Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 22.11.1990) |
SG Bayreuth (Urteil vom 12.07.1989) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. November 1990 aufgehoben, soweit es das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 12. Juli 1989 abgeändert hat.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 12. Juli 1989 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Weder für das Berufungs- noch für das Revisionsverfahren sind außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU), zu gewähren hat. Umstritten ist insoweit, ob eine Rentengewährung an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in § 1246 Abs 1 und 2a, § 1247 Abs 1 und 2a der Reichsversicherungsordnung (RVO), Art 2 § 6 Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) scheitert. Vorrangig zu klären ist allerdings die Frage, ob die Klage im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens durch Erklärungen der Klägerin zur Änderung ihres Klagebegehrens unzulässig geworden ist.
Die am 1. Juli 1926 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Nachdem sie bis Mai 1973 als Oberschließerin in einem Berliner Theater versicherungspflichtig beschäftigt gewesen war, zog sie im Juni 1973 nach Bamberg um und entrichtete seitdem weder freiwillige noch Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Sie pflegte zunächst ihre kranke Mutter und war dann nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) seit dem 2. Juni 1975 ununterbrochen arbeitslos.
Am 1. Juli 1986 beantragte die Klägerin Versichertenrente wegen EU. Gleichzeitig erklärte sie, daß sie auch Altersruhegeld (Arg) beantrage, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt seien. Nach medizinischer Sachaufklärung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. November 1986 die Gewährung von Versichertenrente wegen BU oder EU ab. Zwar bestehe seit dem 1. Juli 1986 EU, auch sei die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt, jedoch lägen die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gem § 1247 Abs 2a RVO oder Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG nicht vor.
Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27. Februar 1987) erhob die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Klage. Mit Schriftsatz vom 28. April 1988 wies der damalige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin darauf hin, daß mit dem Rentenantrag auch Arg beantragt worden sei. Dieses werde auch mit der Klage zumindest hilfsweise begehrt. Sollte der Klägerin keine EU-Rente zustehen, dann werde jedenfalls – auch mit dieser Klage – Arg beansprucht. Nachdem der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) durch Beschluß des SG vom 5. Mai 1988 abgelehnt worden war, erklärte ihr Rechtsanwalt unter dem 25. Mai 1988, daß dagegen keine Beschwerde eingelegt und die Klage bezüglich des vormaligen Zieles der Klägerin, EU-Rente durchzusetzen, nicht fortgesetzt werden solle. Die Klage werde aber aufrechterhalten mit der Maßgabe, daß der Klägerin Arbeitslosen-Arg gezahlt werden müsse. Insofern möge erneut über die Gewährung von PKH entschieden werden. Mit Schriftsatz vom 12. August 1988 wiederholte der Bevollmächtigte der Klägerin, daß die Klage weiterverfolgt werde mit der Maßgabe, daß der Klägerin Arbeitslosen-Arg gezahlt werden müsse. Dazu setzte er sich mit dem zwischenzeitlich ergangenen Bescheid der Beklagten vom 3. August 1988 über die Ablehnung der Gewährung von Arg nach § 1248 Abs 2 RVO auseinander. Einen Abdruck dieses Bescheides übersandte die Beklagte dem SG am 18. August 1988 mit dem Bemerken, daß dieser gem § 96 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden sei. Nachdem der auf den Streit um Arg bezogene PKH-Antrag im Beschwerdeverfahren an einer mangelnden Bedürftigkeit der Klägerin gescheitert war (Beschluß des LSG vom 16. Mai 1989), erklärte ihr Prozeßbevollmächtigter unter dem 7. Juni 1989, daß die Klage weiterlaufen solle um Arbeitslosen-Arg. Gleichzeitig legte er das Mandat nieder.
Mit Schriftsatz vom 27. Juni 1989 meldeten sich die nunmehr bevollmächtigten Verbandsvertreter für die Klägerin und machten geltend, im Verfahren sei neben der Gewährung einer Rente wegen EU auch die Gewährung eines Arg nach § 1248 Abs 2 RVO streitig. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 12. Juli 1989 teilte der Vorsitzende mit, daß nach Auffassung des Gerichts der Bescheid vom 3. August 1988, welcher Arg nach § 1248 Abs 2 RVO ablehne, nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden sei. Daraufhin erklärte der Bevollmächtigte der Klägerin, daß er gegen diesen Bescheid Widerspruch erhebe. Gegenüber dem SG stellte er den Antrag, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. November 1986 idF des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 1987 zu verurteilen, Rente zu gewähren. Diese Klage wies das SG durch Urteil vom 12. Juli 1989 ab.
Auf die Berufung der Beklagten änderte das Bayerische LSG durch Urteil vom 22. November 1990 die vorinstanzliche Entscheidung sowie die angefochtenen Bescheide ab und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin ab 1. August 1986 Rente wegen EU zu gewähren. Im übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung führte das LSG im wesentlichen aus:
Der Senat sei nicht gehindert gewesen, über den in der Hauptsache verfolgten Anspruch der Klägerin auf Rente wegen EU zu befinden, weil im Schriftsatz vom 25. Mai 1988 keine Klagerücknahme zu sehen sei. Die Berufung sei überwiegend begründet. In Übereinstimmung mit den Äußerungen der ärztlichen Sachverständigen sei der Versicherungsfall der EU erst am 1. Juli 1986 eingetreten. Zwar erfülle die Klägerin nicht die Voraussetzungen des § 1247 Abs 1 und 2a iVm § 1246 Abs 2a RVO idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S 1532), da die ab 2. Juni 1975 ununterbrochen bestehende Arbeitslosigkeit wegen eines fehlenden Anschlusses an die bereits am 31. Mai 1973 aufgegebene letzte versicherungspflichtige Beschäftigung nicht als sogen Schubzeit iS des § 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 2 oder 6 RVO angesehen werden könne. Es greife jedoch die Übergangsvorschrift des Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG ein. Bei einer hier gebotenen verfassungskonformen erweiternden Auslegung der Nr 2 dieser Bestimmung reiche es aus, daß die Klägerin in der Zeit von Januar 1984 bis Dezember 1985 andauernd arbeitslos gewesen sei.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine unrichtige Anwendung des Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Nr 2 ArVNG iVm § 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 6 RVO. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser gesetzlichen Bestimmungen könne die Zeit von Januar 1984 bis Dezember 1985 nicht als Aufschubzeit gewertet werden, weil durch sie weder die bereits 1973 aufgegebene versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen, noch in den letzten sechs Monaten vorher wenigstens ein Beitrag für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung entrichtet oder eine andere der in § 1246 Abs 2a Satz 2 Nrn 1 bis 5 RVO genannten Zeiten zurückgelegt worden sei. Für eine verfassungskonforme Auslegung sei kein Platz, zumal das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Grundgesetz bestätigt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. November 1990 aufzuheben, soweit sie dadurch verpflichtet wurde, der Klägerin Rente wegen EU ab 1. August 1986 zu gewähren, und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 12. Juli 1989 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. November 1990 als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend und ist der Ansicht, der Schriftsatz ihres ehemaligen Prozeßbevollmächtigten vom 25. Mai 1988 müsse im Zusammenhang mit dem PKH-Antrag gesehen werden. Er stehe einer Sachentscheidung nicht entgegen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Das LSG hätte der Berufung der Klägerin nicht (teilweise) stattgeben dürfen. Die klageabweisende Entscheidung des SG muß schon deshalb in vollem Umfang Bestand haben, weil der in der mündlichen Verhandlung vom 12. Juli 1989 gestellte Klageantrag unzulässig war.
Im Rahmen der Begründetheit der Revision ist vorab zu prüfen, ob das bisherige Verfahren an einem Mangel leidet, der einer Sachentscheidung des Revisionsgerichts entgegensteht. Dazu gehört auch das Fehlen von Prozeßvoraussetzungen, die von Amts wegen festzustellen sind (vgl Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz, 16. Aufl, § 559 Anm 2c; vgl auch Meyer-Ladewig, SGG mit Erl, 4. Aufl, vor § 160 RdNr 6, § 170 RdNr 3; Peters/Sautter/Wolff, Komm zur SGb, § 160 SGG RdNr 70). Der vor dem SG zuletzt gestellte Klageantrag richtete sich iS einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl § 54 Abs 4 SGG) gegen den Bescheid der Beklagten vom 28. November 1986 idF des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 1987 sowie auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von EU-Rente. Mit dem gleichen Begehren war die Klage ursprünglich auch ordnungsgemäß erhoben worden. Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Klägerin jedoch durch ihren damaligen Prozeßbevollmächtigen mehrere Erklärungen abgegeben, durch die der Gegenstand der Klage zwischenzeitlich verändert worden ist.
Zunächst ist mit Schriftsatz vom 28. April 1988 hilfsweise Arg beansprucht worden. Dabei handelte es sich um eine Klageänderung, weil dieser Hilfsantrag einen anderen (neuen) Klagegrund betraf, nämlich die Anspruchsvoraussetzungen des § 1248 Abs 2 RVO. Unter dem 25. Mai 1988 ließ die Klägerin dann erklären, daß die ursprüngliche Klage, die sich auf EU-Rente bezog, nicht fortgesetzt werden solle. Dafür sollte der bisherige Hilfsantrag, mit dem Arg erstrebt wurde, zum alleinigen (Haupt-)Antrag werden. Soweit es die gegen den Bescheid vom 28. November 1986 idF des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 1987 gerichtete Klage betraf, liegt in dieser Erklärung eine (teilweise) Klagerücknahme (vgl Hessischer VGH, VerwRspr Band 27, 239), da sie eine eindeutige Beschränkung des Klagebegehrens enthält (vgl BSG SozR Nr 10 zu § 102 SGG; dazu auch Meyer-Ladewig, aaO, § 102 RdNrn 2, 4, 7, mwN). Zwar ist sie im Zusammenhang mit dem PKH-Verfahren abgegeben worden, sie bezieht sich jedoch eindeutig auf den Gegenstand des Hauptsacheverfahrens. Eine andere Auslegung erscheint dem Senat nicht möglich, zumal die Erklärung von einem Rechtsanwalt abgegeben worden ist, bei dem Kenntnis der Rechtsfolgen einer derartigen Umstellung des Klagebegehrens vorausgesetzt werden kann. Dies gilt um so mehr, als die Klägerin dieses Wollen in der Folgezeit dadurch bestätigt hat, daß sie die Klage – ausweislich der Schriftsätze ihres Anwalts vom 12. August 1988 und 8. Juni 1989 – nur noch mit dem Ziel einer Gewährung von Arg weiterverfolgte, wobei sie sich gegen den diese Leistung versagenden Bescheid der Beklagten vom 8. August 1988 wandte. Erst mit Schriftsatz ihrer neuen Bevollmächtigten vom 27. Juni 1989 wurde auch wieder die Gewährung von EU-Rente beansprucht und in der mündlichen Verhandlung dann unter Fallenlassen der Klage gegen den Bescheid vom 3. August 1988 nur noch der den Bescheid vom 28. November 1986 idF des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 1987 betreffende Klageantrag gestellt.
Zwar mag die zuletzt erfolgte neuerliche Klageänderung an sich gem § 99 Abs 1 SGG zulässig gewesen sein, weil sich die Beklagte darauf in der mündlichen Verhandlung widerspruchslos eingelassen hat (vgl § 99 Abs 2 SGG), jedoch ist damit nicht auch der neue Klageantrag selbst zulässig gewesen. Vielmehr hat die durch Rücknahme des ursprünglichen Klageantrages eingetretene teilweise Erledigung der Hauptsache (vgl § 102 Satz 2 SGG) eine erneute prozessuale Geltendmachung des erledigten Teiles für die Zukunft grundsätzlich ausgeschlossen (vgl BSG SozR Nrn 9, 10 zu § 102 SGG). Selbst wenn man eine neue Klageerhebung an sich für möglich hält (vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 102 RdNr 11), so sind dafür jedenfalls die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen zu beachten (vgl BSGE 23, 147, 151). Hinsichtlich einer Anfechtung des Bescheides vom 28. November 1986 idF des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 1987 war hier im Jahre 1989 zumindest die Klagefrist (vgl § 87 SGG) verstrichen und der Verwaltungsakt damit gem § 77 SGG bindend geworden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen