Entscheidungsstichwort (Thema)
Abänderungsklage. Vollstreckungsgegenklage. Unterhaltstitel. Unterhalt. eheliche Verhältnisse. Geschiedenenunterhalt. Erwerbstätigenbonus. Unterhaltsanspruch. Bemessung. Berechnung. Unterhaltsbedarf. Bedürftigkeit. Leistungsfähigkeit. Bedarfsermittlung. Einkommensverhältnisse. Änderung
Leitsatz (amtlich)
- Ein vollstreckbarer Unterhaltstitel beweist ausnahmsweise dann nicht das Bestehen einer Unterhaltspflicht des Ausgleichsverpflichteten nach § 5 Abs 1 VersorgAusglHärteG, wenn dieser nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 ZPO die Wirkung des Titels hätte beseitigen können.
- Der nacheheliche Unterhaltsanspruch iS des § 5 Abs 1 VersorgAusglHärteG setzt nicht in jedem Fall voraus, daß der Ausgleichsberechtigte Unterhalt fordert und der Ausgleichsverpflichtete Unterhalt leistet.
- Nicht erst bei der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners, sondern bereits bei der Bemessung des nachehelichen Unterhaltsbedarfs des Unterhaltsgläubigers ist von der Rente des Ausgleichsverpflichteten ohne die Minderung infolge des durchgeführten Versorgungsausgleichs auszugehen.
Normenkette
RKG § 96a Abs. 4 S. 1, § 98a; VersorgAusglHärteG § 5 Abs. 1, §§ 6, 9 Abs. 1-2; BGB §§ 1569, 1577 Abs. 1, § 1578 Abs. 1 S. 1, § 1581; ZPO § 323 Abs. 1, §§ 704, 767, 794
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27.07.1993; Aktenzeichen L 18 Kn 11/93) |
SG Gelsenkirchen (Urteil vom 12.02.1993; Aktenzeichen S 7 Kn 77/92) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 1993 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger trotz durchgeführten Versorgungsausgleichs Knappschaftsausgleichsleistungen ungekürzt zu gewähren sind, weil zu seinen Gunsten § 5 Abs 1 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) vom 21. Februar 1983 (BGBl I S 105) Anwendung findet.
Mit Scheidungsurteil vom 8. März 1984 (rechtskräftig seit 17. April 1984) übertrug das Amtsgericht – Familiengericht – Recklinghausen der geschiedenen Ehefrau des Klägers zu dessen Lasten Rentenanwartschaften in Höhe von DM 936,55 (bezogen auf den 31. Dezember 1982). Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm sprach ihr mit Urteil vom 18. Oktober 1985 für die Zeit ab 1. Januar 1985 in der beantragten Höhe Aufstockungsunterhalt von DM 850,00 monatlich zu. Es stellte fest, trotz des Sorgerechts für den am 27. September 1971 geborenen Sohn (die Tochter war bereits volljährig) sei die nach der Trennung der Eheleute im März 1982 aufgenommene Halbtagstätigkeit als Altenpflegerin beim Caritasverband mit einem Einkommen von DM 400,00 monatlich zumutbar und ausreichend. Der Kläger sei während der seit dem Jahre 1959 bestehenden Ehe der Alleinverdiener gewesen, seine geschiedene Ehefrau könne nicht mehr in den vor der Ehe ausgeübten Beruf einer gelernten Verkäuferin zurückkehren. Ihre anrechenbaren Einkünfte und ihr Anspruch auf Aufstockungsunterhalt in der beantragten Höhe von DM 850,00 erreichten nahezu ihren Unterhaltsbedarf, der sich nach der Hälfte des anrechenbaren Nettoeinkommens des Klägers bemesse.
Zum 31. Dezember 1989 schied der Kläger aus den Diensten der R.… AG aus. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 18. September 1990 ab 1. Oktober 1990 eine Knappschaftsausgleichsleistung. Sie berücksichtigte dabei nach § 96a Abs 4 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) die Rentenminderung infolge des Versorgungsausgleichs und stellte gleichzeitig fest, daß die Härteregelung des § 5 VAHRG keine Anwendung finde: Der Kläger zahle nach seinen Angaben seit Dezember 1989 seiner geschiedenen Ehefrau keinen Unterhalt, weil diese einer ganztägigen Erwerbstätigkeit nachgehe. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 1991). Im anschließenden Klageverfahren erklärte sich die Beklagte vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen am 7. Januar 1992 bereit, erneut über die Anwendung der Härteregelung des § 5 VAHRG zu entscheiden. Mit Bescheid vom 3. Juni 1992, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 17. November 1992, lehnte sie die Anwendung des § 5 VAHRG abermals ab: Nach den durchgeführten Ermittlungen stehe die geschiedene Ehefrau des Klägers seit dem Jahre 1989 in einem Beschäftigungsverhältnis und erziele ein laufendes Einkommen von über DM 2.300,00 monatlich. Ihr Unterhaltsbedarf, der 1985 gerichtlich mit DM 1.391,50 monatlich beziffert worden sei, hätte projiziert auf den Zeitpunkt des Rentenbeginns DM 1.461,00 betragen und liege damit weit unter ihrem laufenden Einkommen.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. Februar 1993), das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 27. Juli 1993): Der Träger der Rentenversicherung sei berechtigt, nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 Zivilprozeßordnung (ZPO) zu prüfen, ob eine Änderung eingetreten sei, die zu einer Beseitigung des Unterhaltstitels berechtige. Denn nur eine tatsächlich bestehende Unterhaltsverpflichtung könne zu jenen Härten führen, die durch § 5 VAHRG nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) behoben werden sollten. Dem Kläger stehe zwar frei, Abänderungsklage zu erheben, er könne sich jedoch auf den Titel dann nicht mehr berufen, wenn die gesetzliche Unterhaltspflicht tatsächlich entfallen sei. Gegenüber den Verhältnissen, die dem Urteil des OLG Hamm zugrunde gelegen hatten, sei insoweit eine Änderung eingetreten, als die geschiedene Ehefrau nunmehr durch eine zumutbare Vollerwerbstätigkeit ein Nettoeinkommen von DM 2.300,00 monatlich erziele. Damit sei Aufstockungsunterhalt mangels Bedürftigkeit nicht mehr zu zahlen, selbst wenn man von der ungekürzten Knappschaftsausgleichsleistung ausgehe. Diese hätte (netto) am 1. Oktober 1990 monatlich DM 3.366,05 betragen. Die Hälfte davon sei der nach den ehelichen Lebensverhältnissen ermittelte Unterhaltsbedarf der geschiedenen Ehefrau des Klägers. Ihr voll anrechenbares Nettoeinkommen liege weit über diesem Betrag.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 5 VAHRG: Seine geschiedene Ehefrau sei im Besitz eines Unterhaltstitels, der ihn zur Zahlung verpflichte. Er müsse lediglich wegen der Erwerbseinkünfte seiner geschiedenen Ehefrau derzeit keine Leistungen erbringen. Auch diese Fälle seien von der Härteregelung umfaßt und durch den Gesetzgebungsauftrag im Urteil des BVerfG vom 28. Februar 1980 (BVerfGE 53, 257) gedeckt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12. Februar 1993 und das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 1993 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3. Juni 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. November 1992 zu verurteilen, den Bescheid vom 18. September 1990 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 1991 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger die Knappschaftsausgleichsleistungen ungekürzt zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend, das der einhelligen Meinung in der Kommentarliteratur entspreche.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht begründet. Es fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen, die eine Beurteilung zulassen, ob und wie lange der früheren Ehefrau des Klägers seit dem 1. Oktober 1990 ein Unterhaltsanspruch gegen den Kläger zustand.
Die Beklagte hat auf der Grundlage des am 7. Januar 1992 vor dem SG Gelsenkirchen (Az: S 2 Kn 17/91) geschlossenen Vergleichs mit Bescheid vom 3. Juni 1992 erneut den Anspruch des Klägers verneint, nach § 5 Abs 1 VAHRG die durch den Versorgungsausgleich bedingte Kürzung der ihm seit dem 1. Oktober 1990 gewährten Knappschaftsausgleichsleistung (§ 96a Abs 4 Satz 1, § 98a RKG; dazu BSG vom 14. Januar 1986, BSGE 59, 246, 247 = SozR 5795 § 5 Nr 1) auszusetzen. Nach dieser nunmehr unbefristet (Art 30 Nr 2 Buchst b Rentenüberleitungsgesetz ≪RÜG≫ vom 25. Juli 1991, BGBl I S 1606) geltenden Härteregelung ist die Kürzung so lange auszusetzen, wie die frühere Ehefrau des Klägers noch keine Rente aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anspruch erhalten kann und gleichzeitig gegen den Kläger einen Anspruch auf Unterhalt hat oder nur deshalb nicht hat, weil dieser zur Unterhaltsleistung wegen der auf dem Versorgungsausgleich beruhenden Kürzung der Knappschaftsausgleichsleistung außerstande ist.
Nach den mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen und damit für den Senat verbindlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war die im Jahre 1936 geborene frühere Ehefrau des Klägers in der Zeit nach dem 1. Oktober 1990 voll erwerbstätig. Sie kann deshalb seitdem nicht mit Aussicht auf Erfolg einen Anspruch auf Rente nach dem Sechsten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) geltend machen, bei der sich die infolge des Versorgungsausgleichs übertragenen Anwartschaften erhöhend auswirken würden.
Ob sie gleichzeitig gegen den Kläger einen Unterhaltsanspruch hatte, kann jedoch auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht entschieden werden. Zwar hat das LSG richtig erkannt, daß sich iS des § 5 Abs 1 VAHRG ein solcher Unterhaltsanspruch nicht bereits aus dem im Jahre 1985 erwirkten Unterhaltstitel ergibt, wenn dieser nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 ZPO beseitigt werden kann (1). Eine Änderung der Verhältnisse seit dem Jahre 1985, die zum völligen Wegfall des Unterhaltsanspruchs geführt haben könnte, ist jedoch bereits deshalb nicht nachweisbar, weil das LSG die unterhaltsrelevanten Einkommensverhältnisse der früheren Eheleute seit dem 1. Oktober 1990 nicht festgestellt hat (2). Das LSG hat deshalb die erforderlichen Ermittlungen nachzuholen und den Unterhaltsanspruch der früheren Ehefrau des Klägers unter Beachtung der Grundsätze des nachehelichen Unterhaltsrechts zu bemessen (3).
(Zu 1): Zutreffend hat es das LSG für die Anwendung des § 5 Abs 1 VAHRG nicht für maßgebend erachtet, daß der Kläger durch das vollstreckbare, rechtskräftige Urteil des OLG Hamm vom 18. Oktober 1985 verpflichtet ist, für die Zeit vom 1. Januar 1985 an seine geschiedene Ehefrau monatlich je DM 850,00 zu zahlen. Ein vollstreckbarer Unterhaltstitel (vgl §§ 704, 794 ZPO) beweist in der Regel das Bestehen einer Unterhaltspflicht. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn sich die dem Unterhaltstitel zugrundeliegenden Verhältnisse wesentlich geändert haben. In diesen Fällen kann nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 ZPO der Unterhaltstitel beseitigt bzw eine Vollstreckung abgewehrt werden. § 5 Abs 1 VAHRG stellt allein auf das tatsächliche Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht ab; nur dann kann es zu einer Härte derart kommen, wie sie das VAHRG vermeiden will.
Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Regelung. Der Gesetzgeber entsprach damit dem Auftrag des BVerfG im Urteil vom 28. Februar 1980 (BVerfGE 53, 257 = SozR 7610 § 1587 Nr 1). Das BVerfG hatte den Versorgungsausgleich zwischen geschiedenen Ehegatten nach den §§ 1587 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) prinzipiell als mit dem Grundgesetz für vereinbar erklärt und die Kürzung der Rente des Ausgleichsverpflichteten infolge des durchgeführten Versorgungsausgleichs im Regelfalle auch dann für zulässig erachtet, wenn dem Ausgleichsberechtigten (noch) keine eigene Rente unter Berücksichtigung der übertragenen Anwartschaft gezahlt wird (dazu BSG vom 14. Januar 1986, BSGE 59, 246 = SozR 5795 § 5 Nr 1; BSG vom 8. Dezember 1988, SozR 2200 § 1304a Nr 15 mwN). Es hatte jedoch eine ergänzende Härteregelung für die Fälle gefordert, in denen es zu einer als verfassungswidrig angesehenen Doppelbelastung des Ausgleichsverpflichteten durch die Rentenminderung einerseits und eine weiterbestehende, tatsächlich belastende und die Lebensführung weiter einschränkende Unterhaltspflicht andererseits gekommen ist (BVerfGE 53, 257, 302 ff). Der Gesetzgeber verfolgt deshalb mit § 5 Abs 1 VAHRG zwei Zielrichtungen. Einerseits soll eine Doppelbelastung des Ausgleichspflichtigen vermieden werden, die dadurch entstehen kann, daß wegen der übertragenen Anwartschaften die eigene Rente gekürzt und zusätzlich trotz der Kürzung weiterhin nachehelicher Unterhalt geschuldet wird. Andererseits soll die Leistungsfähigkeit des Ausgleichsverpflichteten gestärkt werden, die durch die Rentenkürzung evtl derart gemindert ist, daß eine Mangelsituation eintritt und die Unterhaltsansprüche des Ausgleichsberechtigten nicht mehr oder nicht mehr vollständig erfüllt werden können. In diesen beiden Fällen soll die Kürzung der Rente des Ausgleichsverpflichteten “rückgängig gemacht” werden, und zwar auch für den Fall, “daß dem Berechtigten ein Unterhaltsanspruch nicht zusteht, weil der Verpflichtete durch eine Minderung oder Kürzung seiner Versorgung unter den ‘Selbstbehalt’ fällt und zu Unterhaltsleistungen nicht mehr in der Lage ist” (BT-Drucks 9/2296, S 8 zu II Nr 1 und S 14 zu § 5; s dazu auch das Urteil des Senats vom 8. Dezember 1993, SozR 3-5795 § 5 Nr 1 S 3).
Eine tatsächliche Unterhaltsverpflichtung durch einen Unterhaltstitel besteht dann nicht, wenn sie durch Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) oder Abänderungsklage (§ 323 ZPO) abgewendet werden könnte. Werden diese sich anbietenden Rechtsmittel nicht ergriffen, darf dies nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft gehen. Der Ausgleichsverpflichtete wird dann bei der Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen des § 5 Abs 1 VAHRG so behandelt, als hätte er die genannten Klagen erhoben. Denn ebenso wie durch überobligatorische Unterhaltsvereinbarungen oder Unterhaltszahlungen die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 VAHRG nicht (manipulativ) herbeigeführt oder aufrechterhalten werden können, kann der gleiche Effekt nicht durch ein Unterlassen erreicht werden. Es gelten insoweit die gleichen Grundsätze, die bereits von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Rahmen der Feststellung einer Unterhaltspflicht bei der Anwendung des § 1265 Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 42 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) entwickelt worden sind (vgl BSG, Großer Senat, Beschluß vom 27. Juni 1963, BSGE 20, 1, 5 f; BSG vom 26. August 1987, SozR 2200 § 1265 Nr 86). Das LSG hat sich deshalb zu Recht der damit übereinstimmenden Meinung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz im Urteil vom 24. Mai 1989 (– 2 A 124/88 –, NJW 1989, 2831) angeschlossen und überprüft, ob nach den §§ 323, 767 ZPO der im Urteil des OLG Hamm vom 18. Oktober 1985 erkannte Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau des Klägers in Höhe von monatlich DM 850,00 – vollständig – beseitigt werden könnte.
(Zu 2): Das LSG war der Ansicht, der Unterhaltsbedarf (§ 1578 Abs 1 BGB) der geschiedenen Ehefrau des Klägers betrage ab 1. Oktober 1990 höchstens die Hälfte der (ungekürzten) Knappschaftsausgleichsleistung von monatlich DM 3.366,05; es rechnete darauf deren für die Monate Oktober bis Dezember 1990 bekanntes Nettoeinkommen vom monatlich ca DM 2.300,00 an und kam so zu dem Ergebnis, daß seit 1. Oktober 1990 mit Sicherheit kein Unterhaltsanspruch bestehe. Selbst wenn diese Berechnungsweise, die das LSG dem Urteil des OLG Hamm vom 18. Oktober 1985 entnommen hat, im Ergebnis richtig sein sollte, reichen die vom LSG festgestellten Tatsachen nicht aus, um für den hier streitigen Zeitraum vom 1. Oktober 1990 bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem LSG den Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau des Klägers auszuschließen. Das LSG hat es bereits versäumt, die unterhaltsrelevanten Einkommensverhältnisse sowohl des Klägers als auch seiner geschiedenen Ehefrau für den Zeitraum seit dem 1. Oktober 1990 festzustellen, und zwar Monat für Monat, denn die Ausnahmevorschrift des § 5 VAHRG kommt nur so lange zur Anwendung, wie ein Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau besteht. Bei der Einkunftsermittlung gilt sowohl für den Berechtigten als auch für den Verpflichteten der Grundsatz der unterschiedslosen Erfassung aller unterhaltsrechtlich relevanten Einkünfte, dh es sind auf beiden Seiten stets alle zufließenden Einkünfte festzustellen, gleichgültig welcher Art sie sind und aus welchem Anlaß sie gezahlt werden (Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 2. Aufl 1990, S 3 A III 1a mwN).
Das LSG erwähnt beim Kläger lediglich die Knappschaftsausgleichsleistung mit und ohne die Kürzung infolge des durchgeführten Versorgungsausgleichs. Es fehlt die Feststellung, daß dies die einzigen Einkünfte sind. Dies ist auch nicht der Aktenlage zu entnehmen, soweit das LSG darauf Bezug nimmt. Bereits im Scheidungsurteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 8. März 1984 findet sich der Hinweis auf drei weitere Versorgungen des Klägers bei der R.… AG, der A.…-Versicherung und dem B.… Verband. Weitere Hinweise hatten die Anwälte der geschiedenen Ehefrau des Klägers im Schreiben an die Beklagte vom 14. April 1992 (Bl 218 RA) gegeben. Sie erwähnen Einkünfte aus Vermietung sowie mögliche Leistungen aus der Zusatzversicherung der “Oberbergbaubeamten”. Auch die Belastungen des Klägers, zB durch Unterhaltszahlungen an seine beiden Kinder oder durch sonstige Verpflichtungen und einen evtl Mehrbedarf, stehen nicht fest. Gleiches gilt für die unterhaltsrelevanten Einkünfte der ausgleichsberechtigten geschiedenen Ehefrau. Auch hier liegen lediglich als Momentaufnahmen die Gehaltsabrechnungen für die Monate Oktober, November und Dezember 1990 vor. Besondere Belastungen (zB Werbungskosten, Mehrbedarf, Unterhaltszahlungen, Unterstützungen, die einer moralischen Verpflichtung entsprechen), die das unterhaltsrelevante Nettoeinkommen mindern würden, sind nicht abgeklärt (vgl dazu Wendl/Staudigl, aaO, S 118 – 130, 1. Hauptteil A Teil I 12. Abschnitt). Ob die geschiedene Ehefrau des Klägers über sonstige Einkünfte verfügt, ist nicht bekannt. Das LSG wird diese Feststellungen nachzuholen haben.
(Zu 3): Für das weitere Verfahren ist auf folgendes hinzuweisen:
a) Unterhalt iS von § 5 Abs 1 VAHRG ist jeder monatliche Betrag, der sich in Anwendung der gesetzlichen Regelungen des nachehelichen Unterhaltsrechts nach den §§ 1569 ff BGB in der Ausgestaltung ergibt, die es durch die Rechtsprechung erfahren hat. Auf seine Höhe und die tatsächliche Unterhaltszahlung kommt es nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung nicht an (BT-Drucks 9/2296 S 14 f zu § 5; BVerwG Urteil vom 10. März 1994, Buchholz 239.1 § 57 BeamtVG Nr 9). Nicht zutreffend erscheint insoweit die im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 25. September 1990 (– 4 S 2469/89 –, NVwZ-RR 1991, 314) vertretene Ansicht, wonach § 5 Abs 1 VAHRG dann keine Anwendung finde, wenn der Ausgleichsberechtigte den Anspruch auf nachehelichen Unterhalt überhaupt nicht geltend gemacht und der Ausgleichsverpflichtete keinen nachehelichen Unterhalt geleistet hat oder leistet. Zweifelhaft ist bereits, ob einem solchen Verhalten der Beteiligten die Wirkung eines Verzichts auf Unterhalt beigemessen werden kann, der die Anwendung des § 5 Abs 1 VAHRG ausschließt. Wenn aber, wie hier, die Unterhaltsberechtigung (als Vorfrage) zunächst von der Verwaltung nach § 9 Abs 1 VAHRG und später im Rahmen der Amtsermittlung vom überprüfenden Gericht erst festgestellt werden muß und sowohl Unterhaltsgläubiger wie auch Unterhaltsschuldner eine abwartende Haltung einnehmen, um sich später gegebenenfalls hinsichtlich der nach § 6 VAHRG je zur Hälfte zu leistenden Nachzahlung auseinanderzusetzen, dann steht jedenfalls weder die fehlende Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs noch die fehlende tatsächliche Zahlung eines Unterhalts der Anwendung des § 5 Abs 1 VAHRG entgegen. Denn wegen der Rentenminderung infolge der übertragenen Anwartschaften kann die Unterhaltsfähigkeit entfallen oder eingeschränkt sein, weil die Gesamteinkünfte unter dem Mindestselbstbehalt bzw dem Billigkeitsselbstbehalt iS des § 1581 BGB liegen. Deshalb hat der Unterhaltsberechtigte die Möglichkeit, selbst einen Antrag nach § 9 Abs 2 Satz 2 VAHRG zu stellen. In dieser Situation kann weder von ihm die mit einem Kostenrisiko verbundene Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs (im vorliegenden Falle ein Vollstreckungsversuch) noch vom Unterhaltsschuldner die tatsächliche Zahlung von Unterhalt gefordert werden.
b) Anders als das LSG möglicherweise meint, besteht keine Verpflichtung, die Berechnungsweise des Aufstockungsunterhalts im Urteil des OLG Hamm vom 18. Oktober 1985 fortzuführen. Über den Unterhaltsanspruch des Ausgleichsberechtigten ist vom Rentenversicherungsträger bzw dem Gericht völlig eigenständig zu entscheiden (Gräper in Münchner Kommentar, 3. Aufl 1993, § 5 VAHRG RdNr 32; Klauser, MDR 1983, 529, 532). Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) besteht im Rahmen des § 323 ZPO keine Bindung an Verteilungsschlüssel, mit deren Hilfe der angemessene Unterhalt im abzuändernden Urteil ermittelt worden war (BGH Urteil vom 11. Januar 1984 – IVb ZR 10/82 –, FamRZ 1984, 374, 375). Aber selbst wenn der Unterhaltsbedarf weiterhin nach einer Quote des Einkommens des Unterhaltspflichtigen zu bemessen wäre, hat der Tatrichter diese Quote bei jeder Neufeststellung auf ihre Angemessenheit hin zu kontrollieren (BGH vom 21. Mai 1980 – IVb ZR 522/80 –, FamRZ 1980, 771; BGH vom 8. April 1981 – IVb ZR 566/80 –, FamRZ 1981, 539, 541).
c) Bei der Bemessung eines Unterhaltsanspruchs sind der Unterhaltsbedarf des Berechtigten, orientiert an den ehelichen Lebensverhältnissen, die Bedürftigkeit des Berechtigten sowie die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten ausschlaggebend (s hierzu Wendl/Staudigl, aaO, S 1, 1. Hauptteil A Teil I 1b, c, d).
aa) Bei der Bedarfsermittlung für den nachehelichen Unterhaltsanspruch des Ausgleichsberechtigten iS der §§ 1569 ff BGB ist ua von der Rente des Ausgleichsverpflichteten auszugehen, die sich ohne die Kürzung infolge des Versorgungsausgleichs ergibt. Das LSG hat diese Frage offen gelassen. Nach § 1578 Abs 1 Satz 1 BGB bestimmt sich das Maß des Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen, die mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils endeten. Die ständige Rechtsprechung des BGH berücksichtigt jedoch auch danach liegende Umstände, wenn ihnen eine Entwicklung zugrunde liegt, die aus der Sicht zum Zeitpunkt der Scheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, und diese Erwartung die ehelichen Lebensverhältnisse bereits mitgeprägt hat. Den ehelichen Lebensverhältnissen sind deshalb auch zukünftige Renteneinkünfte zuzurechnen, wenn die Grundlage des Rentenbezugs bereits in der Ehe gelegt worden ist und damit zum Zeitpunkt der Ehescheidung bereits zu rechnen war, auch wenn das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nicht unmittelbar bevorstand (vgl BGH vom 3. Juni 1987 – IVb ZR 64/86 –, FamRZ 1987, 913, 914). Die auf dem Versorgungsausgleich beruhende Minderung der Rente ist jedoch eine Folge der Scheidung und keine Fortentwicklung der ehelichen Lebensverhältnisse. Sie bleibt deshalb bei der Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse von vornherein außer Ansatz. Der BGH hat das für den umgekehrten Fall der Erhöhung der Rente der Ausgleichsberechtigten infolge des Versorgungsausgleichs mehrfach entschieden (BGH vom 13. Juli 1988 – IVb ZR 85/87 –, FamRZ 1988, 1156, 1158; vom 11. Februar 1987 – IVb ZR 20/86 –, FamRZ 1987, 459, 460; vom 3. Juni 1987 – IVb ZR 64/86 – aaO).
bb) Änderungen der Einkommensverhältnisse der geschiedenen Eheleute nach der Scheidung sind dann im Rahmen der Bedarfsbemessung nach § 1578 Abs 1 Satz 1 BGB zu berücksichtigen, wenn die ehelichen Lebensverhältnisse durch die Erwartung solcher Änderungen mitgeprägt worden sind (Übersicht mit detaillierten Rechtsprechungsnachweisen: Wendl/Staudigl, aaO, S 318 – 323; Palandt/Diederichsen, 54. Aufl, § 1578 RdNrn 11 bis 18). Dies hat das LSG beim Erwerbseinkommen der geschiedenen Ehefrau nicht geprüft. Hochrechnungen nach Maßgabe der Steigerung von allgemeinen Lebenshaltungskosten, wie sie die Beklagte vorgenommen hat, lassen keine Feststellungen für den Einzelfall zu.
Besondere Bedeutung kann diesem Rechtsgedanken hier deshalb zukommen, weil die geschiedene Ehefrau des Klägers noch während der Ehe, aber nach der Trennung eine Teilzeittätigkeit aufgenommen hatte, die sie später zu einer Vollzeittätigkeit ausweitete. In solchen Fällen können die durch die Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte ausnahmsweise durch die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt sein, wenn die Aufnahme dieser Erwerbstätigkeit oder ihre Ausweitung schon während des Zusammenlebens der Eheleute geplant oder doch voraussehbar war (BGH Urteil vom 23. November 1983, BGHZ 89, 108, 112 = FamRZ 1984, 149, 150). Das LSG wird deshalb noch festzustellen haben, ob die geschiedene Ehefrau des Klägers auch ohne die Trennung erwerbstätig geworden wäre, und wenn ja, in welchem Umfang. Danach richtet sich dann die Art der Berechnung des Aufstokkungsunterhalts: nach der Differenzmethode, der Anrechnungsmethode oder einer Kombination beider Verfahren (Übersicht Palandt/Diederichsen, 54. Aufl, § 1573 RdNrn 16 bis 19). Auf das Urteil des BGH vom 14. November 1984 (IVb ZR 38/83, FamRZ 1985, 161), das eine ähnliche Fallkonstellation zum Gegenstand hatte, wird hingewiesen.
cc) Bei allen Erwerbseinkünften ist, was vom LSG bisher nicht beachtet wurde, sowohl bei der Ermittlung des nachehelichen Unterhaltsbedarfs (soweit es sich um prägende Einkünfte gehandelt hat) als auch bei der Feststellung der Unterhaltsbedürftigkeit der sog “Erwerbstätigenbonus” zu berücksichtigen, um den mit einer Berufsausübung verbundenen höheren Aufwand auszugleichen und zugleich einen Anreiz zur Erwerbstätigkeit zu schaffen und aufrechtzuerhalten (vgl Wendl/Staudigl, aaO, S 333, Berechnungsbeispiele S 374, 375).
dd) Bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners nach § 1581 BGB, die ggf zu einer Einschränkung oder sogar zum Wegfall der Unterhaltsverpflichtung führen kann, ist nicht auf den Zeitpunkt der Ehescheidung abzustellen. Es sind sämtliche gegenwärtigen Einkünfte – auch die nichtehelich geprägten – zu berücksichtigen, und zwar in der Höhe, wie sie tatsächlich anfallen. Davon macht allerdings § 5 Abs 1 VAHRG eine Ausnahme: Wenn der Verpflichtete zur Unterhaltsleistung (vollständig oder auch nur zum Teil) wegen der auf dem Versorgungsausgleich beruhenden Kürzung seiner Versorgung außerstande ist, bleibt die Kürzung bei der Ermittlung des Unterhaltsanspruchs des Ausgleichsberechtigten unberücksichtigt, dh bei der Würdigung der Leistungsfähigkeit des Ausgleichspflichtigen ist fiktiv von dessen unverminderter Versorgung auszugehen. Ohne diese Fiktion wäre der Unterhaltsanspruch der Ausgleichsberechtigten im Bestand gefährdet, und es entstünden weitere Härten (s dazu BVerfG vom 28. Februar 1980, BVerfGE 53, 257, 303 ff).
d) Zu erwägen ist die Beiladung der geschiedenen Ehefrau des Klägers zum Rechtsstreit gemäß § 75 Abs 1 Satz 1 SGG. Die Beiladung ist zwar nicht notwendig (dazu Senatsurteil vom 8. Dezember 1993, SozR 3-5795 § 5 Nr 1 S 6), jedoch werden berechtigte Interessen der geschiedenen Ehefrau des Klägers vom Ausgang des Rechtsstreits berührt. Auch ihr Unterhaltsanspruch soll, wie dargelegt, durch die Härteregelung des § 5 Abs 1 VAHRG gesichert werden. Eine evtl Nachzahlung der Rente wäre nach § 6 VAHRG an sie zur Hälfte zu leisten. Letztlich können aber durch ihre Mitwirkung (vgl §§ 69, 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG) die entscheidungserheblichen Verhältnisse wesentlich besser aufgeklärt werden – und das Vorbringen des Klägers unterliegt einer Gegenkontrolle.
Das LSG wird schließlich auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 946345 |
SozSi 1997, 77 |