Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankengeld und Übergangsgeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ordnet eine Vorschrift das Ruhen eines Leistungsanspruchs wegen Hinzutritts eines weiteren Anspruchs an, so ruht der erste Anspruch nur bis zur Höhe des hinzutretenden Anspruchs selbst dann, wenn die Ruhensanordnung nicht ausdrücklich eine entsprechende Einschränkung (zB "insoweit") enthält.

2. Unentschieden bleibt, ob ausnahmsweise dann etwas anderes gilt, wenn der hinzutretende, das Ruhen bewirkende Anspruch seiner Art nach dazu bestimmt ist, den Lebensunterhalt des Berechtigten zu sichern und auch tatsächlich deckt.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Anspruch auf Krankengeld ruht nach RVO § 183 Abs 6 nur insoweit, als er das Übergangsgeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht übersteigt. Ein darüber hinausgehender Krankengeldspitzenbetrag ist daher von der Krankenkasse zu gewähren.

 

Normenkette

AVG § 14b Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1237b Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1974-08-07; AVG § 16 S. 3 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1239 S. 3 Fassung: 1974-08-07; AVG § 18 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1241 Fassung: 1974-08-07; AVG § 18b Fassung: 1974-08-07; RVO § 1241b Fassung: 1974-08-07; RehaAnglG § 39 Fassung: 1974-08-07; RVO § 183 Abs. 6 Fassung: 1974-08-07; BEKVB § 15 Abs. 13 Buchst. c Fassung: 1975-07-01

 

Verfahrensgang

SG Würzburg (Entscheidung vom 14.01.1976; Aktenzeichen S 5 An 39/75)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird die Beigeladene unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 14. Januar 1976 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 14. November 1974 bis 2. Januar 1975 Krankengeld in dem Betrag zu zahlen, der das von der Beklagten für die gleiche Zeit gewährte Übergangsgeld übersteigt.

Im übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Die Beigeladene hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, in welcher Höhe dem Kläger für die Zeit einer medizinischen Rehabilitation Barleistungen zu gewähren sind.

Der 1913 geborene Kläger, Angestellter einer Versicherungsbank und freiwillig weiterversichertes Mitglied der beigeladenen Ersatzkasse, ist seit 1968 von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung (AnV) befreit (Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG). Er erkrankte am 15. April 1974 arbeitsunfähig an einem Herzleiden und erhielt ab 27. Mai 1974 - Ablauf der Lohnfortzahlung - von der Beigeladenen Krankengeld im Betrag von täglich 59,- DM. In der Zeit vom 14. November bis 24. Dezember 1974 befand sich der Kläger auf Veranlassung und zu Lasten der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zu einem Heilverfahren im Herz- und Kreislaufzentrum Rotenburg/Fulda; er erhielt anschließend Schonung bis zum 2. Januar 1975.

Mit Bescheid vom 18. November 1974 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 14. November 1974 - Beginn des Heilverfahrens - Übergangsgeld von täglich 4,17 DM. Die Beigeladene stellte hierauf die Zahlung des Krankengeldes mit dem 13. November 1974 ein.

Die gegen den genannten Bescheid der Beklagten erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Würzburg mit der angefochtenen Entscheidung vom 14. Januar 1976 zurückgewiesen. In der Begründung heißt es, die Beklagte habe das Übergangsgeld auf Grund des § 18 Abs. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) idF des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 zutreffend berechnet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Übergangsgeld in Höhe des bis zum Beginn der Heilmaßnahmen bezogenen Krankengeldes. § 18 b AVG helfe nicht; er setze voraus, daß das Krankengeld aus einem pflichtversicherten Arbeitsentgelt zu errechnen gewesen sei. § 39 RehaAnglG betreffe nur den Fall, daß Übergangsgeld bereits nach altem Recht festzustellen gewesen sei. Für den Kläger ergebe sich die ihm ungünstige Rechtsfolge aus der Neufassung des § 16 AVG; danach ruhten Ansprüche des Versicherten gegen den Träger der Krankenversicherung voll, obschon die Regelung entfallen sei, daß der Rentenversicherungsträger dem Betreuten Barleistungen mindestens in Höhe seiner Ansprüche aus der Krankenversicherung gewähren müsse. Die Minderung der Barleistungen, die auf Grund der Bewilligung des Heilverfahrens nach neuem Recht eintrete, beruhe auf einer Lücke im RehaAnglG. Das Gericht halte sich jedoch bei mehreren sich anbietenden gleichwertigen Möglichkeiten der Lückenfüllung nicht für befugt, eine solche vorzunehmen; hierzu sei vielmehr der Gesetzgeber berufen. Wegen Ruhens der Leistungen aus der Krankenversicherung habe auch dem Hilfsantrag des Klägers auf Verurteilung der Beigeladenen zu Krankengeld nicht entsprochen werden können.

Der Kläger hat mit dem schriftlichen Einverständnis der übrigen Beteiligten die vom SG zugelassene Revision eingelegt. Er trägt vor, er sei durch das Inkrafttreten des RehaAnglG in einem unvertretbaren Maße benachteiligt. Die sich hieraus ergebende materielle Ungerechtigkeit habe der Gesetzgeber nicht erkannt und auch nicht gewollt. Die dem Grunde nach gegebene Leistungspflicht der Beigeladenen zur Zahlung von Krankengeld für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit lasse es seiner Auffassung nach nicht streitig sein, daß er für die Zeit des Heilverfahrens Anspruch auf den Unterschiedsbetrag zwischen Mindestübergangsgeld und satzungsmäßigem Krankengeld habe. Die bestehende Gesetzeslücke müsse entsprechend der Ansicht des Gesetzgebers durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geschlossen werden.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14. Januar 1976 abzuändern und unter Aufhebung des Bescheides vom 18. November 1974 die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Dauer des von der Beklagten durchgeführten Heilverfahrens einschließlich Schonzeit vom 14. November 1974 bis 2. Januar 1975 Übergangsgeld in Höhe des bis 13. November 1974 durch die Beigeladene zur Auszahlung gebrachten Krankengeldes zu gewähren bzw. hilfsweise die Beigeladene zu dieser Leistung entsprechend dem in erster Instanz bereits gestellten Antrag zu verpflichten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Auch sie ist der Ansicht, daß die Anwendung der Vorschrift des RehaAnglG für den Kläger ein unbilliges Ergebnis zeitigte. Sie ist mit dem SG der Auffassung, daß nur der Gesetzgeber Abhilfe schaffen könne.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Revision zurückzuweisen.

Sie sieht keine Notwendigkeit, eine Gesetzeslücke durch Richterrecht zu schließen. Die nicht zu leugnende Benachteiligung des Klägers finde ihr Äquivalent in dessen Befreiung von der Versicherungspflicht zur AnV und der hiermit verbundenen Beitragsersparnis.

Sämtliche Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung für einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision des Klägers ist zulässig und mit ihrem Hilfsantrag auch sachlich begründet.

Die Ansprüche des Klägers auf Barleistungen für die Zeit seines Aufenthalts und seiner ärztlichen Betreuung im Herz- und Kreislaufzentrum Rotenburg/Fulda ab 14. November 1974 auf Veranlassung und auf Kosten der Beklagten bestimmen sich nach den Vorschriften des am 1. Oktober 1974 in Kraft getretenen RehaAnglG (§ 45 Abs. 1 aaO i. V. m. Art 3 § 1 Abs. 1 des Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes - 20. RAG). Nach § 9 Abs. 1 RehaAnglG richten sich Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistungen eines Rehabilitationsträgers entsprechend den Grundsätzen der §§ 10 bis 20 dieses Gesetzes im einzelnen nach den für den Rehabilitationsträger geltenden besonderen Vorschriften. Die u. a. die medizinischen Maßnahmen zur Rehabilitation ergänzenden Leistungen der Beklagten umfassen nach §§ 14 b Abs. 1 Nr. 1, 17 Satz 1 AVG idF ebenfalls des RehaAnglG Übergangsgeld, wenn der bei ihr Versicherte (§ 13 AVG) während der Maßnahmen u. a. arbeitsunfähig ist; Übergangsgeld wird auch für eine ärztlich verordnete Schonungszeit im Anschluß an eine stationäre medizinische Maßnahme gewährt (§ 17 Satz 2 aaO). Der Kläger ist auf Grund früherer Beitragsleistung zur Beklagten für mehr als 60 Kalendermonate Versicherter im Sinne von § 13 Abs. 1 a Nr. 2 AVG. Nach den schlüssigen Feststellungen des SG war er auch während der medizinischen Rehabilitation in Rotenburg vom 14. November bis 24. Dezember 1974 arbeitsunfähig; hiervon gehen die Beteiligten im übrigen unstreitig aus. Die Berechnung des dem Kläger von der Beklagten demnach zu gewährenden Übergangsgeldes richtet sich nach § 18 AVG. Zu Recht hat das SG angenommen, daß die Beklagte das Übergangsgeld im konkreten Fall unter Anwendung von dessen Absatz 4 richtig auf 4,17 DM täglich für einen "sonstigen Betreuten" festgesetzt hat. Absatz 1 aaO - Festlegung auf 80 v. H. des entgangenen Regellohnes - gilt nur für vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Maßnahme versicherungspflichtig Beschäftigte; das war der Kläger nicht. Das Übergangsgeld des Klägers konnte auch nicht nach § 18 Abs. 2 AVG entsprechend der aktuellen Beitragsleistung bemessen werden, weil der Kläger nach den nicht angegriffenen Feststellungen des SG in den der Arbeitsunfähigkeit bzw. der Heilbehandlung vorausliegenden 12 Monaten keine freiwilligen Beiträge zur AnV geleistet hat. Das SG hat auch richtig erkannt, daß dem Kläger trotz des Umstandes, daß er von der Beklagten Übergangsgeld im Anschluß an Krankengeld zu beanspruchen hatte, § 18 b AVG nicht helfen kann. Weder hatte die Beigeladene bei dem dem Kläger bewilligten Krankengeld noch hatte die Beklagte bei der Berechnung des Übergangsgeldes nach § 18 Abs. 4 AVG ein Arbeitsentgelt des Klägers zugrunde zu legen; die Beigeladene hatte des Krankengeld gemäß § 507 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i. V. m. § 15 Abs. 8 ihrer Versicherungsbedingungen vom 1. Januar 1971 auf einen Vom Hundertsatz des - erhöhten - Höchstgrundlohns (§ 180 Abs. 1 RVO) festzusetzen; die Beklagte hatte das Übergangsgeld für den Kalendertag auf den 600. Teil der für Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrenze (§ 112 Abs. 2 AVG) festzulegen. Schließlicht trifft auch die Auffassung des SG zu, daß ein nach den bis zum 30. September 1974 geltenden Vorschriften erworbener Besitzstand - höhere Leistung - im Sinne von § 39 RehaAnglG vorliegend schon deswegen nicht zu wahren gewesen ist, weil für das von der Beklagten ab 14. November 1974 zu gewährende Übergangsgeld uneingeschränkt das neue Recht des RehaAnglG anzuwenden war.

Entgegen der Ansicht des SG ist die zur Berechnung des Übergangsgeldes in § 18 AVG getroffene Regelung nicht lückenhaft. Die Absätze 1 bis 3 unterscheiden zwischen den Gruppen der pflichtversicherten Arbeitnehmer, der freiwillig Versicherten, der pflichtversicherten Selbständigen sowie der Bezieher von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgeld. Absatz 4 aaO fängt die durch diese Regelungen nicht erfaßten Versicherten "als sonstige Betreute" auf. Eine planwidrige Unvollständigkeit läßt die Vorschrift nicht erkennen. Das SG meint allerdings, das Gesetz sei deswegen lückenhaft, weil es in Fällen der vorliegenden Art zu unbilligen Ergebnissen führe. Ob und unter welchen Umständen die Unbilligkeit einer gesetzlichen Regelung deren Lückenhaftigkeit annehmen läßt, braucht vorliegend nicht näher untersucht zu werden. Das SG und auch die Beigeladene haben nämlich übersehen, daß in Fällen der hier zu entscheidenden Art dem Versicherten neben dem Übergangsgeld gegen den Träger der Krankenversicherung noch Ansprüche auf Krankengeld zustehen und deshalb die dem Versicherten für die Zeit der medizinischen Rehabilitation zu erbringenden Barleistungen insgesamt nicht unbillig niedrig sind. Das ergibt sich aus folgendem:

Der Kläger ist, wie ausgeführt, seit seiner Erkrankung am 15. April 1974 auch über den 13. November 1974 hinaus arbeitsunfähig im Sinne des § 182 Abs. 1 Nr. 2 RVO. Da der Kläger als freiwilliges Mitglied der Beigeladenen die Beitragsklasse 521 mit Anspruch auf (höheres) Krankengeld gewählt hat (§ 7 Abs. 8 der Versicherungsbedingungen), stand ihm gegen die Beigeladene auch ab 14. November 1974 gemäß § 15 Abs. 8 der Versicherungsbedingungen ein Krankengeld von 59,- DM bzw.-ab 1. Januar 1975 - von 67,- DM täglich zu. Die Beigeladene bestätigt dies im Grundsatz; sie führt aus, der Anspruch des Klägers auf Krankengeld in dieser Höhe habe vom 14. November 1974 bis zum 2. Januar 1975 "geruht". Was nun die Frage des Ruhens dieses Anspruchs betrifft, so ist richtig, daß nach § 507 Abs. 4 i. V. m. § 183 Abs. 6 RVO, § 15 Abs. 13 c der Versicherungsbedingungen der Beigeladenen, § 16 Satz 3 AVG der Anspruch des Versicherten auf Krankengeld ruht, solange er von der Beklagten Übergangsgeld bezieht. Das SG und die Beigeladene haben indessen verkannt, daß der Anspruch des Versicherten gegen den Krankenversicherungsträger auf Krankengeld nach diesen Vorschriften nur bis zur Höhe des von der Beklagten zu gewährenden Übergangsgeldes ruht. Die gegenteilige, auf den Wortlaut der vorgenannten Vorschriften, insbesondere auf das Fehlen einer Einschränkung (z. B. "insoweit") verweisende Auffassung (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, S. 397; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil 2, § 183, Anm. 10, Buchst. c; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl., § 183, Anm. 18; Verbandskomm. zum 4. und 5. Buch der RVO; § 1239, Anm. 6; vgl. auch die Zitate im Urteil des BSG vom 9. Dezember 1976 - 2 RU 39/76) findet im Normzweck keine Stütze.

Das Runen stellt eine den Anspruch selbst nicht berührende Rechtsfolge gewisser gesetzlicher Tatbestände dar, deren Wirkung allgemein darin besteht, daß der Anspruch nicht mehr zahlbar ist. Bei einem Anspruch auf wiederkehrende Leistungen - wie dem Krankengeld - bedeutet dies, daß das Stammrecht unverändert bleibt, das Recht auf Auszahlung der jeweils fällig werdenden Einzelleistungen aber entfällt (BSGE 5, 4, 6; 7, 187, 191). Wird - wie vorliegend - das Ruhen des Anspruches wegen Zusammentreffens mit einem anderen gleichartigen Anspruch angeordnet (vgl. z. B. auch §§ 189, 1278, 1283 RVO; §§ 55, 60 AVG; § 65 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG), so verfolgt dies offenkundig den Zweck, die (volle) Kumulierung der beiden nebeneinander bestehenden Ansprüche zu verhindern, weil beide die gleiche Funktion - in der Regel Lohnersatzfunktion - haben und dies daher im Ergebnis auf eine Doppelleistung hinauslaufen würde (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgericht - BVerfG - vom 15.6.1971 in BVerfGE 31, 185, 189 = SozR Nr. 18 zu Art. 14 GG; BSG in SozR 4100 § 158 Nr. 1). In diesen Fällen der gesetzlichen Anordnung des Ruhens bei Zusammentreffen mehrerer gleichartiger Ansprüche mit gleicher Funktion folgt aus dem Normzweck - Verhinderung der Leistungshäufung -, daß kein Ruhen eintritt, soweit der zum Ruhen zu bringende Anspruch den hinzutretenden anderen Anspruch übersteigt. Wenn die das Ruhen anordnende Norm des Wörtchen "insoweit" verwendet, ist dies eine Klarstellung; fehlt es, so ist dies unschädlich, da sich die Anwendungsbreite der Norm bereits aus ihrem Zweck deutlich ergibt (im Ergebnis ebenso Zweng/Scheerer, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 2. Aufl., § 1239 RVO Anm. III 2). Träfe die Auffassung des SG und der Beigeladenen zu, so würde das Ruhen entgegen dem eindeutigen gesetzlichen Zweck nicht den Doppelbezug gleichartiger Sozialleistungen ausschließen, sondern einen unzweifelhaft gegebenen sozialrechtlichen Leistungsanspruch, bezüglich dessen der Versicherte zudem durch Leistung eigener Beiträge Anwartschaften "erdient" hatte, im Ergebnis zum Teil vernichten, ohne daß hierfür ein rechtfertigender Grund erkennbar wäre. Rechtfertigungsgrund kann nach der dargestellten Zweckbestimmung einer Ruhensanordnung nur sein zu vermeiden, daß der Leistungsberechtigte mehr erhält, als ihm die leistungsrechtlichen Vorschriften des Sozialrechts nach ihrem Grundgedanken - einer finalen Zweckbestimmung etwa - verschaffen wollen. Das bedeutet, daß der Leistungsberechtigte auch nach Anwendung der Ruhensvorschrift wirtschaftlich gesehen im Ergebnis zumindest so gestellt bleiben muß, wie er gestellt wäre, wenn der das Ruhen bewirkende weitere Leistungsanspruch nicht hinzugetreten wäre. Andernfalls würde derjenige, der nur einen Leistungsanspruch hat, wirtschaftlich besser gestellt sein als der, dem das Gesetz einen weiteren Leistungsanspruch einräumt. Eine solche wirtschaftliche Schlechterstellung des vom sozialen Leistungsrecht grundsätzlich mehrfach Begünstigten bezwecken gesetzliche Ruhensanordnungen aber offenkundig nicht; darüberhinaus läßt sich nicht annehmen, daß sie eine solche jeglicher Rechtfertigung entbehrende Schlechterstellung des mehrfach Begünstigten auch nur billigend in Kauf nähmen. Vielmehr erschöpft sich die Wirkung der Ruhensvorschrift darin, die nach Auffassung des Gesetzgebers unerwünschten Folgen einer solchen mehrfachen Begünstigung zu beseitigen; sie bezweckt dagegen nicht, den wirtschaftlichen Besitzstand zu verringern, den das Gesetz dem Berechtigten durch Zuerkennung eines Leistungsanspruchs bereits eingeräumt hatte.

Damit im Einklang hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 15. Juni 1971 aaO es lediglich als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen; wenn die eine sozialpolitisch unerwünschte Kumulierung zweier Versicherungsleistungen ausschließende Ruhensvorschrift dem Berechtigten - wirtschaftlich gesehen - die höhere Leistung beläßt. Auch eine verfassungskonforme Auslegung der hier einschlägigen, verstehend angeführten Ruhensvorschriften gebietet deshalb, ihre Anwendungsbreite im dargelegten Sinne zu beschränken. Es erübrigt sich somit eine Prüfung, inwieweit die Vorschriften anderenfalls eine öffentlich-rechtliche Vermögensposition entschädigungslos entzögen und damit gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 des Grundgesetzes (GG) verstießen (vgl. BVerfGE 11, 221, 226; 14, 288, 293; 22, 241, 243; BVerfG aaO).

Der vorliegende Fall bietet keinen Anlaß, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob ausnahmsweise etwas anderes dann gelten kann, wenn die zu einem Anspruch hinzutretende andere, das Ruhen bewirkende Leistung "ihrer Art nach dazu bestimmt ist, den Lebensunterhalt zu sichern" und auch "den Lebensunterhalt tatsächlich abdeckte" (Urteil des BSG vom 3. November 1976 - 7 RAr 104/75). Hiervon kann im vorliegenden Fall, in dem das zum Krankengeld hinzukommende Übergangsgeld nur ein kleines Taschengeld darstellt, keine Rede sein. Überdies hat das BSG aaO selbst für den von ihm entschiedenen Fall gegen die Ruhensvorschrift des § 118 Nr. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) schwerste verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet.

Mithin ruht auch im vorliegenden Fall das Krankengeld nur bis zur Höhe des hinzukommenden Anspruches des Klägers gegen die Beklagte auf Übergangsgeld. Der Kläger hatte demnach gegen die Beigeladene über den 13. November 1974 hinaus Anspruch auf das Krankengeld in der nach den Versicherungsbedingungen gegebenen Höhe, soweit es den Betrag von 4,17 DM täglich überschritt. Dies gilt auch für die Zeit nach dem Ende der medizinischen Maßnahmen vom 25. Dezember 1974 bis 2. Januar 1975 (Schonzeit). Die Beigeladene hat nämlich gegenüber dem Senat ausgeführt, daß der Anspruch des Klägers auf Krankengeld "für die Zeit vom 14. November 1974 bis zum 2. Januar 1975 ruhte", d. h. bis zum letztgenannten Zeitpunkt Arbeitsunfähigkeit vorlag.

Nachdem der Kläger im Schriftsatz vom 28. Juni 1977 klargestellt hat, daß er an seinem in der Vorinstanz gestellten Hilfsantrag auf Verpflichtung der Beigeladenen zur Leistung festhält, war die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils entsprechend zu verurteilen (§ 75 Abs. 5 SGG).

 

Fundstellen

BSGE, 226

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