Tenor
1. Das Urteil des Hamburgischen Berufsgerichts für die Heilberufe vom 9. Dezember 2009 – 42 H 3/08 – und das Urteil des Hamburgischen Berufsgerichtshofs für die Heilberufe vom 30. Juni 2010 – 6 Bf 60/10.HBG – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Das Urteil des Hamburgischen Berufsgerichtshofs für die Heilberufe wird aufgehoben. Die Sache wird an den Hamburgischen Berufsgerichtshof für die Heilberufe zurückverwiesen.
2. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine berufsgerichtliche Verurteilung wegen des Tätigwerdens eines Facharztes außerhalb seines Fachgebiets.
1. § 31 Abs. 3 des Hamburgischen Kammergesetzes für die Heilberufe vom 14. Dezember 2005 (im Folgenden: HmbKGH) normiert, dass ein Arzt, der eine Gebietsbezeichnung (z.B. eine Facharztbezeichnung) führt, grundsätzlich nur in diesem Gebiet tätig werden darf. § 2 Abs. 8 Satz 1 der Berufsordnung der Hamburger Ärzte und Ärztinnen vom 27. März 2000 in der Fassung vom 20. Februar 2006 (im Folgenden: BO) enthält eine mit § 31 Abs. 3 HmbKGH übereinstimmende Regelung.
2. Der Beschwerdeführer ist approbierter Arzt und Zahnarzt und Mitglied der Ärztekammer H., der Beteiligten zu 1) des Ausgangsverfahrens. Seit Januar 2002 führt er die Facharztbezeichnung „Facharzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie”. Er betreibt in H. eine Facharztpraxis, in der er nach eigenen Angaben pro Jahr ca. 3.600 Operationen im Mund-, Kiefer und Gesichtsbereich durchführt. Daneben ist der Beschwerdeführer Geschäftsführer einer Klinik für „Schönheitsoperationen”, die in der Rechtsform einer GmbH betrieben wird und deren alleinige Gesellschafterin die Schwester des Beschwerdeführers ist. Auch dort ist der Beschwerdeführer ärztlich tätig und operiert pro Jahr nach eigenen Angaben etwa 400 bis 500mal. Neben Operationen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich, die nach seiner Einschätzung 90 % seiner Tätigkeit in der Klinik ausmachen, führt er seit 2001 auch Operationen zur Veränderung der Brust (Einsetzen von Brustimplantaten) sowie Bauch- und Oberarmstraffungen durch.
3. Mit Urteil vom 9. Dezember 2009 erteilte ihm das Hamburgische Berufsgericht für die Heilberufe wegen eines Berufsvergehens einen Verweis und erlegte ihm eine Geldbuße von 1.500 EUR auf. Der Beschwerdeführer habe gegen § 31 Abs. 3 HmbKGH und § 2 Abs. 8 BO verstoßen, denn er sei, indem er Eingriffe im Brust-, Bauch- und Oberarmbereich durchgeführt habe, außerhalb des Gebiets seiner Facharztbezeichnung tätig geworden. Die vom Beschwerdeführer vorgenommenen Behandlungen könnten auch nicht als Sonderfälle, bei denen eine gebietsfremde Tätigkeit aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise zulässig sei, eingestuft werden. Weder stünden Behandlungen in Streit, bei denen ein im Fachgebiet behandelter Patient aufgrund eines gegenüber dem Arzt bestehenden Vertrauensverhältnisses ausdrücklich eine fachfremde Behandlung gewünscht habe, die hinsichtlich der Fachbehandlung von untergeordneter Bedeutung gewesen sei und mit ihr im Zusammenhang gestanden habe, noch habe es sich um medizinische Notfälle gehandelt. Genauso wenig seien die fachfremden Behandlungen für die ordnungsgemäße Durchführung der im Rahmen der Facharzttätigkeit erforderlichen Untersuchungen oder Behandlungen notwendig gewesen. Vielmehr erbringe der Beschwerdeführer die gebietsfremden Leistungen plan- und regelmäßig, so dass eine auf Dauer angelegte Tätigkeit vorliege.
4. Der Beschwerdeführer legte gegen das Urteil Berufung ein, die der Hamburgische Berufsgerichtshof für die Heilberufe mit Urteil vom 30. Juni 2010 zurückwies. Das Berufsgericht habe zu Recht einen Verweis erteilt, denn ein schuldhafter Verstoß gegen Berufspflichten liege vor. Soweit der Beschwerdeführer Brustoperationen durchführe und Bauchdecken und Oberarme mit chirurgischen Eingriffen straffe, werde er nicht in seinem Facharztgebiet tätig, sondern betätige sich in einem Bereich, der dem Gebiet der ästhetischen Chirurgie (für das es ebenfalls eine Facharztbezeichnung gebe), zuzuordnen sei. Die Gebiete seien weder völlig deckungsgleich, noch umfasse die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie das Gebiet der Plastischen und Ästhetischen Chirurgie. Die fachfremden Eingriffe nehme der Beschwerdeführer auch in einem Umfang vor, der der Annahme, er sei grundsätzlich fachspezifisch tätig, entgegenstehe, denn er werde nicht nur vereinzelt oder bei der Gelegenheit einer fachspezifischen Tätigkeit fachfremd tätig. Auf die Anzahl der fachfremden Eingriffe innerhalb der vergangenen Jahre sowie auf das Verhältnis der fachspezifischen zu der fachfremden Tätigkeit komme es nicht an, weil der Beschwerdeführer die fachfremden Leistungen systematisch anbiete und durchführe. Bereits die gezielte Werbung mit der Durchführung von ästhetischen und plastischen Operationen berge die konkrete Gefahr, dass sich der Anteil der fachfremden ärztlichen Tätigkeiten schleichend immer weiter erhöhe. Eine systematische Gebietsüberschreitung sei mit dem Gesetzeszweck, die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Arztes, die er über seine Facharztausbildung erlangt habe, qualitätssichernd zu erhalten, nicht vereinbar. Das Führen einer Facharztbezeichnung vermittle zudem Vertrauen darin, dass ein Arzt über besondere Kenntnisse auf dem Fachgebiet verfüge, auf das die Bezeichnung hinweise. Der Beschwerdeführer habe keinen Einfluss darauf, dass er als Arzt von seinen Patienten, die sich über eine allgemein zugängliche Quelle – wie zum Beispiel das Internet – über ihn informierten, unabhängig von seinem Betätigungsort einheitlich als Facharzt wahrgenommen werde. Viele der Patienten der Klinik gingen daher irrtümlich davon aus, dass der Beschwerdeführer, den sie als Facharzt kennengelernt hätten, fachärztlich auch in besonderer Weise für die Durchführung von Brustoperationen und Straffungen qualifiziert sei. Dieses Vertrauen enttäusche der Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer könne sich schließlich nicht darauf berufen, ein Arzt, der zwei Facharztbezeichnungen führe, sei auf den jeweiligen Gebieten auch nur hälftig tätig. Nicht nur handele es sich dabei um eine Tätigkeit in den jeweiligen Facharztgebieten – und nicht auf einem gänzlich anderen Gebiet – in diesem Fall könne für die Patienten auch von vornherein nicht der Eindruck entstehen, dass ein solcher Facharzt lediglich auf nur einem Gebiet tätig sei.
5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG.
a) Die Entscheidungen verstießen gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Zwar sei eine Gebietsbeschränkung bei einem Arzt als Eingriff in dessen Berufsausübung grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich. In seinem konkreten Fall sei die Gebietsbeschränkung aber nicht gerechtfertigt. Die Beschränkung diene zunächst dazu, die Qualität der Behandlung zu sichern. Im Hinblick auf die von ihm durchgeführten Operationen sei sie jedoch weder erforderlich noch angemessen. Es bestehe keine Gefahr, dass er durch die gebietsfremden Operationen seine Fähigkeiten und Kenntnisse auf dem Gebiet der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie nicht genügend schule und sich insoweit fachlich verschlechtere, denn die Anzahl der fachfremden Eingriffe sei in Relation zu den Eingriffen, die er auf seinem Facharztgebiet vornehme, sehr gering (unter 1,5 %). Ein Arzt, der zwei Facharztbezeichnungen führe, werde auf dem jeweiligen Fachgebiet sogar nur mit jeweils 50 % seiner Arbeitskraft tätig, er hingegen mit 98,5 %. Außerdem handele es sich bei den Brustoperationen sowie den Bauch- und Oberarmstraffungen nicht um ein – bezogen auf seine Tätigkeit als Mund-Kiefer-Gesichtschirurg – gänzlich anderes Gebiet. Aufgrund seiner Facharztausbildung besitze er eine umfassende chirurgische Ausbildung. Auch seien für Rekonstruktionen im Gesichtsbereich, die zu seinem Tätigkeitsbereich als Mund-Kiefer-Gesichtschirurg gehörten und die sowieso viel aufwendiger und schwieriger seien als etwa Brustoperationen, regelmäßig Muskel- und Gewebeentnahmen aus dem Brustbereich sowie Fettentnahmen aus dem Bauchbereich erforderlich. Darüber hinaus sei er aufgrund seiner Doppelapprobation sowie seiner Aus- und Fortbildungen für die hier streitigen Eingriffe besonders qualifiziert.
b) Überdies verletzten die Entscheidungen sein Grundrecht auf Gleichbehandlung.
c) Die Verletzung der geltend gemachten Grundrechte treffe ihn in existenzieller Weise. Ein Verbot der Brustoperationen sowie Bauch- und Oberarmstraffungen stelle nicht nur einen tiefen Einschnitt in Profil und Außendarstellung der Klinik dar, ohne diese – verglichen mit den Bereich der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie – weitaus lukrativeren Eingriffe sei die Klinik auch in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht.
6. Der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und der Ärztekammer H. wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens waren beigezogen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 33, 125; 76, 171 ≪184 f.≫; 94, 372 ≪389 f.≫; 111, 366 ≪373≫). Die Verfassungsbeschwerde ist zudem offensichtlich begründet.
1. Die Entscheidungen des Berufsgerichts und des Berufsgerichtshofs verletzen den Beschwerdeführer in seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit.
a) Auslegung und Anwendung des Gesetzes sind Aufgabe der Fachgerichte und werden vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung einer Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪93≫; 85, 248 ≪257 f.≫). Spezifisches Verfassungsrecht ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, nach Auffassung eines Beschwerdeführers oder tatsächlich objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muss gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫).
b) Die Berufsgerichte haben bei der Interpretation des § 31 Abs. 3 HmbKGH Bedeutung und Tragweite des Art. 12 Abs. 1 GG nicht in hinreichendem Maße beachtet.
aa) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass gesetzliche Regelungen der Berufsausübung zulässig sind, wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden, das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und auch erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 68, 272 ≪282≫; 71, 183 ≪196 f.≫; 101, 331 ≪347≫).
Mit der Entscheidung, dem Beschwerdeführer wegen der Vornahme von Operationen im Brust-, Bauch- und Oberarmbereich einen Verweis zu erteilen und ihm zugleich eine Geldstrafe aufzuerlegen, greifen die Gerichte in seine Berufsausübungsfreiheit ein, denn sie sanktionieren ein Verhalten, das zur ärztlichen Berufsausübung gehört.
bb) Dieser Grundrechtseingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
(1) Die grundsätzliche Befugnis der Berufsgerichte, schuldhafte Verstöße eines Arztes gegen seine Berufspflichten zu ahnden, ergibt sich aus § 1 Abs. 1, § 2 des Gesetzes über die Berufsgerichtsbarkeit der Heilberufe (GBH) und steht nicht in Streit. Mit § 31 HmbKGH ist auch die Berufspflicht selbst – über die Satzungsnorm des § 2 Abs. 8 BO hinaus – formellgesetzlich geregelt. Inhaltliche Einwände gegen die Regelung, grundsätzlich nur in dem Gebiet der Gebietsbezeichnung tätig zu werden, macht der Beschwerdeführer weder geltend noch sind solche, unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur BVerfGE 33, 125 ≪168≫) erkennbar. Das Erfordernis, dass ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage bedarf, die ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen an grundrechtseinschränkende Gesetze genügen muss (vgl. BVerfGE 94, 372 ≪389 f.≫; 111, 366 ≪373≫; stRspr), wird damit erfüllt.
(2) Ebenso wenig begegnet es Bedenken, dass die Gerichte die auf den Bauch-, Brust- und Oberarmbereich bezogene Operationstätigkeit des Beschwerdeführers als fachfremd eingestuft haben. Der Berufsgerichtshof hat sich mit dieser Frage im Einzelnen auseinandergesetzt und seine Auffassung, die vom Beschwerdeführer vorgenommenen „Schönheitsoperationen” beträfen ein anderes Fachgebiet als das der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, eingehend, unter Bezugnahme auf die Vorgaben der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer H., begründet. Eine Verkennung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe ist insoweit nicht ersichtlich. Besondere individuelle Umstände, die es gebieten würden, den Beschwerdeführer generell von der Gebietsbeschränkung auszunehmen, sind nicht erkennbar. Soweit der Beschwerdeführer sich auf den hohen Schwierigkeitsgrad der Behandlungen auf seinem Facharztgebiet, die ihn zur Vornahme der fachfremden Operationen in besonderem Maße qualifizierten, beruft, spricht dies nicht für, sondern vielmehr gegen eine komplette Befreiung von der Gebietsbeschränkung. Denn wenn es zutrifft, dass die Eingriffe im Bereich seines Fachgebiets besonders schwierig sind, erfordern sie eine ständige Übung, die fehlen würde, wenn die fachgebietsfremde ärztliche Tätigkeit zahlenmäßig überhand nähme. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Einstufung der Bauch-, Oberarm- und Brustoperationen als fachfremd eine in wirtschaftlicher Hinsicht unangemessene Beschränkung wäre. Der Beschwerdeführer trägt lediglich vor, ein Verbot des status quo bedrohe die Klinik in ihrer Existenz. Dass jegliche umfangmäßige Begrenzung der fachfremden Tätigkeit für ihn wirtschaftlich untragbar sei, behauptet er hingegen nicht.
(3) Die weitere Annahme der Gerichte, der Beschwerdeführer verstoße unabhängig vom Umfang seiner gebietsfremden Tätigkeit gegen das durch § 31 Abs. 3 HmbKGH aufgestellte Gebot, sofern er nur „systematisch” gebietsüberschreitend tätig werde, ist jedoch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass das Verbot der Betätigung außerhalb des Fachgebiets, da es die Berufstätigkeit des Arztes empfindlich einschränkt, den verfassungsrechtlichen Anforderungen nur gerecht wird, wenn es lediglich als allgemeine Richtlinie, die Ausnahmen vorsieht, gilt, und keine zu enge Auslegung stattfindet (vgl. BVerfGE 33, 125 ≪168≫). Diese Vorgaben haben die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen nicht hinreichend beachtet.
(a) Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet es zunächst, wenn die Gerichte bei der Auslegung der Norm davon ausgehen, dass der Zweck der Vorschrift darin besteht, die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Facharztes auf seinem Gebiet zu erhalten. Dass dies das Ziel der in § 31 Abs. 3 HmbKGH getroffenen Regelung ist, ergibt sich schon aus den Unterlagen zur Entstehungsgeschichte der Bestimmung (vgl. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drucks 18/1963, S. 27). Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Ziel, die Qualität der fachärztlichen Tätigkeit zu sichern, auch einen Gemeinwohlbelang von hinreichendem Gewicht, der Einschränkungen der Berufsausübung rechtfertigen kann.
(b) Der Berufsgerichtshof geht aber über diesen zulässigen Gesetzeszweck hinaus, wenn er als weiteren Normzweck den Schutz des Vertrauens der Patienten nennt. Denn damit soll, wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt, das Vertrauen der Patienten geschützt werden, dass ein Arzt, der einen Facharzttitel führe, diesen nach entsprechendem Abschluss in einem förmlich geregelten Anerkennungsverfahren erlangt habe. Dies ist aber nicht Zweck des § 31 Abs. 3 HmbKGH, sondern Aufgabe des § 31 Abs. 1 HmbKGH, der regelt, wann eine Facharztbezeichnung geführt werden darf. Die mit § 31 Abs. 1 HmbKGH verfolgten Zwecke können hier schon deswegen nicht zur Rechtfertigung herangezogen werden, weil die Verurteilung des Beschwerdeführers von den Gerichten nicht auf diese Vorschrift gestützt wurde und im Übrigen auch nicht erkennbar ist, dass deren Tatbestandsvoraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sein könnten.
(c) Auch soweit der Berufsgerichtshof ergänzend darauf abstellt, die Patienten des Beschwerdeführers würden getäuscht, weil sie irrtümlich annähmen, er sei fachärztlich in besonderer Weise für die Durchführung von Straffungen und Brustoperationen qualifiziert, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass § 31 Abs. 3 HmbKGH dem Zweck, solche Verwechslungen zu vermeiden, dient. Vielmehr wäre ein solches Verhalten unter dem Gesichtspunkt der berufswidrigen Werbung gemäß § 27 BO zu erörtern, also auf Grundlage einer Norm, die ebenfalls nicht Gegenstand der berufsgerichtlichen Prüfung war. Hiervon abgesehen erscheint auch schon die vom Gericht angenommene, nicht näher begründete Verwechslungsgefahr mehr als fraglich, denn es leuchtet nicht ein, weshalb der durchschnittlich gebildete Patient annehmen sollte, ein Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg – also ein Arzt, dessen fachärztliche Qualifikation sich auf den Bereich des Kopfes bezieht – weise eine besondere Eignung für Operationen im Bereich des Bauch-, Oberkörper- und Armbereichs auf.
(d) Die von den Gerichten gewählte Auslegung des § 31 Abs. 3 HmbKGH, bei der der Umfang des fachfremden Tätigwerdens des Arztes nicht berücksichtigt wird, ist zwar zur Erreichung des Zwecks, die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Facharztes auf seinem Gebiet zu erhalten, geeignet. Denn ein Facharzt, der nur auf seinem Fachgebiet tätig ist, hat durch diese spezialisierte Tätigkeit in besonderem Maße die Möglichkeit, seine fachärztlichen Fähigkeiten durch ständige Übung weiter zu schulen und seine Fachkenntnisse zu aktualisieren. Eine solche enge Deutung der Norm ist aber nicht erforderlich, um den durch seine Facharztausbildung erreichten Leistungsstandard eines Facharztes dauerhaft zu gewährleisten. Denn es ist nicht nachvollziehbar, warum sich die Fähigkeiten und Kenntnisse auf dem Gebiet der fachärztlichen Tätigkeit auch durch eine fachfremde Tätigkeit, die in einem nur sehr geringen Umfang ausgeübt wird, verschlechtern sollten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die mit der Vorschrift bezweckte Schulung der das jeweilige Facharztgebiet betreffenden Fähigkeiten bereits dadurch erreicht wird, dass die fachärztliche Tätigkeit den deutlich überwiegenden Umfang der Gesamttätigkeit ausmacht. Wäre es anders, müsste die Beschränkung ausnahmslos gelten. In diesem Fall ergäben sich freilich, worauf der Beschwerdeführer zu Recht hinweist, Wertungswidersprüche im Verhältnis zu Ärzten mit mehreren Facharztbezeichnungen oder Medizinern, die nur in Teilzeit tätig sind.
(e) Andere Gemeinwohlbelange, die es rechtfertigen könnten, eine in ihrem Umfang nur geringe fachfremde Tätigkeit zu verbieten und deren Ausübung zu sanktionieren, sind nicht ersichtlich.
Insbesondere der Patientenschutz erfordert es nicht, einem bestimmten Fachgebiet zugeordnete Behandlungen nur durch Ärzte dieses Fachgebiets durchführen zu lassen. Die Qualität ärztlicher Tätigkeit wird durch die Approbation nach den Vorschriften der Bundesärzteordnung sichergestellt. Zwar hat ein Arzt in jedem Einzelfall zu prüfen, ob er aufgrund seiner Fähigkeiten und der sonstigen Umstände – wie etwa der Praxisausstattung – in der Lage ist, seinen Patienten nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu behandeln. Vorbehaltlich dieser Prüfung ist er aber, unabhängig vom Vorhandensein von Spezialisierungen, berechtigt, Patienten auf allen Gebieten, die von seiner Approbation umfasst sind, zu behandeln. Eine generelle Verpflichtung, Patienten mit Erkrankungen auf einem bestimmten Gebiet an einen für dieses Gebiet zuständigen Facharzt zu verweisen, wie sie die Ärztekammer H. in ihrer Stellungnahme sieht, ist hiermit nicht vereinbar. Sie würde bei Ärzten ohne Facharzttitel im Übrigen dazu führen, dass diese praktisch gar nicht mehr ärztlich tätig sein könnten, weil die fachärztlichen Bereiche das Spektrum ärztlicher Tätigkeit inzwischen weitgehend abdecken.
Genauso wenig ist der Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit der Versorgung, der im vertragsärztlichen Bereich zusätzliche Beschränkungen erlaubt (vgl. nur BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 16. Juli 2004 – 1 BvR 1127/01 –, juris ≪Rn. 25≫), geeignet, Eingriffe außerhalb dieses Bereichs zu rechtfertigen.
Schließlich ist der Schutz vor Konkurrenz kein Zweck, der einen Grundrechtseingriff in diesem Zusammenhang erlaubt (vgl. hierzu schon BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. März 2000 – 1 BvR 1662/97 –, juris ≪Rn. 24≫).
2. Die Urteile des Berufsgerichts für die Heilberufe und des Berufsgerichtshofs für die Heilberufe beruhen auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Nach derzeitigem Stand ist anzunehmen, dass eine Verurteilung nicht zulässig war, weil der Umfang der fachfremden Tätigkeit des Beschwerdeführers das für einen Verstoß gegen § 31 Abs. 3 HmbKGH relevante Maß nicht übersteigt. Legt man die eigenen Angaben des Beschwerdeführers zugrunde, machte der Anteil an fachfremden Operationen, bezogen auf die Gesamtzahl der jährlich durchgeführten Operationen, weniger als 2 % aus. Selbst wenn man von einer Zahl von 200 fachgebietsfremden Operationen pro Jahr, wie von der Ärztekammer H. im Rahmen der Verhandlung vor dem Berufsgerichtshof in den Raum gestellt, ausgeht, liegt der Anteil unter 5 % und bewegt sich damit noch im geringfügigen Bereich.
Es erscheint angezeigt, gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG nur das Urteil des Berufsgerichtshofs aufzuheben und die Sache dorthin zurückzuverweisen. Das dient dem Interesse des Beschwerdeführers, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten.
3. Da schon die Rüge des Art. 12 Abs. 1 GG durchgreift, kommt es auf die Frage, ob auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt, nicht mehr an.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Hohmann-Dennhardt, Gaier, Paulus
Fundstellen
Haufe-Index 2628051 |
ArztR 2011, 153 |
MedR 2011, 572 |
NZS 2012, 62 |
GesR 2011, 241 |
ZWD 2011, 11 |
AMK 2011, 3 |
ZMGR 2011, 113 |
ZMGR 2014, 385 |