Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 06.03.1990) |
SG Mannheim (Urteil vom 15.01.1988) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. März 1990 und das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. Januar 1988 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in allen drei Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der 1965 geborene Kläger, der nach dem Hauptschulbesuch wiederholt kurz beschäftigt war und an einer Berufsfindung sowie einer Berufsvorbereitung teilnahm, erhielt Ausbildungsgeld (Abg) als Behinderter während einer von der Beklagten geförderten Rehabilitation in einem Rehabilitations-Zentrum von September 1983 bis September 1988 (Bescheide vom 2. August 1983 und 29. September 1986). Bis zum 18. September 1986 wurde er erfolgreich zum Nachrichtengerätemechaniker ausgebildet. Unmittelbar anschließend „in Fortsetzung der Ausbildung”) bis September 1988 wurde er zum Funkelektroniker (Bescheid vom 29. September 1986) ausgebildet. Diese Ausbildung endete ebenfalls durch eine erfolgreiche Abschlußprüfung. Er begehrt Übergangsgeld (Übg) für die Zeit des zweiten Bildungsganges, den er für eine Fortbildung hält. Die Beklagte lehnte diese Leistung ab, weil die versicherungspflichtige Beschäftigung von mindestens zwei Jahren, die einer Fortbildung vorausgegangen sein müsse, fehle. Beide Abschnitte seien vielmehr eine einheitliche Stufenausbildung (Bescheid vom 21. Oktober 1986, Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1987). Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 15. Januar 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 6. März 1990). Es wertet die zweijährige Qualifizierung zum Funkelektroniker als eine selbständige Fortbildung iS des § 59 Abs 1 Satz 1 iVm § 41 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und die vorausgegangene dreijährige Ausbildung zum Nachrichtengerätemechaniker, die zu einem auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Ausbildungsberuf geführt habe, als Ersatz für die notwendige beitragspflichtige Beschäftigung von wenigstens zwei Jahren (§ 59 Abs 1 Satz 3 iVm § 168 Abs 1 Satz 2 AFG). Ob die beiden Abschnitte als Teile einer einheitlichen Maßnahme zusammengefaßt werden könnten, so daß die finanzielle Förderung einheitlich bleiben müsse, könne offen bleiben. Eine solche Rechtsfolge sei wegen des Fehlens einer „organisatorischen Verbundenheit” aufgrund eines Gesamtplanes, der von vorneherein die Ausbildung zum Funkelektroniker hätte anstreben müssen, ausgeschlossen. Die Beklagte sei vielmehr ursprünglich davon ausgegangen, daß der Kläger voraussichtlich den Anforderungen einer solchen Ausbildung nicht gewachsen sein werde. Diese Prognose habe sie erst aufgegeben, nachdem das Rehabilitations-Zentrum eine solche Eignung angenommen habe.
Die Beklagte rügt mit der – vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen -Revision eine Verletzung des § 59 Abs 1 Satz 1 und 3 AFG. Die zweijährige Heranbildung zum Funkelektroniker sei keine Fortbildung gewesen. Der Kläger habe erst mit diesem Abschluß das Ende einer auf dieses Ziel gerichteten Stufenausbildung (§ 26 Bundesbildungsgesetz ≪BBiG≫) als Ausbildung iS des § 40 AFG erreicht, die aus zwei unselbständigen Abschnitten bestanden habe. Die Möglichkeit einer Berufsausübung nach der Abschlußprüfung für den ersten Abschnitt habe nicht den angestrebten Ausbildungsberuf eröffnet. Die einzelnen Abschnitte seien in notwendiger Weise organisatorisch und inhaltlich dadurch miteinander verbunden gewesen, daß die Ausbildungsordnung nach §§ 25 und 26 BBiG die Berufsbilder der einzelnen Stufen koordiniere (§§ 1 bis 3, 7, 9, 13, 29 Abs 2 der Verordnung über die Berufsausbildung in der Elektronik). Die zunächst lernschwach scheinenden Auszubildenden wie der Kläger dürften nicht besser gestellt werden als die Lernstarken, bei denen von vorneherein in einen Gesamtplan die Ausbildung zum Endziel – hier Funkelektroniker – eingeschlossen werde.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Die Vorinstanzen durften dem Kläger für die Zeit der Teilnahme an der zweijährigen Spezialausbildung zum Funkelektroniker von 1986 bis 1988 nicht Übg statt des gewährten Abg zusprechen.
Verfahrensrechtlich ist von der rechtsverbindlichen Förderung der Teilnahme des Klägers an der Ausbildung zum Nachrichtengerätemechaniker im Rahmen einer Rehabilitation auszugehen; die Beklagte gewährte ihm für diese Maßnahme Abg, weil sie eine Ausbildung annahm, die zum ersten auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Abschluß führt (BSG SozR 4100 § 40 Nr 12; 4100 § 41 Nr 34; Urteil des Senats vom 18. Oktober 1991 – 9b RAr 15/90 –; zum Abg: (§ 56 Abs 1 Satz 1 und 2 § 58 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 AFG idF des Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetzes ≪AFKG≫ vom 22. Dezember 1981 – BGBl I 1497 – / 20. Dezember 1982 – BGBl I 1906 – / 30. Dezember 1985 – BGBl 1986 I 32 –; § 1 Abs 1 Satz 1, § 5 Abs 1, § 9 Abs 1, § 14 Abs 1, § 15 Abs 1, § 24 Abs 1 und 3 Satz 1 Anordnung über die Arbeits-und Berufsförderung Behinderter ≪A-Reha≫ idF vom 28. Januar 1986 – ANBA Nr 4/1986 – S 528). Ergänzend dazu förderte die Beklagte durch ebenfalls rechtsverbindlichen Verwaltungsakt die unmittelbar anschließende zweijährige Spezialausbildung zum Funkelektroniker als „Fortsetzung der Ausbildung” und damit als weiteren Abschnitt der Ausbildung im arbeitsförderungsrechtlichen Sinn, nicht aber als Fortbildung iS des § 41 AFG.
Die Bewilligung von Abg für diese Maßnahme als Teil einer Stufenausbildung und die Ablehnung von Übg war nicht rechtswidrig. Die Verwaltung hatte nicht bei der neuen Entscheidung den ersten Bewilligungsakt wegen ursprünglicher Unrichtigkeit oder wegen nachträglicher Änderung der Verhältnisse zu berichtigen (§ 44 oder § 48 Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren). Vielmehr wird in einem solchen Fall der erste Abschnitt der Stufenausbildung unter dem stillschweigenden, aus der Art dieser Ausbildung erkennbaren Vorbehalt (§ 32 Abs 1 und 2 Nr 3 SGB X) gefördert, daß eine spätere Prüfung die Eignung für die gesamte Ausbildung erkennen lassen kann und sodann einen ergänzenden Bescheid gebietet.
Entsprechend der neuen Entscheidung über die Leistung für den zweiten Ausbildungsabschnitt wurde auch rehabilitationsrechtlich der Gesamtplan geändert (§ 5 Abs 1 Satz 2, §§ 10, 14 Abs 2 Satz 1 A-Reha).
Die Ausbildung zum Funkelektroniker war in der Zeit, für die der Kläger Übg begehrt, ausdrücklich als Stufenausbildung iS des § 26 BBiG (idF vom 14. August 1969 – BGBl I 1112 – / 23. Dezember 1981 – BGBl I 1692 –) geregelt (§ 25 Abs 1 BBiG, § 1 Verordnung über die Berufsausbildung in der Elektrotechnik vom 12. Dezember 1972 – BGBl I 2385 – / 13. Mai 1983 – BGBl I 464 –; – BE-VO –; Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, herausgegeben vom Bundesinstitut für Berufsforschung, Stand: 1. Juli 1976 S 78 Nr 3153-3). Sie baute auf der Ausbildung zum Nachrichtengerätemechaniker (§§ 1, 2 Satz 1, §§ 3, 7, 9, 13, 34 der BE-VO) auf und erweiterte die darin erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten (§ 2 Satz 2, §§ 20, 27, 41 BE-VO).
Wie die einzelnen Abschnitte der Stufenausbildung im Arbeitsförderungsrecht einzuordnen sind, hat das BSG bisher noch nicht abschließend entschieden (BSG 37, 163, 166 = SozR 4100 § 41 Nr 1; SozR 4100 § 40 Nr 12; dazu Gagel, Arbeitsförderungsgesetz, Stand: 1990, Rz 3 ff vor § 40 AFG; § 40 Rz 3; § 41 Rz 6; Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, Komm zum AFG, 2. Aufl 1988, § 40 Rz 6). Diese Einordnung hat sich an zwei Gesichtspunkten auszurichten: Einmal ist die gesamte Stufenausbildung berufsbildungs-, arbeitsförderungs-, rehabilitations- und arbeitsrechtlich als Einheit zu behandeln (vgl zum Zusammenhang dieser Rechtsgebiete: Urteil des Senats vom 18. Oktober 1991 – 9b RAr 15/90 –; Gagel, aaO Rz 5 vor § 40 AFG; Hoppe/Berlinger, Schuster, Förderung der beruflichen Bildung, Stand: 1990, Vorbem 5 vor § 56 AFG; im Ansatz auch BSGE 37, 163, 166). Zum anderen macht das Gesetz die Institution der Fortbildung, die berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten erweitern soll (§ 41 Abs 1 AFG; § 1 Abs 3 BBiG; BSG SozR 3-4100 § 41 Nr 1; 4100 § 47 Nr 2), davon abhängig, daß zwischen der Erstausbildung und der geplanten weiteren Berufsausbildung „Fortbildung”) einige Jahre beruflicher Tätigkeit liegen (§ 42 AFG). Diese Regelung gilt allerdings nicht für die Rehabilitation (§ 56 Abs 1 Satz 1 AFG). Die Rehabilitation erlaubt ein „Durchstarten”, wenn dies für ihr Ziel, eine angemessene berufliche Eingliederung, erforderlich ist, wenn sich nämlich unmittelbar nach der Erstausbildung eine entsprechende Maßnahme als notwendig erweist. So war es aber im Fall des Klägers nicht.
Die Beklagte muß ihre rechtsverbindliche Entscheidung, daß der zweite Abschnitt nicht als Fortbildung, sondern als Fortsetzung der Ausbildung gefördert wird, nicht berichtigen.
Ebenso wie im Bildungsrecht, das die Stufenausbildung eingeführt hat, ist sie in Fällen wie dem des Klägers arbeitsförderungsrechtlich insgesamt als Ausbildung im Rahmen der Rehabilitation einzuordnen. Der „aufbauende” Abschnitt, in dem der Kläger zum Funkelektroniker ausgebildet wurde und der unmittelbar an die Grundausbildung anschloß, bildete mit dieser eine bildungs- und rehabilitationsrechtliche Einheit und ist deshalb als eine Ausbildung zu werten. Diese Weiterbildung war nicht aus einem neuen Rehabilitationsgrund notwendig. Die Verwaltung hatte den Kläger ursprünglich als nur für den ersten Abschnitt der Ausbildung geeignet angesehen (§ 36 Satz 1 Nr 2, § 56 Abs 1 Satz 2 AFG; § 9 Abs 1 Nrn 2 und 3 A-Reha; BSGE 38, 146, 148f = SozR 4100 § 42 Nr 2). Nach dem erfolgreichen Abschluß der Ausbildung zum Nachrichtengerätemechaniker erwies sich der Kläger aber als geeignet auch für den weiteren Ausbildungsabschnitt, so daß die Prognose geändert werden mußte. Das entspricht den besonderen Bedürfnissen, die allgemein eine Stufenausbildung rechtfertigen. Wenn sich nicht von vornherein voraussagen läßt, ob ein Auszubildender das Ziel einer besonders qualifizierten Ausbildung, wie sie durch den Abschluß einer Stufenausbildung gekennzeichnet ist, erreichen wird, soll ihm schon mit der ersten Stufe der Zugang zu einem auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren, staatlich anerkannten Ausbildungsberuf eröffnet werden. Dank der Durchlässigkeit der Stufenausbildung kann die vollständige Ausbidlung angeschlossen werden, falls sich der Auszubildende nachträglich als dafür geeignet erweist (vgl Weber, Berufsbildungsgesetz, Stand 1985, § 26 Anm 2). Die erste Abschlußprüfung wird dann zur Zwischenprüfung für die gesamte Ausbildung (§ 29 Abs 2 BE-VO). Dementsprechend wird arbeitsrechtlich im ersten Fall ein „Kurzvertrag” über den ersten Abschnitt statt eines „Langvertrags” abgeschlossen (Weber aaO § 26 Anm 4 und 5; Herkert, Berufsbildungsgesetz, Stand 1991, § 26 Rz 12; Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl 1983, S 350; Wohlgemuth/Sarge, Berufsbildungsgesetz, 1987, § 26 Rz 5).
Da auch der zweite Abschnitt der Stufenausbildung des Klägers als Ausbildung einzuordnen ist, hat die Beklagte dem Kläger ebenfalls für diese Zeit zutreffend Abg als typische Leistung für den Lebensunterhalt während einer Ausbildung im Rahmen einer Rehabilitation gewährt (BSG SozR 4100 § 59 Nr 8). Sie wird nicht durch das Übg als übliche Lohnersatzleistung während einer Rehabilitation ersetzt (§ 59 AFG, § 24 Abs 3 Satz 1 A-Reha; BSG SozR 4100 § 59 Nr 8; Urteil des Senats vom 18. Oktober 1991 – 9b RAr 2/91 –).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen