Leitsatz (amtlich)

Ein vor Einführung der Reichsarbeitsdienstpflicht abgeleisteter freiwilliger Dienst in der Landespolizei kann nicht als Ersatzzeit nach RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 angerechnet werden.

 

Normenkette

RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; BVG § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Buchst. i; RArbDGDV 2 Art. 2 Fassung: 1935-10-01

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 11. Juli 1973 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht die Anerkennung der Zeit vom 2. Mai 1935 bis zum 30. September 1935 als Ersatzzeit abgelehnt hat. Der im Jahre 1915 geborene Kläger ist am 2. Mai 1935 als Freiwilliger bei der Landespolizei in C. eingetreten. Nach seinen Angaben wurde die Landespolizei im Herbst 1935 in die Wehrmacht eingegliedert. Bis zum 4. Oktober 1937 war er Soldat. Nach kurzfristiger Tätigkeit in dem erlernten Beruf als Sattler trat er am 1. Januar 1938 erneut in den Polizeidienst ein. Seit dem 1. Juli 1964 bezieht er als ehemaliger Polizeibeamter ein Ruhegehalt. Er ist noch erwerbstätig.

Im August 1969 beantragte der Kläger, seine verlorengegangenen Versicherungsunterlagen wiederherzustellen. Die Beklagte erteilte ihm darauf einen Bescheid zu seinem Versicherungsverhältnis, in welchem es ua heißt: "Die Zeit vom 2. Mai 1935 bis zum 30. September 1935 kann nicht als Ersatzzeit gewertet werden, weil sie nicht aufgrund einer gesetzlichen Dienstpflicht geleistet wurde". Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 1971 zurückgewiesen.

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg mit Urteil vom 15. Dezember 1972 unter Abänderung der angefochtenen Bescheide festgestellt, daß die vom Kläger geleistete Dienstzeit vom 2. Mai 1935 bis zum 30. September 1935 eine anrechenbare Ersatzzeit im Sinne des § 1251 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ist. Zur Begründung führte das SG an, nach Art 2 der Zweiten Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Reichsarbeitsdienstgesetzes vom 1. Oktober 1935 (RGBl I 1215) habe die Arbeitsdienstpflicht als erfüllt gegolten, weil der Kläger vor dem 1. Oktober 1935 den angegebenen Dienst in der Landespolizei verrichtet habe. Auf die von der Beklagten gegen das Urteil eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen mit Urteil vom 11. Juli 1973 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nach Ansicht des LSG kann die Dienstzeit bei der Landespolizei vom 2. Mai bis zum 30. September 1935 nicht als Ersatzzeit gewertet werden, weil der Dienst nicht aufgrund einer gesetzlichen Dienst- oder Wehr*-pflicht geleistet worden ist und die Beklagte die Zeit vom 1. Oktober 1935 bis zum 4. Oktober 1937 als Ersatzzeit anerkannt habe. Die Wehrpflichtzeit des Klägers habe nur zwei Jahre betragen. Nicht ausgeschöpft sei beim Kläger lediglich die im Reichsarbeitsdienst (RAD) zurückzulegende Dienstpflichtzeit, die auf die Dauer eines halben Jahres festgelegt gewesen sei ( § 3 Abs 1 des RAD-Gesetzes vom 26. Juni 1935 - RGBl 1935, 769 - in Verbindung mit dem Führererlaß vom 27. Juni 1935 - RGBl 1935, 772 -). Eine Anrechnung der vom 2. Mai bis zum 30. September 1935 freiwillig geleisteten Polizeidienstzeit auf die gesetzliche Dienstzeit im RAD, der gemäß § 3 Abs 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) als militärähnlicher Dienst anzusehen sei, sei aber nicht möglich. Wenn der Kläger auch zu dem Jahrgang gehöre, der ab Herbst 1935 habe zum RAD einberufen werden sollen und zum RAD offensichtlich nur deshalb nicht einberufen worden sei, weil bei ihm kraft besonderer Vorschrift wegen des vor dem 1. Oktober 1935 geleisteten Dienstes bei der Landespolizei die Arbeitsdienstpflicht als erfüllt gegolten habe, könne der Dienst in der Landespolizei dennoch nicht als aufgrund gesetzlicher Dienstpflicht geleistet angesehen werden. Weiter sei von Bedeutung, daß der Kläger, der am 1. Januar 1938 erneut in den Polizeidienst eingetreten und als Polizeibeamter im Jahre 1964 pensioniert worden sei, nach seinen eigenen Angaben am 2. Mai 1935 aus beruflichen Gründen, nicht aber im Hinblick auf die erwartete Einführung der Wehrpflicht freiwillig in die Landespolizei eingetreten sei. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.

Der Kläger macht mit der Revision geltend, er habe zu einem Jahrgang gehört, der verpflichtet gewesen sei, sechs Monate Dienst im RAD zu leisten. Er habe diesen Dienst nicht abzuleisten brauchen, weil er in der Zeit vom 2. Mai bis zum 30. September 1935 im Landespolizeidienst gestanden habe. Das habe auf Art 2 der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des RAD-Gesetzes vom 1. Oktober 1935 beruht und diese Vorschrift sei auf der Tatsache begründet, daß die Landespolizei eine paramilitärische Einrichtung gewesen sei, daß der Dienst bei der Landespolizei die RAD- und die Wehrdienst*-pflicht vorweggenommen habe. Der Kläger sei auch bei der Landespolizei rein militärisch ausgebildet worden.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Lüneburg vom 15. Dezember 1972 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Nach Ansicht der Beklagten ist die Revision aus zwei alternativen Gründen nicht begründet. Entweder man folge der Ansicht des 11. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 25. Mai 1973 (SozR Nr 53 zu § 55 SGG), dann sei die Klage als unzulässig abzuweisen, was allerdings nach Ansicht der Beklagten mit der neueren Rechtsentwicklung nicht im Einklang stehen würde, oder man müsse die Revision zurückweisen, weil sich aus Art 2 der Verordnung zur Durchführung des RAD-Gesetzes vom 1. Oktober nicht herleiten lasse, daß der in der Landespolizei vor dem 1. Oktober 1935 zurückgelegte Dienst "aufgrund gesetzlicher Dienstpflicht" geleistet worden sei.

 

Entscheidungsgründe

II

Die durch Zulassung statthafte Revision ist nicht begründet.

Die Beklagte hat es durch Bescheid vom 23. Juni 1970 abgelehnt, die Zeit vom 2. Mai 1935 bis zum 30. September 1935 als Ersatzzeit anzurechnen, weil es sich bei dieser Zeit nicht um eine Zeit militärischen oder militärähnlichen Dienstes im Sinne der §§ 2 und 3 BVG handelt, der aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehr*-pflicht oder während eines Krieges geleistet worden ist. Diesen Bescheid hat der Kläger angefochten. Die Anfechtung ist nicht mit einer Feststellungsklage im Sinne des § 55 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verbunden, wie aus dem Wortlaut der Urteilsformel des Urteils des SG fälschlicherweise geschlossen werden könnte, der Kläger erstrebt vielmehr eine Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung dessen, was von ihr im Bescheid ausdrücklich angelehnt worden ist. Diese Klage ist daher als Verpflichtungsklage anzusehen; Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen nicht.

Nach § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO werden für die Erfüllung der Wartezeit Zeiten des militärischen oder militärähnlichen Dienstes im Sinne der §§ 2 und 3 BVG, der aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehr*-pflicht oder während eines Krieges geleistet worden ist, als Ersatzzeiten angerechnet. Wenn der Kläger den Dienst in der Landespolizei nach Einführung der RAD-Pflicht am 1. Oktober 1935 deshalb freiwillig aufgenommen hätte, weil er dadurch von der bestehenden RAD-Pflicht befreit worden wäre, dann könnte in Erwägung gezogen werden, den freiwilligen Dienst in der Landespolizei dem in RAD aufgrund gesetzlicher Dienstpflicht geleisteten Dienst bei der Anwendung des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO gleichzustellen. Das kann jedoch dahingestellt bleiben, weil im vorliegenden Fall eine Zeit streitig ist, in der noch keine RAD-Pflicht bestand. Für diese Zeit, in der der Kläger den freiwilligen Dienst in der Landespolizei nicht wegen der Dienstpflicht im RAD abgeleistet haben kann, ist jedenfalls eine Gleichstellung des Landespolizeidienstes mit dem aufgrund gesetzlicher Dienstpflicht im RAD geleisteten Dienst nicht möglich. Zwar galt rückblickend gesehen nach Art 2 der Zweiten Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des RAD-Gesetzes vom 1. Oktober 1935 die Arbeitsdienstpflicht des Klägers auch durch den bereits vorher abgeleisteten Dienst in der Landespolizei als erfüllt, doch kann diese spätere gesetzliche Regelung, die während der streitigen Zeit noch nicht galt, den Entschluß des Klägers zum Eintritt in die Landespolizei nicht beeinflußt haben.

Der Kläger kann sich auch nicht auf die Entscheidung des BSG vom 1. März 1974 (SozR 2200 § 1251 Nr 3) berufen, wonach ein bis zum 30. September 1935, also vor Einführung der RAD-Pflicht geleisteter Dienst im Freiwilligen Arbeitsdienst (FAD) im Sinne des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO dem Dienst im RAD unter bestimmten Voraussetzungen gleichgestellt worden ist. Das Verhältnis der im FAD und RAD abgeleisteten Dienste ist ein anderes als das des vor dem Bestehen einer RAD-Pflicht in der Landespolizei abgeleisteten Dienstes zum Dienst im RAD. Der RAD baute auf dem FAD auf und ist am 1. Oktober 1935 praktisch aus dem FAD hervorgegangen. Zwischen der Landespolizei und dem RAD bestanden aber keine derartigen Gemeinsamkeiten, so daß daraus auch keine Gleichstellung bei der Anwendung des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO hergeleitet werden kann.

Da somit das LSG zu Recht entschieden hat, daß der freiwillige Dienst des Klägers in der hier streitigen Zeit vom 1. Oktober 1935 nicht als Zeit des militärischen oder militärähnlichen Dienstes im Sinne der §§ 2 und 3 BVG der aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehr*-pflicht während eines Krieges geleistet worden ist, angesehen werden kann, mußte die Revision des Klägers zurückgewiesen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651098

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