Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung bei Streitigkeiten um Ausgleich für Wehrdienstbeschädigung und Beschädigtenversorgung
Orientierungssatz
1. Die notwendige Beiladung setzt die Identität des Streitgegenstandes im Verhältnis beider Parteien und dem Dritten voraus. Die Entscheidung muß aus Rechtsgründen nur einheitlich ergehen können; es genügt weder, daß die Entscheidung logisch notwendig einheitlich ergehen muß, noch daß die tatsächlichen Verhältnisse eine einheitliche Entscheidung erfordern. Die Beiladung ist aus Rechtsgründen notwendig, wenn die vom Kläger begehrte Sachentscheidung nicht getroffen werden kann, ohne daß dadurch gleichzeitig unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden. Es kommt also darauf an, ob durch die Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingegriffen wird (vgl BSG vom 12.10.1988 - 3/8 RK 19/86 = SozR 1500 § 75 Nr 71 mwN).
2. Ist in Zusammenhang mit einem Anspruch auf Ausgleich oder Versorgung der Streit auf die Feststellung einer behaupteten Wehrdienstbeschädigung und der darauf zurückzuführenden Gesundheitsstörung gerichtet, kann das streitige Rechtsverhältnis nur einheitlich gegenüber Bund und Land festgestellt werden; streitiges Rechtsverhältnis ist dann das Versorgungsverhältnis.
3. Die Beiladung kann - anders als in den Fällen, in denen der Rechtsstreit gegen das Land geführt wird und die Bundesrepublik beizuladen ist - in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden. § 168 SGG, der die Beiladung der BRD in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung noch in der Revisionsinstanz erlaubt, ist nicht erweiternd auszulegen. Die Vorschrift bezieht sich ausdrücklich nur auf die Beiladung nach § 75 Abs 1 S 2 SGG und berücksichtigt, daß in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung auf Antrag die Bundesrepublik immer beizuladen ist, selbst wenn es sich nicht um eine notwendige Beiladung iS des § 75 Abs 2 SGG handelt. Eine solche jederzeitige Möglichkeit der Beiladung des Landes in Angelegenheiten des SVG besteht nicht.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2, § 168; SVG §§ 81, 85, 88
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 27.09.1988; Aktenzeichen L 4 V 10/88) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 08.12.1987; Aktenzeichen S 4 V 10/86) |
Tatbestand
Der Kläger erlitt im Juni 1984 einen Verkehrsunfall. Es ist streitig, ob ihm, der damals Zeitsoldat bei der Bundeswehr war, auf seinen Antrag aus September 1985 Versorgung nach dem dritten Teil des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) zusteht. Umstritten ist im vorliegenden Fall, der Anspruch auf Gewährung eines Ausgleichs für die Zeit des Wehrdienstes nach § 85 SVG. Das Land Rheinland-Pfalz hat unter Berufung auf § 88 Abs 2 SVG die Entscheidung über die Beschädigtenversorgung für die Zeit nach Beendigung des Wehrdienstes zurückgestellt.
Mit Bescheid vom 7. Mai 1986 lehnte die beklagte Bundesrepublik die Zahlung eines Ausgleichs mit der Begründung ab, im Zeitpunkt des Unfalls habe keine Wehrdienstverrichtung vorgelegen. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 8. Dezember 1987 die angefochtene Verwaltungsentscheidung aufgehoben, weil sich der Kläger im Unfallzeitpunkt auf einem versorgungsrechtlich geschützten Weg befunden habe. Die zugelassene Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (Urteil vom 27. September 1988). Eine Beiladung des Landes Rheinland-Pfalz im Hinblick auf eventuelle Versorgungsansprüche des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) entgegen der Ansicht der Beklagten nicht für notwendig erachtet. Nur bei einer Identität des Streitgegenstandes im Verhältnis beider Beteiligter zu dem Dritten sei die Beiladung notwendig. Daran fehle es, weil in diesem Prozeß um den Ausgleich gestritten werde und zwischen dem Kläger und dem Land Rheinland-Pfalz nur ein Versorgungsanspruch nach § 80 SVG streitig werden könne.
Die Beklagte hat mit der zugelassenen Revision Verletzung materiellen Rechts gerügt. Das LSG habe zu Unrecht eine Wehrdienstbeschädigung iS von § 81 SVG angenommen.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist allein iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden, weil die Beiladung des Landes Rheinland-Pfalz erforderlich war. Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensfehler zu beachten (vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 21 mwN).
Nach der hier allein in Betracht kommenden ersten Alternative des § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind Dritte zu einem Sozialgerichtsverfahren beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies setzt - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - die Identität des Streitgegenstandes im Verhältnis beider Parteien und dem Dritten voraus. Die Entscheidung muß aus Rechtsgründen nur einheitlich ergehen können; es genügt weder, daß die Entscheidung logisch notwendig einheitlich ergehen muß, noch daß die tatsächlichen Verhältnisse eine einheitliche Entscheidung erfordern. Die Beiladung ist aus Rechtsgründen notwendig, wenn die vom Kläger begehrte Sachentscheidung nicht getroffen werden kann, ohne daß dadurch gleichzeitig unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden. Es kommt also darauf an, ob durch die Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingegriffen wird (vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 71 mwN).
Daß hier iS des Prozeßrechts ein einheitlicher Streitgegenstand vorliegt, hat der Senat im Zusammenhang mit der notwendigen Streitgenossenschaft bereits entschieden (BSG SozR 3200 § 88 Nr 5): Ist in Zusammenhang mit einem Anspruch auf Ausgleich oder Versorgung der Streit auf die Feststellung einer behaupteten Wehrdienstbeschädigung und der darauf zurückzuführenden Gesundheitsstörung gerichtet, kann das streitige Rechtsverhältnis nur einheitlich gegenüber Bund und Land festgestellt werden; streitiges Rechtsverhältnis ist dann das Versorgungsverhältnis.
Zwar ist dem LSG zuzugestehen, daß der Kläger nicht wie noch im Verwaltungsverfahren die Gewährung von Versorgung nach dem dritten Teil des SVG, sondern im Gerichtsverfahren die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung des Ausgleichs beantragt hat. Der prozessuale Antrag zwingt aber nicht zu der Annahme, das Versorgungsverhältnis sei nicht das streitige, sondern nur ein vorgreifliches Rechtsverhältnis. Dies vermeidet das Gesetz durch die ineinandergreifenden Regelungen in § 88 SVG: Einerseits ist die Entscheidung über die Beschädigtenversorgung zurückzustellen, bis über den Ausgleich entschieden ist (§ 88 Abs 2 SVG) - das hat der Beizuladende zutreffend erkannt. Schon damit sollen unterschiedliche Verwaltungsentscheidungen von Bund und Land vermieden werden. Zum anderen ist jede sozialgerichtliche Entscheidung in einem soldatenversorgungsrechtlichen Rechtsstreit gegen die Bundesrepublik auch in einem versorgungsrechtlichen Rechtsstreit gegen ein Land verbindlich, soweit über die Frage einer Wehrdienstbeschädigung und den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Wehrdienstbeschädigung entschieden wird (§ 88 Abs 7 Satz 2 Nr 3 SVG). Entsprechendes gilt nach dieser Vorschrift sogar für den umgekehrten Fall, daß nämlich zuerst in einem Rechtsstreit gegen das Land entschieden wird. Diese Erstreckung der Bindungswirkung eines Urteils auf das Verhältnis zu einem im Verfahren nicht beteiligten Rechtsträger beschränkt sich nicht auf solche Entscheidungen, in denen das Versorgungsverhältnis iS einer Feststellungsklage Streitgegenstand ist. Bindungswirkung geht auch von Entscheidungen aus, in denen der Anspruch auf Ausgleich oder auf Beschädigtenversorgung Streitgegenstand ist und über das Versorgungsverhältnis selbst nur in den Gründen entschieden wird. Durch § 88 Abs 7 SVG wird verhütet, daß über den Versorgungsanspruch für die Zeitdauer des Wehrdienstes und über den Versorgungsanspruch für die Zeit nach Beendigung des Wehrdienstes durch Gerichte unterschiedlich entschieden werden könnte. Diese Absicht des Gesetzes ist nur zu verwirklichen, wenn zugleich der Streitgegenstand iS des § 75 Abs 2 SGG durch das Versorgungsverhältnis gekennzeichnet wird. Nur dann wird zugleich dem durch die Bindung betroffenen Träger angemessen die Wahrung seiner Rechte ermöglicht.
Das auf dem Verfahrensfehler beruhende Urteil des LSG muß aufgehoben werden, ohne daß - mangels Beteiligung aller vom Verfahren Betroffenen - der Senat abschließend Ausführungen zur materiell-rechtlichen Seite des Rechtsstreits machen kann; allerdings sind nach dem bisherigen Streitstand Rechtsfehler nicht zu ersehen. Die Beiladung kann - anders als in den Fällen, in denen der Rechtsstreit gegen das Land geführt wird und die Bundesrepublik beizuladen ist - in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden. § 168 SGG, der die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung noch in der Revisionsinstanz erlaubt, ist nicht erweiternd auszulegen. Die Vorschrift bezieht sich ausdrücklich nur auf die Beiladung nach § 75 Abs 1 Satz 2 SGG und berücksichtigt, daß in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung auf Antrag die Bundesrepublik immer beizuladen ist, selbst wenn es sich nicht um eine notwendige Beiladung iS des § 75 Abs 2 SGG handelt. Eine solche jederzeitige Möglichkeit der Beiladung des Landes in Angelegenheiten des SVG besteht nicht. Die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung unter Einbeziehung des Landes Rheinland-Pfalz ist deshalb geboten (§ 170 Abs 2 und 4 SGG).
Fundstellen