Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufliche Rehabilitation. Gewährung von Zuschüssen zur Anschaffung eines Kraftfahrzeugs. Kumulierung von Zuschüssen
Orientierungssatz
1. Nach AVG § 13 Abs 3 bleibt die Verpflichtung und Zuständigkeit einer sonstigen durch Gesetz zur Rehabilitation verpflichteten Stelle, insbesondere der KOV, unberührt. Das bedeutet, daß die "Zuständigkeit" der anderen Stelle, insbesondere der KOV, neben der BfA weiterbesteht (Konkurrenzverhältnis).
2. Im Grundsatz muß davon ausgegangen werden, daß die finale auf die volle Überwindung der Folgen einer Behinderung ausgerichteten Normen der Rehabilitation die Kumulierung mehrerer Kostenzuschüsse bis zur Höhe der vollen Rehabilitation für zulässig, ja auf Grund ihrer Zwecksetzung sogar für erwünscht halten. Hiervon ist eine Ausnahme dann denkbar, wenn sich Zuschüsse zu einem Betrag kumulierten, der auf eine volle Kostenübernahme hinausläuft.
3. Die Gewährung eines Zuschusses ist kein einheitlicher, in sich geschlossener und nicht aufteilbarer Prozeß, der allein von einem einzigen Rehabilitationsträger erbracht werden könnte (so auch BSG 1977-08-31 1 RA 47/76).
Normenkette
AVG § 13 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1236 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; AVG § 14 Abs. 3 Buchst. c Fassung: 1957-02-23; RVO § 1237 Abs. 3 Buchst. c Fassung: 1957-02-23; RehaAnglG § 5 Abs. 2 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. März 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) dem Kläger einen Zuschuß zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges unter Berufung allein auf eine entsprechende Leistungsverpflichtung auch des Trägers der Kriegsopferversorgung (KOV) versagen durfte.
Der 1922 geborene Kläger, Angestellter einer Firma an seinem Wohnort, bezieht vom Versorgungsamt (VersorgA) ua wegen Versteifung und Bewegungseinschränkungen der Zehen rechts KOV nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 vH. Seit April 1975 ist er als Schwerbehinderter nach dem Schwerbehindertengesetz bei einer MdE von 60 vH anerkannt.
Im Juli 1974 kaufte sich der Kläger einen gebrauchten Pkw für knapp 8.000,- DM. Er beantragte hierauf zunächst beim VersorgA, dann aber auch bei der Beklagten, ihm einen Zuschuß zu den Anschaffungskosten zu gewähren, weil er den zwei km langen Weg von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte wegen seiner Behinderung am rechten Fuß nicht zurücklegen könne und ein öffentliches Verkehrsmittel nicht vorhanden sei.
Sowohl das VersorgA als auch die Beklagte lehnten den Antrag des Klägers ab, letztere mit dem streitigen Bescheid vom 29. Oktober 1974 in der Gestalt des bestätigenden Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 1975 mit der Begründung, sie sei im Hinblick darauf, daß der Kläger insbesondere aus der KOV eine entsprechende Hilfe zu beanspruchen habe, für die Gewährung eines Kostenzuschusses nicht zuständig.
Während der Kläger eine gegen den Ablehnungsbescheid des VersorgA erhobene Klage zurückgenommen hat, hat er seinen Anspruch gegen die Beklagte im sozialgerichtlichen Verfahren mit Erfolg betrieben. Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 28. Mai 1975 die Beklagte verpflichtet, über den Antrag des Klägers "sachlich zu entscheiden". Mit dem angefochtenen Urteil vom 25. März 1976 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Beklagten hiergegen als unbegründet zurückgewiesen. Es ist der Auffassung, die Beklagte komme als Rentenversicherungsträger ebenso wie die Versorgungsverwaltung zur Leistung von Rehabilitationsmaßnahmen in Betracht. Eine ausschließliche Zuständigkeit der Versorgungsverwaltung, kriegsbeschädigten Versicherten berufliche Hilfen zu gewähren, sei nirgends festgelegt. Insbesondere habe das Gesetz über die Angleichung der Leistungen der Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers nicht aufgehoben.
Das LSG hat gegen dieses Urteil die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat die Revision eingelegt. Sie trägt vor, § 13 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) stelle die Gewährung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation in das pflichtgemäße Ermessen des Versicherungsträgers. Sie, Beklagte, halte sich im Rahmen ihres Ermessens, wenn sie von Leistungen der hier in Frage stehenden Art gegenüber einem Personenkreis absehe, der primär von einem anderen Leistungsträger, der Versorgungsverwaltung, Leistungen beanspruchen könne. Das RehaAnglG habe das Kausalitätsprinzip, d. h. den Grundsatz, daß die Ursache der Behinderung über die Zuordnung eines einzelnen Behinderten zu einem Rehabilitationsträger entscheide, nicht beseitigt. Die BfA könne zwar Leistungen der hier in Frage stehenden Art erbringen, müsse es aber nicht. Die "Kann"-Vorschrift des § 13 AVG räume der Verwertung die Möglichkeit ein, den Einsatz ihrer finanziellen Mittel generell zu bestimmen und ihn damit sinnvoll zu steuern. Sie, Beklagte, habe bei ihrer Entscheidung, künftig von Zuschüssen für den genannten Personenkreis abzusehen, finanzpolitischen Notwendigkeiten Rechnung getragen. Sie stehe dabei mit der Grundauffassung des RehaAnglG in Übereinstimmung, das den Grundsatz der einheitlichen Trägerschaft ausspreche.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für richtig. Rehabilitationsmaßnahmen müßten unabhängig von der Ursache der Behinderung dem Zweck der Aufrechterhaltung der Erwerbsfähigkeit dienen.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung für einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 13 Abs 1 AVG in der bis zum Inkrafttreten des RehaAnglG am 1. Oktober 1974 geltenden, auf einen Fall der vorliegenden Art anzuwendenden Fassung (vgl. Entscheidung des erkennenden Senats von heute in der Sache 1 RA 47/76) kann die Beklagte in dem in § 14 AVG bezeichneten Umfang Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit gewähren, wenn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte gefährdet oder gemindert ist und sie voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann. Die Maßnahmen nach § 13 AVG erstrecken sich ua auf die berufliche Förderung (§ 14 Abs 1 AVG); die berufliche Förderung wiederum umfaßt ua die Hilfe zur Erhaltung der Arbeitsstelle (§ 14 Abs 3 Buchst c AVG). Die Beklagte selbst hat zutreffend vorgetragen, daß sie in Durchführung dieser Vorschriften sogenannte Kraftfahrzeughilfe in Form der Gewährung eines Zuschusses zu den Anschaffungskosten bewilligen kann, wenn der Versicherte wegen seiner Behinderung für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf die Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeuges angewiesen ist (vgl dazu § 19 der Rahmengrundsätze der BfA für die Gewährung von Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit von Versicherten und Rentnern bei allgemeinen Erkrankungen, DAngV 1967, 32 und Richtlinien der BfA für die Hilfe zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen für behinderte Versicherte und Rentner als Regelleistungen gemäß § 13 AVG, DAngV 1974, 362).
Entgegen der Ansicht der Beklagten gestattet es § 13 Abs 3 AVG nicht, Kraftfahrzeughilfe unter Hinweis darauf zu versagen, daß bereits der Träger der KOV verpflichtet sei, eine solche Hilfe zu gewähren. Es kann dahinstehen, ob der Beklagten im vorliegenden Fall ein solcher Vortrag nicht schon deswegen versagt ist, weil dem Kläger in einem - nach Rücknahme der Klage hiergegen - bindenden Bescheid im Sinne des § 77 SGG ein solcher Zuschuß abgelehnt worden ist und auch die Beklagte an die von diesem Bescheid ausgehende "Tatbestandswirkung" gebunden ist. Selbst dann aber, wenn mit der Beklagten davon auszugehen wäre, daß die von ihr behauptete - vorrangige - Zuständigkeit des Trägers der KOV bestünde, könnte sie unter Berufung hierauf einen Antrag der hier vorliegenden Art nicht ablehnen. Der erkennende Senat hat heute in der Sache 1 RA 47/76 bereits folgendes entschieden:
Zwar bleibe nach § 13 Abs 3 AVG die Verpflichtung und Zuständigkeit einer sonstigen durch Gesetz zur Rehabilitation verpflichteten Stelle, insbesondere der KOV, unberührt. Das bedeute indessen nur, daß die "Zuständigkeit" der anderen Stelle, insbesondere der KOV, neben der der Beklagten weiterbestehe (Konkurrenzverhältnis). Auch der Umstand, daß Ursache der Bewegungsbehinderung des Klägers - und damit der Notwendigkeit, sich zum Aufsuchen des Arbeitsplatzes eines Kraftfahrzeuges zu bedienen - eine Kriegsbeschädigung sei, begründe nicht eine ausschließliche Zuständigkeit des Trägers der KOV, die hier streitige Maßnahme der Berufsförderung zu gewähren. Selbst unterstellt, im Recht der Rehabilitation bestünde ein Kausalitätsgrundsatz in dem Sinne, daß sich die Zuständigkeit für die Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme an eine bestimmte Person - vorrangig - nach der Ursache richtete, auf der die Behinderung beruht, so könnte doch die Beklagte die Versagung eines Zuschusses hierauf nicht stützen. Es lasse sich nicht verkennen, daß die konkret streitige Maßnahme keine Volleistung, sondern nur eine Teilleistung der Rehabilitation sei. Die volle Rehabilitation bestünde in der kostenfreien Gestellung eines Kraftfahrzeuges. Selbst bei Gewährung eines Zuschusses durch die KOV in Höhe von höchstens 2.500,- DM bliebe bei dem vom Kläger für die Anschaffung eines Kraftfahrzeuges aufgewendeten Betrag - hier rd. 8.000,- DM - eine Leistungslücke offen, so daß ein Zuschuß der Beklagten sinnvoll hinzutreten könnte. Im übrigen könne es nicht im Plan von Rehabilitationsleistungen vorsehenden Normen liegen, diese von vornherein auf einer Höhe festzuschreiben, die unter dem Niveau der erreichbaren vollen Rehabilitation lägen. Im Grundsatz müsse davon ausgegangen werden, daß die final auf die volle Überwindung der Folgen einer Behinderung ausgerichteten Normen der Rehabilitation die Kumulierung mehrerer Kostenzuschüsse bis zur Höhe der vollen Rehabilitation für zulässig, ja auf Grund ihrer Zwecksetzung sogar für erwünscht halten. Hiervon sei eine Ausnahme dann denkbar, wenn sich Zuschüsse zu einem Betrag kumulierten, der auf eine volle Kostenübernahme hinausliefe. Es widerspreche nach allem dem Normzweck der §§ 13, 14 AVG aF, wenn die Beklagte unter Bezug auf ein Kausalitätsprinzip und eine hierauf gegründete Zuständigkeit der KOV den vom Kläger beantragten Kostenzuschuß versage. Daran ändere auch § 5 Abs 2 des RehaAnglG nichts; die Gewährung eines Zuschusses sei eben kein einheitlicher, in sich geschlossener und nicht aufteilbarer Prozeß, der allein von einem einzigen Rehabilitationsträger erbracht werden könnte.
Diese Grundsätze finden uneingeschränkt auch auf den vorliegenden Fall Anwendung. Gestatten es mithin die §§ 13, 14 AVG aF der Beklagten nicht, einen Kostenzuschuß unter Verweis auf die Zuständigkeit der KOV zu versagen, so hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid gegen das Gesetz verstoßen und nicht nur ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Die Vorinstanzen haben daher die Beklagte zu Recht unter Aufhebung ihres Bescheides verurteilt, den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Zuschusses zur Anschaffung eines Kraftfahrzeuges "sachlich", d. h. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden (zur Anwendung des § 131 Abs 3 SGG auch auf eine Verpflichtungsklage vgl BSGE 3, 180, 191; 7, 46, 50 = SozR Nr 32 zu § 54 SGG).
Die Revision der Beklagten gegen die Entscheidung des LSG war demgemäß zurückzuweisen. Maßgebende und für die Beklagte verbindliche Rechtsauffassung des Gerichts ist allerdings die des letztinstanzlich entscheidenden Revisionsgerichts.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen