Orientierungssatz
Versicherungszeiten ohne Beitragsentrichtung nach fremden Recht - zurückgelegte Beitragszeiten iS von FRG § 15 Abs 1:
Eine versicherungspflichtige Beschäftigungszeit vom 1945-05-01 bis 1945-09-16 in der heutigen DDR, für die keine Beiträge geleistet worden sind, gilt auch als Beitragszeit gemäß FRG § 15 Abs 1 S 1, wenn die Rente nach FANG Art 6 § 6 Abs 2 umzustellen ist.
Normenkette
SVFAG § 1 Abs. 1, 7; FRG § 15 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-06-25, § 17 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25; FANG Art. 6 § 6 Abs. 2
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 31.10.1975; Aktenzeichen IV ANBf 92/69) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 31.10.1969; Aktenzeichen 9 AN 220/63) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 31. Oktober 1975 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob bei der dem Kläger zustehenden, nach Art 2 §§ 30 ff des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) umgestellten Rente eine weitere Beitragszeit vom 1. Mai bis 16. September 1945 nach Fremdrentenrecht zu berücksichtigen ist.
Der Kläger war mit Unterbrechung von September 1933 bis Juli 1948 an verschiedenen deutschsprachigen Bühnen als Schauspieler beschäftigt. Anschließend war er bis zum Jahre 1956 nur noch zeitweise als Tennis- und Sportlehrer tätig. Seinen im Januar 1962 gestellten Rentenantrag begründete er damit, daß er seit einem schweren Nervenzusammenbruch im Jahre 1954 nicht mehr arbeiten könne. Die Beklagte gewährte ihm daraufhin zunächst Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. Januar 1962 an (Bescheid vom 5. März 1963).
Mit der hiergegen erhobenen Klage machte der Kläger die Anrechnung zusätzlicher Versicherungs- und Ausfallzeiten geltend. Während des Klageverfahrens erkannte die Beklagte weitere Beitragszeiten an und gewährte dem Kläger ab 1. Januar 1962 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 17. September 1968). Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 21. Oktober 1969).
Nachdem das Landessozialgericht (LSG) während des vom Kläger angestrengten Berufungsverfahrens medizinische Gutachten über den Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit beim Kläger eingeholt hatte, berechnete die Beklagte die Rente unter Annahme eines vor dem 1. Januar 1957 eingetretenen Versicherungsfalles neu und berücksichtigte dabei die im Berufungsverfahren zusätzlich anerkannten Versicherungszeiten (Bescheide vom 12. Dezember 1973 und 26. März 1974).
Das LSG verpflichtete die Beklagte, die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Januar 1962 an unter Zugrundelegung eines im Jahre 1956 eingetretenen Versicherungsfalles festzustellen und hierbei über die in den Bescheiden vom 12. Dezember 1973 und 26. März 1974 angerechneten Beitragszeiten hinaus eine weitere Beitragszeit vom 1. Mai 1945 bis 16. September 1945 "nach Fremdrentenrecht rentensteigernd zu berücksichtigen". Im übrigen wies es die Berufung zurück und die Klage ab (Urteil vom 31. Oktober 1975). Es ging davon aus, daß der Bescheid vom 17. September 1968 Gegenstand des Klageverfahrens und die Bescheide vom 12. Dezember 1973 sowie 26. März 1974 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden seien (§§ 96 Abs 1, 153 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Aufgrund der im Berufungsverfahren gehörten ärztlichen Sachverständigen Dr. B und Dr. H habe die Beklagte zutreffend angenommen, daß der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit vor dem 1. Januar 1957 eingetreten sei. Die Beklagte sei deshalb auch gemäß § 79 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zum Erlaß der Neuberechnungsbescheide vom 12. Dezember 1973 und 26. März 1974 berechtigt und verpflichtet gewesen, da eine nach altem Recht unter Beachtung der Umstellungsvorschriften (Art. 2 § 6 iVm §§ 30 bis 40 AnVNG) berechnete Rente zu höheren Zahlbeträgen als bisher geführt habe. Die beiden Neufeststellungsbescheide seien lediglich insoweit rechtsfehlerhaft, als die Beklagte nicht eine Versicherungszeit vom 1. Mai bis 16. September 1945 angerechnet habe. In diesem Zeitraum sei der Kläger am Stadttheater in Zittau und am Waldtheater Oybin als Schauspieler angestellt gewesen. Diese Zeit müsse die Beklagte selbst dann anrechnen, wenn - wovon ausgegangen werde - damals keine Beiträge abgeführt worden sein sollten. Dies folge aus § 4 Abs 1 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG - FremdRG) vom 7. August 1953. Danach seien für die Rentenberechnung auch Versicherungszeiten zu berücksichtigen, die bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, zu denen auch die Versicherungsträger der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. der heutigen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gehörten (§ 1 Abs 2 und Abs 7 FremdRG), zurückgelegt worden seien. Die streitige Zeit sei nach dortigem Recht bei bloßer Glaubhaftmachung eines Beschäftigungsverhältnisses, von der hier ausgegangen werden dürfte, rentensteigernd anrechenbar. Diese Zeit sei zunächst nach Maßgabe der Vorschriften des Art 2 § 42 iVm Art 2 § 31 Abs 3 AnVNG zu berücksichtigen und sodann gemäß Art 6 § 6 Abs 2 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 umzustellen. Hierbei sei - unter Beachtung einer etwaigen Besitzstandswahrung im Sinne des Art 6 § 11 FANG - diese Zeit als Beitragszeit im Sinne des § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) anzurechnen. Da nach dem in der früheren sowjetischen Besatzungszone Deutschlands geltenden Recht diese Zeit als versicherungspflichtige, rentensteigernde Versicherungszeit behandelt werde, sei sie auch nach § 15 FRG als Beitragszeit zu behandeln (Hinweis auf Bundessozialgericht - BSG - in SozR Nr 16 zu § 15 FRG).
Der Kläger und die Beklagte haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Die Revision des Klägers ist - mangels Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist (§ 164 Abs 2 Satz 1 SGG) - durch Beschluß des Senats vom 1. November 1976 als unzulässig verworfen worden.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision eine Verletzung des § 15 FRG durch das Berufungsgericht.
Sie beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Berufung auch insoweit zurückzuweisen, als die Beklagte verurteilt worden ist, die Zeit vom 1. Mai bis 16 September 1945 als Beitragszeit nach Fremdrentenrecht rentensteigernd zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Das LSG ist ohne Rechtsfehler und von der Beklagten unbeanstandet davon ausgegangen, daß in den gemäß §§ 96 Abs 1, 153 Abs 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Rentenneufeststellungsbescheiden vom 12. Dezember 1973 und 26. März 1974 - im Hinblick auf den bereits im Jahre 1956 eingetretenen Versicherungsfall - die unter das FremdRG fallenden Zeiten nach Maßgabe der Vorschriften des Art 2 § 42 iVm Art 2 §§ 6, 31 AnVNG zu berücksichtigen sind. Es hat insoweit ausgeführt, daß die - von der Revisionsführerin ebenfalls nicht angefochtene - Beschäftigungszeit des Klägers vom 1. Mai bis 16. September 1945 nach dem in der früheren SBZ und in der heutigen DDR geltenden Recht auch ohne Beitragsentrichtung als versicherungspflichtige, rentensteigernde Versicherungszeit behandelt wird. Wie der erkennende Senat im Urteil vom 3. Oktober 1973 - 1 RA 37/73 - (SozR Nr 19 zu § 15 FRG) unter Bezugnahme auf BSGE 25, 20, 23 bereits entschieden hat, ist das Revisionsgericht an diese Rechtsauffassung gebunden, weil sie sich auf nicht revisibles Recht bezieht (§ 162 SGG, § 562 der Zivilprozeßordnung iVm § 202 SGG). Das LSG hat demzufolge auch zu Recht entschieden, daß die Zeit von Mai bis September 1945 gemäß § 4 Abs 1 Satz 1 FremdRG anrechenbar ist, weil sie eine vom Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 1 Abs 1 und 7 FremdRG) für die Rentenberechnung zu berücksichtigende Versicherungszeit im Sinne dieser Vorschrift betrifft.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision auch gar nicht. Sie meint nur, bei der im Anschluß an die Berechnung nach den Umstellungsvorschriften des AnVNG erneut gemäß Art 6 Abs 2 FANG durchzuführenden Umstellung der Rente sei eine Berücksichtigung der genannten Zeit auch als Beitragszeit im Sinne des § 15 Abs 1 FRG ausgeschlossen. Anders als das Berufungsgericht sieht die Beklagte in diesem Zusammenhang einen Rückgriff auf das jetzt in der DDR geltende Recht als mit den Bestimmungen des FRG nicht vereinbar an. Vielmehr dürfe bei der - für den Kläger gemäß § 17 Abs 1 Buchst. a FRG grundsätzlich in Betracht kommenden - Anwendung des § 15 Abs 1 FRG auf eine Beitragsleistung nicht verzichtet werden.
Dieser Ansicht kann unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht gefolgt werden. Ihr ist bereits der 11. Senat des BSG im Urteil vom 10. Dezember 1971 - 11 RA 64/71 - (SozR Nr. 16 zu § 15 FRG) entgegengetreten, wonach Beitragszeiten im Sinne des § 15 Abs 1 FRG selbst dann vorliegen können, wenn der Versicherte im Herkunftsland beitragsfrei gestellt war. Der erkennende Senat hat sich diese Rechtsauffassung bereits im Urteil vom 3. Oktober 1973 aaO zu eigen gemacht und in den beiden Entscheidungen vom 31. August 1977 - Az.: 1 RA 155/75 und 1 RA 87/76 - eingehend begründet, weshalb für ihn kein Anlaß besteht, die von der Beklagten bekämpfte Rechtsprechung des BSG aufzugeben. Danach hat das LSG zutreffend und im Einklang mit der aufgezeigten Rechtsprechung des BSG die im Rahmen einer gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne des § 15 Abs 2 Satz 1 FRG ohne Beitragsentrichtung als Versicherungszeit geltende Zeit vom 1. Juli bis 16. September 1945 in die Gleichstellungsvorschrift des § 15 Abs 1 Satz 1 FRG einbezogen.
Der Revision der Beklagten muß deshalb mit der genannten zeitlichen Einschränkung der Erfolg versagt bleiben, weil nach § 15 Abs 1 Satz 1 FRG nur die Berücksichtigung der vom Kläger nach dem 30. Juni 1945 zurückgelegten Versicherungszeit zulässig ist. Demgegenüber ist bei der vorab gemäß Art 2 § 42 AnVNG durchzuführenden Rentenumstellung eine Anrechnung nach § 4 Abs 1 FremdRG auch der nach dem 8. Mai 1945 liegenden Zeit möglich, wie aus § 1 Abs 6 und 7 FremdRG erhellt. Diese zeitliche Differenz durfte indes im Tenor des angefochtenen Urteils unbeachtlich bleiben, weil dort die Beklagte lediglich verpflichtet worden ist, eine weitere Beitragszeit vom 1. Mai bis 16. September 1945 "nach Fremdrentenrecht" rentensteigernd zu berücksichtigen und hierbei unter Einbeziehung der Besitzstandsvorschrift des Art 6 § 11 FANG die erst für die Zeit vom 1. Juli 1945 an zulässige Anrechnung nach § 15 Abs 1 FRG womöglich nicht zum Tragen kommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen