Entscheidungsstichwort (Thema)
Innerer Zusammenhang eines tödlichen Unfalls mit einer beruflichen Tätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Der Versicherte befand sich im Zeitpunkt des Unfalls mit seiner Familie auf der Heimfahrt von einem Besuch bei seinem Schwiegervater in O nach Dortmund. Er hatte sich in O am Wochenende zum 1957-05-19 während eines etwa 24stündigen Aufenthalts dort mit der Ausarbeitung eines dringlichen Referats beschäftigt, nachdem er schon vorher in Dortmund daran gearbeitet hatte und am Wochenende - Sonnabend gegen Mittag - mit den Unterlagen nach O, wo sich seine Familie seit einer Woche befand, gefahren war.
Der Umstand, daß der Versicherte bei der Art seiner beruflichen Arbeit als Presse- und Propaganda-Referent einer politischen Partei überhaupt und insbesondere bei der Ausarbeitung eines Referates im allgemeinen nicht auf einen bestimmten Arbeitsort angewiesen und in der Einteilung seiner Arbeitszeit frei war, rechtfertigt nicht die Annahme, daß die an einem solchen beliebigen Ort ausgeübte berufliche Tätigkeit ohne weiteres den Versicherungsschutz für den Aufenthalt und die diesen ermöglichenden Fahrten nach sich gezogen habe. In Fällen einer derartigen Beschäftigungsweise könnte der Versicherungsschutz nur unter der Voraussetzung begründet sein, daß der jeweilige Aufenthaltsort aus Gründen gewählt wird, die im wesentlichen Interesse der Arbeit liegen. Hierfür genügt es nicht, daß die Ausführung eines Arbeitsauftrags an einem berechtigterweise frei gewählten Ort stattfindet, weil dies den persönlichen Interessen des Beschäftigten entgegenkommt. Auch der Umstand, daß der Versicherte in der Wohnung seines Schwiegervaters Gelegenheit zu ungestörter Arbeit gehabt hat, vermag nicht den Versicherungsschutz zu begründen. Es liegt auf der Hand, daß es für den Versicherten im Interesse einer zweckvollen Ausnützung der für die Ausarbeitung des Referats ohnehin knapp bemessenen Zeit dienlicher gewesen wäre, wenn er die immerhin zeitraubende Reise nach dem etwa 100 km von Dortmund entfernten O mit den unvermeidbaren familiären Ablenkungen unterlassen hätte und statt dessen auch über das Wochenende in Dortmund geblieben wäre. Waren sonach damals dienstliche Gründe für einen Arbeitsaufenthalt des Versicherten in O nicht von ausschlaggebender Bedeutung, so konnte auch die Rückfahrt nach Dortmund nicht mit der versicherten Tätigkeit des Verunglückten in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang stehen. Ein Versicherungsschutz läßt sich daher für ihn nicht begründen.
Normenkette
RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Dezember 1962 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Kläger sind die Hinterbliebenen des am 19. Mai 1957 tödlich verunglückten Bernard H (H.). Sie sind der Ansicht, ihr Ehemann und Vater sei einem Arbeitsunfall erlegen, und machen gegen die Beklagte Entschädigungsansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung geltend.
Über den Hergang des Unfalls enthält das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 4. Dezember 1962 folgende Feststellungen: H. war hauptamtlicher Referent in der CDU-Landesgeschäftsstelle Westfalen-Lippe. Er wohnte in Dortmund. Vom 11. bis 15. Mai 1957 nahm er an einem Parteitag in Hamburg teil. Nach seiner Rückkehr hatte er ein dienstliches Referat auszuarbeiten, das bis zum folgenden Montag fertig sein mußte. Er hielt sich in seiner Wohnung allein auf, weil seine Familie inzwischen nach Ochtrup, Kreis Burgsteinfurt, zum Besuch seines Schwiegervaters gereist war. Am Sonnabend, dem 18. Mai 1957, begab er sich gegen Mittag mit einem Personenkraftwagen zu seinen Angehörigen nach Ochtrup. Er arbeitete dort an dem Referat weiter. Am Sonntag trat er gegen 15 Uhr mit seiner Familie die Heimfahrt an. Unterwegs kam er durch einen Verkehrsunfall ums Leben.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 24. September 1957 die Witwenrente und durch die Bescheide vom 3. April 1958 sowie vom 27. Mai 1958 die Waisenrenten mit der Begründung ab, die zum Unfall führende Fahrt H's. sei ausschlaggebend durch familiäre Gründe veranlaßt worden; die Wahrung dienstlicher Interessen habe bei seinem Besuchsaufenthalt in Ochtrup eine nur nebensächliche Rolle gespielt.
Diese Bescheide haben die Kläger mit der Klage beim Sozialgericht (SG) Münster angefochten. Das SG hat über die Klagebehauptung, der Aufenthalt H's. in Ochtrup sei im Interesse der Fertigstellung des Referats notwendig gewesen, Zeugenbeweis erhoben. Auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme hat das SG durch Urteil vom 4. November 1958 die Klage abgewiesen. Es ist der Ansicht, H. wäre über das Wochenende zum 19. Mai 1957 nicht von Dortmund nach dem etwa 100 km entfernten Ochtrup gefahren, wenn nicht seine Familie dort gewesen wäre und er sie nicht hätte nach Hause zurückbringen wollen.
Die Kläger haben gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Sie sehen den Versicherungsschutz H's. vor allem darin begründet, daß er seinen Arbeitsort, den er habe frei wählen dürfen, während des Wochenendes nach Ochtrup verlegt und damit eine im Interesse der Dienststelle liegende Maßnahme getroffen habe. Das LSG hat durch Urteil vom 4. Dezember 1962 die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt: Auf der Rückfahrt von Ochtrup nach Dortmund hätte H. unter Versicherungsschutz allenfalls dann gestanden, wenn er die Wohnung seines Schwiegervaters über das Wochenende zum 19. Mai 1957 aufgesucht hätte, weil dort für die Fertigstellung seines dringlichen Referats günstigere Arbeitsbedingungen als in Dortmund bestanden hätten. Das sei jedoch nicht der Fall gewesen. Wenn H. in Ochtrup auch ungestört habe arbeiten können, so sei ihm doch allein durch die Reise im Auto und durch das Zusammensein mit der Familie Zeit für die Arbeit verlorengegangen. Es hätte im Interesse der rechtzeitigen Fertigstellung des Referats daher eher gelegen, wenn H. in Dortmund geblieben wäre. Da er am Sonntag schon in den frühen Nachmittagsstunden wieder zur Rückfahrt nach Dortmund aufgebrochen sei, könne bei seinem nur etwa 24-stündigen Aufenthalt in Ochtrup nicht so viel Zeit auf seine berufliche Arbeit entfallen sein, daß es sich ihretwegen gelohnt hätte, nach Ochtrup zu fahren. Es sei vielmehr anzunehmen, daß H. über das Wochenende in Dortmund geblieben wäre, wenn er sich nicht hätte um seine Familie bemühen wollen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist den Klägern am 22. Dezember 1962 zugestellt worden. Sie haben hiergegen am 21. Januar 1963 Revision eingelegt und diese gleichzeitig wie folgt begründet: Die Auffassung des LSG, H. sei im privaten Interesse nach Ochtrup gefahren, werde dem wirklichen Sachverhalt nicht gerecht. Die Eilbedürftigkeit der ihm aufgetragenen Ausarbeitung des Referats habe ihn gezwungen, sich damit auch während des Wochenendes zu beschäftigen, wobei ihm freigestanden habe, wo er die Arbeit ausführte. Da er den größten Teil seines Aufenthaltes in Ochtrup während des Wochenendes mit der Erfüllung seines dienstlichen Auftrages verbracht habe, müsse die Wohnung seines Schwiegervaters als selbst gewählter Arbeitsort anerkannt werden. Mindestens sei anzunehmen, daß die Fahrt nach Ochtrup auch im dienstlichen Interesse unternommen worden sei. Das LSG habe nicht ausreichend gewürdigt, daß H. in Dortmund nicht so ungestört habe arbeiten können wie in Ochtrup, weil er wegen der Abwesenheit seiner Ehefrau zu Hause keine Pflege gehabt habe.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 4. Dezember 1962, das Urteil des SG Münster vom 4. November 1958 und die Bescheide der Beklagten vom 24. September 1957, 3. April 1958 und 27. Mai 1958 aufzuheben und den Anspruch auf Hinterbliebenenrente gemäß § 586 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie pflichtet den Ausführungen des angefochtenen Urteils bei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - - SGG -).
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); auch die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind gegeben. Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet.
Die Entscheidung über den Anspruch der Kläger auf die Hinterbliebenenrente hängt davon ab, ob die Fahrt, auf der H. am 19. Mai 1957 mit dem Kraftwagen tödlich verunglückt ist, in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit gestanden hat. Der erkennende Senat hat dies in Übereinstimmung mit dem LSG verneint. Nach den das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils (§ 163 SGG) befand sich H. im Zeitpunkt des Unfalls mit seiner Familie auf der Heimfahrt von einem Besuch bei seinem Schwiegervater in Ochtrup nach Dortmund. Er hatte sich in Ochtrup am Wochenende zum 19. Mai 1957 während eines etwa 24-stündigen Aufenthalts dort mit der Ausarbeitung eines dringlichen Referats beschäftigt, nachdem er schon vorher in Dortmund daran gearbeitet hatte und am Wochenende - Sonnabend gegen Mittag - mit den Unterlagen nach Ochtrup, wo sich seine Familie seit einer Woche befand, gefahren war. Bei diesem Sachverhalt hat das LSG mit Recht verneint, daß H. diese Reise nach Ochtrup deshalb unternommen habe, weil sein Aufenthalt bei seinen Angehörigen der rechtzeitigen Fertigstellung des Referats förderlich gewesen wäre und daher seiner versicherten Tätigkeit wesentlich gedient hätte. Der Umstand, daß H. bei der Art seiner beruflichen Arbeit als Presse- und Propaganda-Referent einer politischen Partei überhaupt und insbesondere bei der Ausarbeitung eines Referats im allgemeinen nicht auf einen bestimmten Arbeitsort angewiesen und in der Einteilung seiner Arbeitszeit frei war, rechtfertigt entgegen der Ansicht der Revision nicht die Annahme, daß die an einem solchen beliebigen Ort ausgeübte berufliche Tätigkeit ohne weiteres den Versicherungsschutz für den Aufenthalt und die diesen ermöglichenden Fahrten nach sich gezogen habe. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, könnte in Fällen einer derartigen Beschäftigungsweise der Versicherungsschutz nur unter der Voraussetzung begründet sein, daß der jeweilige Aufenthaltsort aus Gründen gewählt wird, die im wesentlichen Interesse der Arbeit liegen. Hierfür genügt es nicht, daß die Ausführung eines Arbeitsauftrags an einem berechtigterweise frei gewählten Ort stattfindet, weil dies den persönlichen Interessen des Beschäftigten entgegenkommt. Zu Unrecht meint daher die Revision, H. sei während seines Aufenthalts in Ochtrup schon deshalb geschützt gewesen, weil er den größten Teil dieser Zeit der Erfüllung seines dienstlichen Auftrages gewidmet habe. Aber auch der Umstand, daß H. in der Wohnung seines Schwiegervaters Gelegenheit zu ungestörter Arbeit gehabt habe, vermag nicht den Versicherungsschutz zu begründen. Es mag sein, daß es für H. eine persönliche Unbequemlichkeit bedeutete, an den Tagen, als er allein in der Wohnung in Dortmund war, ohne häusliche Pflege gewesen zu sein. Daß damit aber, wie die Revision meint, eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Arbeitsleistung verbunden gewesen wäre, ist bei natürlicher Betrachtung des Geschehens zu verneinen. Dies hat auch das LSG zutreffend zum Ausdruck gebracht. Es tritt der Schlußfolgerung der Kläger, daß die berufliche Arbeit H's. den Zweck seines Aufenthaltes in Ochtrup und die damit zusammenhängenden Fahrten von und nach Dortmund in einem rechtlich ins Gewicht fallenden Maße bestimmt habe, mit Recht unter Hinweis auf die günstigeren Arbeitsbedingungen in Dortmund und vor allem auf die von der Revision eingeräumte Dringlichkeit des damaligen fristgebundenen Arbeitsauftrags entgegen. Es liegt auf der Hand, daß es für H. im Interesse einer zweckvollen Ausnützung der für die Ausarbeitung des Referats ohnehin knapp bemessenen Zeit dienlicher gewesen wäre, wenn er die immerhin zeitraubende Reise nach dem etwa 100 km von Dortmund entfernten Ochtrup mit den unvermeidbaren familiären Ablenkungen unterlassen hätte und statt dessen auch über das Wochenende in Dortmund geblieben wäre. Im übrigen hat die Revision selbst nicht näher dargetan, daß H. der Hilfe seiner Ehefrau in familiärer Beziehung bedurft hätte, um das Referat rechtzeitig zu schaffen. Es ist auch sonst kein Grund ersichtlich, der die Annahme rechtfertigen könnte, H. sei am 18. Mai 1957 wegen einer beruflichen Aufgabe nach Ochtrup gefahren. Waren sonach damals dienstliche Gründe für einen Arbeitsaufenthalt H's. in Ochtrup nicht von ausschlaggebender Bedeutung, so konnte auch die Rückfahrt nach Dortmund nicht mit der versicherten Tätigkeit H's. in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang stehen. Bei diesem Ergebnis läßt sich entgegen der Meinung der Revision der Versicherungsschutz H's. auch nicht unter Berücksichtigung der in der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 31. August 1956 (BSG 3, 240) entwickelten Grundsätze herleiten, da die Fahrt H's. auch nicht gleichzeitig, d. h. neben dem unversicherten Zurückbringen der Familie nach Dortmund, seiner versicherten Tätigkeit wesentlich diente.
Hiernach war der Unfall, der H. auf dieser Fahrt zugestoßen ist, nicht als Arbeitsunfall zu werten.
Die Hinterbliebenenansprüche sind daher von der Beklagten zu Recht abgelehnt worden.
Die Revision ist somit als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen