Leitsatz (amtlich)
Zur Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Gemeindeunfallversicherungsverband und Bau-BG auf Grund des RVO § 657 Abs 1 Nr 7.
Normenkette
RVO § 657 Abs. 1 Nr. 7 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 1967 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Hauseigentümer G G (G.) wollte im Herbst 1963 an seinem 1950 errichteten Wohnhaus Maurerarbeiten zwecks Anbringung von Rolläden vornehmen lassen. Es handelte sich um Stemm- und Putzarbeiten an insgesamt 9 Fenster- bzw. Türöffnungen, ferner die Erweiterung zweier Fenster, die noch der baupolizeilichen Genehmigung bedurfte. Da die Baufirma D die Übernahme dieser Arbeiten ablehnte, beauftragte G. den 1898 geborenen Maurer F H (H.), der seit August 1962 aus der beruflichen Beschäftigung ausgeschieden war und Altersrente bezog. H. sollte die Arbeiten im Stundenlohn "nicht gewerbsmäßig" ausführen, wobei für die Fenstererweiterungen die Mithilfe von 1 oder 2 Arbeitskräften der Fa. D in Aussicht genommen war, und am 2. September 1963 mit seiner Tätigkeit beginnen. G. verständigte hiervon die Bau-Berufsgenossenschaft (BG) Wuppertal mit Schreiben vom 1. September 1963, wobei er bemerkte, die Arbeiten würden etwa 1 Woche dauern. Am Morgen des 2. September 1963 verunglückte H. auf der Fahrt zur Aufnahme seiner Arbeit tödlich. Die Arbeiten am Hause des G. wurden nun doch von der Fa. D übernommen und in der Zeit vom 2. bis zum 4. September sowie vom 17. bis zum 23. September mit insgesamt 90 Arbeitsstunden ausgeführt.
Der Witwe des H. gewährte der Gemeindeunfallversicherungsverband (GUV) W vorläufige Fürsorge gemäß § 1735 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Der GUV forderte die Bau-BG zur Anerkennung ihrer Zuständigkeit auf und wies darauf hin, bei der geplanten Tätigkeit habe es sich von vornherein nicht um kleinere Bauarbeiten im Sinne des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO gehandelt. Die BG lehnte das Verlangen ab.
Auf die im Mai 1965 erhobene Klage des GUV hat das Sozialgericht (SG) Münster durch Urteil vom 28. Januar 1966 (Lauterbach, UV-Rechtskartei Nr. 6205 zu § 657 Abs. 1 Satz 7) dem Klagebegehren entsprechend festgestellt, daß die beklagte BG als zuständiger Versicherungsträger verpflichtet ist, den tödlichen Arbeitsunfall des H. gesetzmäßig zu entschädigen: Die geplanten Bauarbeiten sowie dann auch ihre tatsächliche Ausführung hätten die Dauer von sechs Tagen überschritten; bei dem Gesundheitszustand des H. sei anzunehmen, daß er für das Bauvorhaben sogar noch mehr als 90 Stunden benötigt haben würde. Nach dem Wortlaut des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO komme es für die Zuständigkeitsabgrenzung nur auf die Planung und die tatsächliche Ausführung der Arbeit, nicht aber darauf an, daß H. wegen seines vorzeitigen Todes die Arbeitsleistung nicht mehr selbst erbringen konnte. Die von der Beklagten vertretene Ansicht hätte zur Folge, daß die Zuständigkeit des UV-Trägers vom Zeitpunkt des Unfallereignisses abhinge und somit die Inanspruchnahme des GUV durch Zufälligkeiten ausgelöst würde.
Mit ihrer Berufung hat die Beklagte geltend gemacht, bei der Zuständigkeitsabgrenzung komme es nach dem Gesetzeswortlaut allein auf die tatsächliche Dauer der nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten an, die bei H. nur einen einzigen Tag betragen habe; auf die Planung des Bauvorhabens sei es nicht entscheidend abzustellen, weil dies ein ungenauer und daher nicht verwertbarer Faktor sei. Der Kläger hat seinen Klagantrag dahin erweitert, daß er neben der Zuständigkeitsfeststellung die Verurteilung der Beklagten zur Leistungserstattung begehrt.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat am 24. Januar 1967 die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger die im Wege der vorläufigen Fürsorge gewährten Leistungen zu erstatten: Nach § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO hänge die Zuständigkeit des GUV davon ab, daß es sich um nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten handele. Das sei hier allerdings insofern nicht der Fall gewesen, als die Arbeiten wegen der Verhinderung des H. von der Bau-Fa. D ausgeführt worden seien; der effektive nicht gewerbsmäßige Anteil am Bauvorhanden beschränke sich also auf das Wegestück, das H. am Unfalltage zurückgelegt hatte. Die Zuständigkeit des UV-Trägers richte sich jedoch nicht nach der Dauer des nicht gewerbsmäßigen Anteils, sondern danach, ob für die vorgesehene Gesamtarbeit mehr oder weniger als 6 Arbeitstage tatsächlich verwendet wurden. Unerheblich sei, ob die Bauarbeiten in ihrer Gesamtheit letztlich gewerbsmäßig oder nicht gewerbsmäßig ausgeführt worden seien. Vielmehr komme es entscheidend darauf an, wie lange die geplanten Arbeiten tatsächlich gedauert hätten, so daß - wenn Planung und effektive Dauer zeitlich differierten - entscheidend auf die wirkliche Dauer abzustellen sei. Bei der Prüfung der Frage, ob eine länger dauernde oder eine kurze Arbeit vorliege, führe nur eine einheitliche Betrachtung zu einer sinngemäßen Gesetzesauslegung.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 20. Februar 1967 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 6. März 1967 Revision eingelegt und sie innerhalb der verlängerten Frist folgendermaßen begründet: Die Erwägung des LSG, der Gesetzgeber habe bei der Zuständigkeitsabgrenzung im § 657 Abs. 1 Nr. 7 keinen Wert darauf gelegt, ob die betreffenden Bauarbeiten in ihrer Gesamtheit letztlich gewerbsmäßig oder nicht gewerbsmäßig ausgeführt wurden, könne nicht überzeugen. Das LSG habe die Entstehungsgeschichte und den aktuellen Anlaß der jetzigen Fassung verkannt. Die frühere Sonderregelung für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten geringen Umfanges in § 798 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF habe durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) inhaltlich keine Änderung erfahren. Die Beseitigung der bisherigen Zweiganstalten der Bau-BGen habe die Zuständigkeit der GUVe mit sich gebracht. Für die Geringfügigkeit der nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten sei dagegen keine neue Begriffsbestimmung eingeführt worden. Insbesondere komme dem jetzt verwendeten Wort "geplante" eine lediglich redaktionelle, keineswegs aber eine maßstäbliche Bedeutung zu. Nach § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO komme es somit für die Zuständigkeit des Klägers allein darauf an, ob für die geplanten nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten nicht mehr als 6 Tage tatsächlich verwendet worden sind; auf nicht gewerbsmäßige Arbeiten sei hier durch H. überhaupt keine Zeit verwendet worden, da er schon auf dem Wege zur ersten Arbeitsaufnahme verunglückt sei. Dieser Unfall gelte lediglich aus Rechtsgründen als Arbeitsunfall. Es sei aber für die Auslegung des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO unerheblich, welche Umstände dazu führten, daß die Zahl von 6 Arbeitstagen nicht erreicht werde, ob etwa der Bauherr sich freiwillig anders entschließe, ob die von ihm eingesetzten Arbeitskräfte aus eigenem Entschluß oder - wie hier - infolge eines Unfalls nicht länger zur Verfügung stünden, und der Bauherr daher die Weiterführung der nicht gewerbsmäßigen Arbeiten aufgebe. In der Regel entziehe sich der Zeitaufwand für solche Bauarbeiten überhaupt einer im Baugewerbe üblichen exakten Berechnung (= Planung) und lasse sich deshalb erst nachträglich feststellen, so daß es zu einer unberechtigten Beitragserhebung durch die Bau-BG niemals komme. Zur Stützung ihrer Ansicht bezieht sich die Beklagte auf die am 22. April 1965 getroffene Verwaltungsvereinbarung zwischen den GUVen und den Bau-BGen über die Zuständigkeitsabgrenzung für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten. Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision. Er pflichtet dem angefochtenen Urteil bei.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg, da die Vorinstanzen im Ergebnis mit Recht dem Klagbegehren stattgegeben haben.
Die beteiligten UV-Träger streiten über die Zuständigkeit für die Gewährung der Hinterbliebenenrente, die wegen des tödlichen Arbeitsunfalls des H. vom 2. September 1963 an dessen Witwe zu zahlen ist. Die Zuständigkeit richtet sich danach, ob die nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten, die H. am Unfalltage aufnehmen wollte, als "längere" oder als "kurze" Eigenbauarbeiten anzusehen sind. Vor dem 1. Juli 1963 war diese Einteilung (vgl. § 798 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RVO aF) von Bedeutung lediglich für die Frage, wer die Prämien bzw. Beiträge zur Deckung des Versicherungswagnisses an die den Bau-BGen angegliederten Zweiganstalten (§ 783 Abs. 1 RVO aF) zu entrichten hatte. Mit dem Inkrafttreten des UVNG sind die Zweiganstalten beseitigt und die längeren Eigenbauarbeiten in die unmittelbare Zuständigkeit der Bau-BGen - regelmäßig gegen Zahlung erhöhter Beiträge (§ 728 Abs. 3 RVO) - überführt worden, während die UV kurzer Eigenbauarbeiten nunmehr von den Gemeinden bzw. von den GUVen wahrzunehmen ist. Teilweise in Anlehnung an § 798 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF besagt hierzu die Regelung des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO, daß der GUV Träger der UV für Versicherte bei Bauarbeiten ist, die - private - Unternehmer nicht gewerbsmäßig ausführen, wenn für die geplante Arbeit nicht mehr als 6 Arbeitstage tatsächlich verwendet werden.
Wie die Vorinstanzen nicht verkannt haben, ist es hierbei nicht auf einen Bau als Gesamtobjekt, sondern - was in § 798 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF noch ausdrücklich betont wurde auf die jeweils in Betracht kommende, durch bestimmte handwerklich-technische Verrichtungen gekennzeichnete einzelne Bauarbeit abzustellen (vgl. Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Auflage, Anm. 15 b zu § 657 unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil dieses Rechtsstreits). Daß die vom Bauherrn G. gewünschte Umgestaltung mehrere Fenster- und Türöffnungen ein einzelnes Arbeitsvorhaben in diesem Sinne darstellte, wird von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Umstritten ist dagegen die Auslegung des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO hinsichtlich der Bedeutung, die den Tatbestandsmerkmalen des "geplanten" und des "tatsächlichen" Arbeitsaufwands zukommt.
Der Ausdruck "tatsächlich" ist hierbei - wie das LSG zutreffend dargelegt hat - auf die Sache und nicht auf die Person zu beziehen (ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8. April 1968 - L 10a Ua 1004/66 -, auszugsweise abgedruckt in Lauterbach/Wickenhagen, UV-Rechtskartei Nr. 7012 zu § 657 Abs. 1 Nr. 7), d.h., es kommt darauf an, wie viele Arbeitstage auf das einzelne Bauvorhaben - in dem oben erörterten Sinne - tatsächlich verwendet worden sind, dagegen nicht unbedingt auch darauf, wie lange ein bestimmter hierfür angeworbener Arbeiter daran tätig gewesen ist. Daß diese Auffassung zutrifft, zeigt folgende Überlegung: Wäre es dem Bauherrn G. gelungen, nach dem Ausfall des H. einen anderen invaliden Maurer einzustellen, der die an Fenstern und Türen geplanten Arbeiten dann in 90 oder - wahrscheinlich - mehr Stunden erledigt hätte, so bestünde an der Zuständigkeit der Beklagten zur Entschädigungsleistung an die Witwe des H. nicht der geringste Zweifel. Die Bau-BG wäre zweifellos auch zuständig, wenn ein Bauherr nacheinander sieben nicht gewerbsmäßig tätige Arbeiter einsetzte, von denen jeder nach Ableistung eines Tagewerks durch Unfall oder Erkrankung ausscheiden müßte. Einen solchen Geschehensablauf etwa als sieben voneinander zu trennende Einsätze - bei denen jeweils nur ein Arbeitstag "tatsächlich verwendet" wurde - zu betrachten und daraus die Zuständigkeit des GUV herzuleiten, stünde auch in Widerspruch zu § 4 Abs. 2 der von der Revisionsbegründung angeführten Verwaltungsvereinbarung vom 22. April 1965.
Im vorliegenden Fall handelt es sich freilich nicht um eine solche Häufung mehrerer nicht gewerbsmäßiger Arbeitseinsätze; vielmehr ist das Bauvorhaben nach dem Ausscheiden des H. von einem gewerblichen Bauunternehmen ausgeführt worden. Fälle der hier gegebenen Art bedürfen - was in den Gründen des angefochtenen Urteils nicht hinreichend klar zum Ausdruck gelangt - einer differenzierenden Betrachtungsweise. Es kommt hierbei - entgegen dem Revisionsvorbringen - maßgeblich gerade darauf an, aus welchem Grund die nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten die geplante Dauer von mehr als sechs Arbeitstagen nicht erreicht haben. Erledigt z.B. der für eine auf acht Tage veranschlagte nicht gewerbsmäßige Bauarbeit herangezogene Maurer diese Arbeit schon in nur sechs Tagen, so handelt es sich um eine die Zuständigkeit des GUV begründende kurzfristige Bauarbeit im Sinne des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO (ebenso Lauterbach aaO); dasselbe wird anzunehmen sein, wenn ihn der Bauherr vor dem siebenten Tag entläßt und nun die angefangenen Arbeiten von einer Baufirma vollendet werden. Anders verhält es sich dagegen, wenn der vorzeitige Abbruch der nicht gewerbsmäßigen Arbeiten auf einem ungewollten Ereignis beruht, insbesondere wenn der nicht gewerbsmäßig Tätige durch Arbeitsunfall vor Ablauf von sieben Arbeitstagen ausscheidet. In solchen Fällen erfordert der Sinn der gesetzlichen Regelung eine Abgrenzung der Zuständigkeit danach, wie viele Arbeitstage der Verunglückte und die seinen Ausfall ersetzenden - gewerbsmäßig oder nicht gewerbsmäßig tätigen - Arbeitskräfte insgesamt für die geplante Arbeit tatsächlich verwendet haben. Bezöge man hierbei - entsprechend der von der Beklagten vertretenen Meinung - das Wort "tatsächlich" auf die Person des bei nicht gewerbsmäßiger Arbeit Verunglückten, so hinge die Zuständigkeit des UV-Trägers entscheidend vom Zeitpunkt des Unfallereignisses ab; dies kann jedoch nach Auffassung des Senats mit der in § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO getroffenen Regelung nicht beabsichtigt worden sein.
Da das angefochtene Urteil somit im Ergebnis zutrifft, muß die Revision gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen