Leitsatz (amtlich)

Durch das Abk Jugoslawien SozSich vom 1968-10-12 werden Ansprüche auf Beitragserstattung nach RVO § 1303 Abs 1 nicht berührt.

 

Leitsatz (redaktionell)

Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen an jugoslawische Gastarbeiter nach RVO § 1303 Abs 1:

1. Der Antrag nach RVO § 1303 Abs 1 ist eine Voraussetzung des Erstattungsanspruchs selbst.

2. Sind zur Zeit der Antragstellung die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, so entsteht nach allgemeinen Grundsätzen der Erstattungsanspruch mit der Stellung des Erstattungsantrages. Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag, wäre für den Versicherungsträger regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.

 

Normenkette

RVO § 1303 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1957-02-23; SozSichAbk YUG Art. 39 Abs. 2 Fassung: 1968-10-12

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. November 1971, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 22. Januar 1971 sowie der Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 1970 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Hälfte der für ihn für die Zeit vom 3. Dezember 1963 bis 5. Juli 1967 entrichteten Rentenversicherungsbeiträge zu erstatten.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

Es ist zu entscheiden, ob die Beklagte den Antrag des Klägers auf Beitragserstattung (§ 1303 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO - in der bis zum Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 - BGBl I, 1965 - geltenden Fassung) mit Rücksicht auf das deutsch-jugoslawische Abkommen vom 12. Oktober 1968 und im Hinblick auf inzwischen in Jugoslawien aufgenommene versicherungspflichtige Beschäftigungen ablehnen durfte.

Der Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger. Für ihn sind im Bundesgebiet für die Zeit vom 3. Dezember 1963 bis zum 5. Juli 1967 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet worden. Seit dem 28. Februar 1969 ist der Kläger mit Unterbrechungen in Jugoslawien versicherungspflichtig beschäftigt. Am 19. August 1969 beantragte er, ihm die Hälfte der im Bundesgebiet entrichteten Beiträge zu erstatten. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 9. Juli 1970 mit der Begründung ab, daß die seit dem 28. Februar 1969 in Jugoslawien ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigungen eine Erstattung ausschlössen, weil sie nach dem inzwischen am 1. September 1969 in Kraft getretenen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 - BGBl 69, II, 1437) einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bundesgebiet gleichstünden.

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Landshut - SG - vom 22. Januar 1971, Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 11. November 1971). Im Berufungsurteil ist u. a. ausgeführt, daß das deutsch-jugoslawische Abkommen auch Ansprüche auf Beitragserstattungen erfasse. Die im Abkommen vorgeschriebene Gleichstellung der in den beiden Vertragsstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten stehe einer Beitragserstattung entgegen. Eine solche Auslegung entspreche auch dem Sinn des Abkommens; dieses verfolge nämlich den Zweck, bei der Gewährung von Leistungen eine Berücksichtigung auch der im anderen Vertragsstaat zurückgelegten Versicherungszeiten zu ermöglichen. Diese Zielsetzung würde aber vereitelt, wenn sich der nach Jugoslawien zurückgekehrte Versicherte seine aufgrund einer vorübergehenden Beschäftigung im Bundesgebiet entrichteten Beiträge ohne weiteres erstatten lassen könnte. Dem Umstand, daß das Abkommen erst nach dem Ablauf der Zweijahresfrist des § 1303 Abs. 1 Satz 3 RVO und nach Stellung des Antrags auf Beitragserstattung in Kraft getreten sei, komme keine Bedeutung zu. Der Fristablauf sei nicht eine Anspruchsvoraussetzung, sondern lediglich eine Bedingung für die Zulässigkeit des Erstattungsantrages. Anspruchsvoraussetzung sei hingegen, daß der Versicherte nicht "inzwischen", d. h. nach Ansicht des LSG bis zur Entscheidung des Versicherungsträgers über den Erstattungsantrag, eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen habe. Dies sei hier jedoch geschehen. Nach Art. 39 Abs. 2 des Abkommens seien die für die Leistungsgewährung erheblichen Tatsachen seit dem Inkrafttreten des Abkommens auch dann zu berücksichtigen, wenn sie bereits vor diesem Zeitpunkt vorgelegen hätten. Der Kläger befinde sich seit dem Inkrafttreten des Abkommens in der gleichen Lage wie ein ausschließlich im Bundesgebiet Versicherter, der zwar seine Pflichtversicherung unterbrochen habe, aber nicht endgültig aus dem Kreis der versicherten Arbeitnehmer ausgeschieden sei. Wie dieser habe er ein schutzwürdiges Interesse daran, daß die bereits erworbene Anwartschaft auf seine soziale Sicherung nicht ganz oder zum Teil durch eine Beitragserstattung wieder verloren gehe.

Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger sinngemäß,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zur Erstattung der Hälfte der im Bundesgebiet entrichteten Beiträge zu verurteilen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Er macht geltend, daß das Abkommen unzweifelhaft keine Anwendung hätte finden können, wenn die Beklagte bereits von dessen Inkrafttreten über den Antrag befunden hätte. Er habe seit der Aufgabe seiner Beschäftigung im Bundesgebiet damit gerechnet, den Erstattungsantrag im Juli 1969 stellen zu können; darauf habe er sich eingerichtet.

Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

Die Revision ist begründet. Dem Kläger stand bereits zur Zeit des Inkrafttretens des Abkommens ein Anspruch auf Beitragserstattung zu; dieser Anspruch ist auch nicht durch das Abkommen rückwirkend vernichtet worden.

Der Anspruch des Klägers ist mit der Stellung des Antrages entstanden. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 1. Juli 1959 (BSG 10, 127 (129)) ausgeführt hat, ist der Antrag eine Voraussetzung des Erstattungsanspruchs selbst. Sind zur Zeit des Antrags die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, so entsteht nach allgemeinen Grundsätzen der Anspruch in diesem Zeitpunkt. Dieser Sachverhalt war mit Eingang des Antrags auf Beitragserstattung am 19. August 1969 gegeben. Dabei mag offenbleiben, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang der Zweijahresfrist des § 1303 Abs. 1 RVO beizumessen ist. Selbst wenn man, wie es das LSG getan hat, im Fristablauf "lediglich eine Bedingung für die Zulässigkeit der Anmeldung des Anspruchs" erblicken wollte, bliebe zu bedenken, daß dann vor Ablauf der Frist ein wirksamer Antrag nicht gestellt und damit eine Anspruchsvoraussetzung nicht erfüllt werden könnte. War hingegen die Frist zur Zeit des Antrags bereits abgelaufen, so ist der Antrag wirksam und der Anspruch entstanden. Damit vermögen Betrachtungen, wie sie das LSG angestellt hat, zur Beantwortung der Frage, von welchem Zeitpunkt an der neuerliche Eintritt von Versicherungspflicht im Sinne von § 1303 Abs. 1 Satz 3 RVO unschädlich ist, nichts beizutragen. Das LSG meint freilich, im Hinblick auf die Zweijahresfrist folgern zu können, das vom Gesetz gebrauchte Wort "inzwischen" beziehe sich auf den Zeitraum zwischen dem Wegfall der Versicherungspflicht und der Entscheidung über den Erstattungsantrag. Diese Ansicht steht im Widerspruch zu dem natürlichen Wortsinn von § 1303 Abs. 1 Satz 3 RVO. Danach kann sich das Wort "inzwischen", soweit es den Endpunkt betrifft, nur auf eines der beiden in diesem Satz erwähnten Ereignisse, nämlich den Ablauf der Zweijahresfrist (so Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 1. Aufl., Erl. II 1 a cc); vgl. dazu auch BSG 31, 177 (178) oder auf den Zeitpunkt der Antragstellung beziehen. Überzeugende Gründe, die eine abweichende Deutung des Gesetzeswortlauts rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Erstattungsantrag, wie es das LSG für geboten hält, wäre für den Versicherungsträger regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Zumeist erhält der Rentenversicherungsträger von der Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen nur mit beträchtlicher Verspätung Kenntnis. Das gilt auch heute noch, soweit von den durch die Verordnung über die Datenübermittlung in den gesetzlichen Rentenversicherungen vom 21. April 1971 (BGBl I, 362) gebotenen Möglichkeiten noch kein Gebrauch gemacht wird. Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß der Gesetzgeber diese Schwierigkeiten, die sich bei der von dem LSG vertretenen Auffassung ergeben, gewollt haben sollte. Sie werden dagegen bei einer dem Gesetzeswortlaut entsprechenden Auslegung weitgehend vermieden. Demgegenüber fällt die Erwägung, daß die Beitragserstattung weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten und das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung ausschließt (§ 1303 Abs. 7 RVO), unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber vorgenommenen Interessenabwägung nicht ins Gewicht. In diesem Zusammenhang mag in Kauf genommen worden sein, daß ein Versicherter, dem die Beiträge erstattet worden sind und der später wieder versicherungspflichtig wird, die bis zur Erstattung entrichteten Beiträge nicht angerechnet erhält und damit eine gewisse Beeinträchtigung seiner sozialen Sicherung erleidet. Der Versicherte mag seinen Erstattungsantrag zurücknehmen, wenn er erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt und über den Antrag noch nicht bindend entschieden worden ist. Dadurch kann er die von ihm getroffene Wahl korrigieren.

Der mithin mit dem Antrag vom 19. August 1969 entstandene Erstattungsanspruch des Klägers ist durch das Inkrafttreten des Abkommens vom 12. Oktober 1968 nicht berührt worden. Die Beitragserstattung in der gesetzlichen Rentenversicherung ist im Abkommen nicht ausdrücklich erwähnt. Entsprechendes gilt auch für die Weiterversicherung; Art. 12 bezieht sich nur auf die gesetzliche Krankenversicherung. Aus Art. 11 und 25 des Abkommens ist jedoch, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, zu folgern, daß auch für das Recht der Weiterversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung und für den Anspruch auf Beitragserstattung jugoslawische Versicherungszeiten deutschen Versicherungszeiten gleichstehen. Dies gilt, wie sich aus Art. 39 ergibt, rückwirkend. Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens an sind mithin bei der Anwendung von § 1303 Abs. 1 RVO die nach jugoslawischem Recht in der Vergangenheit zurückgelegten Versicherungszeiten so zu behandeln, wie wenn sie im Bundesgebiet zurückgelegt worden wären. Gleiches ist jedoch nicht für Fälle anzunehmen, in denen - wie hier - der Antrag auf Beitragserstattung bereits vor dem 1. September 1969 gestellt worden ist und auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren. Das Abkommen bietet keinen Anhalt dafür, daß bereits entstandene Ansprüche rückwirkend vernichtet werden sollten. Ein solches Ergebnis kann insbesondere nicht aus Art. 39 Abs. 2 des Abkommens hergeleitet werden. Diese Vorschrift schreibt zwar vor, daß bei Anwendung des Abkommens auch die vor seinem Inkrafttreten nach den Rechtsvorschriften der Vertragsstaaten gegebenen erheblichen Tatsachen zu berücksichtigen sind; sie sagt aber nichts darüber aus, welche Auswirkungen das Abkommen auf bereits eingetretene Rechtsfolgen haben soll. Aus Art. 39 Abs. 4 des Abkommens ist indessen zu entnehmen, daß die Vertragsschließenden nur Verbesserungen der Rechtsstellung der Betroffenen im Auge gehabt haben und, wie sich aus dem letzten Satz ergibt, Eingriffe in gegebene Rechtspositionen vermeiden wollten. Einen solchen Eingriff würde es aber darstellen, wenn ein bereits entstandener und zu erfüllender Anspruch rückwirkend vernichtet worden wäre. Daß die Beitragserstattung auch mit Rechtsnachteilen verbunden sein kann, fällt schon deswegen nicht ins Gewicht, weil es der Gesetzgeber der freien Entscheidung des Versicherten überlassen hat, ob dieser den Anspruch erwerben und dabei die genannten Einbußen in Kauf nehmen will.

Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu dem Urteil des 3. Senats vom 16. Februar 1961 (BSG 14, 33). Dort war darüber zu entscheiden, ob der Gesetzgeber in § 1303 Abs. 1 RVO einen Anspruch auf Beitragserstattung auch für den Fall hatte begründen wollen, daß ein Weiterversicherungsrecht nicht nach § 1233 RVO, sondern nach der Übergangsvorschrift des Art. 2 § 4 ArVNG bestand. Hier hingegen ging es um die davon wesentlich verschiedene Frage, ob der Gesetzgeber einen bereits entstandenen Anspruch auf Beitragserstattung rückwirkend vernichtet hat oder nicht. Daß die Beitragserstattung danach auch in einer begrenzten Zahl von Fällen durchzuführen ist, in denen ein Weiterversicherungsrecht besteht, mag vom Grundgedanken des § 1303 RVO her nicht voll befriedigend erscheinen, muß aber im Hinblick auf die gegebene besondere Problematik hingenommen werden. Kein Widerspruch besteht auch zum Urteil des erkennenden Senats vom 21. Januar 1971 (SozR Nr. 12 zu § 1303 RVO). Das dort anzuwendende deutsch-dänische Abkommen war bereits vor Einführung der in § 1303 RVO vorgesehenen Beitragserstattung in Kraft getreten. Damit kam dort der Frage, wie sich das Inkrafttreten von Sozialversicherungsabkommen auf bereits entstandene Ansprüche auf Beitragserstattung auswirkt, keinerlei Bedeutung zu.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669367

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