Entscheidungsstichwort (Thema)

Indizwirkung der Niederlegung eines Schriftstücks für Zugangsnachweis

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde erstreckt sich zwar darauf, daß der zustellende Beamte unter der ihm angegebenen Anschrift weder den Adressaten persönlich noch eine zur Entgegennahme einer Ersatzzustellung in Betracht kommende Person angetroffen und daß er die Benachrichtigung über die Niederlegung an dem angegebenen Tag in den Hausbriefkasten gelegt hat, aber nicht darauf, dass der Zustellungsempfänger unter der Zustellanschrift tatsächlich wohnt.

2. Für das Gericht erwächst aus Art. 103 Abs. 1 GG die Pflicht, vor dem Erlaß einer Entscheidung zu prüfen, ob dem Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt wurde. Setzt die Gewährung rechtlichen Gehörs die Übersendung eines Schriftstücks voraus, so muß sich das Gericht auch über dessen Zugang vergewissern. Dabei darf es sich im allgemeinen auf den Nachweis der förmlichen Zustellung verlassen. Die gemäß den §§ 190 ff. ZPO aufgenommene Zustellungsurkunde begründet nach § 418 ZPO den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen.

3. Ergeben sich aus dem Akteninhalt oder dem Vortrag der Beteiligten Zweifel, ob der Zustellungsempfänger dort wohnt, wo der Zustellungsbeamte die Niederlegungsnachricht hinterlegt hat, hat das Gericht diesen in geeigneter Weise nachzugehen. Solche Zweifel drängen sich allerdings nicht schon dann auf, wenn der Zustellungsadressat schlicht bestreitet, unter der Zustellungsanschrift zu wohnen. Die Indizwirkung der Ersatzzustellung und ihre Beurkundung kann nur durch eine plausible, schlüssige Darstellung entkräftet werden. Regelmäßig wird der Betroffene dabei den anderweitigen Ort seines Lebensmittelpunktes offenzulegen haben.

 

Normenkette

ZPO §§ 418, 181-182, 190

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Beschluss vom 27.02.1989; Aktenzeichen 6 W 22/89)

LG Hamburg (Entscheidung vom 03.02.1989; Aktenzeichen 76 T 19/89)

AG Hamburg (Beschluss vom 09.01.1989; Aktenzeichen 71 b K 173/86)

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des Zustellungsnachweises in einem Zwangsversteigerungsverfahren.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer einer Wohnung im Hause E.-Chaussee in H. In dem Haus betrieb er auch eine Zahnarztpraxis. Die Wohnung meldete er 1981 als Hauptwohnsitz an. Tatsächlich wohnte er jedenfalls bis Herbst 1986 in einem ebenfalls ihm gehörenden Einfamilienhaus im B.-Grund in H.

Das Grundstück in der E.-Chaussee wurde unter Zwangsverwaltung gestellt. Im Herbst 1988 wurde der Beschwerdeführer durch den Zwangsverwalter vom Besitz ausgeschlossen, ihm wurde auch der Zugang zu seiner Wohnung verwehrt. Da die Polizei ihn unter dieser Anschrift nicht erreichen konnte, meldete ihn das Einwohner-Zentralamt am 11. Oktober 1988 von Amts wegen ab.

In dem seit Frühjahr 1986 betriebenen Ausgangsverfahren über die Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung eines anderen Grundstücks des Beschwerdeführers bestimmte das Amtsgericht Hamburg Versteigerungstermin auf den 9. Januar 1989. Der zuständige Rechtspfleger hatte in einem anderen Zwangsvollstreckungsverfahren die Erfahrung gemacht, daß Zustellungen an den Beschwerdeführer unter der Anschrift E.-Chaussee nicht mehr ausgeführt wurden. Das wurde ihm auf Anfrage vom Einwohner-Zentralamt bestätigt. Nach einem vergeblichen Versuch, dem Beschwerdeführer die Terminsanordnung unter einer von einer Gläubigerin benannten Anschrift zuzustellen, brachte der Rechtspfleger bei dem Zwangsverwalter eines weiteren Grundstücks des Beschwerdeführers in Erfahrung, daß dort die Adresse B.-Grund als Anschrift bekannt sei. Er verfügte, daß die Terminsbestimmung dem Beschwerdeführer unter dieser Anschrift zuzustellen sei. Die Zustellungsurkunde gelangte mit dem von dem Postbediensteten unterschriebenen, formularmäßig vorgegebenen Vermerk zu den Vollstreckungsakten zurück, daß er am 20. Oktober 1988 in der Wohnung des in der Anschrift bezeichneten Empfängers niemand angetroffen habe und unter der angegebenen Anschrift die schriftliche Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung – wie bei gewöhnlichen Briefen üblich – in den Hausbriefkasten eingelegt habe.

In dem Termin vom 9. Januar 1989 wurde der Zuschlag erteilt. Gegen den Zuschlagsbeschluß legte der Beschwerdeführer, der von dem Versteigerungstermin nach seiner Darstellung erst durch die Zustellung des Zuschlagsbeschlusses vom 9. Januar 1989 erfahren hatte, sofortige Beschwerde ein. Das Landgericht setzte ihn von dem Sachverhalt in Kenntnis und forderte ihn zur weiteren Begründung seiner Beschwerde auf. Der Beschwerdeführer ließ vortragen, der Zwangsverwalter seiner Wohnung im Hause E.-Chaussee habe ihm, nachdem er ihn außer Besitz gesetzt habe, auf Intervention hin die Wohnung wieder zur Verfügung gestellt. Die Schließung seiner Zahnarztpraxis habe bei dem Zustellungsbeamten die irrige Vorstellung hervorgerufen, daß Zustellungen an ihn nicht mehr möglich seien, und dazu geführt, daß für einige Monate Zustellungen unterblieben seien und er von Amts wegen abgemeldet worden sei. Möglicherweise habe die Polizei ihn einmal nicht angetroffen und trotz des Hinweises anderer Bewohner auf seine Wohnung im Obergeschoß das Einwohner-Zentralamt benachrichtigt. Das Haus B.-Grund habe er seit September 1986 zwei Personen vermietet. Seitdem habe er dort weder persönliches Hab noch Gut. Einen Briefkastenschlüssel besitze er nicht; es weise auch kein Namensschild auf ihn hin. Zugleich versicherte der Beschwerdeführer an Eides Statt, daß er unter der Anschrift in der E.-Chaussee gemeldet sei, dort ununterbrochen eine Wohnung unterhalten und „in der Regel” dort auch Zustellungen empfangen habe.

Das Landgericht wies die Beschwerde zurück. Ausweislich der Postzustellungsurkunde, die gemäß § 418 ZPO vollen Beweis der beurkundeten Tatsachen erbringe, sei dem Beschwerdeführer die Terminsbestimmung rechtzeitig zugestellt worden. Die Kammer habe keine „schlüssigen Anhaltspunkte” dafür, daß der Beschwerdeführer nicht unter der Zustellanschrift gewohnt habe. Insoweit seien seine Darlegungen dazu, daß er in dem Gebäude kein persönliches Hab und Gut habe und dort auch sein Namensschild nicht angebracht sei, nicht konkret genug und kein hinreichend substantiierter Gegenbeweis.

Das Hanseatische Oberlandesgericht verwarf die eingelegte weitere Beschwerde als unzulässig, weil die angefochtene Entscheidung keinen neuen selbständigen Beschwerdegrund enthalte und das Landgericht dem Beschwerdeführer insbesondere hinreichend rechtliches Gehör gewährt habe.

2. Mit der rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung rechtlichen Gehörs. Da er erst durch den Zuschlagsbeschluß von dem Versteigerungstermin erfahren habe, sei ihm die Möglichkeit genommen worden, vor dem Amtsgericht einen Antrag zum freihändigen Verkauf nach § 30a ZVG zu stellen. Das Landgericht habe verkannt, daß sein Vortrag, unter der Zustellanschrift habe er weder Hab noch Gut, es weise dort auch kein Schild auf ihn hin, nur habe verdeutlichen sollen, daß er dort nicht wohne. Wegen des nachhaltigen Eingriffs in sein Eigentum habe das Landgericht ihn darauf hinweisen müssen, wie es seinen Vortrag werte. Auch das Hanseatische Oberlandesgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es den landgerichtlichen Beschluß nicht aufgehoben habe.

II.

Der Zuschlagsbeschluß und die auf die Rechtsmittel ergangenen Entscheidungen des Landgerichts und des Hanseatischen Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer nicht in der grundrechtsgleichen Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG.

1. a) Die Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen (vgl. BVerfGE 9, 89 ≪95≫; 69, 145 ≪148≫; 74, 1 ≪5≫). Im Zwangsversteigerungsverfahren wird es unter anderem dadurch gewährleistet, daß dem Schuldner die Bestimmung des Versteigerungstermins gemäß §§ 41, 43 Abs. 2 ZVG vier Wochen vor dem Termin zuzustellen ist. Dabei ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß die Zustellung der Terminsbestimmung gemäß den auch im Zwangsversteigerungsverfahren anzuwendenden §§ 181, 182 ZPO im Wege der Ersatzzustellung erfolgen kann. Die Rechtsverteidigung des Schuldners wird durch diese Art der Zustellung nicht in verfassungswidriger Weise beschränkt. Wirksamkeitsvoraussetzung der Ersatzzustellung ist, daß der Schuldner unter der Zustellungsanschrift tatsächlich wohnt, also in der bezeichneten Wohnung in der Regel lebt und auch schläft (vgl. BGH NJW 1978, 1858). Damit besteht die Gewähr, daß er von dem zuzustellenden Schriftstück, auch wenn es ihm nicht persönlich übergeben wird, Kenntnis erlangt.

b) Für das Gericht erwächst aus Art. 103 Abs. 1 GG die Pflicht, vor dem Erlaß einer Entscheidung zu prüfen, ob dem Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt wurde. Setzt die Gewährung rechtlichen Gehörs die Übersendung eines Schriftstücks voraus, so muß sich das Gericht auch über dessen Zugang vergewissern. Dabei darf es sich im allgemeinen auf den Nachweis der förmlichen Zustellung verlassen (vgl. BVerfGE 36, 85 ≪88≫). Die gemäß den §§ 190 ff. ZPO aufgenommene Zustellungsurkunde begründet nach § 418 ZPO den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen.

c) Die von der Verfassungsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob durch die Zustellungsurkunde auch bewiesen wird, daß der Zustellungsadressat – wie dies für eine wirksame Zustellung erforderlich ist – unter der Zustellungsanschrift wohnt, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt (vgl. bejahend BGH NJW 1976, 149; LM § 181 ZPO Nr. 5; OLG Köln MDR 1983, 139 f.; undeutlich LAG Berlin, Entscheidung vom 13.10.1967, Juris-Dokumentations-Nr. 621543; verneinend wohl BGH NJW 1985, 2197; BFH, Entscheidung vom 1.12.1988, Juris- Dokumentations-Nr. 514885; HansOLG MDR 1982, 1041; LG Berlin MDR 1987, 503). Insofern kann dahingestellt bleiben, welche Argumente sich für die eine oder andere Auffassung aus der Auslegung der §§ 190 ff., 418 ZPO gewinnen lassen. Inhalt und Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör lassen es nämlich nicht zu, die Beweiskraft der Zustellungsurkunde auch auf diese Tatsache zu erstrecken.

Ist eine Tatsache gemäß § 418 ZPO bewiesen, so kann sie nur dadurch erfolgreich widerlegt werden, daß ein Sachverhalt vorgetragen und bewiesen wird, der zur Überzeugung des Gerichts jede Möglichkeit ihrer Richtigkeit ausschließt. Der erforderliche Gegenbeweis ist substantiiert anzutreten. Durch Hervorrufen bloßer Zweifel in die Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen ist er noch nicht erbracht. Die dadurch bedingten Beweisschwierigkeiten für denjenigen, gegen den die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde streitet, sind, jedenfalls soweit diese die Zustellung von Schriftstücken betrifft, deren Zugang zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erforderlich ist, mit Blick auf die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG nur hinsichtlich solcher Tatsachen hinnehmbar, für die gewährleistet ist, daß die zur Beurkundung berufene Amtsperson sie selbst verwirklicht oder aufgrund eigener Wahrnehmungen zuverlässig festgestellt hat. Die Durchsetzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wäre in unvertretbarer Weise erschwert, wenn der Zustellungsadressat, der den Erhalt eines Schriftstückes oder in den Fällen der Ersatzzustellung deren Wirksamkeit bestreitet, auch mit dem Gegenbeweis für solche Tatsachen belastet würde, die sich der zuverlässigen Feststellung und Wahrnehmung durch den Zustellungsbeamten entziehen.

Für die Beurkundung der Ersatzzustellung gemäß § 182 ZPO folgt daraus: Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde erstreckt sich zwar darauf, daß der zustellende Beamte unter der ihm angegebenen Anschrift weder den Adressaten persönlich noch eine zur Entgegennahme einer Ersatzzustellung in Betracht kommende Person angetroffen und daß er die Benachrichtigung über die Niederlegung an dem angegebenen Tag in den Hausbriefkasten gelegt hat. Wenn demgegenüber in der Zustellungsurkunde von der „Wohnung” des in der Anschrift bezeichneten Empfängers die Rede ist, so handelt es sich dabei nicht um die Beschreibung von Tatsachen oder Ereignissen, die der Zustellungsbeamte zuverlässig wahrgenommen hat, sondern um eine von ihm vorausgesetzte – wenn auch nicht völlig ungeprüft vorausgesetzte – Annahme.

Die tatsächlichen Voraussetzungen der „Wohnung” im Sinne der Zustellungsvorschriften werden von dem Zustellungsbeamten regelmäßig nicht selbst wahrgenommen. Die bundesweit für den postinternen Betriebsablauf verbindliche Dienstanweisung für den Postbetrieb (DA P III) bestimmt in § 102, daß als Wohnung ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Raum gilt, den der Zustellungsempfänger zur Zeit der Zustellung tatsächlich bewohnt. Sie legt aber nicht fest, daß und gegebenenfalls welche Nachforschungen der Postbedienstete anzustellen hat, um diese Voraussetzungen zu ermitteln. Die Postbediensteten sind nur generell gehalten, falls ihnen der angegebene Adressat und seine tatsächliche Wohnung nicht bekannt sind, Zweifelsfälle nach Möglichkeit durch die Befragung anderer Hausbewohner oder Nachbarn auszuräumen. Nach allem nimmt die Post eine Ersatzzustellung unter der ihr angegebenen Adresse dann – aber auch nur dann – vor, wenn der Postzusteller Anlaß zu der Annahme hat, der Adressat wohne dort tatsächlich.

Darauf, daß der Zustellungsempfänger unter der Zustellungsanschrift wohnt, kann sich die Beweiskraft der Zustellungsurkunde gemäß § 418 ZPO mithin nicht erstrecken.

d) Die Erklärung des Zustellungsbeamten, daß er den Zustellungsadressaten in seiner Wohnung nicht angetroffen habe, ist indes beweiskräftiges Indiz dafür, daß der Zustellungsempfänger unter der Zustellungsanschrift wohnt. Die Annahme einer solchen Indizwirkung ist nicht zuletzt aufgrund der täglichen Erfahrungen gerechtfertigt, die Gerichte und Behörden mit der Postzustellung machen. Insofern ist nicht nur bemerkenswert, daß die Zustellung – auch in Fällen der Ersatzzustellung – von Ausnahmefällen abgesehen durchweg beanstandungsfrei bleibt. Hinzu kommen die nicht seltenen Rücksendungen, durch die – zumal unter Berücksichtigung der typischen Rücksendevermerke – anschaulich belegt wird, daß die Zustellungsbeamten in Zweifelsfällen eigene Ermittlungen dazu anstellen, ob der Zustellungsadressat unter der angegebenen Anschrift wohnt, und sie die Ersatzzustellung nur bei Vorhandensein hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Wohnung vornehmen.

Dementsprechend kann auch das Gericht aufgrund der Beurkundung der Ersatzzustellung im Regelfall davon ausgehen, daß der Zustellungsempfänger wohnt, wo der Zustellungsbeamte die Niederlegungsnachricht hinterlassen hat, und deswegen in der Lage ist, sich die zur Wahrung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör erforderliche Kenntnis von dem niedergelegten Schriftstück zu verschaffen. Ergeben sich indes aus dem Akteninhalt oder dem Vortrag der Beteiligten Zweifel an der Richtigkeit dieser Annahme, so hat das Gericht diesen in geeigneter Weise nachzugehen. Solche Zweifel drängen sich allerdings nicht schon dann auf, wenn der Zustellungsadressat schlicht bestreitet, unter der Zustellungsanschrift zu wohnen. Die Indizwirkung der Ersatzzustellung und ihre Beurkundung kann nur durch eine plausible, schlüssige Darstellung entkräftet werden. Regelmäßig wird der Betroffene dabei den anderweitigen Ort seines Lebensmittelpunktes offenzulegen haben. Im übrigen richtet sich das Maß der gebotenen Substantiierung nach den Umständen des Einzelfalles. Genügt der Vortrag des Zustellungsempfängers diesen Anforderungen, so hat das Gericht sich unter Berücksichtigung aller ihm zugänglichen Informationen darüber zu vergewissern, ob er unter der Zustellungsadresse wohnt. Insofern kann es von Belang sein, ob der Zustellungsbeamte regelmäßig in dem Zustellungsbezirk tätig ist und den Zustellungsempfänger und seine Lebensweise persönlich kennt oder ob es sich um einen Aushilfszusteller handelt, der die Annahme einer Wohnung regelmäßig nur auf Namensschilder an Wohnungstür oder Briefkasten stützen kann. Erforderlichenfalls hat das Gericht Zweifeln durch Einholung dienstlicher Erklärungen des Zustellungsbeamten nachzugehen. Für seine Überzeugungsbildung kann es auch eine Rolle spielen, auf welchem Wege und unter welchen Umständen es vor der Veranlassung der Zustellung von der Zustellungsanschrift Kenntnis erlangt hat.

2. Gemessen an diesen Maßstäben sind die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Der Zuschlagsbeschluß vom 9. Januar 1989 verstößt nicht gegen Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Amtsgericht aufgrund der Indizwirkung der Niederlegung davon ausgehen durfte, daß der Beschwerdeführer unter der Anschrift B.-Grund wohnt. Vorbringen des Beschwerdeführers, das Anlaß zu Zweifeln an der Identität von tatsächlicher Wohnanschrift und Zustellungsadresse geben könnte, lag dem Amtsgericht nicht vor. Der Umstand, daß dem Beschwerdeführer Sendungen früher unter einer anderen Anschrift – nämlich der in der E.-Chaussee – zugestellt worden waren, mußte dem Amtsgericht keine Veranlassung geben, an der Indizwirkung der Niederlegung zu zweifeln. Etwaige Zweifel konnte es schon deswegen zurückstellen, weil ihm im Rahmen seiner Bemühungen um die ordnungsgemäße Benachrichtigung des Beschwerdeführers von dem Versteigerungstermin die Adresse im B.-Grund als Anschrift genannt worden war, unter der in einem anderen Zwangsversteigerungsverfahren Zustellungen an den Beschwerdeführer erfolgreich waren.

b) Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts ist zwar insofern zu beanstanden, als das Landgericht angenommen hat, durch die Zustellungsurkunde werde gemäß § 418 ZPO bewiesen, daß der Beschwerdeführer unter der Zustellanschrift gewohnt habe. Auf dieser auch im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG fehlerhaften Annahme beruht die Entscheidung aber nicht. Das Landgericht hat seine die Entscheidung tragende Auffassung nicht etwa – in Konsequenz der Anwendung des § 418 ZPO – darauf gestützt, daß der Beschwerdeführer keinen Sachverhalt dargelegt und unter Beweis gestellt habe, nach dem jede Möglichkeit der Richtigkeit der aus der Urkunde hervorgehenden Wohnung ausgeschlossen sei. Vielmehr hat es auf die mangelnde Substantiierung des Vortrags des Beschwerdeführers abgestellt und seine Ausführungen als nicht ausreichend angesehen, einen „schlüssigen Anhaltspunkt” für Zweifel an einer wirksamen Ersatzzustellung zu geben. Indem das Landgericht von dem Beschwerdeführer eine schlüssige und erschöpfende Darlegung verlangt, inwiefern er nicht unter der Zustellanschrift gewohnt habe, hat es im Ergebnis der Zustellungsurkunde keine weitergehende Beweiskraft beigemessen als die mit Art. 103 Abs. 1 GG zu vereinbarende Indizwirkung.

An die zur Entkräftung dieser Indizwirkung erforderliche Substantiierung hat das Landgericht im vorliegenden Fall auch keine verfassungsrechtlich bedenklichen Anforderungen gestellt. Denn weitere aktenkundige Umstände erhärteten die Annahme, der Beschwerdeführer habe seinen Lebensmittelpunkt nicht unter der von ihm angegebenen Wohnung, sondern unter der Zustellanschrift gehabt. Nach dem eigenen Vortrag des Beschwerdeführers war er über einen nicht näher eingegrenzten Zeitraum, in den der Zustellversuch fiel, von dem Zwangsverwalter außer Besitz der Wohnung in der E.-Chaussee gesetzt worden; die Polizei konnte ihn unter dieser Anschrift nicht erreichen und veranlaßte das Einwohner-Zentralamt zu einer Abmeldung von Amts wegen. Der Beschwerdeführer hatte in der Vergangenheit ungeachtet seiner Anmeldung neben der Wohnung in der E.-Chaussee noch andere Wohnungen in H. unterhalten und dort gelebt, was sich hinsichtlich einer Adresse B.-Straße aus den Angaben der Landesbezirkskasse und dem Vermerk des Postbediensteten „Empfänger unbekannt verzogen”), hinsichtlich der Zustelladresse im B.-Grund aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers selbst ergibt.

Angesichts dieser Umstände reichte der Vortrag des Beschwerdeführers, er habe weder Hab noch Gut unter der Zustellanschrift, verfüge auch nicht über einen Briefkastenschlüssel, er habe vielmehr seit 1981 eine Wohnung in der E.-Chaussee unterhalten und dort auch „in der Regel” Zustellungen entgegengenommen, zur Entkräftung der indizierten Zustellanschrift nicht aus. Er hätte vielmehr seinen konkreten räumlichen Lebensmittelpunkt insbesondere während der Zeit des Ausschlusses von dem Besitz an der Wohnung in der E.-Chaussee offenlegen und soweit mit Tatsachenvortrag plausibel machen müssen, daß eine nicht ganz unerhebliche Wahrscheinlichkeit für einen anderweitigen Aufenthalt als unter der Zustellanschrift sprach.

Der Beschwerdeführer kann sich auch nicht darauf berufen, seine Darlegungen seien vom Landgericht mißverstanden worden und nur deshalb unsubstantiiert geblieben, weil ihn das Landgericht nicht auf sein Verständnis des Tatsachenvortrags vor der Entscheidung hingewiesen habe. Ausweislich der Beschlußbegründung hat das Landgericht den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht einen unzutreffenden Sinn beigelegt, sondern sie als unzureichend bewertet. Nachdem es den Beschwerdeführer durch seinen Verfahrensbevollmächtigten bereits anläßlich der Unterrichtung über den Sachverhalt auf das Erfordernis näherer Darlegungen hingewiesen hatte, war es von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, auf weitere Erklärungen hinzuwirken oder im Rahmen eines Rechtsgesprächs seine Wertung des Tatsachenvortrags mitzuteilen (vgl. BVerfGE 66, 116 ≪147≫; 67, 90 ≪96≫).

c) Das Oberlandesgericht hat eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Landgericht – und damit das Vorliegen eines neuen selbständigen Beschwerdegrundes gemäß § 568 Abs. 2 ZPO – aus den dargelegten Gründen zu Recht verneint.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1518607

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