Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit von § 32a EStG
Leitsatz (amtlich)
§ 32 a Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 – Bundesgesetzbl. I S. 848 – ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit getrennt veranlagte Ehegatten auch nach Erreichung der in § 32 Absatz 3 Ziffer 2 des Gesetzes bezeichneten Altersgrenze in der Steuerklasse I verbleiben.
Normenkette
EStG § 32a; GG Art. 6
Tatbestand
A.
Das Einkommensteuergesetz in der für den Erhebungszeitraum 1954 maßgebenden Fassung vom 15. September 1953 – BGBl I S. 1355 – unterscheidet in seinem Tarif drei Steuerklassen (§ 32). In die Steuerklasse I fallen – vereinfachend ausgedrückt – unverheiratete Personen, in die Steuerklasse II Verheiratete; in die Steuerklasse II gehören aber auch unverheiratete Personen, die mindestens vier Monate vor dem Ende des Veranlagungszeitraums das 60. oder, wenn sie verwitwet sind, das 50. Lebensjahr vollendet haben (§ 32 Abs. 3 Ziff. 2).
Nach der Übergangsregelung der Ehegattenbesteuerung durch das Gesetz zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 – BGBl I S. 848 –, die nach Maßgabe näherer Vorschriften für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1957 gilt, werden Ehegatten, die nicht dauernd getrennt leben, grundsätzlich getrennt veranlagt (§ 26 Abs. 1 und 2, § 26 a EStG). Für sie gilt dann § 32 a Satz 1:
Ehegatten, die nach § 26 a getrennt veranlagt werden, fallen in die Steuerklasse I.
Die tarifliche Begünstigung älterer unverheirateter Personen durch Einreihung in die Steuerklasse II ist nicht geändert worden. Es ergibt sich somit: Unverheiratete Personen treten mit dem 60. (50.) Lebensjahr aus der Steuerklasse I in die Steuerklasse II über; zusammenlebende, aber getrennt veranlagte Ehegatten bleiben ohne Rücksicht auf ihr Lebensalter in Steuerklasse I; nur die (auf Antrag) zusammenveranlagten Ehegatten fallen in du Steuerklasse II.
Entscheidungsgründe
B.
Vor dem Niedersächsischen Finanzgericht in Hannover schwebt ein Berufungsverfahren, in dem der Berufungsführer und seine Ehefrau (beide über 60 Jahre alt) beantragen, sie unter Anwendung der Steuerklasse II getrennt zu veranlagen; sie halten § 32 a Satz 1 EStG, wonach sie in Steuerklasse I einzureihen sind, für unvereinbar mit Art. 6 Abs. 1 GG, da sie dadurch gegenüber unverheirateten gleichaltrigen Personen benachteiligt seien.
Das Finanzgericht hat sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen. Es hat sein Verfahren ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erbeten, ob § 32 Abs. 1 Satz 2 und § 32 a Satz 1 EStG insoweit mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar seien, als hiernach für den Veranlagungszeitraum 1954 über 60 Jahre alte Ehegatten bei getrennter Veranlagung im Gegensatz zu gleichaltrigen unverheirateten Personen von der Tarifvergünstigung des § 32 Abs. 3 Ziff. 2 EStG 1953 ausgeschlossen sind.
Das Finanzgericht hält es nicht für grundgesetzwidrig, daß zusammenlebende Ehegatten bei getrennter Veranlagung in die Steuerklasse I fallen. Es meint aber, sie müßten dann auch bei Erreichung des entsprechenden Lebensalters wie die Unverheirateten in die Steuerklasse II übertreten. Die entgegenstehende Regelung des § 32 a Satz 1 EStG sei mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, denn sie versage den Eheleuten eine im System der Besteuerung angelegte Vergünstigung, die allen Unverheirateten zustehe; dies beruhe auf der Annahme einer größeren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von zusammenlebenden Ehegatten, einem Gedanken also, den das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 17. Januar 1957 (BVerfGE 6, 55) gegenüber der Schutznorm des Art. 6 Abs. 1 GG nicht habe gelten lassen. Die Schlechterstellung der Ehegatten im Wege der Auslegung zu beseitigen, hält sich das Finanzgericht nicht für befugt, da es feststellt, der Gesetzgeber habe die Regelung bewußt getroffen.
Für die Bundesregierung, die unter Verzicht auf mündliche Verhandlung dem Verfahren beigetreten ist, hat sich der Bundesminister der Finanzen geäußert. Er hält die in Frage stehenden Vorschriften für verfassungsmäßig.
Der Steuerpflichtige hat sich der Rechtsansicht des vorlegenden Gerichts angeschlossen und zu ihrer Unterstützung weiteres Material beigebracht.
Der Präsident des Bundesfinanzhofs hat berichtet, daß der Bundesfinanzhof die Rechtsgültigkeit der zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Vorschriften stets bejaht habe.
C.
Die Vorlage ist zulässig.
1. Das Finanzgericht hat dargelegt, daß es bei Gültigkeit der im Vorlagebeschluß bezeichneten gesetzlichen Bestimmungen die Berufung zurückweisen werde; seien sie aber verfassungswidrig, so müsse die Berufung Erfolg haben; denn für die Steuerpflichtigen gelte dann die allgemeine Regelung des § 32 Abs. 3 Ziff. 1 EStG, wonach alle Verheirateten in Steuerklasse II gehören. Diese Rechtsauffassung ist nicht offensichtlich unhaltbar. Denn sieht man als Regelvorschrift an, daß Verheiratete in die Steuerklasse II fallen, so ist, wenn die hiervon eine Ausnahme statuierende Bestimmung des § 32 a Satz 1 hinsichtlich der älteren Ehegatten nichtig ist, die Folgerung unabweisbar, daß für diese dann wieder die Regel gilt.
2. § 32 Abs. 1 Satz 2 EStG, den das Finanzgericht in die verfassungsrechtliche Prüfung einbezogen wissen will, hat keine selbständige rechtliche Bedeutung. Er stellt – durch die im Gesetz vom 26. Juli 1957 vorgenommene Ergänzung des Wortlauts – nur klar, daß §§ 32 a und 32 b (in ihrer jeweiligen Fassung) als Spezialvorschriften dem § 32 vorgehen.
D.
§ 32 a Satz 1 EStG ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit er die über 60 Jahre alten zusammenlebenden und getrennt veranlagten Ehegatten in Steuerklasse I beläßt.
1. Die Steuerklassen I und II unterscheiden sich darin, daß in den Tarif der Steuerklasse II ein besonderer Freibetrag eingearbeitet ist. Aus der für den Veranlagungszeitraum 1954 maßgebenden Einkommensteuertabelle ergibt sich, daß die Differenz zwischen den Steuerklassen I und II etwa beträgt: bei einem Jahreseinkommen von 5000 DM 189 DM, bei 8000 DM Einkommen 261 DM, bei 12 000 DM 300 DM, bei 18 000 DM 320 DM, bei 24000 DM 340 DM; bei der Lohnsteuer sind die Differenzbeträge teils gleich hoch, teils etwas niedriger.
Der übertritt der älteren Unverheirateten in die Steuerklasse II beruht auf der Erwägung, daß bei unverheirateten Personen in vorgerücktem Alter die Lebensführung sich in der Regel verteuert, weil zusätzliche Aufwendungen für Haushalt und Pflege entstehen. Dieses Altersprivileg besteht seit vielen Jahren; an seiner Verfassungsmäßigkeit ist nicht zu zweifeln.
2. Nach § 32 a Satz 1 fallen die zusammenlebenden, aber getrennt veranlagten Ehegatten in Steuerklasse I. Auch diese – bei der Neuordnung der Veranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer durch das Gesetz vom 26. Juli 1957 eingeführte – Regelung, die sich aus dem Grundsatz der Individualbesteuerung mit einer gewissen Notwendigkeit ergab, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; davon geht bereits die Entscheidung BVerfGE 9, 237 mit Selbstverständlichkeit aus; auch der Bundesfinanzhof (BFH 67, 375) und das vorlegende Finanzgericht bezweifeln die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung nicht.
3. Damit entsteht die Frage, ob die in Steuerklasse I eingereihten Ehegatten dauernd in dieser Steuerklasse verbleiben oder bei Erreichung des entsprechenden Lebensalters ebenso wie die Unverheirateten in den Genuß des Altersprivilegs (übertritt in Steuerklasse II) gelangen sollen. Der Gesetzgeber hat diese letzte Frage verneint. Das vorlegende Gericht sieht in dieser Regelung eine Benachteiligung der Verheirateten gegenüber den Unverheirateten, die dem Art. 6 Abs. 1 GG widerspreche. Dem kann nicht beigetreten werden.
Art. 6 Abs. 1 verbietet eine Beeinträchtigung von Ehe und Familie durch störende Eingriffe des Staates (BVerfGE 6, 55 [76]). Hier läge der Eingriff nicht darin, daß eine bestimmte, von vornherein als innere Einheit konzipierte steuerrechtliche Regelung sich notwendig und empfindlich zum Nachteil der (d.h. grundsätzlich aller) Verheirateten auswirkt (wie im Falle des § 26 EStG a. F.); vielmehr würde es sich um eine indirekte Benachteiligung eines (kleinen) Teils der Verheirateten handeln, die darin bestünde, daß eine den Unverheirateten von jeher zustehende Vergünstigung nicht in dem Augenblick auf jene Gruppe von Ehegatten erstreckt worden ist, als diese infolge einer Änderung des Veranlagungsmodus in die bisher allein den Unverheirateten vorbehaltene Steuerklasse I eingereiht wurden. Hieraus ergibt sich zunächst soviel, daß der Regelung nicht von Haus aus eine – auch nur objektive – „Tendenz gegen die Ehe” schlechthin innewohnt. Sie ist vielmehr das Ergebnis des Ineinandergreifens zweier unabhängig voneinander getroffener und je für sich sinnvoller und verfassungsrechtlich einwandfreier Regelungen. Gleichwohl wäre nicht ausgeschlossen, daß diese – in dem vorbeschriebenen Sinn „zufällig” zustande gekommene – Rechtslage eine durch Art. 6 Abs. 1 GG verbotene Beeinträchtigung der Ehe enthalten könnte. Das wäre jedenfalls anzunehmen, wenn die für das Altersprivileg der Unverheirateten maßgebenden Verhältnisse auch (mindestens in der Regel) bei den zusammenlebenden Ehepaaren vorlägen; dann würde die Vorenthaltung des Privilegs sich als „willkürliche” Benachteiligung Verheirateter durch den Gesetzgeber darstellen. Das ist aber nicht der Fall. Der Bundesminister der Finanzen hat dargelegt, warum es dem Gesetzgeber vertretbar erschien, (getrennt veranlagte) Verheiratete, die einen gemeinsamen Haushalt führen, der Altersvergünstigung nicht teilhaftig werden zu lassen. Die Gründe lassen sich dahin zusammenfassen, daß die Verteuerung der Lebenshaltung, die für Alleinstehende im Alter erfahrungsgemäß eintritt, bei Verheirateten mit gemeinsamem Haushalt in aller Regel nicht so fühlbar wird, daß es geboten wäre, ihnen allein wegen des Alters einen besonderen Freibetrag (u. U. sogar doppelt) zuzuwenden. Diese Erwägungen werden durch die Lebenserfahrung bestätigt. Daß – nach beiden Seiten hin – Ausnahmen vorkommen, ist selbstverständlich, berührt aber die Gültigkeit der Regelung nicht, da das Steuergesetz in Fällen dieser Art typisieren muß. Es kommt deshalb nicht entscheidend darauf an, wie viele der älteren unverheirateten Personen tatsächlich etwa einen eigenen Haushalt führen; daß dies häufig geschieht, steht außer Frage; außerdem erwächst erhöhter Aufwand auch vielen älteren Personen ohne eigenen Haushalt (z.B. Pflegekosten, insbesondere bei Eintritt in Altersheime). Die Gruppe der Unverheirateten, die mit einer „Altersverteuerung” zu rechnen haben, ist jedenfalls groß genug, um sie gegenüber den von dieser Erscheinung typischerweise nicht betroffenen Verheirateten steuerlich angemessen zu begünstigen. Was das Ausmaß des Privilegs angeht, so konnte der Gesetzgeber nur versuchen, die durchschnittlich entstehenden Mehrkosten einigermaßen angemessen zu berücksichtigen. Sieht man auf das Ergebnis, d.h. die tatsächlich entstehende steuerliche Minderbelastung, so zeigen die oben angegebenen Tarifbeträge wie auch die vom Steuerpflichtigen vorgetragenen Beispiele Unterschiede der Steuerbelastung in der Größenordnung von etwa 30 DM im Monat, oft weniger. Es liegt auf der Hand, daß, wenn man überhaupt eine Verteuerung der Lebenshaltung etwa durch Wohnungswechsel oder Einstellung einer Haushaltshilfe annimmt, diese Steuervergünstigung in vielen Fällen nicht ausreichen wird, um die Mehrkosten aufzufangen; keinesfalls ist sie unangemessen hoch. Es trifft daher zu, wenn der Bundesfinanzhof hier von einer steuerlichen Sondervergünstigung „von nicht erheblicher Tragweite” spricht (BFH 69, 398 [401]).
Zweifellos hätte der Gesetzgeber großzügig verfahren und auch den älteren verheirateten Personen das Steuerprivileg zuwenden können; daß er es nicht getan hat, begründet aber keine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG. Von einer solchen könnte man sprechen, wenn bei gleichen Verhältnissen Ehegatten wenigstens ebenso stark belastet würden wie Alleinstehende oder wenn doch wenigstens – bei nicht völliger Gleichheit der Verhältnisse – das Maß der den Unverheirateten zugewandten Vergünstigungen weit über das hinausginge, was sich aus den Umständen rechtfertigen ließe, mit denen die Vergünstigung motiviert ist. Keine dieser beiden Voraussetzungen trifft zu; es wird lediglich eine Vergünstigung, die Unverheirateten aus bestimmten, typischerweise nur bei ihnen vorliegenden sachlichen Gründen gewährt wird, den getrennt veranlagten Ehegatten nicht zuteil.
Die Tatsache, daß beide Gruppen in die Steuerklasse I eingereiht sind, ist für sich allein kein verfassungsrechtlich zwingender Grund, eine Vergünstigung, die den Unverheirateten aus sachlichen Gründen zugewendet wird, auch den Ehegatten zuzuwenden, bei denen diese Gründe nicht vorliegen. Die Nichtgewährung eines Freibetrages ist der im Beschluß vom 17. Januar 1957 (BVerfGE 6, 55) behandelten Verschärfung der Steuerprogression durch Zusammenveranlagung nach § 26 EStG a. F. nicht vergleichbar. Insbesondere müssen die Ausführungen über die Bedeutung der größeren oder geringeren Leistungsfähigkeit von Ehegatten für das Einkommensteuerrecht im Zusammenhang verstanden werden; sie können nicht in der Weise, wie das vorlegende Gericht es für geboten hält, auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Dort handelte es sich um den Versuch, die angebliche Möglichkeit von Ersparnissen bei Eheleuten zur Rechtfertigung einer verschärften Steuerprogression zu benützen, während die Progression im übrigen allein am Einkommen des einzelnen orientiert war, jedoch die gesamte Ausgabenseite als Faktor der steuerlichen Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigte; dort konnte also die Höhe der eintretenden Steuerverschärfung keinen Bezug zur Höhe der angeblichen Ersparnismöglichkeiten haben. Hier aber geht es um die Berücksichtigung erhöhter Ausgaben durch Gewährung eines festen – also nicht progressiv gestaffelten –, den erhöhten Ausgaben einigermaßen adäquaten Freibetrages. Die Gewährung von Freibeträgen ist die im Einkommensteuerrecht übliche Form, typische Mehrausgaben als einen die Leistungsfähigkeit mindernden Faktor zu berücksichtigen (s. den Hinweis in BVerfGE 6, 55 [70]). Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Beschränkung eines angemessenen Freibetrages für typische Mehraufwendungen auf Unverheiratete verfassungswidrig sein sollte, wenn solche Mehraufwendungen für Eheleute nicht typisch sind. Es fehlt hier jedes die Ehe diskriminierende Element.
4. Eine Prüfung der gesetzlichen Regelung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG kommt nicht mehr in Betracht (BVerfGE 9, 237 [248 f.]), da sich ergeben hat, daß die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung mit Art. 6 Abs. 1 GG als einer Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes vereinbar ist.
Fundstellen
BStBl I 1962, 982 |
BVerfGE, 34 |
NJW 1962, 1243 |
MDR 1962, 634 |