Leitsatz (amtlich)
1. Hat der Versicherungsträger die Beitragserstattung durch bindend gewordenen Bescheid auf einen Teil der erstattungsfähigen Beiträge beschränkt, so steht dieser Bescheid der Erstattung der restlichen Beiträge nicht entgegen (vergleiche BSG 1957-05-22 1 RA 132/55 = BSGE 5, 153-155 und BSG 1965-06-30 4 RJ 357/64 = SozR Nr 11 zu § 74 G 131).
2. Es bleibt offen, ob in einem solchen Fall die Erstattung von mehr als 59 Monatsbeiträgen ausgeschlossen ist.
Normenkette
AVG § 82 Abs. 7 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1303 Abs. 7 Fassung: 1957-02-23
Tenor
I. |
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Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen. |
II. |
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Auf die Revision der beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 1975 dahin abgeändert, daß die Beigeladene verurteilt wird, dem Kläger die Hälfte der für die Zeit von Oktober 1949 bis März 1954 entrichteten Invalidenversicherungs-Beiträge zu erstatten. |
Im übrigen wird die Revision der Beigeladenen zurückgewiesen.
III. |
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Die Beigeladene hat dem Kläger die Hälfte der ihm in allen Rechtszügen entstandenen Kosten zu erstatten. Im übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt. |
Tatbestand
Der im Jahr 1922 geborene Kläger war zunächst Arbeiter, später Angestellter bei der Deutschen Reichsbahn bzw. Deutschen Bundesbahn und wurde im Jahr 1954 als Bundesbahnbeamter übernommen. Für die Zeit von September 1940 bis März 1945 und von Oktober 1949 bis März 1954 wurden für ihn Beiträge zur Invalidenversicherung an die Beklagte, für die Zeit von Mai bis Juli 1954 Beiträge zur Angestelltenversicherung an die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) entrichtet. Im April 1957 beantragte er bei der BfA die "Rückzahlung der von mir geleisteten Beiträge in der Angestelltenversicherung". Die BfA sandte ihm eine vorgedruckte Erklärung, die u. a. auch den Satz enthielt, daß er keine weiteren Rentenversicherungsbeiträge entrichtet habe. Der Kläger sandte diese Erklärung unterschrieben an die BfA zurück.
Mit Bescheid vom 24. Mai 1957 entsprach die BfA dem Erstattungsantrag nach § 82 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) in Höhe von 63,60 DM. Der Bescheid wurde nicht angefochten.
Im Jahr 1972 beantragte der Kläger bei der Beklagten, seine Versicherungszeiten aufzunehmen und ihm hierüber eine Übersicht zu erteilen. Mit Bescheid vom 4. Mai 1973 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil wegen der Beitragserstattung durch die Beigeladene keine anrechenbaren Versicherungszeiten vorhanden seien.
Mit der Klage hat der Kläger beantragt, den Bescheid vom 4. Mai 1973 aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte und die BfA verpflichtet seien, die Invaliden- und die Angestelltenversicherungsbeiträge an ihn zurückzuerstatten, hilfsweise: den Bescheid vom 24. Mai 1957 aufzuheben. Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Klage abgewiesen.
Mit der Berufung hat der Kläger beantragt, das Urteil des SG abzuändern und den Bescheid der BfA vom 24. Mai 1957 aufzuheben, hilfsweise: die BfA zu verurteilen, auch die zur Invalidenversicherung geleisteten Beiträge zu erstatten. Das Berufungsgericht hat am 27. Juni 1975 erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 12. November 1974 teilweise abgeändert.
Die Beigeladene wird verurteilt, die vom Kläger an die Beklagte für die Zeiten vom 16. September 1940 bis 31. März 1945 und vom 30. Oktober 1949 bis 31. März 1954 entrichteten Beiträge zu erstatten.
Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Der Hauptantrag sei nicht begründet, weil der Bescheid vom 24. Mai 1957 bindend geworden sei und weder nach § 79 AVG noch nach § 1744 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aufgehoben werden könne. Hinsichtlich des Hilfsantrages, der eine einmalige Leistung im Sinn des § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) betreffe, sei die Berufung zulässig, weil wegen des engen Sachzusammenhanges zwischen Haupt- und Hilfsantrag ohnehin zu einem wesentlichen Teil dieselben rechtlichen Erwägungen vorzunehmen seien. Der Hilfsantrag sei auch begründet: Das Recht des Klägers zur freiwilligen Weiterversicherung sei durch den bindenden Bescheid vom 24. Mai 1957 entfallen. § 82 Abs. 7 AVG schließe nur Ansprüche aus Versicherungszeiten, nicht aber die Beitragserstattung aus.
Der Kläger und die Beigeladene haben Revision eingelegt.
Der Kläger trägt vor, der Bescheid der BfA sei nicht bindend geworden; die BfA habe gegen Treu und Glauben verstoßen.
Er beantragt,
unter Zurückweisung der Revision der Beigeladenen die Urteile der Vorinstanzen zu ändern und den Bescheid der BfA vom 24. Mai 1957 aufzuheben.
Die Beigeladene beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen sowie das angefochtene Urteil abzuändern und die Berufung des Klägers in vollem Umfang zurückzuweisen.
Sie führt aus: Die Beiträge von 1940 bis 1945 könnten schon nach dem Wortlaut des § 82 Abs. 1 AVG nicht erstattet werden. § 82 Abs. 7 AVG schließe aber auch die Erstattung der anderen Beiträge aus.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision des Klägers, mit der er den im Berufungsrechtszug gestellten Hauptantrag, nämlich die Aufhebung des Bescheides der BfA vom 24. Mai 1957 verfolgt, ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat mit Recht ausgeführt, daß der Bescheid bindend geworden ist. Der Kläger bezweifelt zwar die Bindungswirkung des Bescheides, gibt aber keine Gründe dafür an, warum die Vorschrift des § 77 SGG nicht eingreifen soll. Sein Hinweis auf Treu und Glauben - § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) - überzeugt nicht. Daß bindend gewordene Verwaltungsakte nur unter eingeschränkten Voraussetzungen geändert werden können, ist ein Gebot der Rechtssicherheit, das dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht widerspricht. Der Bescheid kann auch nicht nach § 79 AVG aufgehoben werden; insoweit schließt sich der Senat der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (SozR 2200 § 1303 Nr. 1; BSG 38, 207) an, wenngleich er die analoge Anwendung des § 79 AVG für nicht so fernliegend hält, wie es in den vorbezeichneten Entscheidungen dargetan ist. Die Voraussetzungen des § 1744 RVO sind nicht gegeben.
Die Revision des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen.
2. Die Revision der BfA, mit der sie die vom Berufungsgericht - entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers - angeordnete Pflicht zur Erstattung der Invalidenversicherungsbeiträge angreift, ist teilweise begründet. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Recht die Berufung auch insoweit als zulässig angesehen. Zwar wäre sie an sich nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG unzulässig (BSG 10, 186), weil die Beitragserstattung, eine Regelleistung der Rentenversicherung (§ 12 Nr. 4 AVG), in einem Betrag zu zahlen (§ 82 Abs. 1 AVG) und deshalb eine einmalige Leistung ist. Aber für den Fall, daß der mit der zulässigen Berufung verfolgte Anspruch vorgreiflich ist für einen selbständigen zweiten Anspruch, hinsichtlich dessen die Berufung unzulässig ist, hat das BSG in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes (vgl. BGHZ 35, 302, 305) die an sich unzulässige Berufung als zulässig angesehen (BSG 14, 280, 281; SozR Nr. 14 zu § 149 SGG; nicht veröffentlichtes Urteil vom 20. August 1974 - 4 RJ 101/73 -). Ein solcher Fall ist hier gegeben.
Der Anspruch auf Erstattung der Beiträge setzt - wie sich aus § 82 Abs. 1 AVG i. d. F. des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG - (insoweit durch das Rentenreformgesetz - RRG - nur redaktionell geändert) ergibt - das Nichtbestehen des Rechts zur freiwilligen (Weiter-) Versicherung voraus. Ist der Bescheid der BfA vom 24. Mai 1957 rechtmäßig, dann schließen er und die auf ihn gegründete - tatsächliche - Beitragserstattung u. a. das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung aus (§ 82 Abs. 7 AVG i. d. F. des AnVNG). Ist er rechtswidrig und wird er deswegen aufgehoben, so ist der Kläger wegen der Vorversicherungszeit zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt. Je nach der Entscheidung über den Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 24. Mai 1957 ist sonach der Anspruch auf Erstattung der Invalidenversicherungs- (IV)Beiträge begründet oder nicht.
Das LSG hat der sonach zulässigen Berufung mit Recht insoweit stattgegeben, als der Kläger von der BfA die Erstattung der Beiträge für die Zeit von Oktober 1949 bis März 1954 verlangt. Die Voraussetzungen des § 82 Abs. 1 AVG liegen, wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat, vor: Die Versicherungspflicht des Klägers ist mit der Übernahme in das Beamtenverhältnis entfallen. Der Kläger hat aufgrund des bindenden Bescheides vom 24. Mai 1957 kein Recht zur freiwilligen Weiterversicherung (§ 82 Abs. 7 AVG). Daß dieses Recht im Zeitpunkt der Antragstellung (April 1957) und der Bescheiderteilung bestand, weil der Kläger innerhalb von 10 Jahren während mindestens 60 Kalendermonaten Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung entrichtet hatte (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AVG i. d. F. des AnVNG), steht nicht entgegen. Die Rechtswirkungen des § 82 Abs. 7 AVG sind durch den bindenden Bescheid und die darauf erfolgte Erstattung unabhängig von der wahren Rechtslage eingetreten. Der Ausschluß von Ansprüchen aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten (§ 82 Abs. 7 AVG) betrifft nicht die Erstattung der restlichen Beiträge. Wenn § 82 Abs. 6 AVG die Beschränkung auf einen Teil der erstattungsfähigen Beiträge ausschließt, so bedeutet "andere Ansprüche" im Sinne des Abs. 7 der Vorschrift nach Auffassung des Senats nur solche Ansprüche anderer Art. Das Argument der BfA, wegen der Erstattung bestehe zwischen dem Kläger und den Versicherungsträgern kein Versicherungsverhältnis mehr, deshalb könne auch keine Leistung mehr gewährt werden, vermag deshalb nicht zu überzeugen. Auch wenn durch die Erstattung der Angestelltenversicherungs-Beiträge das Versicherungsverhältnis in allen übrigen Beziehungen beendet worden ist, so gilt dies nicht hinsichtlich der restlichen (nämlich IV-) Beiträge. So hat das BSG früher schon ausgeführt (BSG 5, 153, 155), ein bei der Erstattung nicht berücksichtigter Beitrag sei "gegebenenfalls nachträglich - zur Hälfte - zu erstatten", und an anderer Stelle (SozR Nr. 11 zu § 74 G 131): § 1303 RVO habe zwar eine Beitragserstattung nur aus den vor dem Währungsstichtag erbrachten Beiträgen gestattet, aber die versicherungsrechtlichen Ansprüche aus allen Beiträgen erlöschen lassen. Hiervon könne auch für eine unvollständige Erfüllung der Erstattungsschuld keine Ausnahme gemacht werden, u. U. sei jedoch eine Nachforderung begründet. Davon ausgehend ist die Erstattung der übrigen Beiträge auch nicht durch § 82 Abs. 5 AVG ausgeschlossen.
Da eine Beitragserstattung grundsätzlich nur bei einer Vorversicherungszeit von weniger als 60 Monaten möglich ist, könnte daran gedacht werden, auch in Fällen der vorliegenden Art Erstattungen auf die Beiträge für 59 Monate zu begrenzen; das braucht jedoch nicht entschieden zu werden, hier werden Beiträge nur für insgesamt 57 Monate erstattet.
Die Beigeladene ist für die Erstattung zuständig (BSG 11, 69). Die Beiträge für die Zeit vor dem 21. Juni 1948 können nicht erstattet werden, wie sich aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AVG ergibt. Insoweit ist die Berufung des Klägers unbegründet.
Auf die Revision der BfA war das angefochtene Urteil entsprechend abzuändern.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen