Leitsatz (amtlich)
Ein Kraftwagenfahrer ist schon bei einem Blutalkoholgehalt von 1,3 0/00 absolut fahruntüchtig (Weiterführung von BSG 1956-05-30 2 RU 311/55 = BSGE 3, 116; Anschluß an BGH 1966-12-09 gK 4 StR 119/66 = BGHSt 21, 157).
Leitsatz (redaktionell)
Neuer Grenzwert der Fahrtüchtigkeit durch Alkohol bei Kraftwagenfahrern: 1. Abwägung der Unfallursachen Trunkenheit und betriebsbedingte Übermüdung. Übermüdung.
2. Die auf Alkoholgenuß zurückzuführende Fahruntüchtigkeit eines Arbeitnehmers schließt den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung aus, wenn die Trunkenheit als die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen ist; ein Kraftwagenfahrer ist bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille unbedingt fahruntüchtig.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. Juli 1970 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger ist Gewerkschaftssekretär. Am 9. und 10. Mai 1968 fand in Saarbrücken ein Gewerkschaftskongreß statt, an dem der Kläger als Gastdelegierter teilnahm. Die Veranstaltung endete am 10. Mai 1968 gegen 14 Uhr. Um 16,10 Uhr trat der Kläger die Heimfahrt mit der Bundesbahn an. Während der Fahrt suchte er mit einigen Kollegen den Speisewagen auf; dabei trank er zum Abendessen auch Alkohol. Danach begab er sich in das Abteil zurück, um zu schlafen. Kurz nach 24 Uhr traf der Zug in Hannover ein. Der Kläger holte in der Operngarage seinen bei der Anreise am 8. Mai 1968 dort abgestellten Personenkraftwagen ab, um die Heimfahrt zu seiner Wohnung in E fortzusetzen. Bei der Fahrt auf der Bundesstraße (B) 3 kam er gegen 1 Uhr mit seinem Pkw etwa auf halber Strecke zwischen H und C auf gerader übersichtlicher Fahrbahn von der rechten Fahrbahnseite nach links ab und prallte auf einen links von dem etwa 2 m breiten Seitenstreifen stehenden Baum auf. Die B 3 ist an der Unfallstelle 7 m breit. Der Kläger, der nach seinen Angaben eingeschlafen war, zog sich bei dem Unfall erhebliche Verletzungen zu. Die gegen 2.10 Uhr im Krankenhaus entnommene Blutprobe ergab nach der Widmark-Methode eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,31 0 / 00 und nach der ADH-Methode eine BAK von 1,30 0 / 00 ; für den Unfallzeitpunkt errechnete sich daraus eine BAK von 1,44 0 / 00 . Wegen fahrlässiger Trunkenheit am Steuer wurde der Kläger zu einer Gefängnisstrafe von 2 Wochen verurteilt.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 26. November 1968 eine Entschädigung ab, da der Unfallversicherungsschutz wegen alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit ausgeschlossen sei; der Kläger sei durch die Alkoholbeeinflussung in seinem Wahrnehmungs- und Reaktionsvermögen derart beeinträchtigt gewesen, daß er nicht mehr in der Lage gewesen sei, sein Fahrzeug sicher zu führen.
Der Kläger hat gegen diesen Bescheid Klage erhoben.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 7. November 1969 den Bescheid vom 26. November 1968 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger aus Anlaß seines Unfalls zu entschädigen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei einer BAK von 1,44 0 / 00 sei der Kläger nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) noch nicht absolut fahruntüchtig gewesen. Deshalb könne nicht ohne weiteres angenommen werden, daß die durch Alkohol beeinflußte Fahrweise des Klägers die rechtlich allein wesentliche Unfallursache gewesen sei. Es bestehe allerdings kein Anhalt dafür, daß ein anderer Verkehrsteilnehmer an dem Unfallgeschehen mitgewirkt habe. Als betriebsbedingte wesentliche Ursache für das Zustandekommen des Unfalls sei aber die fast 8 Stunden dauernde eintönige Bahnfahrt anzusehen. Es sei deshalb nicht unwahrscheinlich, daß der Kläger auch im nüchternen Zustand allein infolge der durch berufliche Verrichtung eingetretenen Übermüdung die Herrschaft über den Pkw verloren hätte. Der Entschädigungsanspruch des Klägers sei danach begründet.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 21. Juli 1970 nach Vernehmung eines ärztlichen Sachverständigen das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger sei, da bei ihm eine BAK von 1,44 0 / 00 vorgelegen habe, im Unfallzeitpunkt absolut fahruntüchtig gewesen. Das BSG (BSG 3, 116) nehme zwar absolute Fahruntüchtigkeit für einen Kraftfahrer erst bei einer BAK von 1,5 0 / 00 an. Dieser Grenzwert lasse sich jedoch nicht mehr aufrechterhalten; die absolute Fahruntüchtigkeit beginne vielmehr bereits bei einer BAK von 1,2 0 / 00 , wie das LSG bereits 1965 entschieden habe (vgl. auch SGb 1966, 535). An dieser Rechtsprechung sei festzuhalten, obwohl der Bundesgerichtshof (BGH) den Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit - abweichend von der Empfehlung des Bundesgesundheitsamtes - erst bei einer BAK von 1,3 0 / 00 angenommen habe (BGHSt 21, 157 = NJW 1967, 116). Denn der BGH habe nur mit Rücksicht auf den im Strafrecht geltenden Grundsatz in dubio pro reo, der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gelte, den Grenzwert auf 1,3 0 / 00 angehoben.
Nach dem Beweis des ersten Anscheins sei die alkoholbedingte - absolute - Fahruntüchtigkeit des Klägers die rechtlich allein wesentliche Ursache für den Eintritt seines Unfalles gewesen. Diese Tatsache habe sich durch das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht entkräften lassen; denn andere Umstände, die als wesentliche Ursache oder Mitursache des Unfalls angesehen werden könnten und den Versicherungsschutz des Klägers hätten erhalten können, seien nicht zu ermitteln oder gar nachzuweisen gewesen. Der Kläger sei in einem ganz spitzen Winkel - d.h. langsam - von der rechten auf die linke Fahrbahn übergewechselt und habe zur Überwindung des linken Seitenstreifens von nur 2 m Breite mehr als 33 m benötigt. Dies allein spreche schon für die Behauptung des Klägers, daß er tatsächlich am Steuer eingeschlafen sei. Nach den Erfahrungen der gerichtsmedizinischen Institute sei das Abkommen nach links typisch für das Einschlafen. Insoweit sei deshalb der Feststellung des SG zu folgen, daß das Einschlafen ursächlich für das Zustandekommen des Unfalls gewesen sei. Daß dieses Einschlafen auf betriebsbedingte Umstände zurückzuführen sei, lasse sich nicht nachweisen. Die fünfstündige Teilnahme am Kongreß und die achtstündige Bahnfahrt könnten für den Kläger wohl anstrengend, aber nicht die Ursache für das Einschlafen gewesen sein; denn sie seien wiederholt durch Ruhepausen unterbrochen worden. So habe der Kläger selbst vorgetragen, daß er nach dem Abendessen in seinem D-Zug-Abteil geschlafen und sich beim Eintreffen in H und beim Antritt seiner Weiterfahrt mit dem Pkw frisch gefühlt habe. Dem SG könne auch nicht zugestimmt werden, eine Bahnfahrt durch stundenlanges monotones Rattern der Räder und den Wechsel der Landschaftsbilder ermüde so, daß darauf ein Einschlafen am Steuer zurückzuführen sei. Der Kläger sei nicht allein im Coupé gewesen, sondern zusammen mit Kollegen gefahren. Durch die zwanglose Unterhaltung könne auch nicht der Wechsel der Landschaftsbilder auf den Kläger eingewirkt haben, zumal da ein erheblicher Teil der Fahrt auch im Dunkeln abgelaufen sei. Es komme hinzu, daß nach den Erfahrungen des täglichen Lebens der Nüchterne und natürlich Ermüdete mindestens schon nach den ersten Müdigkeitserscheinungen eine Pause einlege, während der durch Alkohol Ermüdete typischerweise - wie hier der Kläger - stets weiterfahre. Allenfalls sei - sofern sie unterstellt werde - die betriebsbedingte Müdigkeit durch die infolge Alkoholgenusses eingetretene absolute Fahruntüchtigkeit derart in den Hintergrund gedrängt worden, daß sie als erwiesene wesentliche Ursache oder Mitursache für das Einschlafen nicht in Betracht komme. Auch eine Verstärkung der Müdigkeit durch die Einnahme von Medikamenten könne, wie der ärztliche Sachverständige dargelegt habe, nicht eingetreten sein, da die vom Kläger benutzten Medikamente keine beruhigende Wirkung hätten. Außer der absoluten Fahruntüchtigkeit des Klägers seien irgendwelche anderen Ursachen am Zustandekommen des Unfalls nicht erwiesen. Für den Eintritt des Unfalls sei der Alkoholgenuß die allein rechtlich wesentliche Ursache gewesen, so daß der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und wie folgt begründet: Das LSG habe den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt. Es treffe zwar zu, daß bei dem Kläger eine BAK von 1,44 0 / 00 festgestellt worden sei. Die Alkoholbeeinflussung sei zwar eine rechtserhebliche Teilursache für das Unfallgeschehen gewesen. Das LSG habe jedoch der - betriebsbedingten - Übermüdung, die auf der Teilnahme an dem zweitägigen Kongreß beruht habe, nicht genügend Beachtung gewidmet. Auslösende Ursache des Unfalls sei zweifellos das Einschlafen am Steuer gewesen. Zu Unrecht habe das LSG jedoch nur die betriebliche Belastung des Klägers am Unfalltag berücksichtigt. Es gehe nicht allein darum, was sich in den Stunden vor dem Unfall abgespielt habe, vielmehr sei der Gesamtzusammenhang der letzten Tage vor dem Unfall zu beachten. Erfahrungsgemäß seien insbesondere mehrtägige Fachveranstaltungen geeignet, eine besondere Schwächung der Kraftreserven der Teilnehmer herbeizuführen. Am Ende solcher Tagungen machten sich Ermüdungserscheinungen bemerkbar, so daß es oft mehrerer Ruhetage bedürfe, um neue Reserven für weitere Arbeit anzusammeln. In einem solchen Erschöpfungszustand habe sich der Kläger im Unfallzeitpunkt befunden. Wäre das LSG den Besonderheiten des Falles nachgegangen, hätte sich ergeben, daß neben der alkoholbedingten Ursachenreihe die betriebsbedingte Komponente durchaus gleichwertig zu berücksichtigen gewesen sei. Die Würdigung aller Umstände müsse zu dem Ergebnis führen, daß sowohl der Alkoholgenuß als auch die betriebsbedingte Übermüdung für das unwiderstehliche Schlafbedürfnis des Klägers maßgebend gewesen seien.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die - zulässige - Revision ist nicht begründet.
Bei der Prüfung, ob der Kläger auf seiner Dienstreise auch noch im Unfallzeitpunkt nach § 548 der Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Versicherungsschutz stand, ist das LSG zutreffend - in Übereinstimmung mit der vom erkennenden Senat seit seiner Entscheidung vom 30. Juni 1960 (BSG 12, 242) in ständiger Rechtsprechung vertretenen Ansicht - davon ausgegangen, daß die auf Alkoholgenuß zurückzuführende Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ausschließt, wenn sie die unternehmensbedingten Umstände derart in den Hintergrund drängt, daß sie als die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen ist.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die insoweit nicht angegriffen und deshalb für das BSG bindend sind (§ 163 SGG), lag bei dem Kläger im Unfallzeitpunkt eine BAK von 1,44 0 / 00 vor. Aufgrund seiner Auffassung (vgl. u.a. SGb 1966, 535 = Breithaupt 1966, 293), Kraftfahrer seien schon bei einer BAK von 1,2 0 / 00 absolut fahruntüchtig, hat das LSG absolute Fahruntüchtigkeit des Klägers angenommen. Es war von diesem Standpunkt ausgehend der Notwendigkeit enthoben, tatsächliche Feststellungen darüber zu treffen, ob sonstige Beweisanzeichen auf die Fahruntüchtigkeit des Klägers schließen lassen. Der erkennende Senat hatte deshalb zunächst zu entscheiden, ob das LSG den Kläger mit Recht als absolut fahruntüchtig erachtet hat.
Das LSG befindet sich mit seiner Ansicht, Kraftwagenfahrer seien bereits bei einer BAK von 1,2 0 / 00 absolut fahruntüchtig, in Übereinstimmung mit der im Gutachten des Bundesgesundheitsamtes "Alkohol bei Verkehrsstraftaten" (Kirschbaum-Verlag 1966, bearb. von Lundt und Jahn = Gutachten 1966) dargelegten Auffassung; es weicht jedoch von der Rechtsprechung des BGH ab, der Kraftwagenfahrer zunächst bei einer BAK von 1,5 0 / 00 als fahruntüchtig angesehen (vgl. u.a. BGH St 5, 168; 19, 243), in seinem Beschluß vom 9. Dezember 1966 (BGHSt 21, 157 = NJW 1967, 116) jedoch unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden hat, daß Kraftfahrer bei einer BAK von 1,3 0 / 00 unbedingt fahruntüchtig sind. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 30. Mai 1956 (BSG 3, 116) im Anschluß an die damals vorliegenden Entscheidungen des BGH (vgl. BGH St 5, 168 und NJW 1956, 21) und aufgrund der Darlegungen im Gutachten des Bundesgesundheitsamts "Blutalkohol bei Verkehrsstraftaten" (Borgmann, Kirschbaum-Verlag 1955, S. 6, 46) angenommen, ein Kraftfahrer sei jedenfalls dann fahruntüchtig, wenn bei ihm eine höhere BAK als 1,5 0 / 00 festgestellt worden ist. Das Bundesgesundheitsamt war in seinem Gutachten von 1955 (aaO S. 6, 46) zu dem Ergebnis gelangt, es seien keine wissenschaftlich begründeten Tatsachen bekannt, aufgrund deren angenommen werden könne, daß jenseits einer BAK von 1,5 0 / 00 noch Fahrtüchtigkeit bestehe.
Nach neueren Forschungsergebnissen, die in dem aus drei in den Jahren 1963 und 1965 erstatteten Teilgutachten bestehenden Gutachten des Bundesgesundheitsamtes - Gutachten 1966 - mitgeteilt worden sind, ist bei einer BAK von 1,0 bis 1,1 0 / 00 zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 0,15 0 / 00 jeder Kraftfahrer als fahruntüchtig anzusehen. Das Bundesgesundheitsamt hat aufgrund dieser Ergebnisse der Alkoholforschung empfohlen, den Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit für Kraftfahrer auf 1,2 0 / 00 festzusetzen. Der BGH ist dagegen, ausgehend von einem Grundwert von 1,1 0 / 00 und einem Sicherheitszuschlag von 0,2 0 / 00 , zu dem Ergebnis gelangt, daß Kraftfahrer bei einer BAK von 1,3 0 / 00 unbedingt fahruntüchtig sind (vgl. BGH St 21, 157 ff). Dem schließt sich der erkennende Senat aufgrund der vom BGH angestellten überzeugenden Erwägungen sowie im Interesse der Rechtsgleichheit an (ebenso u.a.: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 488 b I).
Der BGH (aaO) hat in Anknüpfung an das Gutachten 1966 dargelegt, die BAK, bei der ohne weitere Prüfung des Fahrverhaltens im Einzelfall bei jedem Kraftfahrer Fahruntüchtigkeit vorliege, sei mit dem Wert anzunehmen, der an der oberen Grenze liege, bei der erfahrungsgemäß verkehrsgefährdende Leistungsminderungen und Persönlichkeitsveränderungen beständen. Nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen bleibe aber die Möglichkeit offen, daß jene Minderungen und Veränderungen erst bei einer BAK von 1,1 0 / 00 aufträten, sei es, weil eine besondere Fahrbefähigung im Einzelfall gegeben sei, die sich auch auf eine solche unter Alkoholeinfluß auswirke, sei es, weil eine besondere individuelle Alkoholverträglichkeit vorliege. Unter diesen Umständen müsse der dem Kraftfahrer günstigste Wert der unbedingten Fahruntüchtigkeit zugrunde gelegt werden. Mithin sei von einem Grundwert von 1,1 0 / 00 auszugehen, da bei dessen Vorliegen nach den - verbindlichen - wissenschaftlichen Erkenntnissen jeder Kraftfahrer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alkoholbedingte Leistungsminderungen und Persönlichkeitsveränderungen aufweise, die seine Fahruntüchtigkeit bedingten. In der Frage, welcher Sicherheitszuschlag dem Grundwert hinzuzurechnen sei, ist der BGH (aaO S. 162 ff) der Auffassung der Sachverständigen im Ausgangspunkt gleichfalls beigetreten. Er hat im Einklang mit den gutachtlichen Ausführungen hervorgehoben, daß dem Gesichtspunkt der individuellen Alkoholverträglichkeit sowie dem Wirkungsunterschied des Alkohols bei gleicher BAK während und nach dem Ende des Alkoholübergangs ins Blut bei der Bemessung des Grundwerts auf 1,1 0 / 00 bereits Rechnung getragen ist. Ein Sicherheitszuschlag zum Ausgleich möglicher Fehlerquellen und Ungenauigkeiten bei der Berechnung der BAK auf die Tatzeit (Rückrechnung) komme nicht in Betracht, da die Frage, von welcher BAK an jeder Kraftfahrer mit Sicherheit fahruntüchtig sei, begrifflich von der Frage zu trennen sei, ob der jeweils vom Sachverständigen im Wege der Rückrechnung ermittelte Wert dem "wahren" Wert entspreche. Dem Gutachten 1966 sei aus diesen Gründen darin zu folgen, daß bei der Bemessung des Sicherheitszuschlages nur noch die Fehlergrenzen der üblichen Alkoholbestimmungsverfahren, nicht aber die sonstigen Faktoren von Bedeutung seien, die der BGH in seiner früheren Rechtsprechung (vgl. BGH St 13, 83, 85) bei dem von ihm für notwendig erachteten Ausmaß des Sicherheitszuschlags (von 0,5 0 / 00 ) berücksichtigt gehabt habe. Der von der Gutachterkommission errechnete Sicherheitszuschlag von 0,15 0 / 00 reiche allerdings nicht ganz aus. Das dritte Teilgutachten enthalte sich einer eindeutigen Stellungnahme dazu, ob alle Untersuchungsstellen, vor allem auch kleinere in ländlichen Bezirken, die nur gelegentlich zu Blutalkoholbestimmungen herangezogen würden und sich hinsichtlich ihrer Erfahrungen und ihrer personellen, räumlichen und technischen Ausstattung nicht mit den Universitätsinstituten vergleichen ließen, die im Kontrollversuch an die Zuverlässigkeit der Blutalkoholbestimmung gestellten Anforderungen erfüllten. Angesichts der einstweilen noch bestehenden Unzulänglichkeiten in personeller und sachlicher Hinsicht sei es jedenfalls geboten, den von der Gutachterkommission mit höchstens 0,15 0 / 00 errechneten Sicherheitszuschlag geringfügig zu überschreiten und mit 0,2 0 / 00 zu bemessen. Dies sei erforderlich, aber auch ausreichend, um jede nur mögliche Benachteiligung eines Kraftfahrers mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, wenn seine Fahruntüchtigkeit allein aufgrund der BAK festgestellt werde.
Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß zu der Annahme, daß das vom BGH gefundene Ergebnis, Kraftfahrer seien bei einer BAK von 1,3 0 / 00 unbedingt fahruntüchtig, schon als überholt zu betrachten wäre. Die Empfehlung des Gutachtens 1966 (vgl. S. 47), im Wege der Gesetzgebung das Alkoholdelikt in ein Formaldelikt umzuwandeln und das Führen eines Kraftfahrzeugs bereits bei einem "Gefahrengrenzwert" von 0,8 0 / 00 unter Strafe zu stellen, geht ausdrücklich davon aus, daß im Einzelfall eine Fahrunsicherheit nicht nachgewiesen zu werden brauche. Die Festlegung des "absoluten Grenzwerts" (vgl. Gutachten 1966 S. 35) wird folglich dadurch nicht berührt.
Die Festlegung eines absoluten Grenzwerts, d. h. einer BAK, von der an jeder Kraftfahrer ohne Rücksicht auf sonstige Beweisanzeichen als fahruntüchtig angesehen werden muß, kann nach der Auffassung des erkennenden Senats nur einheitlich vorgenommen werden; es ist deshalb entgegen der Ansicht des LSG für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung nicht ein niedrigerer Grenzwert für die unbedingte Fahruntüchtigkeit anzunehmen, als dies für den Bereich des vom Grundsatz "in dubio pro reo" beherrschten Strafrechts der Fall ist (vgl. Brackmann, aaO, S. 488 b I).
In Fortbildung seiner Rechtsprechung (BSG 3, 116) gelangt der erkennende Senat somit - auch im Interesse der Rechtseinheit - im Anschluß an BGHSt 21, 157 zu dem Ergebnis, daß Kraftwagenfahrer bei einer BAK von 1,3 0 / 00 unbedingt fahruntüchtig sind.
Das LSG hat danach im Ergebnis zutreffend angenommen, daß der Kläger bei einer BAK von 1,44 0 / 00 im Unfallzeitpunkt absolut fahruntüchtig war. Auch seiner Entscheidung, daß die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen ist und es infolgedessen an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis fehlt, ist nach der Lage des Falles beizupflichten. Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist der Kläger während der Fahrt am Steuer seines Pkw eingeschlafen und deshalb auf einen links neben dem - in seiner Fahrtrichtung gesehen - linken Seitenstreifen stehenden Baum aufgefahren. Eine neben dem Alkoholgenuß zum Einschlafen beitragende betriebsbedingte Übermüdung hat das LSG unter Berücksichtigung der Belastungen, denen der Kläger am 10.Mai 1968 - dem letzten Tag der Veranstaltung - ausgesetzt war, nicht für erwiesen erachtet.
Die Revision macht demgegenüber geltend, das LSG habe unter Verstoß gegen seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) keine Ermittlungen über die Belastung des Klägers an den dem Unfall vorausgehenden Tagen angestellt; erfahrungsgemäß seien mehrtägige Fachveranstaltungen geeignet, eine besondere Schwächung der Kraftreserven der Teilnehmer herbeizuführen; wäre das LSG den Besonderheiten des Falles nachgegangen, hätte sich ergeben, daß neben der alkoholbedingten Ursachenreihe eine betriebsbedingte Komponente - Ermüdungserscheinung als Folge der Teilnahme an der mehrtägigen Veranstaltung - durchaus gleichwertig als Unfallursache zu berücksichtigen sei.
Die Revisionsrügen greifen nicht durch. Der Senat verkennt nicht, daß gerade nach mehrtägigen Fachveranstaltungen bei vielen Teilnehmern eine - versicherungsrechtlich relevante - Übermüdung zu verzeichnen ist, die als Mitursache bei unter Alkoholeinfluß eingetretenen Verkehrsunfällen in Betracht kommen kann. Eine solche betriebsbedingte Übermüdung des Klägers hat jedoch das LSG zutreffend u.a. deshalb nicht angenommen, weil der Kläger bei Antritt der Fahrt mit dem Pkw nach seinen Angaben keine Müdigkeitserscheinungen verspürt, sich vielmehr frisch gefühlt habe und erfahrungsgemäß der nicht durch Alkoholeinwirkung und nüchtern Ermüdete mindestens schon nach den ersten Müdigkeitserscheinungen seine Fahrt ab- oder unterbreche, während der durch Alkohol Ermüdete typischerweise - wie der Kläger - stets weiterfahre (vgl. hierzu BGH in NJW 1970, 520). Letztlich kann aber dahinstehen, ob der Kläger auch durch die Teilnahme an der Veranstaltung ermüdet oder übermüdet war. Denn das LSG hat seine Entscheidung zusätzlich auch damit begründet, daß die betriebsbedingte Müdigkeit - sofern sie unterstellt werde - durch die infolge Alkoholgenusses eingetretene absolute Fahruntüchtigkeit derart in den Hintergrund gedrängt worden sei, daß sie als erwiesene wesentliche Mitursache für das Einschlafen und damit für das Zustandekommen des Unfalls nicht in Betracht komme. Diese wertende Beurteilung, gegen die keine durchgreifenden Rügen erhoben sind, ist nach der Lage des Falles zutreffend.
Das LSG hat daher mit Recht entschieden, daß der Kläger im Zeitpunkt seines Unfalls nicht unter Versicherungsschutz gestanden hat (§ 548 RVO).
Die Revision war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Im Einverständnis mit den Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 SGG).
Fundstellen
BSGE, 261 |
NJW 1973, 670 |
MDR 1973, 260 |