Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsschadensausgleich. Bruttoeinkommen. Versichertenrente. Faktorrente. freiwillige Beiträge
Orientierungssatz
§ 9 Abs 2 Nr 2 BSchAV, nach dem Rententeile, die auf freiwilligen Beiträgen (hier 12 im Jahre 1982 nachentrichtete Monatsbeiträge) beruhen, nicht zum derzeitigen Bruttoeinkommen gehören, ist nicht anzuwenden, wenn keine Rentenerhöhung festzustellen ist, die auf die freiwilligen Beiträge zurückgeführt werden könnte; der freiwilligen Beitragsleistung kann auch nicht in Anlehnung an das Recht des Versorgungsausgleichs (§ 1304 RVO) oder an das Beamtenversorgungsrecht (§ 55 Abs 4 Nr 1 BeamtVG) ein bestimmter monatlicher Rentenbetrag fiktiv zugeordnet werden.
Normenkette
BVG § 30 Abs 4; BSchAV § 9 Abs 2 Nr 2; RVO § 1304; BeamtVG § 55 Abs 4 S 1
Verfahrensgang
SG Detmold (Entscheidung vom 13.02.1987; Aktenzeichen S 7 (2/7) V 165/85) |
Tatbestand
Der 1926 geborene Kläger bezieht Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vH, außerdem eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der Arbeiterrentenversicherung. Er begehrt, einen durch freiwillige Beiträge bestimmten Anteil der Versichertenrente nicht als derzeitiges Bruttoeinkommen beim Berufsschadensausgleich zu werten.
1982 zahlte er zwölf freiwillige Beiträge in Höhe von je 74,-- DM für die Zeit von April 1981 bis März 1982 an die Landesversicherungsanstalt (LVA). Daraufhin wurde seine Versichertenrente von altem auf neues Recht umgestellt. Es ergab sich nunmehr anstatt 818,70 DM ein Betrag von 1.090,-- DM monatlich, und zwar berechnet aufgrund von 415 Monaten Zurechnungszeiten, 30 Monaten Ersatzzeiten und 32 Monaten Beitragszeiten; ein freiwilliger Beitrag wurde wegen Zusammenfallens mit einer Zurechnungszeit als Höherversicherungsbeitrag gewertet (Art 2 § 38 Abs 2 Satz 2 und 3 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz -ArVNG-). Der Beklagte bewertete ab April 1982 den höheren Rentenbetrag als Bruttoeinkommen bei der Neufeststellung des Berufsschadensausgleichs, der von 550,-- DM auf 441,-- DM sank. Im Dezember 1982 beantragte der Kläger, die Versichertenrentenanteile, die auf freiwilligen Beiträgen beruhten, bei einer neuen Entscheidung über den Berufsschadensausgleich nach § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 7. Oktober 1983, Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 1985). Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 13. Februar 1987). Es hält die begehrte Zugunstenentscheidung für geboten. Als Bruttoeinkommen aus früherer unselbständiger Tätigkeit, das dem Vergleichseinkommen gegenüberzustellen sei, sei von der Versichertenrente der Anteil außer Betracht zu lassen, der auf den nicht aus Erwerbseinkommen stammenden freiwilligen Beiträgen beruht (§ 9 Abs 2 Nr 2 Berufsschadensausgleichsverordnung -BSchAV- 1984; für die vorhergehende Zeit: BSG SozR 3100 § 30 Nr 52). Wenn auch die freiwilligen Beiträge die Rentenbemessungsgrundlage nicht erhöht hätten, so sei doch ein Anteil der Rente, der auf sie zurückgehe, entsprechend der Wertausgleichsermittlung gemäß § 1304 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) beim Versorgungsausgleich hier fiktiv zu errechnen.
Der Beklagte rügt mit seiner - vom SG zugelassenen - Sprungrevision eine Verletzung des § 44 SGB X und des § 9 Abs 2 Nr 2 BSchAV. Nach einer Auskunft der LVA hätten die zwölf freiwilligen Beiträge die Versichertenrente nicht erhöht. Ein fiktiver Anteil dürfe aber deshalb nicht außer Ansatz bleiben, weil nur das tatsächliche Bruttoeinkommen zu berücksichtigen sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat zu Recht die ganze Rente des Klägers als derzeitiges Bruttoeinkommen bewertet und den Berufsschadensausgleich entsprechend gekürzt. Dem steht nicht entgegen, daß die Rente durch freiwillige Beitragsleistung 1982 wesentlich erhöht worden ist und für Rententeile, die auf freiwilligen Beiträgen beruhen, eine Ausnahmeregelung besteht. Nach § 9 Abs 2 Nr 2 der BSchAV (idF vom 29. Juni 1984 - BGBl I 861 -), der nach Ansicht des Klägers die schon vorher bestehende Rechtslage nur klarstellt, gehört zu dem derzeitigen Bruttoeinkommen nicht ein "Rentenanteil, der auf freiwilligen Beiträgen beruht, die der Beschädigte nicht - auch nicht mittelbar - aus Einkünften aus einer Erwerbstätigkeit entrichtet hat". Die Rentenerhöhung von 818,70 DM auf 1.090,-- DM ist zwar durch die Leistung von zwölf freiwilligen Monatsbeiträgen von je 74,-- DM ausgelöst worden, der Erhöhungsbetrag von monatlich 271,36 DM "beruht" aber nicht darauf. Denn wenn ein einmaliger Jahresbeitrag von 888,-- DM eine jährliche Rentenerhöhung von mehreren tausend DM (auf der Basis von 1982: 3.256,32 DM) auf Lebenszeit zur Folge hat, kann die Versicherungsleistung nicht als wirtschaftlicher Ertrag der Beitragsleistung (im Sinne einer Rendite) angesehen werden. Die Rentenerhöhung beruht vielmehr auf der Anordnung des Gesetzes (Art 2 § 38 Abs 2 Sätze 2 bis 4 ArVNG vom 23. Februar 1957 - BGBl I 45 -, idF des Rentenreformgesetzes -RRG- vom 16. Oktober 1972 - BGBl I 1965 -). Das Gesetz begünstigt diejenigen Rentner, die schon vor Inkrafttreten des ArNVG Rentner waren und deren Rente nur pauschal an das Rentenniveau des ArVNG angepaßt wurde. Durch Zahlung von zwölf Monatsbeiträgen nach Vollendung des 55. Lebensjahres konnten diese Rentner die Neuberechnung ihrer Rente nach dem ArVNG und damit ua die Anrechnung der Zurechnungszeit bis zum 55. Lebensjahr bewirken.
Der Kläger selbst behauptet nicht, die gesamte Rentenerhöhung beruhe auf seiner freiwilligen Beitragsleistung. Er meint nur, für einen geringen Teil der Rentenerhöhung treffe das zu. Er beruft sich dafür auf zwei Urteile des Senats vom 29. Oktober 1980 (9 RV 6/80, veröffentlicht in SozR 3100 § 30 Nr 52 und 9 RV 12/80, nicht veröffentlicht). In diesen Fällen hatten sich die Kläger aber nicht, wie hier, mit Beiträgen in der Mindesthöhe begnügt, um die Neuberechnung auszulösen. Sie haben vielmehr über 5.000,-- DM (9 RV 6/80) und über 9.000,-- DM (9 RV 12/80) für Beiträge gezahlt. In diesen Fällen ließ sich errechnen, daß tatsächlich ein "Rentenanteil" auf der freiwilligen Beitragsleistung "beruhte". Das ist dadurch geschehen, daß die Neuberechnung einmal mit und einmal ohne die freiwillige Beitragsleistung durchgeführt wurde. Die sich hierbei ergebende Differenz hat der Senat als einen Rentenanteil angesehen, der auf freiwilliger Beitragsleistung beruhte. Da außerdem damals festgestellt werden konnte, daß die Beiträge nicht von Einkünften aus einer Erwerbstätigkeit stammten, wurde die Anrechnung nicht für rechtmäßig angesehen.
Den damaligen Klägern sollten die Früchte einer Kapitalanlage belassen bleiben, soweit sie als Rendite des eingesetzten Kapitals anzusehen waren. Das SG hat allerdings auch hier für den Senat gemäß § 163 SGG bindend festgestellt, daß die Beiträge nicht aus Einkünften aus einer Erwerbstätigkeit gezahlt worden sind. Im vorliegenden Fall ist aber keine Rentenerhöhung festzustellen, die auf die freiwilligen Beiträge zurückgeführt werden könnte. Im Gegenteil ergibt eine Rentenberechnung nach dem Recht des ArVNG ohne die freiwilligen Beiträge, was das SG ebenfalls bindend festgestellt hat, einen höheren Betrag.
Das Bemühen des SG, den freiwilligen Beiträgen ohne Rücksicht auf ihre Auswirkung im Versicherungsverlauf des Klägers einen Wert zuzuschreiben, beruht auf der Erkenntnis, daß die Ausnahmeregelung in § 9 Abs 2 Nr 2 BSchAV nicht unmittelbar, sondern allenfalls entsprechend angewendet werden kann.
Aber auch für eine entsprechende Anwendung dieser Regelung ist hier kein Raum.
Richtig ist, daß der freiwilligen Beitragsleistung unabhängig von dem Versicherungsverlauf des Klägers ein bestimmter monatlicher Rentenbetrag zugeordnet werden könnte. Ein solcher monatlicher Betrag ließe sich mit Hilfe der Tabellen ermitteln, die im Scheidungsfall festlegen, welchen Beitrag der ausgleichspflichtige Ehegatte zahlen muß, um dem ausgleichsberechtigten Ehegatten die ihm zustehenden Rentenanwartschaften zu übertragen. Es besteht aber kein Grund, den Kläger von der Anrechnung gerade eines solchen Betrags, der sich in seiner Rente nicht ausdrückt, zu verschonen.
Insbesondere der Grundgedanke der Unterscheidung von anrechenbaren und nicht anrechenbaren Einkünften bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs zwingt nicht dazu. Durch den Berufsschadensausgleich soll der Einkommensverlust ausgeglichen werden, der durch die schädigungsbedingte Minderung der Arbeitskraft verursacht wurde. Diese Art von Einkommensverlust wird verringert durch jedes Einkommen, das auf die Verwendung der Arbeitskraft zurückgeführt werden kann. Der Einkommensverlust vermindert sich aber nicht durch Einkünfte, die nicht aus dem Einsatz der Arbeitskraft stammen. Diese Einkünfte stehen mit der Schädigung in keinem Zusammenhang; der Geschädigte hätte sie auch als Gesunder erzielt. Wer also durch rentable Anlage seines Vermögens, das nicht aus dem Einsatz der Arbeitskraft stammt (also zB ererbt ist, vgl Urteil des Senats vom 29. Oktober 1980 - 9 RV 12/80), Einkünfte erzielt, erhöht zwar sein Einkommen, vermindert aber nicht den Einkommensverlust iS des Berufsschadensausgleichsrechts. Das war schon immer in § 9 Abs 2 Nr 3 BSchAV geregelt und ergibt sich im übrigen bereits aus der Definition des Einkommensverlustes in § 30 Abs 4 Satz 1 BVG. § 9 Abs 2 Nr 2 BSchAV hat in Anlehnung an die erwähnte Rechtsprechung des Senats diesen Gedanken auf die gesetzliche Rentenversicherung übertragen, von der bisher nicht angenommen worden war, sie biete Gelegenheit, nicht erarbeitetes Vermögen sinnvoll anzulegen.
Wenn man berücksichtigt, daß die gesetzliche Rentenversicherung nicht auf den Erträgen eines durch Beiträge angesammelten Kapitals, sondern auf der Solidarität der Arbeitenden und auf Zuschüssen der Allgemeinheit aufgebaut ist, ist diese Übertragung immerhin zweifelhaft. Hierbei muß beachtet werden, daß auch die freiwilligen Beiträge - im Unterschied zu den Höherversicherungsbeiträgen - nicht etwa nach versicherungsmathematischen Regeln bewertet werden, sondern ebenso wie die Pflichtbeiträge von der Solidarität der Erwerbstätigen und den Zuschüssen der Allgemeinheit profitieren. Das gilt vor allem dann, wenn durch die freiwilligen Beiträge die Anrechnung einer jahrzehntelangen beitragsfreien Zeit ausgelöst wird.
Das Bemühen, die Einkünfte von nicht aus Erwerbstätigkeit stammenden Vermögen auszusondern, muß aber dann scheitern, wenn sich nicht ermitteln läßt, welcher Rentenbetrag auf den freiwilligen Beiträgen beruht. Die Methode, ohne Rücksicht auf die Auswirkung der freiwilligen Beiträge auf die Rente des einzelnen Beschädigten, in Anlehnung an das Recht des familienrechtlichen Versorgungsausgleichs (§ 1304 RVO) oder an das Beamtenversorgungsrecht (§ 55 Abs 4 Nr 1 Beamtenversorgungsgesetz) jedem Beitrag einen Rentenbetrag zuzuordnen, wäre allenfalls dann vertretbar, wenn nur so gewährleistet wäre, daß die Allgemeinheit nicht durch unzumutbare Vermögensopfer der Beschädigten von Lasten befreit wird, für die sie nach dem Entschädigungsgedanken aufzukommen hatte. So ist es hier aber nicht. Das Vermögensopfer war nur kurzfristig spürbar und für den Beschädigten ohne Rücksicht darauf zumutbar, woher er die zur Finanzierung der Beitragsleistung erforderlichen Mittel genommen hat. Durch die erzielte Rentenerhöhung war dieser Aufwand bereits nach kurzer Zeit wieder abgegolten. Danach verbleibt dem Kläger ein dauerhafter Vorteil, der auch bei voller Anrechnung auf den Berufsschadensausgleich nicht aufgezehrt wird. Durch die volle Anrechnung der Rente wird auch nicht gegen den Entschädigungszweck verstoßen. Die besondere Entschädigung für den Verlust von Einkommen setzt vielmehr erst dann ein, wenn und soweit die vom Gesetzgeber auch zum Ausgleich von Kriegsfolgen vorgesehenen sozialversicherungsrechtlichen Nachteilsausgleiche nicht ausreichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen