Leitsatz (amtlich)

1. "Zeitpunkt der Zahlung" im Sinne des KOV-VfG § 47 Abs 2 ist der Zeitpunkt derjenigen Zahlung, die bewirkt, daß eine Rente überzahlt ist.

2. Ob der Rentenempfänger wußte oder wissen mußte, daß überzahlte Rentenbeträge nicht zustanden, ist unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeit und seines gesamten Verhaltens im Einzelfall zu entscheiden.

 

Normenkette

KOVVfG § 47 Abs. 2 Fassung: 1955-05-02

 

Tenor

Die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 6. Oktober 1954 und des Sozialgerichts Köln vom 26. Februar 1954 werden aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der Kläger bezieht wegen der Folgen einer Kriegsverletzung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) Grundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 70 v. H. Das Versorgungsamt forderte von ihm durch Bescheide vom 12. März 1952 und vom 15. September 1952 die Ausgleichsrente für die Zeit vom 1. August 1951 bis zum 30. April 1952 zurück, weil der Unterhaltszuschuß, den der Kläger als Gerichtsreferendar im Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen bezog, am 4. Februar 1952 mit Wirkung vom 1. Dezember 1951 und am 18. März 1952 mit Wirkung vom 1. August 1951 von 100.- DM auf 200.- DM monatlich erhöht worden war. Der Einspruch des Klägers, mit dem der Wegfall der Bereicherung durch Verbrauch der zuviel erhaltenen Ausgleichsrente geltend gemacht wurde, blieb erfolglos. Seine Berufung an das Oberversicherungsamt ging als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Köln über. Dieses hob die Verwaltungsbescheide auf, weil die überzahlte Ausgleichsrente nicht zurückgefordert werden dürfe. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil wies das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen in Essen durch Urteil vom 6. Oktober 1954 zurück und ließ die Revision zu.

In den Urteilsgründen ist ausgeführt, der Erstattungsanspruch sei ein dem öffentlichen Recht immanentes Institut, dessen Geltendmachung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben eingeschränkt werden müsse. Nach diesem Grundsatz sei der Anspruch nicht gegeben, weil der Kläger nicht wußte und nicht wissen mußte, daß er mit einer Rückforderung der Versorgungsleistungen zu rechnen gehabt hätte. Auch sei die Rückzahlung aus wirtschaftlichen Gründen nicht gerechtfertigt.

Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG. vom 6. Oktober 1954 und weiterer Aufhebung des Urteils des SG. Köln vom 26. Februar 1954 dieses insoweit abzuändern, als die für die Zeit vom 1. September 1951 bis Ende Februar 1952 überzahlte Ausgleichsrente vom Kläger und Revisionsbeklagten zurückgefordert werden darf,

hilfsweise: Das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.

Er rügt, der Rückforderungsanspruch sei nach dem inzwischen in Kraft getretenen Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2. Mai 1955 (BGBl. I S. 202 - VerwVG -) zu beurteilen. Da der Kläger gewußt habe, daß ihm seit dem 1. August 1951 die Versorgungsbezüge in der gewährten Höhe nicht zustanden, müsse er die Überzahlung erstatten.

Der Kläger hat Zurückweisung der Revision beantragt.

Er ist der Ansicht, es komme auf den guten oder bösen Glauben zur Zeit der Zahlung der Rente und nicht der Nachzahlung an. In jenem Zeitpunkt habe der Kläger nicht gewußt und auch nicht wissen müssen, daß er eine Nachzahlung an Unterhaltszuschuß erhalten würde.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Sie ist auch begründet.

Wie zwischen den Parteien unstreitig und Grundlage der angefochtenen Entscheidung ist, stellt der im Lande Nordrhein-Westfalen an Gerichtsreferendare gezahlte Unterhaltszuschuß sonstiges Einkommen im Sinne des § 33 BVG dar und ist deshalb bei der Gewährung der Ausgleichsrente zu berücksichtigen. Dies gibt zu Bedenken keinen Anlaß. Es entspricht der Entscheidung des erkennenden Senats vom 25. Juni 1957 (9 RV 864/55).

Das LSG. hat den Rückforderungsanspruch nach allgemeinen Grundsätzen beurteilt und hat das damals als Entwurf den gesetzgebenden Körperschaften vorliegende VerwVG in seine Erwägungen einbezogen. Es hat jedoch dieses Gesetz nicht anwenden können, weil es zur Zeit seiner Entscheidung noch nicht erlassen war. Inzwischen ist die Rückforderung durch § 47 VerwVG gesetzlich geregelt worden. Nach § 52 a. a. O. sind für die am Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes, dem 1. April 1955, anhängigen Sachen für das weitere Verfahren die Vorschriften dieses Gesetzes maßgeblich. Wie der 8. Senat in dem in BSG. 3 S. 234 ff. abgedruckten Urteil im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entschieden hat, ist in Fällen der vorliegenden Art vom Revisionsgericht die materiell-rechtliche Vorschrift des § 47 a. a. O. zu berücksichtigen, die in diesem hauptsächlich das Verfahren regelnden Gesetz enthalten ist, weil das Gesetz nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfaßt. Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.

Nach § 47 VerwVG kann bei einer Überzahlung infolge einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse der zu Unrecht gezahlte Betrag zurückgefordert werden, wenn der Empfänger wußte oder wissen mußte, daß ihm die gezahlten Versorgungsbezüge im Zeitpunkt der Zahlung nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden. Das LSG. hat sein Urteil nicht auf diesen, jetzt maßgebenden gesetzlichen Tatbestand gestützt, sondern darauf, ob der Kläger wissen mußte, die zu Unrecht gewährten Versorgungsleistungen würden zurückgefordert werden. Da also die Entscheidung auf der Nichtanwendung einer Vorschrift des Bundesrechts beruht, war die Revision nach § 162 Abs. 2 SGG begründet und führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Bei der nunmehr bestehenden Möglichkeit, in der Sache selbst zu entscheiden, sieht der Senat den Streitfall als spruchreif an.

Zu Unrecht hat der Kläger sich im Verlauf des Verfahrens wiederholt darauf berufen, er habe die Geldbeträge der Ausgleichsrente, die ihm infolge der rückwirkenden Erhöhung seines Unterhaltszuschusses zuviel gezahlt worden seien, verbraucht und sei nicht mehr bereichert. Hierauf kommt es nicht an, sondern darauf, ob er wußte oder wissen mußte, daß ihm die gezahlten Versorgungsbezüge zur Zeit der Zahlung nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden. Um dies feststellen zu können, kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an.

Zunächst ist auszugehen von der Persönlichkeit des Rentenberechtigten. Dabei ist der Bildungsgrad und die offenbar vorhandene Einsicht und Einsichtsfähigkeit zu berücksichtigen. Nach seiner Schul- und akademischen Bildung hat der Kläger als Gerichtsreferendar die Bescheide des Versorgungsamts gelesen und verstanden. Aus der dort mitgeteilten Berechnung der Ausgleichsrente hat er entnehmen müssen, daß sein Unterhaltszuschuß bei der Berechnung der Ausgleichsrente angerechnet wurde. Überdies aber hat der Kläger sich mit der Materie des Versorgungswesens und insbesondere dem BVG vertraut gemacht. In seiner Eingabe an das Versorgungsamt vom 30. August 1951 hat er, als er die Bewilligung eines Unterhaltszuschusses in Höhe von 100.- DM monatlich anzeigte, die Ausgleichsrente nach den damals geltenden Vorschriften unter richtiger Angabe des Freibetrags berechnet. Ebenso hat er in seinem Einspruchsschreiben vom 20. März 1952 unabhängig von der Berechnung des Versorgungsamts ermittelt, welcher Betrag an Ausgleichsrente jeweils in den Monaten Dezember 1951, Januar und Februar 1952 zuviel gezahlt worden war. Er hat in dieser letztgenannten Eingabe auch eingeräumt, daß ihm diese Beträge "zuviel", also zu Unrecht, gezahlt worden waren. Im Hinblick auf diese nachgewiesene genaue Kenntnis der Versorgungsbestimmungen und ihrer Anwendung auf seinen Versorgungsfall ergibt sich, daß der Kläger nicht nur nach seinem Bildungsgrad hat wissen müssen, sondern auch tatsächlich gewußt hat, daß ihm die Versorgungsbezüge nach der rückwirkenden Erhöhung des Unterhaltszuschusses in der gezahlten Höhe nicht zugestanden haben. Da dies aus dem Inhalt der Versorgungsakten unzweifelhaft zu entnehmen ist, waren weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht, insbesondere eine Befragung des Klägers, nicht erforderlich.

Um für den Rückforderungsanspruch belangvoll zu sein, bezieht sich dieses Wissen oder Wissenmüssen nach § 47 Abs. 2 VerwVG darauf, daß dem Empfänger die gezahlten Versorgungsbezüge im Zeitpunkt der Zahlung nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden. Die Worte "Zeitpunkt der Zahlung" können sich nicht auf den Zeitpunkt der Rentenzahlung beziehen. Bei dieser Auslegung würden nämlich Zahlungen für die Vergangenheit - wie im vorliegenden Fall - auch bei nachgewiesener Bösgläubigkeit nur erfaßt werden können, wenn unabhängig vom Wissen und Wissenmüssen nach dem zweiten gesetzlichen Tatbestand des § 47 Abs. 2 VerwVG die Rückzahlung aus wirtschaftlichen Gründen zumutbar wäre. Dies ist mit dem Willen des Gesetzgebers, wie er auch in § 60 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BVG zum Ausdruck gekommen ist, nicht zu vereinbaren. Nach dieser Vorschrift tritt eine Minderung oder Entziehung der Ausgleichsrenten mit Ablauf des Monats ein, in dem die Voraussetzungen für die bis dahin gewährten Bezüge weggefallen sind. Danach wird die Ausgleichsrente anders behandelt als die Grundrente, bei der die Minderung oder Entziehung immer erst mit Ablauf des Monats eintritt, der auf die Zustellung des die Änderung aussprechenden Bescheids folgt. Außerdem wäre dies mit § 71 a BVG nicht vereinbar, in dem das Versorgungsamt ermächtigt wird, eine Zahlung für zurückliegende Zeiten in bestimmten Fällen für sich in Anspruch zu nehmen. Die gesetzliche Regelung wäre widerspruchsvoll, wenn es nach § 47 Abs. 2 VerwVG nur auf das Wissen im Zeitpunkt der Rentenzahlung ankäme; denn bei Zahlungen für zurückliegende Zeiten weiß der Versorgungsberechtigte im allgemeinen nicht, daß ihm in der Zukunft einmal für die gleiche Zeit, für die er seine Versorgungsrente in Empfang nimmt, eine Nachzahlung an Gehalt oder ähnlichen Bezügen gewährt werden wird. Infolgedessen können aus dieser vergleichenden Betrachtung der Bestimmungen im BVG die Worte "im Zeitpunkt der Zahlung" nur im Zusammenhang mit der Änderung der wesentlichen Verhältnisse und insbesondere mit der Zahlung gesehen werden, welche infolge der wesentlichen Änderung der Verhältnisse die Überzahlung bewirkt.

Im vorliegenden Fall entstand die Überzahlung Anfang Februar 1952 und dann noch einmal im März 1952 durch eine nachträgliche Erhöhung des Unterhaltszuschusses. Für die Begründung des Rückforderungsanspruchs des Beklagten ist es also wesentlich, ob der Kläger im Februar 1952 wußte, daß ihm die für die Monate Dezember, Januar und Februar gezahlten Beträge an Ausgleichsrente in der gewährten Höhe nicht zustanden. Wie dargelegt ist, war dem Kläger seit August 1951 die Sach- und Rechtslage hinsichtlich der Gewährung der Ausgleichsrente bekannt. Daß dieses Wissen unverändert fortbestand, ergibt sich weiter aus seiner Eingabe vom 20. März 1952. Infolgedessen hat der Kläger bei der ersten Entgegennahme der Nachzahlung an Unterhaltszuschuß gewußt, daß diese Änderung seines sonstigen Einkommens die Höhe der Ausgleichsrente beeinflussen würde und ihm Ausgleichsrente in der bis dahin gezahlten Höhe nicht zustand. Bei dieser Sachlage kam es auf den zweiten gesetzlichen Tatbestand des § 47 Abs. 2 VerwVG - nämlich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers - nicht an.

Da sonach die angefochtenen Bescheide vom 12. März und 15. September 1952 sowie der Einspruchsbescheid vom 5. Dezember 1952 der Sach- und Rechtslage entsprachen, war die Klage unter gleichzeitiger Aufhebung der Entscheidung des SG. Köln, wie geschehen, abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2290938

NJW 1957, 1815

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge