07, § 636 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30, § 637 Abs 1 Fassung: 1963-04-30, § 639 S 1 Fassung: 1963-04-30, § 658 Abs 2 Nr 3 Fassung: 1974-08-07, § 636 Abs 2, § 723 Abs 1
Verfahrensgang
SG Detmold (Entscheidung vom 06.10.1978; Aktenzeichen S 4 U 53/78) |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, einen Narkoseunfall als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die 1934 geborene, bei der I Krankenkasse L. versicherte M-L W. wurde am 28. Oktober 1976 in den Krankenanstalten des Kreises L., deren Träger der Kläger ist, im Rahmen einer stationären Behandlung wegen eines Gallensteinleidens operiert. Dabei wurde durch schuldhafte Unaufmerksamkeit des Anästhesisten und seines Helfers - beide sind wegen fahrlässiger Körperverletzung rechtskräftig zu Geldstrafen verurteilt worden - die Sauerstoffzufuhr unterbrochen, so daß W. einen schweren Hirndauerschaden erlitt.
Der Beklagte lehnte gegenüber W. Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung bindend ab (Bescheid vom 28. Oktober 1977). Den Widerspruch des Krankenhausträgers (Klägers) gegen den ihm zur Kenntnis gegebenen Bescheid wies die Beklagte als unzulässig zurück (Widerspruchsbescheid vom 23. März 1978). Mit der Klage, mit der er ursprünglich begehrt hatte, die Bescheide aufzuheben und festzustellen, daß der Krankenhausunfall der W. ein Arbeitsunfall sei, hatte er schließlich gefordert, festzustellen, daß die Schädigung der W. während der Operation ein Arbeitsunfall iS von § 539 Abs 1 Nr 17 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ist. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Sprungrevision zugelassen (Urteil vom 6. Oktober 1978).
Der Kläger hat die Sprungrevision mit Zustimmung der Beklagten eingelegt. Er rügt eine Verletzung der §§ 548 Abs 1 Satz 1, 539 Abs 1 Nr 17a RVO und beantragt,
die Bescheide vom 28. Oktober 1977 und 23. März 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Schädigung der Rehabilitantin W. als Arbeitsunfall anzuerkennen, hilfsweise festzustellen, daß diese Schädigung ein Arbeitsunfall ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Sprungrevision des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen.
Das SG hat zu Unrecht die Klagebefugnis des Klägers angenommen, und zwar sowohl für die Anfechtungsklage als auch für die Feststellungsklage, so daß offenbleiben kann, ob eine zulässige Klageänderung vorgelegen hat.
Zu den auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfenden unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen gehört das Prozeßführungsrecht des Klägers, weil von ihm die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt (BSGE 2, 225, 226). Grundsätzlich ist nur der Inhaber des materiellen Rechts zur Prozeßführung befugt. Ausnahmsweise hat ein Dritter die Prozeßführungsbefugnis (Prozeßstandschaft), wenn er dazu durch Gesetz oder Einverständniserklärung des materiell Berechtigten (gewillkürte Prozeßstandschaft) ermächtigt ist. Hinzu kommen muß im letzteren Falle allerdings ein Rechtsschutzbedürfnis des Dritten (BSGE 10, 131, 134); ein solches des materiell Berechtigten genügt nicht (LM Nr 1 zu § 185 BGB). Dem Kläger fehlt jede Ermächtigung zur Klageerhebung.
Zu Unrecht leitet der Kläger als Dritter eine Klagebefugnis aus den §§ 639, 636 Abs 2 RVO her. § 639 Abs 1 RVO bestimmt, daß Personen, deren Ersatzpflicht durch § 636 oder § 637 RVO beschränkt ist und von denen der Verletzte, seine Angehörigen oder seine Hinterbliebenen Schadensersatz fordern, statt des Berechtigten die Feststellungen nach § 638 Abs 1 RVO beantragen oder das entsprechende Verfahren nach dem Sozialgerichtsgesetz (SGG) betreiben können. Die in § 636 Abs 1 RVO verfügte Beschränkung der Schadensersatzpflicht des Unternehmers gilt nach Abs 2 derselben Vorschrift ua für Ersatzansprüche Versicherter, die Beschäftigte eines weiteren Unternehmers sind, gegen diesen Unternehmer. Die Geschädigte ist durch ihre Aufnahme in das Krankenhaus L. zur stationären Behandlung und Operation nicht zur Beschäftigten des Klägers als Krankenhausträger geworden. § 636 Abs 2 RVO läßt sich nicht dahin auslegen, daß unter einem Beschäftigten auch ein Rehabilitand und unter einem weiteren Unternehmer der vom Rehabilitationsträger, der selbst Unternehmer nach § 658 Abs 2 Nr 3 RVO ist, zur Durchführung der Rehabilitation des Versicherten herangezogene Krankenhausträger zu verstehen ist. Das verbietet bereits der eindeutige Wortlaut des § 636 Abs 2 RVO mit den Begriffen des Beschäftigten und des Unternehmers. Wenn der Gesetzgeber die vom Kläger erstrebte Gleichstellung gewollt hätte, hätte er dies im Gesetz zum Ausdruck bringen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Zudem ist unter einem tätigen Versicherten keinesfalls derjenige zu verstehen, der lediglich als Patient bestimmten hausrechtlichen Verfügungen unterworfen ist. Wie der 2. Senat bereits im Urteil vom 27. Juni 1978 - 2 RU 20/78 - (BSGE 46, 283, 286) ausgeführt hat, würde die in der vom Kläger angeführten Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig (NJW 1978, 1204) vertretene Auffassung dazu führen, daß in Anwendung des § 636 RVO die Haftungsbeschränkung des Krankenhausträgers zur Hälfte zu Lasten der Versicherten erfolgte, obwohl er für sie keine Beiträge aufbringt. Der Rehabilitationsträger hat bei den nach § 539 Abs 1 Nr 17 RVO Versicherten als Unternehmer (§ 658 Abs 2 Nr 3 RVO) die Unfallversicherungsbeiträge für diese Versicherten aufzubringen (§ 723 Abs 1 RVO). Sie werden durch die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich von Arbeitnehmern und Arbeitgebern je zur Hälfte getragen (§ 381 Abs 1 Satz 1 RVO). Die Beitragslast der Rehabilitationsträger beruht nicht auf einer Haftungsablösung, sondern ist Teil der gemeinsam getragenen Rehabilitationskosten. Eine Beitragsbelastung der Versicherten zugunsten einer Haftungsbeschränkung der Krankenhausträger wäre nicht systemgerecht (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-9. Aufl 1979, S. 469).
Der Kläger hat auch keine Klagebefugnis nach § 637 RVO. Abgesehen davon, daß die dortigen Fälle hier nicht zutreffen, spricht dessen Abs 4, in dem § 539 Abs 1 Nr 14, nicht aber Nr 17 erwähnt ist, gerade gegen die Argumentation des Klägers. Diese mit Wirkung ab 1. April 1971 gültige Ergänzung des § 637 RVO (§ 1 Nr 3 des Gesetzes über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 - BGBl I 237 -) ist offensichtlich auf diesen Personenkreis beschränkt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
NJW 1980, 1920 |
Breith. 1981, 34 |