1. Pflichtteilsberechtigte
Rz. 53
Gewisse Personen, die zum engsten Verwandtenkreis des Erblassers gehören, genießen das erbrechtliche Privileg eines Pflichtteilsanspruchs. Pflichtteilsberechtigte sind die Abkömmlinge, die Eltern und der Ehegatte des Erblassers. Wie in Deutschland entzieht dieses Privileg dem Erblasser die Möglichkeit, über einen bestimmten Anteil seines Vermögens wirksam zugunsten Dritter zu verfügen. Das Pflichtteilsrecht steht nur denjenigen aus dem Berechtigtenkreis zu, die nach der gesetzlichen Erbfolge Erben sind.
2. Pflichtteile
Rz. 54
Anders als das deutsche Recht, das dem Pflichtteilsberechtigten die Hälfte vom Wert seines gesetzlichen Erbteils vorbehält, sieht das bulgarische Recht variable Höhen des Pflichtteils vor – je nach Hinterbliebenenkreis.
Dieser umfasst:
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ein einziges Kind bzw. seine Abkömmlinge: die Hälfte vom Wert des Erbes; |
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ein Kind bzw. seine Abkömmlinge und den Ehegatten: ⅓ vom Wert des Erbes für das Kind oder seine Abkömmlinge, ⅓ vom Wert des Erbes für den Ehegatten; |
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zwei oder mehrere Kinder bzw. deren Abkömmlinge: ⅔ vom Wert des Erbes; |
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zwei Kinder bzw. deren Abkömmlinge und den Ehegatten: ¼ vom Wert des Erbes für jedes Kind oder (stellvertretend) für seine Abkömmlinge und ¼ vom Wert des Erbes für den Ehegatten; |
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mehr als zwei Kinder bzw. deren Abkömmlinge und den Ehegatten: 5/6 vom Wert des Erbes insgesamt, wobei jedes Kind und der Ehegatte auf den gleichen Bruchteil von diesem Betrag berechtigt sind; |
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lediglich den Ehegatten: die Hälfte vom Wert des Erbes; |
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einen Elternteil oder beide Eltern: ⅓ vom Wert des Erbes für jeden Hinterbliebenen; |
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einen Elternteil oder beide Eltern und den Ehegatten: ⅓ vom Wert des Erbes für die Eltern und ⅓ des Erbwertes für den Ehegatten. |
Rz. 55
Der Erbwert über diese Grenzen hinaus wird als verfügungsfreier Teil des Erbes bezeichnet, weil diesbezüglich keine Kürzungen von Verfügungen des Erblassers wegen Pflichtteilsergänzung erfolgen (siehe näher Rdn 62–67).
3. Pflichtteilsverzicht
Rz. 56
Den Verzicht auf den Pflichtteil regelt das Gesetz nicht. Da es aber die Ausschlagung der Erbschaft für jeden Erben ermöglicht, ist auch der Verzicht auf den Pflichtteil zulässig. Er kann stillschweigend, etwa durch Erfüllung des Testierwillens, oder ausdrücklich erfolgen. Im letzten Fall muss die Eintragung ins Buch der Erberklärungen erfolgen.
Ein Pflichtteilsverzicht vor dem Eintritt des Erbfalls (etwa durch Vertrag mit dem Erblasser) ist unzulässig.
4. Durchführung der Pflichtteilsergänzung
Rz. 57
Jeder pflichtteilsberechtigte Erbe, der seinen Pflichtteil nicht in voller Höhe erhalten kann, weil er durch Vermächtnisse oder gar Schenkungen zu Lebzeiten des Erblassers beeinträchtigt worden ist, kann eine Kürzung der Vermächtnisse und Schenkungen verlangen, die seinen Pflichtteil ergänzen. Dabei muss sich der Erbe die Vermächtnisse und Schenkungen vom Erblasser anrechnen lassen, mit Ausnahme der gewohnheitsrechtlich bedingten Schenkungen. Zur Erhebung des Kürzungsanspruchs gegenüber Personen, die keine gesetzlichen Erben sind, ist es zwingend erforderlich, dass der Kläger das Erbe nach Verzeichnis angenommen hat.
Rz. 58
Die Berechnung des zu ergänzenden Pflichtteils erfolgt nach folgenden Regeln: Aufzulisten sind alle Vermögensgegenstände, die dem Erblasser zum Zeitpunkt des Todes gehört haben. Von ihrem Gesamtwert sind die Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Ferner wird der Zuwachs des Nachlasses abgezogen, der auf einen der Erben zurückzuführen ist. Anschließend sind alle Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat, aufzuführen und im Wert zu addieren. Bei Immobilien ist der Wert zur Zeit des Erbfalls maßgeblich. Im Übrigen ist der Wert im Augenblick der Schenkungsannahme maßgeblich. Der Saldo ergibt die Gesamtmasse des Nachlasses, als deren Bruchteil der Wert des zu ergänzenden Pflichtteils ermittelt wird.
Rz. 59
An erster Stelle werden die Vermächtnisse gekürzt. Dies geschieht grundsätzlich anteilig, es sei denn, dass der Erblasser ausdrücklich Abweichendes verfügt hat. Wenn die Kürzung der Vermächtnisse nicht ausreicht, können sie gänzlich aufgehoben werden.
Rz. 60
Kürzungen oder Aufhebungen von Schenkungsverträgen dürften erst dann vorgenommen werden, wenn alle Vermächtnisse erschöpft sind und das Defizit beim zu ergänzenden Pflichtteil immer noch nicht ausgeglichen ist. Zuerst wird die zeitlich zuletzt erfolgte Schenkung gekürzt bzw. aufgehoben. Wenn auch dies nicht ausreicht, werden die restlichen Schenkungen in umgekehrter chronologischer Reihenfolge revidiert. Sollte eine Person Gläubigerin von mehreren Schenkungen oder Vermächtnissen sein, steht ihr das Recht zu, innerhalb einer vom Gericht hierzu einzuräumenden Frist unter den verschiedenen geschenkten Gegenständen diejenigen zu wählen, die sie behalten will.
Rz. 61
Es bestehen Mechanismen zur Vermeidung der Kürzungsvereitelung. Damit sich Schenkungs- und Vermächtnisgläubiger der Kürzungsregelung durch Veräußerung der betroffenen Vermögensgegenstände nicht entziehen können, gilt, dass Veräußerungen von Immobilien, Kraftfahrzeugen und landwirtschaftlichen Maschinen, die innerha...