Leitsatz (redaktionell)
Beitragszuschüsse nach RVO § 381 Abs 4:
1. Die Berufung ist zulässig, wenn sie den Anspruch eines Rentners auf einen Zuschuß zu seinem Krankenversicherungsbeitrag für einen abgelaufenen, aber mehr als 3 Monate umfassenden Zeitraum betrifft.
2. Streitigkeiten wegen Gewährung solcher Leistungen gehören zwar zu den Angelegenheiten der Rentenversicherungen iS des SGG § 146, die Beitragszuschüsse haben jedoch keinen "rentenähnlichen Charakter".
3. SGG § 146, der als Ausnahmevorschrift zu SGG § 143 eng auszulegen ist, kann auf sie nicht entsprechend angewendet werden.
Normenkette
RVO § 381 Abs. 4 Fassung: 1956-06-12; SGG § 144 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 143 Fassung: 1953-09-03, § 146 Fassung: 1958-06-25
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Mai 1966 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger, der von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte seit dem 1. August 1959 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres und seit dem 7. Juli 1961 einen Beitragszuschuß zu seiner privaten Krankenversicherung (§ 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) erhält, dieser Zuschuß schon vom 31. August 1959 an zusteht. An diesem Tage hatte der Kläger, der kurz vorher 65 Jahre alt geworden war, bei der Beklagten formlos die Gewährung von Altersruhegeld beantragt (Schreiben vom 28. August 1959). Nachdem ihm die Beklagte entsprechende Antragsvordrucke übersandt hatte, schrieb ihr der Kläger am 17. Februar 1960:
"Betr.: Antrag auf Gewährung des Altersruhegeldes
Die mir übersandten Antragsvordrucke habe ich bisher nicht ausgefüllt, weil zunächst das vor dem Sozialgericht in Dortmund rechtshängige Streitverfahren wegen Beitragserneuerung entschieden werden sollte.
Gegen das inzwischen ergangene Urteil habe ich vorsorglich Berufung eingelegt.
Der VdK-Landesverband in Düsseldorf hat meinen Arbeitsvertrag zunächst bis zum 31. Dezember 1960 verlängert.
Ich mache daher von dem Recht der Weiterversicherung gemäß § 10 des AnVNG Gebrauch. Aus diesem Grunde bitte ich, von der Bearbeitung meines Antrags vom 28. August 1959 Abstand zu nehmen."
Mit einem Schreiben vom 6. Juli 1961, das am folgenden Tag bei der Beklagten einging, teilte ihr der Kläger mit, daß er die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund zurückgenommen habe; weiter heißt es dann in dem Schreiben: "Damit ich nunmehr die mir mit Schreiben vom 1. Oktober 1959 übersandten Antragsformulare ordnungsgemäß ausfüllen kann, bitte ich, mir die in der Akte befindlichen Aufrechnungsbescheinigungen beziehungsweise Nachweise über geleistete Beiträge auszuhändigen."
In einem weiteren Schreiben vom 23. Oktober 1961 beantragte der Kläger, ihm das Ruhegeld "ab Antragsmonat" zu gewähren und die nach dem 65. Lebensjahr geleisteten Beiträge zurückzuerstatten.
Nachdem die Beklagte dem Kläger das Altersruhegeld antragsgemäß ab August 1959 und den Beitragszuschuß ab 7. Juli 1961 (Tag des Eingangs des Schreibens vom 6. Juli 1961) bewilligt hatte, blieb unter den Beteiligten noch die Zahlung des Beitragszuschusses für die Zeit vom 31. August 1959 bis zum 6. Juli 1961 streitig.
Das Sozialgericht (SG) hat das Klagebegehren des Klägers für unbegründet gehalten, weil der Kläger seinen ersten Rentenantrag vom August 1959 später mit dem Schreiben vom 17. Februar 1960 zurückgenommen und erst am 7. Juli 1961 einen neuen Antrag gestellt habe (Urteil vom 22. Oktober 1964).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die - vom SG nicht zugelassene - Berufung des Klägers als unzulässig verworfen: Sie betreffe nur einen bereits abgelaufenen Zeitraum im Sinne des § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Diese Vorschrift beziehe sich zwar lediglich auf Renten, zu denen der Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO nicht gehöre. § 146 SGG sei hier jedoch analog anzuwenden; der Katalog der Berufungsausschließungsgründe weise für Streitigkeiten über Beitragszuschüsse eine nicht gewollte Lücke auf, die durch Heranziehung des dem § 146 SGG innewohnenden Grundgedankens - weniger bedeutsame Streitigkeiten von der Berufung auszunehmen - auszufüllen sei (Urteil vom 5. Mai 1966).
Der Kläger rügt mit der - vom LSG nicht zugelassenen - Revision, dieses hätte statt eines Prozeßurteils ein Sachurteil erlassen müssen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sei die Nichterwähnung des Beitragszuschusses in § 146 SGG keine offenbare Gesetzeslücke, die im Wege der richterlichen Rechtsfindung zu schließen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 5. Mai 1966, das Urteil des SG Dortmund vom 22. Oktober 1964 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 1963 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm den Beitragszuschuß zu seiner Krankenversicherung auch für die Zeit vom 31. August 1959 bis zum 6. Juli 1961 zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist, obwohl das LSG sie nicht zugelassen hat, statthaft, weil das LSG die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen und der Kläger diesen Mangel des Berufungsverfahrens ordnungsgemäß gerügt hat (§§ 162 Abs. 1 Nr. 2, 164 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Wie der erkennende Senat im Urteil vom 26. Januar 1967 (BSG 26, 73) entschieden hat, ist die Berufung zulässig, wenn sie - wie hier - den Anspruch eines Rentners auf einen Zuschuß zu seinem Krankenversicherungsbeitrag für einen abgelaufenen, aber mehr als drei Monate umfassenden Zeitraum betrifft (§ 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Streitigkeiten wegen Gewährung solcher Leistungen gehören zwar zu den Angelegenheiten der Rentenversicherungen im Sinne des § 146 SGG (vgl. § 1235 Nr. 5 RVO). Beitragszuschüsse nach § 381 Abs. 4 RVO haben jedoch - anders als z.B. das Übergangsgeld (§ 1241 RVO) - keinen "rentenähnlichen Charakter"; schon deswegen kann § 146 SGG, der im übrigen als Ausnahmevorschrift zu § 143 SGG eng auszulegen ist, auf sie nicht entsprechend angewendet werden (vgl. BSG SozR Nr. 27 zu § 144 und Nr. 11 zu § 146 SGG).
Der Senat hat an dieser Auffassung in einem weiteren Urteil vom 23. August 1967 (3 RK 73/67) festgehalten und darin ausgeführt, der Anspruch auf einen Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO sei gegenüber dem Anspruch auf Rente nicht ein Weniger (minus), sondern ein Anderes (aliud); er verhalte sich zum Rentenanspruch auch nicht wie ein Neben - zum Hauptanspruch, beide Ansprüche beträfen vielmehr rechtlich und nicht selten auch wirtschaftlich gleichwertige Leistungen der Rentenversicherung. Wenn der Anspruch auf den Beitragszuschuß insofern unselbständig sei, als er das Bestehen eines Rentenanspruchs voraussetze, so rechtfertige dies allein nicht, ihn hinsichtlich der Berufungsfähigkeit dem Rentenanspruch gleichzustellen.
Auch die im angefochtenen Urteil angeführten Gründe geben dem Senat keinen Anlaß, seine Rechtsprechung zu ändern. Wie dem § 143 SGG zu entnehmen ist, sind die Fälle, in denen die Berufung ausgeschlossen ist, in den §§ 144 bis 149 SGG abschließend geregelt. Eine vom Richter auszufüllende Gesetzeslücke, die das LSG für die in den §§ 144 ff SGG nicht erwähnten Beitragszuschüsse angenommen hat, liegt deshalb nicht vor (vgl. SozR Nr. 27 zu § 144 SGG Bl. Da 14). Im übrigen ist der vom LSG zur Ausfüllung der vermeintlichen Gesetzeslücke herangezogene Gedanke, nach dem Willen des Gesetzgebers sollten alle weniger bedeutsamen Streitigkeiten nicht berufungsfähig sein, zu allgemein und im Gesetz auch nicht immer deutlich und folgerichtig genug durchgeführt, um die entsprechende Anwendung des § 146 SGG auf Beitragszuschüsse nach § 381 Abs. 4 RVO zu rechtfertigen. Das SGG hat die Berufung in kasuistischer Weise für eine Reihe einzelner Tatbestände ausgeschlossen. Eine Ergänzung dieser Vorschriften muß grundsätzlich dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.
Die Revision des Klägers ist jedoch in der Sache nicht begründet. Der von ihm für die streitige Zeit beanspruchte Beitragszuschuß steht ihm nicht zu, wie das SG zutreffend entschieden hat. Wenn er im Schreiben vom 17. Februar 1960 die Beklagte bat, von der Bearbeitung seines Rentenantrags vom 28. August 1959 Abstand zu nehmen, weil er sich mit Rücksicht auf die Verlängerung seines Arbeitsvertrages weiterversichern wolle - als Bezieher eines Altersruhegeldes hätte er sich nicht weiterversichern können (§ 1233 Abs. 1 Satz 2 RVO - § 10 Abs. 1 Satz 2 AVG) -, so gab er damit zu erkennen, daß er den früheren Rentenantrag nicht aufrechterhalten wolle. Wenn er sich dann tatsächlich später nicht weiterversicherte oder sich die entsprechenden Beiträge erstatten ließ, so änderte das nichts an der Wirksamkeit der im Schreiben vom 17. Februar 1960 erklärten Rücknahme des ersten Rentenantrages. Die Beklagte hat deshalb bei der Gewährung des Beitragszuschusses mit Recht nicht den ersten Rentenantrag vom 31. August 1959, sondern den im Schreiben vom 6. Juli 1961 enthaltenen neuen Rentenantrag zugrundegelegt und den Beitragszuschuß zutreffend erst vom 7. Juli 1961 an bewilligt (vgl. BSG 14, 112; SozR Nr. 9 zu § 381 RVO).
Der Senat hat hiernach die Revision als im Ergebnis unbegründet zurückgewiesen; von einer Änderung der Formel des Berufungsurteils hat er abgesehen (vgl. Baumbach-Lauterbach, ZPO, 27. Aufl., § 563 ZPO Anm. 1 C; SozR Nr. 30 zu § 51 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen