Leitsatz (amtlich)

Im Streit um die Ansprüche auf Erhöhung von MdE und Rente wegen besonderer beruflicher Betroffenheit (BVG § 30 Abs 2) und auf Berufsschadensausgleich (BVG § 30 Abs 3 und 4) ist die durch SGG § 148 Nr 2 ausgeschlossene Berufung auch dann nicht gemäß SGG § 150 Nr 3 zulässig, wenn der ursächliche Zusammenhang der besonderen beruflichen Betroffenheit und des Berufsschadens mit einer Schädigung iS des BVG streitig ist. Die ausnahmsweise Eröffnung der Berufung in den von SGG § 150 Nr 3 genannten Fällen ist auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zum sogenannten Nachschaden einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich.

 

Normenkette

SGG § 148 Nr. 2 Fassung: 1958-06-25, § 150 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.12.1978; Aktenzeichen L 4 V 36/78)

SG Trier (Entscheidung vom 08.12.1977; Aktenzeichen S 4 V 61/76)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Dezember 1978 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Revision betrifft die Frage der Zulässigkeit der Berufung nach § 150 Nr 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) im Streit um die Anerkennung besonderer beruflicher Betroffenheit und um den Anspruch auf Berufsschadensausgleich (BSA).

Der 1972 verstorbene Ehemann der Klägerin, A S (S.), bezog unter anderem wegen traumatischen Hirndauerschadens mit leichten neurologischen Ausfallerscheinungen und geringer Hirnleistungsschwäche Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH. Zur Zeit seines Todes war ein Berufungsverfahren gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Trier vom 1. Dezember 1971 (S 6 V 240/70) anhängig, das sein Begehren abgewiesen hatte, eine Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen und zusätzlich ein Herz-, Blasen- und Nierenleiden anzuerkennen und zu § 30 Abs 2 und 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) einen Zugunstenbescheid zu erlassen. Das Berufungsverfahren endete mit einem Vergleich, wonach der Beklagte die Sache gemäß der Anregung des Gerichts weiter aufklären und abschließend einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid erteilen sollte.

In Ausführung des Vergleichs erging der Bescheid vom 1. August 1973, der den Antrag auf Neufestsetzung der Versorgungsbezüge nach § 62 BVG und auf Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins sowie die Gewährung von Berufsschadensausgleich ablehnte. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 4. März 1976). Das SG Trier hat mit Urteil vom 8. Dezember 1977 die verbundenen Klagen auf Anerkennung einer Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen, auf zusätzliche Anerkennung von Herz-, Blasen- und Nierenleiden, auf Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins und Gewährung von Berufsschadensausgleich sowie auf Hinterbliebenenrente und volles Bestattungsgeld abgewiesen. In der Berufungsbegründung hat die Klägerin vorgetragen, die Berufung werde lediglich hinsichtlich der Nichtanerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins gemäß § 30 Abs 2 BVG sowie wegen der Nichtgewährung von Berufsschadensausgleich gemäß § 30 Abs 3 und 4 BVG erhoben. In den übrigen Klagepunkten werde der Rechtsstreit als erledigt betrachtet. Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Berufung durch Urteil vom 12. Dezember 1978 als unzulässig verworfen und die Revision zugelassen. Es hat ausgeführt, nach § 148 Nr 2 SGG sei in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung die Berufung nicht zulässig, soweit sie nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume betreffe. Darunter falle das Begehren der Klägerin, das auf Rente für S. nach einer höheren MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins und Berufsschadensausgleich bis zu seinem Tode gerichtet sei. Mangels ausdrücklicher Zulassung der Berufung und eines gerügten sowie tatsächlich vorliegenden wesentlichen Verfahrensmangels und weil weder der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung iS des BVG streitig sei noch das SG eine Gesundheitsstörung als nicht feststellbar erachtet habe, sei die Berufung auch nicht nach § 150 SGG zulässig. Eine ausdehnende Auslegung des § 150 Nr 3 SGG dahin, daß auch ein Streit über den ursächlichen Zusammenhang zwischen Schädigung und Einkommensverlust von dieser Regelung erfaßt werde, sei nicht möglich. Denn dieser Zusammenhang sei seit Einführung der Ansprüche wegen besonderer beruflicher Betroffenheit und auf Berufsschadensausgleich oft problematisch gewesen. Der Gesetzgeber habe sich jedoch zu einer Erweiterung des § 150 Nr 3 SGG nicht entschlossen. Auch aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum sogenannten Nachschaden könne deshalb eine Ausdehnung des § 150 Nr 3 SGG nicht gefolgert werden.

Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 150 Nr 3 SGG und macht geltend, das LSG sei eine Begründung dafür schuldig geblieben, daß analog der vom BSG im Urteil vom 25. Januar 1974 - 10 RV 261/73 - zum sogenannten Nachschaden vertretenen Rechtsauffassung keine erweiternde Auslegung des § 150 Nr 3 SGG möglich sei.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Dezember 1978 die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen;

hilfsweise,

unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Dezember 1978, des Urteils des Sozialgerichts Trier vom 8. Dezember 1977 und des Bescheides des Beklagten vom 1. August 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1976 den Beklagten zu verurteilen, die Ansprüche der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des S. auf Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins und auf Zuerkennung eines Berufsschadensausgleichs unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts für die Zeit von Oktober 1966 bis Februar 1972 unter dem Gesichtspunkt eines Zugunstenbescheides erneut zu prüfen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; sie ist zurückzuweisen.

Auszugehen ist von der von der Revision nicht angegriffenen und somit gemäß § 163 SGG für das BSG bindenden Feststellung des LSG, daß die Klägerin zunächst ohne jede Beschränkung Berufung gegen das Urteil des SG eingelegt hat, in der Berufungsbegründung aber das Rechtsmittel auf die Nichtanerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins gemäß § 30 Abs 2 BVG sowie auf die Nichtgewährung von Berufsschadensausgleich gemäß § 30 Abs 3 und 4 BVG beschränkt hat, indem sie in den übrigen Klagepunkten den Rechtsstreit ausdrücklich als erledigt bezeichnet hat. Damit hat die Klägerin zum Ausdruck gebracht, daß sie die Entscheidung des SG zu den Ansprüchen auf Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen, auf Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen, auf Gewährung einer höheren Rente wegen Zunahme oder Hinzutretens von Schädigungsfolgen sowie auf Witwenrente und Bestattungsgeld keiner weiteren Nachprüfung unterwerfen will, sondern sie als endgültig hinnimmt. Unerheblich ist, ob für die Zulässigkeit der Berufung auf den Zeitpunkt ihrer Einlegung oder den der Berufungsbegründung abzustellen ist. Das SG hatte nämlich über mehrere selbständige Ansprüche zu entscheiden. Die Zulässigkeit der Berufung war in jedem Falle für jeden dieser Ansprüche gesondert zu prüfen (BSGE 5, 222, 225). Sowohl der Anspruch auf Erhöhung der Rente wegen Anerkennung besonderer beruflicher Betroffenheit als auch der Anspruch auf Zuerkennung eines Berufsschadensausgleichs für S. in der Zeit von der Antragstellung bis zu seinem Tode betrafen nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume iS von § 148 Nr 2 SGG. Insoweit ist, wie das LSG zutreffend erkannt und die Revision auch nicht bezweifelt hat, die Berufung der Klägerin nicht zulässig gewesen.

Entgegen der von der Revision offenbar vertretenen Auffassung kann die Zulässigkeit der Berufung hier aber auch nicht aus § 150 Nr 3 SGG hergeleitet werden. Danach ist die Berufung ungeachtet der §§ 144 bis 149 SGG zulässig, wenn der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit oder einer Schädigung iS des BVG streitig ist oder das SG eine Gesundheitsstörung nicht als feststellbar erachtet hat. Letzteres kommt hier nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt nicht in Betracht. Auch der ursächliche Zusammenhang des Todes mit einer Schädigung iS des BVG ist im Rahmen der Ansprüche auf Rentenerhöhung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit und Berufsschadensausgleich nicht streitig. Die Berufung hätte mithin nur zulässig sein können, wenn der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung iS des BVG streitig gewesen wäre. Daß dies nicht der Fall war, hat selbst die Revision nicht bezweifelt. Sie meint indes wohl, daß die Rechtsprechung des BSG zum sogenannten Nachschaden die ausdehnende Auslegung des § 150 Nr 3 SGG in dem Sinne erfordere, daß nunmehr die Berufung auch dann zulässig sein müsse, wenn der ursächliche Zusammenhang einer besonderen beruflichen Betroffenheit oder eines Berufsschadens mit einer Schädigung iS des BVG streitig sei. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

Wie schon der 11. Senat des BSG im Urteil vom 25. August 1960 (BSGE 13, 40) zur Hilflosigkeit angedeutet und der erkennende Senat im Urteil vom 29. November 1973 (BSGE 36, 283) zur besonderen beruflichen Betroffenheit und im Urteil vom 25. Januar 1974 (BSGE 37, 80, 85) zum Berufsschadensausgleich ausgeführt hat (vgl neuerdings auch das Urteil des erkennenden Senats vom 31. Mai 1979 - 10 RV 55/78 -), ist die Kausalkette in den genannten Fällen um ein weiteres Glied als weitere Folge der Schädigung verlängert worden. Der Gesetzgeber, der seine Regelungen der Entschädigung des besonderen beruflichen Betroffenseins und des Berufsschadens nacheinander und unter mehrfacher Änderung sowie schließlich auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats zum sogenannten Nachschaden vorgenommen hat, hat von einer Erweiterung der Ausnahmeregelung des § 150 Nr 3 SGG jedoch abgesehen. Dies wiegt um so schwerer, als dem Gesetzgeber bekannt war, daß das BSG zum ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einem Arbeitsunfall oder einer Schädigung iS des BVG nicht die Frage rechnet, ob das Unfallereignis mit einer durch die Unfallversicherung geschützten Tätigkeit und ob der schädigende Vorgang mit einem versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand zusammenhängt (vgl BSGE 6, 120; SozR SGG § 162 Nr 96). Veranlaßte diese enge Auslegung des Begriffs der Zusammenhangsfrage im Verfahrensrecht den Gesetzgeber nicht zu einer Erweiterung des § 150 Nr 3 SGG und der ihm entsprechenden Regelung im Revisionsverfahren, so wird daran deutlich, daß die dieser Vorschrift vom BSG gegebene Auslegung auch der Auffassung des Gesetzgebers entsprach.

Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte nur die enge Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Gesundheitsstörung oder Tod einerseits und Arbeitsunfall oder Schädigung andererseits ausnahmsweise das Berufungsverfahren eröffnen, obwohl die nach materiellem Recht zur Entschädigung führenden Kausalketten nicht selten über die Gesundheitsstörung hinaus das Vorliegen eines weiteren Tatbestandsmerkmals - Hilflosigkeit, besondere berufliche Betroffenheit, Berufsschaden - erforderten. Eine ausdehnende Auslegung des § 150 Nr 3 SGG wäre nur möglich, wenn der Gesetzgeber nachweislich bei Änderungen des materiellen Rechts keine verfahrensrechtlichen Überlegungen angestellt hätte. Das trifft jedoch nicht zu. Wie aus § 6 des Gesetzes über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen in der Fassung vom 18. März 1964 (BGBl I S. 219), aus § 10 Abs 3 des Häftlingshilfegesetzes in der Fassung vom 29. September 1969 (BGBl I S. 1793), aus § 61 Abs 2 des Bundesseuchengesetzes vom 18. Juli 1961 (BGBl I S. 1012), aus § 27 des Bundeskindergeldgesetzes in der Fassung vom 31. Januar 1975 (BGBl. I S. 412), aus § 88 Abs 5 des Soldatenversorgungsgesetzes in der Fassung vom 1. September 1971 (BGBl I S. 1481) und schließlich auch aus § 3 Abs 6 des Schwerbehindertengesetzes vom 29. April 1974 (BGBl I S. 1005), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Juni 1976 (BGBl I S. 1481) ersichtlich ist, hat der Gesetzgeber bei der Neueinführung oder Veränderung von Ansprüchen durchaus auch die verfahrensrechtliche Seite bedacht und geregelt. Er hat dies jedoch nicht in der Weise getan, daß der Klägerin zur Durchsetzung der noch streitigen Ansprüche die Berufungsinstanz eröffnet worden ist. Da das Gesetz also nicht planwidrig lückenhaft ist, sind die Gerichte nicht befugt, vom Gesetzgeber bewußt nicht vorgenommene und auch nicht gewollte Ausdehnungen des gesetzlich vorgesehenen Rechtsschutzangebotes herbeizuführen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 95

Breith. 1980, 910

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge