Entscheidungsstichwort (Thema)

Statthaftigkeit der Revision bei Verfahrensmangel

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine nicht zugelassene Revision ist statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG vorliegt und gerügt wird.

2. Ein wesentlicher Mangel des Verfahrens liegt vor, wenn das LSG nicht die gesamten Aktenvorgänge überprüft bzw sich mit dem Inhalt eines rechtserheblichen Schriftstückes nicht auseinandergesetzt hat.

 

Normenkette

SGG § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 128 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. Januar 1957 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Oberschenkelbruch der B B vom 7. September 1959 Folge eines Unfalls oder einer angeborenen Krankheit ist, und wer für die Kosten dieser Behandlung aufzukommen hat. Die klagende Berufsgenossenschaft (BG) hat der B. gegenüber ihre Leistungspflicht bindend abgelehnt und verlangt von der beklagten Krankenkasse nach § 1509 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF Ersatz ihrer Aufwendungen in Höhe von DM 2.956,08. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat sie abgewiesen, weil die klagende BG ihren Ersatzanspruch nicht innerhalb der Fristen der §§ 1509 Abs. 3, 1509 a Abs. 2 RVO aF geltend gemacht habe, nämlich erst am 18./22. Juli 1961, während die letzte Rechnung schon im Dezember 1960 bezahlt worden sei und sie von der Art des Leidens am 11. Juli 1961 durch das Gutachten von Prof. Dr. H Kenntnis erhalten habe. Revision ist nicht zugelassen worden.

Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt.

Sie trägt u.a. vor: Das LSG habe zu Unrecht angenommen, die Forderung sei verspätet geltend gemacht. Dabei habe es nicht berücksichtigt, daß auf der Rückseite des Durchgangsarztberichtes vom 10. September 1959, der der Beklagten zugegangen sei, die vorsorgliche Anmeldung der Ersatzansprüche formularmäßig erfolgt sei. Dieser vom Durchgangsarzt im Auftrag der Klägerin erstattete Bericht enthalte nicht nur einen Hinweis auf § 559 g Abs. 2 RVO aF, sondern gleichzeitig auch die Anmeldung eines Ersatzanspruches. Das LSG hätte bei seiner Entscheidung die Verwaltungsakten der Beklagten durchsehen müssen, um eine frühere Anmeldung festzustellen. Dies habe es unterlassen und damit gegen die §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 18. Januar 1967 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Augsburg vom 29. Januar 1963 zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Da die Revision nicht vom LSG zugelassen wurde, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG gerügt wird und auch vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG, BSG 1, 150). Diese Voraussetzung ist erfüllt.

Es kann dahinstehen, ob die anderen Revisionsrügen der Klägerin durchgreifen. Auf alle Fälle kann der Rüge der Klägerin nicht der Erfolg versagt werden, daß das Urteil des LSG nicht auf dem Gesamtergebnis des Verfahrens beruht (§ 128 SGG). Denn das LSG hat seine Schlußfolgerung, der Anspruch sei verspätet geltend gemacht, nur auf den Umstand gestützt, daß die Klägerin erst mit Schreiben vom 18. Juli 1961, bei der Beklagten eingegangen am 22. Juli 1961, diesen Anspruch geltend gemacht habe. Dabei hat es aber nicht geprüft, ob nicht etwa schon vorher der Ersatzanspruch geltend gemacht worden ist. Denn es hat sich nicht mit dem Durchgangsarztbericht vom 10. September 1959, Bl. 2 der Verwaltungsakten der Beklagten, auseinandergesetzt, ob etwa in dem Hinweis auf der Rückseite, es werde der Ersatzanspruch der BG angemeldet, eine rechtzeitige Anmeldung des Anspruchs nach §§ 1509 Abs. 3, 1509 a Abs. 2 RVO aF zu erblicken ist. Nach dem Inhalt der Urteilsgründe kann nicht angenommen werden, daß das LSG diesen Bericht gewürdigt, ihn aber nicht als eine Anmeldung angesehen hat. Denn es fehlt jede hier erforderliche Auseinandersetzung mit diesem Argument. Diese Prüfung wäre auch notwendig gewesen, falls die Klägerin nichts in dieser Hinsicht vorgetragen hätte, da diese Umstände von Amts wegen zu ermitteln sind. Das Urteil beruht daher nicht auf dem Gesamtergebnis des Verfahrens. Damit liegt aber ein Verstoß gegen § 128 SGG vor. Die Revision ist somit nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Sie ist zulässig, weil sie form- und fristgerecht eingelegt ist.

Das Rechtsmittel ist auch begründet. Denn es besteht zumindest die Möglichkeit, daß das LSG bei einem den Verfahrensgesetzen entsprechenden Verfahren zu einem für die Klägerin günstigeren Urteil gekommen wäre. Das Urteil des LSG muß daher aufgehoben werden. Da Feststellungen fehlen, die dem Senat eine abschließende Entscheidung ermöglichen, muß die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

Diesem bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2365060

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