Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 29.09.1982) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. September 1982 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Gewährung von Witwenrente in Anspruch.
Der Ehemann der Klägerin – F. – verstarb am 18. November 1979 an den Folgen eines Sturzes vom Balkon des im 6. Stockwerk gelegenen Zimmers Nr 610 der Klinik B. -L.. Er hatte sich in der Klinik auf Veranlassung der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme unterzogen. Am Abend des 18. November 1979 war er nach der Rückkehr von einem Wochenendurlaub in das Zimmer Nr 610 gegangen, in dem mehrere Mitpatienten gesellig beisammen waren, hatte sich kurz danach auf den – durch eine 1,30 m hohe Verandabrüstung abgesicherten – Balkon begeben und war dann vom Balkon hinuntergestürzt. Zu dieser Zeit hatte er eine Blutalkoholkonzentration von 2,33 o/oo.
Nachdem die Klägerin einen Antrag auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Beklagten gestellt hatte, zahlte die Beklagte ihr einen Vorschuß in Höhe von 10.000 DM. In dem – vorgedruckten – Schreiben vom 8. Oktober 1980 heißt es:
„Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen besteht in Ihrem Falle ein Anspruch auf Geldleistungen. Die Leistung kann ihrer Höhe nach jedoch noch nicht festgestellt werden, weil hierzu noch weitere Ermittlungen erforderlich sind. Gemäß § 42 Abs 1 Sozialgesetzbuch (SGB) überweisen wir Ihnen deshalb 10.000 DM. Mit diesem Vorschuß sind Ihre voraussichtlichen Leistungsansprüche bis zum letzten Tage des Vormonats bzw für die Zeit des Anspruchs in etwa abgegolten.
Durch ihren im anhängigen Verfahren angefochtenen Bescheid vom 6. Januar 1981 lehnte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des Todes des F. vom 18. November 1979 ab, weil die Voraussetzungen des § 539 Abs 1 Ziff 17 Buchst a Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht vorlägen; sie meinte ferner, daß die Vorschußgewährung sie an dieser Entscheidung nicht hindere.
Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat durch Urteil vom 21. Januar 1982 die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine bindende Anerkennung der Leistungspflicht der Beklagten stelle die – fehlerhafte – Vorschußmitteilung nicht dar; es ergäben sich auch keinerlei Anhaltspunkte für einen Unfall in innerem ursächlichen Zusammenhang mit dem Rehabilitationsaufenthalt in der Klinik.
Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat das Urteil des SG geändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Januar 1981 antragsgemäß verurteilt, der Klägerin Witwenrente zu zahlen (Urteil vom 29. September 1982). In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Ob der Tod des Ehemannes der Klägerin als Versicherungsfall iS von § 539 Abs 1 Ziff 17 Buchst a RVO iVm § 548 RVO zu werten sei, lasse der Senat offen, denn diese Frage habe die Beklagte bereits mit dem Bescheid vom 8. Oktober 1980 mit bindender Wirkung bejaht. Die Beklagte habe durch ihren Vorschußbescheid das Vorliegen des Versicherungsfalles mit der Folge anerkannt, daß sie für ihr weiteres Vorgehen an diese Entscheidung gebunden sei. Ein in Anwendung des § 42 SGB I gezahlter Vorschuß erfolge unter Bejahung des Anspruchs dem Grunde nach. Eine Vorschußbewilligung könne deshalb nicht dahin umgedeutet werden, daß die Zahlung allgemein unter dem Vorbehalt der Richtigkeit der Entscheidung über den Grund des Anspruchs stehe. Eine solche Auslegung widerspräche bereits dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 42 SGB I, aber auch seinem Sinngehalt, wonach die Vorschußgewährung das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach voraussetze. Im Unterschied zu den von der Beklagten angeführten Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) werde in dem Bescheid vom 8. Oktober 1980 klar und im Einklang mit § 42 SGB I zum Ausdruck gebracht, daß Zweifel an der Berechtigung der Klägerin nicht mehr bestanden hätten. Zudem hätte die Beklagte ihre Ermittlungen über den Unfallhergang im Zeitpunkt der Vorschußbewilligung bereits abgeschlossen gehabt, so daß nicht ersichtlich sei, welche Vorbehalte sie in dieser Hinsicht noch hätte machen können und sollen. Verwaltungsintern sei bereits das Vorliegen eines Versicherungsfalles angenommen worden. Die im Bescheid enthaltenen Vorbehalte bezögen sich in Übereinstimmung mit § 42 SGB I nur auf die Höhe des bewilligten Vorschusses. Das Fehlen einer Entschließung des Rentenausschusses hindere die Wirksamkeit des Bescheides nicht. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie rügt – sinngemäß – eine Verletzung des § 42 SGB I. Nach ihrer Ansicht haben Zahlungen auf der Grundlage des § 42 SGB I nur vorläufigen Charakter und stehen – auch ohne ausdrücklichen Hinweis – unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Sie geht davon aus, daß es zwei Arten von Vorschüssen und vorläufigen Leistungen gibt, nämlich zum einen diejenigen auf der Grundlage der §§ 42, 43 SGB I als berechtigte Vorschüsse und zum anderen diejenigen ohne ausreichende Rechtsgrundlage. Um den letztgenannten Fall einer ungerechtfertigten Vorschußzahlung handele es sich bei der Zahlung an die Klägerin. Soweit formularmäßig ein „Anspruch auf Geldleistungen” bejaht worden sei, gelte dies nur für berechtigte Vorschußleistungen. Zu der wirklichen Berechtigung der Klägerin auf Hinterbliebenenleistungen gehöre jedoch die ausdrückliche und eindeutige Bejahung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls. Insofern überschätze das LSG die Bedeutung der Formularerklärung. Es habe ihr freigestanden, endgültig über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls zu befinden; das sei im Wege förmlicher Feststellung erst am 6. Januar 1981 geschehen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. September 1982 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21. Januar 1982 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Ausführungen des LSG sind nach ihrer Auffassung nicht zu beanstanden. § 42 SGB I lasse nur einen Vorbehalt zur Höhe des dem Grunde nach festgestellten Anspruchs auf Versicherungsleistungen zu. Die Beklagte habe sich durch ihre bewußten und gewollten Feststellungen zum Grund des Anspruchs gebunden und dies unmißverständlich mitgeteilt. Sie habe den Bescheid nur als endgültige bindende Feststellung des Rentenanspruchs auffassen können und müssen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen lassen eine abschließende Entscheidung darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung von Witwenrente hat (§§ 589 Abs 1 Nr 3, 590 RVO), nicht zu. Entgegen der vom LSG vertretenen Rechtsauffassung läßt sich der von der Klägerin geltend gemachte Witwenrentenanspruch nach der Auffassung des Senats nicht schon auf die Entscheidung der Beklagten vom 8. Oktober 1980 über die Zahlung eines Vorschusses von 10.000 DM stützen. Vielmehr müssen sämtliche Leistungsvoraussetzungen für die begehrte Witwenrente vorliegen.
Die Beklagte ist zur Zahlung der Witwenrente nicht schon aufgrund des gewährten Vorschusses verpflichtet.
Nach § 42 Abs 1 Satz 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, dem Leistungsberechtigten Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßen Ermessen bestimmt. Nach Abs 1 Satz 2 1. Halbsatz dieser Vorschrift hat er Vorschüsse zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt. Mit dieser Norm hat der Gesetzgeber an bestehende Regelungen und Grundsätze angeknüpft.
Schon bis zum Inkrafttreten des SGB I wurde der Vorschuß auf Leistungen als etwas rechtlich anderes angesehen als die endgültige Leistung. Im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung, in dem es an einer Rechtsgrundlage für die Vorschußgewährung fehlte (vgl aber § 1299 RVO aF), sprach man dem Vorschuß den Charakter einer vorläufigen Leistung zu, die der Versicherungsträger vor der eigentlichen ihm obliegenden Leistung mit dem Ziel erbrachte, rasch Hilfe zu bringen (BSGE 18, 148, 149 und 152), und die – im Unterschied zu der endgültigen (Renten)Leistung – auch einen unbestimmten Charakter haben konnte (BSGE 33, 234, 238). Als „offenkundig den Charakter des Vorläufigen tragende Leistung” stand der Vorschuß unter dem Vorbehalt seiner Rechtmäßigkeit (BSGE 39, 86, 91). Nur unter bestimmten Voraussetzungen wurde der Vorschuß den Rentenbezügen … g l e i c h gestellt (BSGE 22, 233; 29, 124, 125). Hinsichtlich des den monatlichen Rentenzahlbetrag übersteigenden Vorschußanteils schied allerdings auch eine Behandlung als Rentenzahlung im Rahmen der Ruhensvorschriften aus (BSGE 29, 124, 126). Der überschießende Teil wurde dann nicht als zu Unrecht gewährte Leistung, sondern der ganze Betrag einheitlich als Vorschuß angesehen (BSGE 18, 148, 151; vgl auch Art 2 § 54 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 23. Februar 1957 -BGBl I S 45-). Dementsprechend bedeutete ein „Vorschuß auf die Rente” auch „keine teilweise Gewährung dieser Rente” (BSG, Urteil vom 7. Dezember 1962 – 1 RA 299/61 – ArbuSozR 1963, 156).
Im Leistungsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung bildete § 1587 Abs 1 RVO aF eine eigenständige Rechtsgrundlage für die Gewährung eines „Vorschusses auf die Entschädigung”, deren Höhe bei Beginn der Entschädigungspflicht noch nicht durch Bescheid festgestellt werden konnte. Voraussetzung für eine Vorschußzahlung war, daß ein Anspruch des Vorschußempfängers dem Grunde nach bestand (BSGE 19, 100, 102). § 1587 Abs 1 RVO aF verlangte weder eine Bezeichnung der Entschädigung, auf die der Vorschuß gezahlt wurde, noch nähere konkrete Angaben zu den Voraussetzungen der Entschädigungspflicht. Eines besonderen Verfahrens bedurfte es nicht, ausreichend war vielmehr die Auszahlung des Vorschusses und die Mitteilung von dieser Auszahlung, die durch einfaches Schreiben an den Vorschußempfänger zu erfolgen hatte (vgl § 1587 Abs 1 RVO aF). Die Erstattung zu Unrecht gewährter Vorschüsse konnte nach § 629 Nr 2 RVO aF im Wege der Verrechnung mit dem Leistungsanspruch, auf den gezahlt worden war, oder auch im Wege der Aufrechnung gegen andere Leistungsansprüche des Vorschußempfängers durchgesetzt werden (vgl BSGE 23, 259, 262 zu § 1299 RVO aF).
Demgegenüber trug und trägt die Entscheidung des Versicherungsträgers über die Gewährung einer vorläufigen Rente gemäß § 1585 RVO, bei der allerdings im Gegensatz zum Vorschuß die Leistung wohl der Höhe, nicht aber auch ihrer Dauer nach festgestellt werden kann, einen anderen Charakter. Sie war von Anfang an eine Verletztenrente, welche dem Empfänger endgültig verblieb. Nach § 1585 Abs 2 Satz 2 2. Halbsatz RVO ist daher die Feststellung der Grundlagen der Rentengewährung bei der Feststellung der Dauerrente stets bindend gewesen. Sie erfolgt in einem förmlichen Verfahren (§§ 1585, 1569a RVO).
An dieser bis zum Inkrafttreten des SGB I geltenden Rechtslage hat sich durch die Neuregelung des Vorschusses in § 42 SGB I für die gesetzliche Unfallversicherung nichts geändert. § 42 SGB I brachte eine einheitliche Regelung der Vorschußzahlung für alle Sozialleistungsbereiche, weil Vorschüsse – wie dargelegt – auf unterschiedlicher Grundlage gezahlt wurden (Begründung SGB I BT-Drucks 7/868 S 29 zu § 42). Durch die Einräumung eines Rechtsanspruchs auf Vorschußzahlungen in § 42 Abs 1 Satz 2 1. Halbsatz SGB I wurde die Rechtsposition des Leistungsberechtigten zudem gestärkt und damit der Rechtsanspruch auf soziale Leistungen ausgebaut (Stenographischer Bericht – 7. Wahlperiode – 181. Sitzung – S 12704) mit dem Ziel, bei längeren Bearbeitungszeiten Nachteile und Härten zu vermeiden bzw sie durch die Zahlung eines Vorschusses zu überbrücken (vgl die Begründung SGB I aaO). Hierfür erschien ein förmliches Verfahren entbehrlich. Die Verwaltung sollte in der Zwischenzeit eine eingehende, nicht unter unangemessenem Zeitdruck stehende endgültige Entscheidung treffen können (vgl Krasney, Grundlagen der Sozialversicherung, Festschrift für Brackmann, 1977 S 311, 316). Damit unterscheidet der Vorschuß sich weiterhin grundsätzlich von der Gewährung der verbleibenden vorläufigen Leistung. Die vorschußweise Zahlung verlangt kein förmliches Verfahren. Der Sozialleistungsträger kann Geldleistungen schnell und unbürokratisch erbringen. Für die Vorschußzahlung nach § 42 SGB I ist ausreichend, daß zur Überzeugung des Sozialleistungsträgers ein Anspruch „auf Geldleistungen” gegeben ist. Die Vorschußzahlung nach § 42 Abs 1 SGB I knüpft folglich nicht unmittelbar an die materiell-rechtlichen Leistungsvoraussetzungen der endgültigen Leistung an. Im Unterschied zu der Entscheidung über die Gewährung einer vorläufigen Rente ist für die Vorschußzahlung keine Spezifizierung der Leistung, „auf die” gezahlt wird, erforderlich (s § 1585 Abs 1 Satz 2 RVO). Es wird nicht schon die beanspruchte Leistung – teilweise – bewilligt, sondern vielmehr ein Vorschuß, der im Hinblick a u f die zustehende(n) Leistung(en) gewährt wird (vgl § 42 Abs 2 Satz 1 SGB I).
Daß der Vorschuß seiner Rechtsnatur nach etwas anderes ist als die endgültige Leistung, folgt überdies daraus, daß er gemäß § 42 Abs 2 Satz 1 SGB I nach der Bewilligung der endgültigen Leistung auf die zustehende Leistung angerechnet wird; er verbleibt dem Vorschußempfänger nicht als die zustehende Leistung. Soweit der Vorschuß höher ist als die zustehende Leistung, ist er der besonderen Erstattungsregelung des § 42 Abs 2 und 3 SGB I unterworfen. Auch hinsichtlich der Rückabwicklung zu Unrecht gewährter Leistungen unterliegen demnach der Vorschuß und die endgültige Leistung einem unterschiedlichen rechtlichen Schicksal; denn die Rückforderung der endgültigen Leistung bestimmt sich nach ihrer Bewilligung nach den allgemeinen Regelungen der §§ 44 ff, 50 SGB X.
Diese eigenständige Rechtsnatur des Vorschusses, der im Unterschied zu der endgültigen Leistung, wie dem Vorschußempfänger bekannt ist (vgl die Begründung SGB I aaO S 29 zu § 42), nur eine vorläufige Zahlung darstellt, steht damit einer Erstreckung der Bindungswirkung der Vorschußentscheidung auf leistungsbegründende Umstände, für die es an einem konkreten Ausspruch fehlt, entgegen (Zeuner, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge 1959, S 41). Auch die Abgrenzung des Umfanges einer Bindungswirkung wäre in der gesetzlichen Unfallversicherung kaum sachgerecht möglich. Selbst wenn sich die Bindung auf das Vorliegen eines Arbeitsunfalles erstrecken würde, bliebe offen, welche Gesundheitsstörungen und welche durch sie bedingte MdE als Folgen des Arbeitsunfalles der Rentenfeststellung zugrunde zu legen wären, wenn nach der Vorschußgewährung die weiteren Ermittlungen ergäben, daß die Gesundheitsstörungen und damit auch die MdE nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem Unfall stehen. In dem Rentenbescheid müßte ggfs eine Verletztenrente ohne Unfallfolgen festgestellt werden. Auch hinsichtlich der Höhe der Rente wäre der Umfang der Bindungswirkung kaum sachgerecht abgrenzbar, da sich diese nicht nur nach dem Jahresarbeitsverdienst, sondern auch nach dem Grad der MdE bestimmt. Die – isolierte – Entscheidung über die Gewährung eines Vorschusses vermag auch deshalb keine Bindung für die Leistungsansprüche zu entfalten. Etwas anderes folgt auch nicht für einen Vorschuß auf eine Witwenrente. Zwar decken sich hier die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung hinsichtlich des Vorschusses und der Rente dem Grunde nach ganz. Dies ist aber auch hinsichtlich des Sterbegeldes und der Witwenrente der Fall. Dennoch bindet die Entscheidung über das Sterbegeld den Unfallversicherungsträger nicht im Rahmen der Rentengewährung (BSG, Urteil vom 21. Oktober 1958 – 2 RU 75/56 – SozEntsch BSG IV § 593 Nr 2; ebenso zur Kriegsopferversorgung BSGE 10, 167).
Der in der Literatur vertretenen – nicht näher erläuterten – Auffassung, daß der Versicherungsträger bei der Entscheidung über den Vorschuß auch bindend über den Grund des Anspruchs entscheide (Burdenski/von Maydell/Schellhorn, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 2. Aufl 1981, § 42 RdNr 11; Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch SGB I Allgemeiner Teil, § 42 RdNr 8; Jahn SGB für die Praxis, § 42 RdNr 10 Zweng/Buschmann/Scheerer, Handbuch der Rentenversicherung, Anm VII zu § 42; Bley, DOK 1978, 861, 867), läßt sich demgemäß nur darin beipflichten, daß der Sozialleistungsträger bei der Vorschußbewilligung an die von ihm ausgesprochene Leistungsberechtigung gebunden ist, die Leistungsberechtigung also in bezug auf die Vorschußentscheidung bindend anerkannt wird (vgl BSGE 33, 47, 51; Urteil vom 21. Oktober 1958 – 2 RU 75/56 – aaO).
Die Beklagte ist auch nicht aufgrund ihres Schreibens vom 8. Oktober 1980 zur Zahlung der Witwenrente verpflichtet.
Eine selbständige, die Beklagte bindende Entscheidung über das Vorliegen des Versicherungsfalles enthält die – auf ihren Erklärungsinhalt hin nachprüfbare (BSGE 24, 162, 164) – in dem Schreiben vom 8. Oktober 1980 verlautbarte Willenserklärung der Beklagten nicht. Insoweit hätte es, um einer entsprechenden Aussage einen bindungsfähigen Gehalt zubilligen zu können, zumindest einer „Konkretisierung” des Versicherungsfalles bedurft (s dazu BSG SozR Nr 5 zu § 1585 RVO). Anders als in der vom 8. Senat entschiedenen Streitsache (SozR 1500 § 77 Nr 18; vgl auch das Urteil vom 25. November 1977 – 2/8 RU 90/75 – nicht veröffentlicht), bei der im Ablehnungsbescheid des beklagten Versicherungsträgers die Anerkennung des Versicherungsfalles ausgesprochen worden war, fehlt es aber gerade an einem derartigen ausdrücklichen selbständigen Entscheidungsausspruch über das Vorliegen des Versicherungsfalles. Dem Inhalt des Vordrucks läßt sich auch nicht ein auf Anerkennung des Versicherungsfalles abzielender Erklärungswille der Beklagten entnehmen. Im Gegenteil spricht schon die fehlende Beteiligung des Rentenausschusses der Beklagten, die auch bei einem Feststellungsausspruch über das Vorliegen des Versicherungsfalles erforderlich gewesen wäre (BSGE 24, 162), gegen eine derartige rechtliche Bewertung der im Vordruck enthaltenen Hinweise, ungeachtet dessen, daß – wie das LSG zutreffend anführt – die fehlende Mitwirkung des Rentenausschusses auf die Wirksamkeit einer derartigen Entscheidung keinen Einfluß gehabt hätte (§ 40 Abs 3 Ziff 3 SGB X). Es läßt sich daraus aber ersehen, daß die Beklagte nicht nur die Anerkennung des Versicherungsfalles nicht ausgesprochen hat, sondern auch nicht aussprechen wollte (BSG SozR Nr 6 zu § 64 BVG). Der nicht näher konkretisierte vorgedruckte Satz im Schreiben vom 8. Oktober 1980, daß „nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen ein Anspruch auf Geldleistungen bestehe”, reicht nicht aus, um darauf einen selbständigen Entscheidungsausspruch mit dem vom LSG angenommenen Inhalt zu gründen. Vielmehr folgt aus der Verwendung des Vordrucks ohne einzelfallbezogene Angaben und ohne Konkretisierung und nähere Begründung des „Anspruchs auf Geldleistungen”, vor allem aber aus dem Hinweis, daß der Vorschuß nach dem Ergebnis der „bisherigen” Ermittlungen, die weitere Ermittlungen einschlossen, und auf „voraussichtliche Leistungen” gezahlt werde, daß über die geltend gemachten Leistungsansprüche noch keine Entscheidung des Versicherungsträgers getroffen worden war, darüber vielmehr erst noch befunden werden sollte.
Da die Beklagte nur über die Gewährung eines Vorschusses entschieden hatte, ist der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Witwenrente nach den dafür geltenden Anspruchsvoraussetzungen zu beurteilen. Das LSG hat dazu, von seiner Rechtsauffassung ausgehend, keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen getroffen. Es wird diese Feststellungen daher nachzuholen und bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1173606 |
BSGE, 287 |
Breith. 1984, 100 |