Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes bei sogenannten "Personaleinkäufen".
2. Eine geringfügige Unterbrechung der Arbeit zu privaten Einkäufen führt nur dann nicht zum Wegfall des Unfallversicherungsschutzes, wenn die Arbeitsunterbrechung auf wenige Minuten beschränkt bleibt.
3. Das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers daran, daß sein Personal in seinem Betrieb einkauft (sogenannter Personalkauf), hat auf die Beurteilung, ob eine dadurch eintretende Arbeitsunterbrechung geringfügig ist und mithin der Unfallversicherungsschutz erhalten bleibt, keinen Einfluß.
4. Ein Arbeitnehmer, der in dem Betrieb (Kaufhaus), in dem er tätig ist, die Arbeit für einen privaten Einkauf unterbricht, steht nicht mehr unter Unfallversicherungsschutz, wenn die Unterbrechung 10 Minuten dauert.
Normenkette
RVO § 539 Fassung: 1963-04-30, § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 31. Oktober 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin war bis 1965 bei der Firma D in B als Verkäuferin in der im 2. Stock des Kaufhauses befindlichen Abteilung Damenoberbekleidung beschäftigt. Am 17. Juli 1963 kam sie auf der zum 3. Stock führenden Treppe, in der die Abteilung Herrenkonfektion untergebracht ist, zu Fall und brach den rechten Arm. Die Klägerin hatte im Kaufhaus für ihren Ehemann einen Mantel gekauft; dieser mußte geändert werden. Sie erlitt den Unfall, als sie sich auf dem Weg zur Abteilung Herrenkonfektion befand, um dort die Änderungskarte abzugeben.
Die Beklagte versagte durch Bescheid vom 25. Oktober 1963 die begehrte Unfallentschädigung, weil die Klägerin nicht im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses, sondern auf einem Weg verunglückt sei, den sie wie jeder andere Kunde zurückgelegt habe, der bei der Firma D einkaufe und Änderungen an den gekauften Sachen vornehmen lasse.
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts - SG - Bremen vom 14. Dezember 1964, Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Bremen vom 1. Juli 1965).
Der erkennende Senat hat auf die Revision der Klägerin durch Urteil vom 14. Dezember 1967 (2 RU 190/65) die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt:
Das Berufungsgericht habe mit Recht angenommen, daß es sich bei der Besorgung, bei der die Klägerin verunglückt sei, um eine Tätigkeit gehandelt habe, welche der Erledigung einer privaten Angelegenheit habe dienen sollen; deshalb sei sie dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen. Das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers an einem solchen Personalkauf nehme der Besorgung ihren privaten Charakter nicht. Der Versicherungsschutz entfalle jedoch nicht, wenn die Besorgung derart sei, daß sie nach natürlicher Betrachtungsweise nur zu einer geringfügigen Unterbrechung der versicherten Tätigkeit geführt habe. Dieser Auffassung sei auch das Berufungsgericht. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG könne indessen durch das Revisionsgericht nicht nachgeprüft werden, ob die hierbei vom Berufungsgericht vorgenommene rechtliche Wertung zutreffend sei. Entscheidend sei nicht allein die Länge der Wegstrecke, welche die Klägerin hätte zurücklegen müssen; rechtlich wesentlich sei auch die Zeit, welche sie für die Besorgung hätte aufwenden müssen. Die von der Klägerin beabsichtigte Besorgung könne unter Umständen nur wenige Minuten beansprucht haben.
Die Beklagte hat daraufhin durch einen ihrer Beamten bei der Firma D an Ort und Stelle Ermittlungen gepflogen.
Diese hatten folgendes Ergebnis:
Die Klägerin habe für ihren Ehemann eine Woche vor dem Unfall einen Mantel gekauft. Dieser habe geändert werden müssen. Am Tag des Unfalls habe sie vorgehabt, den geänderten Mantel in der im 3. Stock befindlichen Herrenkonfektionsabteilung gegen Vorlage der Änderungskarte (Abholausweis) abzuholen und ihn zum Packtisch im 2. Stock zu bringen. Dort hätte sie an der Sammelkasse, sofern nicht bereits geschehen, den Mantel bezahlt und alsdann eine Nummer erhalten, mit der sie nach Geschäftsschluß das gekaufte Stück beim Pförtner hätte in Empfang nehmen können. Von der Damenkonfektionsabteilung im 2. Stock bis zur Herrenkonfektionsabteilung im 3. Stock sei für den Hin- und Rückweg eine Strecke von 160 m zurückzulegen. Die private Besorgung hätte insgesamt normalerweise etwa 10 Minuten gedauert.
Das LSG hat dieses Ermittlungsergebnis zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Die Klägerin hat es als zutreffend bestätigt.
Das Berufungsgericht hat durch Urteil vom 31. Oktober 1968 die Berufung der Klägerin erneut zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat es im wesentlichen wie folgte begründet:
In Übereinstimmung mit dem Revisionsgericht sei davon auszugehen, daß die Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls eine private Besorgung habe vornehmen wollen, für die der Versicherungsschutz grundsätzlich ausgeschlossen sei. Nach natürlicher Betrachtungsweise liege eine geringfügige Unterbrechung ihrer versicherten Tätigkeit, welche den Versicherungsschutz nicht aufhebe, nicht vor. Die Klägerin habe sich von ihrem Arbeitsplatz nicht nur unwesentlich entfernen müssen; sie habe in ein anderes Stockwerk gehen und eine Treppe benutzen müssen. Auch die voraussichtliche Zeitdauer von etwa 10 Minuten spreche dagegen, die Unterbrechung als geringfügig anzusehen.
Das LSG hat die Revision erneut zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:
Bei der Besorgung der Klägerin habe es sich um eine in ihre versicherte Tätigkeit eingeschobene Verrichtung gehandelt, welche nach Art, Umfang und Dauer nicht geeignet gewesen sei, den Versicherungsschutz zu unterbrechen. Das LSG h be zu wenig berücksichtigt, daß die eingeschobene Tätigkeit je nach ihrer Art verlängernd oder verkürzend auf den Zeitfaktor einwirke. Sei sie ihrer Art nach völlig betriebsfremd, könnten schon wenige Sekunden zur Lösung von der betrieblichen Tätigkeit führen. Je mehr die Art der eingeschobenen Verrichtung durch betriebliche Umstände beeinflußt werde, um so länger dürfe die Zeit der Unterbrechung sein, ohne daß der Versicherungsschutz aufgehoben werde. Es bestehe ein erhebliches Interesse des Betriebes, daß die Angestellten ihre Einkäufe im eigenen Haus tätigten. Ein solches Interesse reiche zwar nicht aus, einen inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit zu begründen, es führe aber dazu, verlängernd auf den Zeitfaktor einzuwirken. Die Zeitspanne von 10 Minuten sei daher nicht geeignet, den betrieblichen Zusammenhang zu lösen. Auch der Umfang der beabsichtigten Besorgung habe dies nicht herbeiführen können. Vergleiche man den Sachverhalt mit dem, welcher der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28. Februar 1964 (BSG 20, 219) zugrunde liege, bestehe kein Zweifel, daß die vorliegende Sache betriebsnäher liege.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Nach der bisherigen Rechtsprechung sei für die Erhaltung des Versicherungsschutzes bei geringfügiger Unterbrechung allein der Zeitfaktor maßgebend. Für die praktische Rechtsanwendung stelle die vom LSG zugrunde gelegte 10-Minuten-Grenze einen die Mehrzahl der einschlägigen Fälle zutreffend erfassenden Maßstab dar.
Die Klägerin beantragt,
die angefochtene Entscheidung sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 1963 aufzuheben und ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Juli 1963 Rente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Wie der erkennende Senat bereits im Urteil vom 14. Dezember 1967 entschieden und in Übereinstimmung damit das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil ausgeführt hat, hat es sich bei der von der Klägerin am 17. Juli 1963 beabsichtigten Besorgung um eine private Angelegenheit gehandelt, welche dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen ist. Dies zieht auch die Revision nicht in Zweifel, ebensowenig die vom Senat in diesem Urteil vertretene Auffassung, daß das wirtschaftliche Interesse von Unternehmen an sogenannten Personalkäufen nicht ausreicht, diesen ihren privaten Charakter zu nehmen.
Das Berufungsgericht hat mit Recht entschieden, daß durch die beabsichtigte private Besorgung die versicherte Tätigkeit nicht nur geringfügig unterbrochen worden ist, mit der Folge, daß während der Unterbrechung kein Versicherungsschutz bestanden hat. Es hat zutreffend bei der hierbei vorgenommenen rechtlichen Wertung als bedeutsam angesehen, daß die Klägerin, wäre es zur Ausführung ihres Vorhabens gekommen, eine Wegstrecke von insgesamt 160 m hätte zurücklegen müssen und die Besorgung etwa 10 Minuten beansprucht hätte. Diese Zeitspanne überschreitet das vom erkennenden Senat im Urteil vom 14. Dezember 1967 aufgestellte Kriterium von nur wenigen Minuten. Auch die Länge der Wegstrecke läßt bei natürlicher Betrachtungsweise die Unterbrechung der versicherten Tätigkeit nicht mehr als geringfügig erscheinen. Einer in einem kleinen Geschäft tätigen Beschäftigten, die während ihrer Arbeitszeit mit Erlaubnis ihres Arbeitgebers in einem fremden, etwa 80 m entfernten Geschäft kurzfristig eine private Besorgung macht und zu diesem Zweck unter Umständen mehrere Straßen überqueren muß, würde bei natürlicher Betrachtungsweise für einen Unfall auf diesem Weg der Versicherungsschutz zu versagen sein. Wollte man diesen der Klägerin zubilligen, würde dies zu einer nicht gerechtfertigten Bevorzugung des in Kaufhäusern und ähnlichen Unternehmen beschäftigten Personals hinauslaufen. Deshalb ist, entgegen der Ansicht der Revision, die Tatsache, daß an Personalkäufen ein wirtschaftliches Interesse des Unternehmens besteht, für die versicherungsrechtliche Frage der Geringfügigkeit der Unterbrechung kein so wesentlicher Umstand, daß er die für die Beurteilung dieses Begriffs vorwiegend bestimmenden Merkmale der Zeitdauer und der örtlichen Verhältnisse in den Hintergrund drängen könnte. Dies schließt nicht aus, daß nach dem Urteil des Senats vom 9. Dezember 1964 (LSG 1965, 196 = SGb 1965, 56) bei der insoweit vorzunehmenden rechtlichen Wertung ungeachtet des besonders wichtigen Zeitfaktors alle für den Einzelfall sonst noch bedeutsamen Tatsachen zu berücksichtigen sind. Wie sich aus diesem Urteil des erkennenden Senats ferner ergibt, bildet sein Urteil vom 28. Februar 1964 (BSG 20, 219) keine Stütze für die von der Revision vertretene Meinung, daß in dieser Entscheidung die Grenzen des Begriffs der geringfügigen Unterbrechung weit gezogen worden seien. In diesem Urteil hat der Senat vielmehr entscheidend darauf abgestellt, daß die infolge einer privaten Besorgung eintretende Unterbrechung des Weges von und zur Arbeitsstätte erst beginnt, wenn der Versicherte den öffentlichen Verkehrsraum verlassen hat (zur Frage der Unterbrechung in solchen Fällen siehe ferner die spätere Rechtsprechung des Senats, BSG 22, 7, 9 ff, Breithaupt 1969, 478).
Da die Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls somit nicht unter Versicherungsschutz gestanden hat, war ihre Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen