Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. Wegeunfall. Familienheimfahrt. ständige Familienwohnung. Mittelpunkt der Lebensverhältnisse. Unterkunft. Tätigkeitsort. Montagebaustelle. Versicherungsschutz. “dritter Ort”. Verlagerung der Familienwohnung
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der vorübergehenden Verlagerung der Familienwohnung iS von § 550 Abs 3 RVO.
Orientierungssatz
Hinsichtlich der Frage, ob im Rahmen von § 550 Abs 1 RVO der Weg zum sogenannten ’dritten Ort’ als Ausgangs- oder Endpunkt des Weges in einem angemessenen Verhältnis zum Weg zur oder von der eigenen Wohnung oder der gewöhnlichen Unterkunft steht, ist nicht auf die Entfernung bei einer Familienheimfahrt abzustellen. Vielmehr kommt es dabei auf ein angemessenes Verhältnis zu dem üblichen Weg (zB zwischen Unterkunft und Arbeitsstätte) des Versicherten nach und von dem Ort der Tätigkeit an.
Normenkette
RVO §§ 548, 550 Abs. 1, 3, § 589 Abs. 1, § 590
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. September 1995 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des Unfalles ihres Ehemannes Heinrich F.… am 14. August 1993 zu gewähren.
Er bewohnte zusammen mit seiner Ehefrau sowie ihren beiden Kindern (Michael, geboren 11. Februar 1981; Daniel, geboren 9. Mai 1987) ein Einfamilienhaus in H.… Ab dem 26. Juli 1993 war er für vier bis sechs Wochen im Auftrag seiner Arbeitgeberin für Montagearbeiten auf einer Baustelle in L.… bei D.… eingesetzt. In dieser Zeit hatte er im ca drei Kilometer von der Baustelle entfernten Ort Sch.… ein Zimmer in einer Pension.
Wegen dieses aus betrieblichen Gründen unumgänglichen Baustelleneinsatzes bei D.… hatte der Ehemann der Klägerin seinen für diese Zeit geplanten Jahresurlaub zurückgestellt. Die Klägerin wollte zusammen mit ihren beiden Kindern ihren Ehemann begleiten. Das Wochenende vor Beginn der Montagearbeiten beabsichtigten sie, gemeinsam bei Verwandten in Polen zu verbringen. An diesem Wochenende fuhr daher die gesamte Familie von H.… zu den in N.…/Polen lebenden Verwandten und anschließend nach Sch.…, wo sie in einer Pension wohnten. Das nächste Wochenende verbrachten sie wieder in Polen. Am darauf folgenden Wochenende kehrte die gesamte Familie nach H.… zurück, um den Schulbeginn der Kinder vorzubereiten. In der Nacht zum darauffolgenden Montag fuhr der Ehemann der Klägerin wieder zur Baustelle bei D.… zurück. Es war geplant, daß er am darauffolgenden Freitag wieder nach N.… fahren sollte. Die Klägerin wollte zusammen mit den Kindern mit dem Zug nachkommen. Ihr Ehemann sollte sie am Sonntag, dem 15. August 1993, (am Bahnhof) in O.… abholen, um den Tag wieder mit den Verwandten in N.… zu verbringen, bevor die Weiterfahrt nach Sch.… bei D.… angetreten worden wäre, um sich dort für die Dauer der letzten Ferienwoche aufzuhalten.
Auf der Fahrt nach dem etwa 350 Kilometer entfernten N.… in Polen am Morgen des 14. August 1993 fuhr der Ehemann der Klägerin in der Nähe von O.… auf einen geparkten LKW auf. Er verstarb am 1. September 1993 an den Folgen dieses Verkehrsunfalles.
Die Beklagte lehnte es ab, aus Anlaß des Unfalles vom 14. August 1993 Entschädigungsleistungen zu gewähren, weil der Ehemann der Klägerin im Zeitpunkt des Unfalles nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Er habe sich nicht auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit befunden. Die Fahrt sei auch nicht als Familienheimfahrt nach § 550 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versichert gewesen (Bescheid vom 24. November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1994).
Mit Urteil vom 29. November 1994 hat das Sozialgericht Dortmund (SG) die Klage abgewiesen. Der Ehemann der Klägerin sei nicht an den Folgen eines Arbeitsunfalles verstorben. Der Unfall habe sich nicht auf einem Weg iS des § 550 RVO ereignet.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die Berufung durch Urteil vom 26. September 1995 zurückgewiesen. Die Voraussetzungen des § 589 RVO lägen nicht vor, weil der Versicherte am 14. August 1993 keinen Arbeitsunfall erlitten habe. Er sei nicht bei einer Fahrt von seiner Arbeitsstelle bzw seiner Unterkunft in Sch.… bei D.… zu seiner Familienwohnung verunglückt. Zur Zeit des Unfalles sei seine Familienwohnung nicht in N.… gewesen. Vielmehr sei auch für die Zeit des Montageeinsatzes der Lebensmittelpunkt der Familie das Haus in H.… geblieben. Dem stehe nicht entgegen, daß sich die Familie für die Dauer des Montageeinsatzes teils in der Unterkunft des Versicherten in Sch.…, teils bei Verwandten in N.… aufgehalten habe. Es sei zwar möglich, daß sich der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse zeitweise dorthin verlagere, wo sich ein Familienmitglied vorübergehend, etwa zur Schonung oder zur Pflege aufhalte. Ein solcher Fall liege aber hier nicht vor; wiederholte Kurzaufenthalte bei Verwandten reichten zur Annahme einer zeitweisen Änderung des Familienlebensmittelpunktes nicht aus.
Die Fahrt des Versicherten nach N.… sei auch nicht als Fahrt zu einem sog “dritten Ort” nach § 550 Abs 1 RVO versichert. Nach der Rechtsprechung sei dieser Weg ua dann versichert, wenn er unter Berücksichtigung aller Umstände in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblichen Weg des Versicherten nach und von dem Ort der Tätigkeit stehe. Diesbezüglich sei der Weg nach N.… nicht mit einer Familienheimfahrt nach H.… ins Verhältnis zu setzen. Maßgebend sei vielmehr der Vergleich mit dem zum Erreichen der Unterkunft in Sch.… bei D.… erforderlichen Weg. Eine Ausdehnung des Schutzes auf Wege zu Zielen, die nicht als ständige Familienwohnung des Versicherten anzusehen seien, lasse sich § 550 Abs 3 RVO nicht entnehmen. Daran ändere auch die Übernahme der mit der Fahrt nach N.… verbundenen Kosten und die kostenfreie Mitbenutzung der Unterkunft durch seine Familienangehörigen in Sch.… seitens des Arbeitgebers nichts. Dies hätten lediglich Anreize für die Übernahme der Montagearbeiten zu Lasten des bereits eingeplanten Urlaubs dargestellt. Ob der Versicherte die Fahrt nach N.… nicht direkt von der Arbeitsstelle aus, sondern erst nach einer Ruhepause von seiner Unterkunft in Sch.… wie die Klägerin annehme – angetreten habe, könne offenbleiben. Denn bei dieser Sachverhaltsalternative sei ein Unfallversicherungsschutz für die anschließende Fahrt nach N.… ausgeschlossen, weil mit dem Erreichen der Unterkunft in Sch.… der Versicherte bereits in den unversicherten Privatbereich übergewechselt wäre.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision macht die Klägerin geltend, ihr Ehemann sei auf seiner Fahrt von Sch.… bei D.… nach N.… gemäß § 550 RVO versichert gewesen. Dies beruhe auf der Absprache der Arbeitgeberin mit dem Versicherten sowie der Kostenübernahme durch die Arbeitgeberin, wodurch er mit seiner Familie habe so gestellt werden sollen, trotz der Arbeitsleistung das vormals ins Auge gefaßte Urlaubsziel in Polen erreichen zu können. Dabei sei völlig klar gewesen, daß ihr Ehemann und seine Familie an den Wochenenden ihren Lebensmittelpunkt in Polen haben würden. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung könne es nicht sein, daß der Arbeitgeber durch die gesetzlichen Vorschriften und die Beitragszahlung die möglicherweise ihn treffenden zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche ablöse, seinem Arbeitnehmer konkrete Weisungen erteile und ihm deshalb und nur aus diesem Grunde besondere Berechtigungen gewähre, auf der anderen Seite aber dann, wenn der Arbeitnehmer auf diesem Weg, um diese eingeräumten Berechtigungen zu nutzen, verunglücke, die Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung nicht greifen sollten.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. September 1995 und des Sozialgerichts Dortmund vom 29. November 1994 sowie den Bescheid vom 24. November 1993 idF des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des Unfalles ihres verstorbenen Ehemannes am 14. August 1993 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Den Arbeitsvertragsparteien stehe keine Disposition über Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung zu.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Der Klägerin stehen keine Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes zu, weil er nicht infolge eines Arbeitsunfalles iS des § 550 RVO iVm § 548 RVO verstorben ist (§§ 589 Abs 1, 590 RVO).
Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet.
Als Arbeitsunfall gilt auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 550 Abs 1 RVO). Der Umstand, daß der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat, schließt nach § 550 Abs 3 RVO die Versicherung auf dem Wege von und nach der Familienwohnung nicht aus. Für diese Wege hat der Gesetzgeber, um dem Lebenssachverhalt gerecht zu werden, daß Tätigkeitsort und Lebensmittelpunkt des Versicherten unter Umständen weit auseinanderliegen, einen Versicherungsschutz geschaffen, der über den nach § 550 Abs 1 RVO hinausgeht und es ermöglicht, rechtlich die dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Beweggründe für das Zurücklegen des Weges weitgehend unberücksichtigt zu lassen (BSG Urteil vom 6. Dezember 1989 – 2 RU 23/89 – HV-Info 1990, 615 bis 618; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 485t mwN).
Die Anwendbarkeit des § 550 Abs 3 RVO hängt aber in jedem Fall davon ab, daß es sich bei dem Ziel des Weges oder seinem Ausgangspunkt um die ständige Familienwohnung des Versicherten handelt und der Versicherte am Beschäftigungsort oder in dessen Nähe nur eine Unterkunft hat (BSG aaO; Brackmann aaO, S 485u).
Der Ehemann der Klägerin verunglückte am 14. August 1993 auf dem Weg von der Montagebaustelle in L.… bzw seiner Unterkunft in Sch.… bei D.… nach N.… bei einem Verkehrsunfall. Er befand sich zur Unfallzeit – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht auf dem Weg zu seiner Familienwohnung; denn er hatte bei seinen Verwandten in N.… keine Familienwohnung iS von § 550 Abs 3 RVO.
Ständige Familienwohnung iS dieser Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats eine Wohnung, die für nicht unerhebliche Zeit den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Versicherten bildet (s ua BSGE 1, 171, 173; 20, 110, 111; 37, 98, 99; s auch Brackmann aaO, S 485u mwN; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 550 Anm 20; Podzun/Nehls/Platz, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Kennzahl 080 S 1). Die Beurteilung, ob die hiernach erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind, richtet sich nach der tatsächlichen Gestaltung der Verhältnisse des Versicherten zur Unfallzeit (BSGE 35, 32, 33). Maßgebend sind dabei insbesondere auch die soziologischen und psychologischen Gegebenheiten (BSGE 25, 93, 95). Wertungskriterien für den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Versicherten sind ua das Ausmaß der sozialen Kontakte zu anderen Personen. Bei einem verheirateten Versicherten befindet sich der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse im allgemeinen an dem Ort, an dem sich der Ehepartner und – ggf – die gemeinsamen Kinder nicht nur vorübergehend aufhalten (BSGE 35, 32, 33; BSG Beschluß vom 20. November 1989 – 2 BU 18/89 – HV-Info 1990, 781, 783; Brackmann aaO, S 485w; KassKomm-Ricke, § 550 RVO RdNr 48).
Diese Grundsätze hat das LSG beachtet. Es ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß Mittelpunkt der Lebensverhältnisse auch für die Zeit des Montageeinsatzes des Versicherten sein Haus in H.… geblieben ist. Eine ständige Familienwohnung kann zwar an einen anderen Ort verlegt werden (BSGE 2, 78, 80; BSG Breithaupt 1966, 383; Brackmann aaO S 485x). Dabei kommt es darauf an, ob die Verlegung für eine nicht unerhebliche Zeit stattfindet (BSG aaO, S 384: Wenigstens acht Monate), was mit Blick in die Zukunft zu entscheiden ist (Bereiter Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 550 RdNr 8). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Dauer des Montageeinsatzes von vier bis sechs Wochen überhaupt ein nicht unerheblicher Zeitraum als Voraussetzung für die Annahme einer ständigen Familienwohnung ist. Denn das Tatbestandsmerkmal der ständigen Familienwohnung ist in diesem Zusammenhang als Gegenstück zu solchen Wohnungen anzusehen, welche lediglich vorübergehend, insbesondere besuchs- oder urlaubsweise, Unterkunft bieten.
Nach den gesamten Umständen jedoch war eine Verlegung der ständigen Familienwohnung des Versicherten im Unfallzeitpunkt nicht erfolgt. Vielmehr hielt sich die Familie in der Zeit des Montageeinsatzes des Versicherten an zwei Wochenenden lediglich besuchsweise bei Verwandten in N.… auf. Wie das LSG zu Recht hervorhebt, zeigt gerade der Umstand, daß die Familie am 6. August 1993 gemeinsam nach H.… zurückkehrte, um den Schulbeginn ihrer Kinder vorzubereiten, daß der Lebensmittelpunkt weiterhin in H.… lag. Die Fahrt nach N.… diente wesentlich lediglich dem Besuch der Verwandten in Polen. Damit blieb die eheliche Wohnung in H.… nach wie vor der durch enge persönliche Beziehungen gekennzeichnete Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Eheleute (vgl BSG aaO, S 383). Der Ehemann der Klägerin war somit auf der zum Unfall führenden Fahrt am 14. August 1993 nicht nach § 550 Abs 3 RVO versichert.
Er hat im Unfallzeitpunkt auch nicht nach § 550 Abs 1 RVO unter Versicherungsschutz gestanden.
Nach den Feststellungen des LSG sind zwei Alternativen möglich. Soweit er – wie die Klägerin annimmt – die zum Unfall führende Fahrt nach N.… nicht unmittelbar von der Montagebaustelle in L.…, sondern von seiner Unterkunft in Sch.… aus angetreten hat, wäre ein Unfallversicherungsschutz bereits deshalb ausgeschlossen, weil er den im Rahmen des § 550 Abs 1 RVO hier maßgebenden unversicherten privaten Bereich seiner Unterkunft erreicht gehabt hätte und eine danach anschließende Familienheimfahrt nach § 550 Abs 3 RVO – wie bereits dargelegt – hier nach N.… nicht in Frage kommt.
Auch im Falle des Antritts der Fahrt direkt vom Ort der Tätigkeit aus wäre sie nicht als Fahrt zu einem “dritten Ort” nach § 550 Abs 1 RVO versichert. Der Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift setzt nicht voraus, daß der Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit von der Wohnung des Versicherten aus angetreten oder wieder erreicht wird. In der genannten Vorschrift ist allein der Ort der Tätigkeit als Ende des Hinweges oder als Ausgangspunkt des Rückweges festgelegt. Infolgedessen muß der Hinweg weder von der Wohnung aus angetreten werden, noch der Rückweg in der Wohnung enden (s BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 10 mwN). Entscheidend für den Versicherungsschutz nach § 550 Abs 1 RVO ist, ob der Weg zum “dritten Ort” ebenso wie der Weg zu der eigenen Wohnung wesentlich von dem Vorhaben des Ehemannes der Klägerin und der Notwendigkeit bestimmt war, vom Ort der Tätigkeit aus in den Privatbereich überzuwechseln, in dem er seinen persönlichen privaten Interessen nachgehen kann (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 5). Diese Frage stellt sich in der Regel allerdings nur, wenn nicht die eigene Wohnung oder die gewöhnliche Unterkunft, sondern ein anderer – sog “dritter Ort” – Ausgangs- oder Endpunkt des nach oder von dem Ort der Tätigkeit angetretenen Weges ist. Handelt es sich bei dem Ausgangs- bzw Endpunkt dagegen um die Wohnung des Versicherten, so wird grundsätzlich ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit angenommen (BSG aaO mwN).
Ist nicht die eigene Wohnung der andere Endpunkt des nach oder von dem Ort der Tätigkeit angetretenen Weges, wird sich im allgemeinen eher als im Regelfall und mit zunehmender Entfernung verstärkt die Frage nach dem inneren Zusammenhang zwischen dem Zurücklegen des Weges und der versicherten Tätigkeit stellen. Dabei sind jedoch die gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalles als maßgebend anzusehen. Hierbei ist der Länge des Weges nicht die alleinige Bedeutung beizumessen (BSG SozR 2200 § 550 Nr 78 mwN). Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der nicht zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zurückgelegte Weg sich unter Berücksichtigung aller Umstände von dem üblichen Weg nach und von der Arbeitsstätte so erheblich unterscheidet, daß er nicht von dem Vorhaben des Versicherten geprägt ist, sich zur Arbeit zu begeben oder von dieser zurückzukehren. Dies ist, vorbehaltlich der Lage des Einzelfalles, vor allem für Wege mit ungewöhnlichen Entfernungen, insbesondere bei Erholungsfahrten in eine andere Ortschaft anzunehmen (BSGE 62, 113, 117).
Nach den Verhältnissen des vorliegenden Falles erhielt die Fahrt des Ehemannes der Klägerin am Unfalltag bei Beachtung aller Umstände ihr Gepräge durch das Vorhaben, das bevorstehende Wochenende mit seiner Familie bei Verwandten in N.… zu verbringen, was ausschließlich dem persönlichen, unversicherten Bereich zuzurechnen war. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG trat im Verhältnis zu dem regelmäßigen Weg von drei Kilometern von dem Ort der Tätigkeit in L.… zur Unterkunft in Sch.… auf der demgegenüber ungewöhnlich langen Strecke von 350 Kilometern nach N.… der Zusammenhang des Weges mit der versicherten Tätigkeit als rechtlich unbeachtlich in den Hintergrund. Dabei ist – wie das LSG auch insoweit zutreffend entschieden hat – hinsichtlich der Frage, ob im Rahmen von § 550 Abs 1 RVO der Weg zum sog “dritten Ort” als Ausgangs- oder Endpunkt des Weges in einem angemessenen Verhältnis zum Weg zur oder von der eigenen Wohnung oder der gewöhnlichen Unterkunft steht, nicht auf die Entfernung bei einer Familienheimfahrt abzustellen. Vielmehr kommt es dabei auf ein angemessenes Verhältnis zu dem üblichen Weg des Versicherten nach und von dem Ort der Tätigkeit an (BSGE 62, 113, 116; BSG SozR 2200 § 550 Nr 76; Brackmann aaO, S 485r II, 485r III; KassKomm-Ricke, § 550 RVO RdNr 41; Lauterbach/Watermann, aaO § 550 Anm 4). Üblicher Weg ist hier dabei der regelmäßig zwischen Unterkunft und Arbeitsstätte zurückzulegende Weg. Der Weg nach oder von der Familienwohnung iS von § 550 Abs 3 RVO ist hierbei nicht zu berücksichtigen, weil es sich dabei gerade nicht um den “üblichen” Weg nach und von der Arbeitsstätte handelt. Vielmehr stellt der Weg zur Familienwohnung einen Sonderfall der Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit dar (BSG SozR 2200 § 550 Nr 73). Der Gesetzgeber hat gerade durch die Einbeziehung dieser Wege in den Unfallversicherungsschutz gemäß § 550 Abs 3 RVO dem Umstand Rechnung getragen, daß sie wegen der Entfernung der Familienwohnung zum Ort der Tätigkeit nicht täglich zurückgelegt werden. Daher können sie auch nicht als “üblicher” Weg von oder nach dem Ort der Tätigkeit iS des § 550 Abs 1 RVO gewertet werden.
Daß die Arbeitgeberin die Kosten der Besuchsfahrten nach N.… und der Mitbenutzung der Unterkunft in Sch.… durch die Familienangehörigen des Ehemannes der Klägerin trug, rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung des Versicherungsschutzes des Ehemannes der Klägerin. Denn dadurch wurde die zum Unfall führende Fahrt am 14. August 1993 nicht zu einem Betriebsweg iS des § 548 RVO. Die Unternehmerin honorierte die statt des geplanten Urlaubs erbrachte Montageleistung mit einem geldwerten Vorteil, ohne daß dadurch die vom Unternehmen finanzierte Reise zu den Verwandten nach Polen für den Ehemann der Klägerin zu einer betrieblichen oder einer nach § 550 RVO versicherten Tätigkeit wurde (vgl BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 21).
Der Ehemann der Klägerin stand damit bei der Fahrt am 14. August 1993 nach N.… nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen