Leitsatz (amtlich)
Eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse im Sinne des SGG § 148 Nr 3 liegt nicht vor, wenn noch nicht durch Bescheid über die Pflegezulage entschieden worden ist. Eine solche Entscheidung setzt einen ausdrücklichen - bejahenden oder verneinenden - Ausspruch voraus (Anschluß BSG 1956-09-05 9 RJ 1038/55 = BSGE 3, 271).
Normenkette
SGG § 148 Nr. 3 Fassung: 1958-06-25
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland/Pfalz vom 23. Juli 1956 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger erhielt nach versorgungsärztlicher Untersuchung vom 11. März 1947 mit Bescheid der Landesversicherungsanstalt Hessen-Pfalz vom 8. April 1947 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 100 v. H. wegen "Verlustes des rechten Beines, Versteifung des linken Ellenbogengelenkes und funktionell unbedeutender Narben an der rechten Stirnseite und am linken Unterschenkel mit einem Stecksplitter im Unterschenkel". In der vorgedruckten Spalte "Pflegezulage" ist ein Strich eingesetzt.
In dem BVG-Umanerkennungsbescheid vom 1. Oktober 1951 wurden die anerkannten Schädigungsfolgen und der bisherige Grad der MdE. übernommen. Auf dem Bescheidsvordruck ist in der Spalte "Pflegezulage" ebenfalls ein Strich eingesetzt, desgleichen in dem Neufeststellungsbescheid vom 28. Januar 1952, der wegen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse erging.
Am 13. September 1952 beantragte der Kläger die Gewährung der Pflegezulage. Durch die Versteifung des linken Ellenbogengelenkes behindert, habe er beim Holzholen einen Bruch des linken Handgelenkes erlitten und sei infolgedessen derart beschädigt, daß er ohne fremde Hilfe nicht auskomme. Nach versorgungsärztlicher Untersuchung vom 24. September 1952 lehnte das Versorgungsamt L mit Bescheid vom 11. November 1952 Pflegezulage ab, da der Kläger nicht hilflos sei.
Das Sozialgericht, auf das die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers mit Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) am 1. Januar 1954 übergegangen ist, hat nach Einholung eines Gutachtens des Städtischen Krankenhauses L vom 15. Juli 1955 (Dr. M/Dr. G) mit Urteil vom 30. Januar 1956 die Klage abgewiesen.
Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 23. Juli 1956 die Berufung des Klägers als unzulässig nach § 148 Nr. 3 SGG verworfen. Es handele sich bei dem angefochtenen Bescheid um eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse. Nach § 9 Nr. 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) sei auch die Pflegezulage ein Teil der Versorgungsbezüge und kein Versorgungsanspruch eigener Art. Dies folge auch aus § 10 Abs. 4 und § 62 BVG und dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Rentenanspruches, wonach eine Pflegezulage nicht besonders beantragt zu werden brauche, wenn der Antrag auf Beschädigtenrente zu der Feststellung führe, daß der Beschädigte zugleich hilflos im Sinne des Gesetzes sei. Revision wurde zugelassen.
Gegen das Urteil hat der Kläger Revision eingelegt und beantragt:
1.) das angefochtene Urteil und die diesem zugrundeliegenden Vorentscheidungen aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger vom 1. September 1952 ab die einfache Pflegezulage zu gewähren;
2.) hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen;
3.) die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Beklagten aufzuerlegen.
In der Revisionsbegründung rügt der Kläger eine Verletzung des § 148 Nr. 3 SGG. Im BVG-Umanerkennungsbescheid sei die Hilflosigkeit des Klägers im Sinn des § 35 BVG nicht geprüft worden. Der in die formularmäßige Rubrik zur Pflegezulage eingesetzte Strich stelle keine Entscheidung dar. Eine positive oder negative Erstfeststellung als Voraussetzung einer Neufeststellung sei insoweit nicht getroffen worden. Der angefochtene Bescheid stelle daher keine Neufeststellung dar.
Der Beklagte hat Zurückweisung der Revision beantragt. In dem BVG-Umanerkennungsbescheid sei über die Pflegezulage in ablehnendem Sinn entschieden worden. Diese Entscheidung habe auch den tatsächlichen Verhältnissen, wie sie durch das versorgungsärztliche Gutachten vom 11. März 1947 festgestellt worden seien, entsprochen.
Die Beteiligten beantragten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG.
Die Revision ist infolge Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG).
Sie ist auch begründet.
Streitig ist die Zulässigkeit der Berufung nach § 148 Nr. 3 SGG. Nach dieser Vorschrift können Urteile mit der Berufung nicht angefochten werden, wenn sie die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse betreffen. Es war daher zu entscheiden, ob das Urteil des Sozialgerichts eine solche Neufeststellung betrifft.
Die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse ist in § 62 BVG geregelt. Hiernach setzt eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge voraus, daß bereits eine Erstfeststellung der Versorgungsbezüge vorangegangen ist. Die Neufeststellung bezweckt eine Anpassung der laufenden Versorgungsbezüge an eine neue Sachlage, wenn sich die wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Verhältnisse oder das Gesetz gegenüber der Sach- oder Rechtslage bei Erlaß der Erstfeststellung geändert haben. Infolge der bindenden Wirkung des Erstfeststellungsbescheids ist in dem Neufeststellungsbescheid eine Änderung der Bezüge nur insoweit zulässig, als die Änderung der Verhältnisse gegenüber denen bei der Erstfeststellung reicht und sie die gesetzlichen Voraussetzungen der Versorgungsbezüge beeinflußt. Es sind demnach die Verhältnisse bei Erlaß der Erstfeststellung und diejenigen bei der Neufeststellung zu vergleichen. Eine Vergleichsmöglichkeit besteht aber nur dann, wenn die Verhältnisse, in denen eine Änderung eingetreten sein soll, bereits bei einer Erstfeststellung Gegenstand der Prüfung und Feststellung waren. Dies kann im bejahenden oder verneinenden Sinn der Fall gewesen sein. Entweder hat die geprüfte und festgestellte Sachlage zur Gewährung oder wegen Nichterfüllung eines Tatbestandsmerkmals zur Ablehnung von Versorgungsbezügen geführt. Es können nur solche frühere Verhältnisse zum Vergleich herangezogen werden, die nicht nur innerhalb der Verwaltungsbehörde geprüft wurden, sondern bei denen das Ergebnis der Prüfung in dem Erstfeststellungsbescheid in positivem oder negativem Sinn ausgesprochen ist. Es muß für den Bescheidempfänger erkennbar gewesen sein, wie die Verwaltungsbehörde seine Verhältnisse beurteilt und welche rechtlichen Schlußfolgerungen sie daraus gezogen hat. Aus diesem Grunde bedeutet das bloße Nichterwähnen einer Versorgungsleistung in einem Bescheid noch nicht die Verweigerung dieser Leistung mit der bindenden Wirkung des Bescheids (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 5.9.1956 in BSG. 3 S. 271).
In diesem Zusammenhang ist es nicht wesentlich, auf welche Versorgungsleistungen der die Erstfeststellung veranlassende Antrag des Versorgungsberechtigten gerichtet war. Dies ist eine Frage der Auslegung des Antrags im Zusammenhang mit der Pflicht der Verwaltungsbehörde, auf sachdienliche Anträge hinzuwirken (§§ 6, 7 VerwVG; für die Zeit vor Inkrafttreten des VerwVG - 1.4.1955 - § 15 Abs. 2 des Landesversorgungsgesetzes des Landes Rheinland/Pfalz vom 18.1.1949, §§ 78, 79 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen in der Fassung vom 20.3.1928, in Verbindung mit § 84 Abs. 3 BVG). Soweit der Erstfeststellungsbescheid über eine beantragte Versorgungsleistung nicht entscheidet, ist der Antrag noch nicht erschöpfend bearbeitet. Die Erstfeststellung stellt nur insoweit eine Entscheidung über den Antrag dar, als zu der begehrten Leistung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung genommen ist (vgl. § 22 VerwVG bzw. § 15 Abs. 2 des Landesversorgungsgesetzes Rheinland/Pfalz, § 86 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen vom 20.3.1928).
Es ist hier auch nicht wesentlich, ob auf die begehrte Versorgungsleistung ein eigener Versorgungsanspruch besteht, oder ob sie ein Teil eines umfassenden Anspruchs auf laufende Versorgungsbezüge ist (§§ 9, 56 Abs. 1 BVG). Denn § 148 Nr. 3 SGG stellt es nicht auf eine Neufeststellung der Versorgungsansprüche, sondern der Versorgungsbezüge ab. Versorgungsbezüge im Sinn laufender monatlicher Zahlbeträge (§ 66 Abs. 1 BVG) sind verschiedene Leistungen wie Rente (§§ 29, 32 BVG), Kindergeld (§ 34 a BVG) und Pflegezulage (§ 35 BVG). Nach § 148 Nr. 3 SGG ist nur wesentlich, ob gerade über den Versorgungsbezug (nicht Versorgungsanspruch), dessen Neufeststellung begehrt wird, bereits in einer Erstfeststellung entschieden worden ist.
Die Pflegezulage ist ein Versorgungsbezug im Sinne eines laufenden monatlichen Zahlbetrags (§ 66 Abs. 1 BVG). Ihre Voraussetzung - nach § 35 BVG die Hilflosigkeit des Beschädigten - ist eine andere als die der Grund- und Ausgleichsrente nach §§ 29, 32 BVG. Daher kann allein mit der Gewährung von Rente noch nicht über die Gewährung von Pflegezulage mit entschieden sein.
Der in der Spalte "Pflegezulage" des Umanerkennungsbescheids vom 1. Oktober 1951 gesetzte Strich enthält keine Entscheidung über die Pflegezulage im dargelegten Sinn. Hierzu wäre ein ausdrücklicher Ausspruch in positiver und negativer Hinsicht erforderlich. Dem angefochtenen Bescheid über die Ablehnung der Pflegezulage geht daher keine Erstfeststellung der Pflegezulage voraus. Aus diesem Grunde ist im vorliegenden Fall die Berufung durch § 148 Nr. 3 SGG nicht ausgeschlossen.
Das Urteil des Landessozialgerichts war daher aufzuheben. Das Bundessozialgericht konnte nicht selbst entscheiden, da zur sachlichen Entscheidung über die Pflegezulage noch Ermittlungen tatsächlicher Art über eine Hilflosigkeit des Klägers notwendig sind. Die Sache war daher an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen