Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Die Beschwerdeführerin betreibt gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung. Sie ist der Auffassung, die Rechtsgrundlagen der Beitragsfestsetzung seien verfassungswidrig.
I.
1. Die Organisation der gesetzlichen Unfallversicherung ist im Fünften Kapitel des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (§§ 114 ff.) geregelt. Deren Träger werden in § 114 Abs. 1 SGB VII benannt. Hierzu gehören neben den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften sowie den Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand die gewerblichen Berufsgenossenschaften (§ 114 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Für Unternehmen (Betriebe, Verwaltungen, Einrichtungen, Tätigkeiten) sind grundsätzlich die gewerblichen Berufsgenossenschaften zuständig (§ 121 Abs. 1 SGB VII). Die derzeit 35 gewerblichen Berufsgenossenschaften werden in der Anlage 1 zu § 114 SGB VII namentlich aufgeführt. Unter Nummer 31 wird die “Berufsgenossenschaft der Banken, Versicherungen, Verwaltungen, freien Berufe und besonderer Unternehmen – Verwaltungs-Berufsgenossenschaft” (im Folgenden: Verwaltungs-Berufsgenossenschaft) genannt.
2. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Berufsgenossenschaften kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (zuvor: Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats nach Art und Gegenstand der Unternehmen unter Berücksichtigung der Prävention und der Leistungsfähigkeit der Berufsgenossenschaften bestimmen (§ 122 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Eine solche Rechtsverordnung ist bisher nicht erlassen worden. Für diesen Fall ordnet § 122 Abs. 2 SGB VII an, dass jede Berufsgenossenschaft für die Unternehmensarten sachlich zuständig bleibt, für die sie bisher zuständig war.
Da eine Rechtsverordnung im Sinne des § 122 Abs. 1 SGB VII fehlt, wird zur Abgrenzung der Zuständigkeiten in der Praxis bis heute der Beschluss des Bundesrats des Deutschen Reiches vom 21. Mai 1885 (Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamts ≪AN≫ 1885, S. 143) herangezogen. Die ersten Berufsgenossenschaften waren zuvor durch das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 (RGBl I S. 69) errichtet worden. Der Beschluss des Bundesrats bildete die Grundlage für die Aufteilung der verschiedenen Unternehmen auf die neu gegründeten Berufsgenossenschaften. Zur Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften wird ferner auf das “Alphabetische Verzeichnis der Gewerbezweige” des Reichsversicherungsamts vom 1. Oktober 1885 (AN 1885, S. 254) mit späteren Fortschreibungen, die auch nachfolgende Bundesratsbeschlüsse berücksichtigen, als – nicht bindende – Auslegungshilfe zurückgegriffen. Durch die Verordnung der Reichsregierung vom 30. Oktober 1923 (RGBl I S. 1063) wurde die Weitergeltung des Bundesratsbeschlusses vom 21. Mai 1885 angeordnet.
Gewerbezweige, die in den genannten Grundlagen, insbesondere in den Bundesratsbeschlüssen, nicht genannt sind, werden nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jener Berufsgenossenschaft zugewiesen, deren Mitgliedsunternehmen ihnen nach Art und Gegenstand am nächsten stehen (vgl. BSGE 71, 85 ≪86≫).
3. Die sachliche Zuständigkeit für die hier in Frage stehende gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung nimmt die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft gemäß § 3 Abs. 1 ihrer Satzung in Anspruch. Die “Unternehmen zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung” werden dort unter Nummer 61 aufgeführt. Nach Auffassung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft sind diese Unternehmen ein eigener Gewerbezweig, der sich keiner Fach-Berufsgenossenschaft zuordnen lässt. Deshalb greife ihre Auffangzuständigkeit für “besondere Unternehmen” ein.
4. Der Unfallversicherungsträger stellt Beginn und Ende seiner Zuständigkeit für ein Unternehmen durch schriftlichen Bescheid – den so genannten Mitgliedsschein – gegenüber dem Unternehmer fest (§ 136 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Den Bescheid erlässt der Unfallversicherungsträger, sobald ein Unternehmen Vorbereitungstätigkeiten zur Gründung aufgenommen hat (§ 136 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Er veranlagt die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu den Gefahrklassen (so genannter Veranlagungsbescheid; vgl. § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Der Unfallversicherungsträger teilt den Beitragspflichtigen ferner den von ihnen zu zahlenden Beitrag schriftlich mit (§ 168 Abs. 1 SGB VII).
5. Die Aufbringung der Mittel der gesetzlichen Unfallversicherung ist im Sechsten Kapitel des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (§§ 150 ff.) normiert. Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung werden nachträglich als Umlage nach dem Aufwand des Vorjahres erhoben (§ 152 Abs. 1 SGB VII). Die Berechnungsgrundlagen für die Beiträge sind der Finanzbedarf (Umlagesoll), die Arbeitsentgelte der Versicherten und die Gefahrklassen (§ 153 Abs. 1 SGB VII).
Die Festlegung des Gefahrtarifs regelt § 157 SGB VII. Danach setzt der Unfallversicherungsträger als autonomes Recht einen Gefahrtarif fest. In dem Gefahrtarif sind zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen. Der Gefahrtarif wird nach Tarifstellen gegliedert. In den Tarifstellen sind Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs zu bilden. Die Gefahrklassen werden aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet. Nach § 158 Abs. 1 SGB VII bedürfen der Gefahrtarif und jede Änderung der Genehmigung der Aufsichtsbehörde.
6. Der ab dem 1. Januar 1998 geltende Gefahrtarif der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (im Folgenden: Gefahrtarif 1998) sah für Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung zwei Gefahrklassen vor. Diese unterschieden sich danach, ob die überlassenen Beschäftigten ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen (Gefahrtarifstelle 48: Gefahrklasse 0,57) oder aber in sonstigen, insbesondere also produzierenden oder gewerblichen Unternehmensteilen (Gefahrtarifstelle 49: Gefahrklasse 10,66) eingesetzt werden und entsprechende Tätigkeiten verrichten.
II.
1. Die Beschwerdeführerin ist ein mittelständisches Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Im Jahr 1994 stellte die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft ihre Zuständigkeit für die Beschwerdeführerin fest. Auf Grund des Gefahrtarifs 1998 wurde die Beschwerdeführerin für ihre Unternehmensteile im Jahr 1998 zu den Gefahrtarifstellen 48 und 49 veranlagt. Dies führte zu Beitragsforderungen für das Jahr 1998 von 1.052,98 DM für die Gefahrtarifstelle 48 und 174.507,01 DM für die Gefahrtarifstelle 49 (Beitragsbescheide von April 1999). Gegen den Veranlagungs- und den letzten Beitragsbescheid erhob die Beschwerdeführerin Widerspruch, der zurückgewiesen wurde.
Die Klage der Beschwerdeführerin blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Die Arbeitnehmerverleiher seien ein eigenständiger Gewerbezweig, weil ihr Betriebsgegenstand eine gemeinsame, gewerbetypische Unfallgefahr aufweise. Die entliehenen Arbeitnehmer würden in fremden Betrieben eingesetzt und zu wechselnden Arbeiten herangezogen. Sie müssten sich häufig in eine neue Arbeitswelt eingewöhnen und oftmals neue Arbeitswege zurücklegen. Die Fluktuation der Mitarbeiter sei in diesem Gewerbezweig größer als andernorts. Das Gefährdungsrisiko sei in jedem Fall anders als bei “normalen” Arbeitnehmern. Der Gefahrtarif müsse für sie nicht weiter untergliedert werden.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die sozialgerichtlichen Entscheidungen sowie die ihnen zugrunde liegenden Vorschriften. Sie rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG, jeweils in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG. Sie trägt insbesondere vor: Ihre allgemeine Handlungsfreiheit sei dadurch verletzt, dass sie auf Grund unwirksamer oder jedenfalls unzureichender gesetzlicher Grundlagen von der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft als Zwangsmitglied in Anspruch genommen und zu Beiträgen herangezogen werde. Die Zuordnung eines Unternehmens zu einem Unfallversicherungsträger sei eine grundlegende Entscheidung, die nach dem Gesetzesvorbehalt einer normativen Entscheidung durch das Parlament bedürfe. Die Regelung des § 122 Abs. 2 SGB VII genüge dem nicht, weil der jahrzehntelange Verzicht auf den Erlass der dort geforderten Zuständigkeitsverordnung einer unterbliebenen Normierung gleichkomme. Die Beiträge der Arbeitnehmerverleiher wären bei einer tätigkeitsbezogenen Einbeziehung in die für den Entleiherbetrieb zuständige Berufsgenossenschaft oder bei der Gründung eines separaten Unfallversicherungsträgers für diesen Gewerbezweig erheblich niedriger. Arbeitnehmerverleiher könnten ohne übermäßigen Verwaltungsaufwand gemischt nach dem Einsatzgebiet der Mitarbeiter veranlagt werden. Die Angestellten eines Arbeitnehmerverleihers wiesen zudem kein erhöhtes Unfall- oder Berufskrankheitenrisiko auf. Die Erwägung der Sozialgerichte, der Einsatz an wechselnden Arbeitsplätzen, die häufiger auftretende Unerfahrenheit am neuen Arbeitsplatz und die wechselnden Wege dorthin wirkten sich risikosteigernd aus, sei eine unbelegte Mutmaßung. Der Gefahrtarif 1998 der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft widerspreche dem in § 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII enthaltenen Gebot, innerhalb einer Berufsgenossenschaft einen Risikoausgleich herzustellen.
3. Der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung sowie die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft als Beklagte des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Bundessozialgericht hat gemäß § 82 Abs. 4 BVerfGG Auskunft erteilt.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 f.≫; 96, 245 ≪248≫). Die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen können anhand der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantwortet werden.
Es ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführerin angezeigt, die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen; denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Die sachliche Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft ist in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Weise geregelt (1.). Die gesetzliche Ermächtigung des Unfallversicherungsträgers zur Festsetzung eines Gefahrtarifs ist inhaltlich hinreichend bestimmt und verfassungsgemäß (2.). Bei der Kontrolle der Anwendung einfachen Rechts haben die Sozialgerichte im vorliegenden Fall die Bedeutung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verkannt; der Gefahrtarif 1998 der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft lässt keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz erkennen (3.).
1. Die Regelungen über die Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften und insbesondere der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft in § 114 Abs. 1 Nr. 1 (i.V.m. Anlage 1) und § 122 Abs. 1 und 2 SGB VII sind verfassungsgemäß. Sie genügen insbesondere den Anforderungen des aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Bestimmtheitsgebots.
a) Das Bestimmtheitsgebot (vgl. hierzu BVerfGE 80, 103 ≪107 f.≫) verlangt, dass eine gesetzliche Ermächtigung für exekutive Grundrechtseingriffe nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt ist, so dass das Handeln der Verwaltung messbar und in gewissem Ausmaß für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar wird (vgl. BVerfGE 56, 1 ≪12≫). Rechtsvorschriften sind so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. BVerfGE 87, 234 ≪263≫). Der Gesetzgeber darf unbestimmte Gesetzes- und Rechtsbegriffe verwenden (vgl. BVerfGE 80, 103 ≪108≫). Sie müssen ausreichend konkret sein. Auch eine vieljährige, vom Gesetzgeber akzeptierte Rechtsprechung kann einem unbestimmten Rechtsbegriff eine verfassungsrechtlich ausreichende Konkretisierung geben (vgl. BVerfGE 86, 288 ≪311≫; 96, 68 ≪97 f.≫). Ebenso darf der Gesetzgeber auf andere Regelungen verweisen. Allerdings muss ein solches Gesetz für den Rechtsunterworfenen klar erkennen lassen, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen (vgl. BVerfGE 22, 330 ≪346≫).
b) Die gesetzlichen Regelungen über die sachliche Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften werden den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots gerecht.
Welche Unfallversicherungsträger für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung insgesamt zuständig sind, bestimmt § 114 Abs. 1 SGB VII. In der Anlage 1 zu § 114 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII werden sämtliche derzeit existierenden gewerblichen Berufsgenossenschaften aufgeführt. Aus der Namensgebung der Berufsgenossenschaften sowie aus der bisherigen Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis zur Zuständigkeitsverteilung innerhalb der gewerblichen Berufsgenossenschaften folgt auch hinreichend deutlich ihre jeweilige Zuständigkeit. Diese traditionell begründete Zuständigkeitsverteilung hat der Gesetzgeber in § 122 Abs. 2 SGB VII anerkannt. Nach dieser Vorschrift bleibt jede Berufsgenossenschaft für die Unternehmensarten sachlich zuständig, für die sie bisher – also herkömmlich – zuständig war, solange eine nach Absatz 1 erlassene Rechtsverordnung die Zuständigkeit nicht anders regelt. Der Gesetzgeber hat bei der Einordnung des Unfallversicherungsrechts in das Siebte Buch Sozialgesetzbuch die bisherige sozialgerichtliche Rechtsprechung sowie die Verwaltungspraxis zur Zuständigkeit der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft für die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung gekannt und in § 122 Abs. 2 SGB VII bestätigt. Auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nimmt die Gesetzgebung in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich Bezug (vgl. BRDrucks 263/95, S. 294). Weiter gehende verfassungsrechtliche Anforderungen an die Legitimation der Zuständigkeit durch den Gesetzgeber ergeben sich auch nicht aus dem Vorbehalt des Gesetzes. Daher hat die Bundesregierung aus verfassungsrechtlicher Sicht zu Recht ein Regelungsbedürfnis nicht gesehen.
2. Die gesetzliche Ermächtigung des Unfallversicherungsträgers zur Festsetzung eines Gefahrtarifs (§ 157 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, den Unfallversicherungsträgern vorzugeben, welches Risikomerkmal sie bei der Gefahrtariffestsetzung zu verwenden haben. Er durfte die Rechtsetzungsbefugnis insoweit an die Unfallversicherungsträger zur autonomen Regelung delegieren.
a) Die Unfallversicherungsträger sind als Sozialversicherungsträger rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung (§ 29 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung ≪SGB IV≫). Sie erfüllen im Rahmen des Gesetzes und des sonstigen für sie maßgebenden Rechts ihre Aufgaben in eigener Verantwortung (§ 29 Abs. 3 SGB IV). Den Gefahrtarif setzen sie als autonomes Recht fest (§ 157 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Der Autonomiegedanke fügt sich sinnvoll in das System der grundgesetzlichen Ordnung ein (vgl. BVerfGE 33, 125 ≪156 f.≫).
Der Gesetzgeber darf sich allerdings seiner Rechtsetzungsbefugnis nicht völlig entäußern (vgl. BVerfGE 33, 125 ≪158≫). Das gilt besonders, wenn der Akt der Autonomieverleihung dem Verband nicht nur allgemein das Recht zu eigenverantwortlicher Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben und zum Erlass der erforderlichen Organisationsnormen einräumt, sondern ihn zugleich zu Eingriffen in die Grundrechte ermächtigt. Dem staatlichen Gesetzgeber erwächst hier eine gesteigerte Verantwortung. Das Grundgesetz überträgt in erster Linie dem Gesetzgeber die Entscheidung darüber, welche Gemeinschaftsinteressen so gewichtig sind, dass das Freiheitsrecht des Einzelnen zurücktreten muss (vgl. BVerfGE 33, 125 ≪158 f.≫). Wie weit die gesetzlichen Vorgaben ins Einzelne gehen müssen, hängt von dem jeweiligen Sachbereich, der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes sowie der Intensität des Grundrechtseingriffs ab (vgl. BVerfGE 111, 191 ≪217≫; vgl. bereits BVerfGE 33, 125 ≪160≫).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der materiellen Vorgaben für die den Unfallversicherungsträgern durch § 157 SGB VII zugewiesene autonome Rechtsetzungsbefugnis seine Verantwortung noch in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang wahrgenommen.
aa) Der Gesetzgeber hat das Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung in §§ 150 ff. SGB VII näher geregelt. Die Beiträge werden danach nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beitragsansprüche dem Grunde nach entstanden sind, im Wege der Umlage festgesetzt (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Umlage muss den Bedarf des abgelaufenen Kalenderjahres einschließlich der zur Ansammlung der Rücklage nötigen Beträge decken (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Darüber hinaus dürfen Beiträge nur zur Zuführung zu den Betriebsmitteln erhoben werden (§ 152 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Berechnungsgrundlagen für die Beiträge sind, soweit sich aus anderen Vorschriften nicht etwas anderes ergibt, der Finanzbedarf (Umlagesoll), die Arbeitsentgelte der Versicherten und die Gefahrklassen (§ 153 Abs. 1 SGB VII).
bb) Die gesetzlichen Vorgaben für die Festsetzung des Gefahrtarifs enthält § 157 SGB VII. § 157 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VII verpflichtet die Unfallversicherungsträger, einen Gefahrtarif festzusetzen, in dem zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen sind. Dies bedeutet, dass abgestufte und risikoangepasste Beiträge von den Unternehmen zu erheben sind (vgl. Schulz, Der Gefahrtarif der gewerblichen Berufsgenossenschaften, 1999, S. 31; Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung. Solidarität und Äquivalenz im Finanzierungssystem der gewerblichen Berufsgenossenschaften, 2006, S. 83). Damit hat der Gesetzgeber selbst eine grundlegende, die Struktur der Tarife bestimmende Entscheidung getroffen.
cc) Der Gesetzgeber ordnet in § 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ferner an, dass der Gefahrtarif nach Tarifstellen zu gliedern ist, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden. Risiken sind in der Versicherungsbetriebslehre Wahrscheinlichkeitsverteilungen von Schäden (vgl. Heldmann, a.a.O., S. 91). Die Unfallversicherungsträger haben sich demnach bei der Bildung der Gefahrengemeinschaften an Wahrscheinlichkeitserwägungen zu orientieren. Die Erfassung von Risiken erfolgt mit Hilfe von Risikomerkmalen. Da die gesetzliche Unfallversicherung Arbeitsunfall- und Berufskrankheitenrisiken erfasst, kommen als Risikomerkmale Umstände in Betracht, die einen korrelativen statistischen Zusammenhang mit den entstandenen oder voraussichtlichen Schäden durch Versicherungsfälle aufweisen. Die so bestimmten Risikomerkmale sind zu Tarifstellen (Gefahrengemeinschaften) zusammenzufassen (vgl. Schulz, a.a.O., S. 31 ff.). Bei der Zusammenfassung der Gefahrengemeinschaften kann entweder nach den Risiken der verschiedenen Tätigkeiten der Versicherten (“Tätigkeitstarife”) oder nach den Risiken aller Arbeitstätigkeiten innerhalb der verschiedenen Gewerbezweige (“Gewerbezweigtarife”) differenziert werden (vgl. Heldmann, a.a.O., S. 91 ff.).
dd) Es ist von Grundgesetz wegen nicht zu beanstanden, dass § 157 SGB VII davon absieht, den Unfallversicherungsträgern vorzugeben, ob sie bei der Festsetzung des Gefahrtarifs einen Tätigkeitstarif, einen Gewerbezweigtarif oder eine Kombination von beiden zu wählen haben (vgl. aber auch Fenn, Verfassungsfragen der Beitragsgestaltung in der gewerblichen Unfallversicherung, 2006, S. 120). Dem autonomen Satzungsgeber wird dadurch nicht ein verfassungswidriger Spielraum eröffnet. Der Gefahrtarif mit seinen Gefahrklassen ist nicht die alleinige, sondern eine von drei Berechnungsgrößen für die Beitragshöhe (§ 153 Abs. 1 SGB VII). Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Beitragssatz in der gesetzlichen Unfallversicherung deutlich niedriger als in anderen Zweigen der Sozialversicherung mit Ausnahme der Pflegeversicherung liegt. Von der durchschnittlichen Beitragshöhe mag es in Einzelfällen zwar Abweichungen geben. Dies führt aber, wie das Bundessozialgericht in dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil zu Recht festgestellt hat, nicht zur allgemeinen Verfassungswidrigkeit des § 157 SGB VII.
Der Gesetzgeber durfte die Aufgabe, bei der Gefahrtariffestsetzung sachgerechte Lösungen zu finden und die gesetzlichen Vorgaben inhaltlich näher auszufüllen, den berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltungsorganen zuweisen. Diese verfügen bei der Bewältigung dieser Aufgabe über eine lange Erfahrung und sind mit den spezifischen Strukturen innerhalb der einzelnen Berufsgenossenschaften vertraut (vgl. auch BTDrucks 13/2204, S. 110 f.). Zudem bedürfen der Gefahrtarif und jede Änderung gemäß § 158 Abs. 1 SGB VII der Genehmigung der staatlichen Aufsichtsbehörde.
ee) Die Bildung der Gefahrtarife durch die Unfallversicherungsträger in dem durch § 157 SGB VII vorgezeichneten Rahmen hat sich in der Praxis offenbar bewährt. Hierauf weist das Bundessozialgericht in seinem mit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil vom 24. Juni 2003 hin (BSGE 91, 128 ≪138 f.≫). Dieser rechtstatsächliche Befund bestätigt das nach dem vorstehend Ausgeführten aus den grundgesetzlichen Maßstäben abzuleitende Ergebnis, wonach der Gesetzgeber in Wahrnehmung seiner parlamentarischen Verantwortung den Unfallversicherungsträgern hinreichend konkrete und praktisch handhabbare Vorgaben für die Ausgestaltung der Gefahrtarife gemacht hat. Die verfassungsrechtlichen Einwände, die gegen die Vorschrift des § 157 SGB VII erhoben worden sind (vgl. etwa Stolz, in: Plagemann ≪Hrsg.≫, Münchener Anwalts-Handbuch Sozialrecht, 2. Aufl. 2005, § 27 Rn. 27 ff. sowie Tuengerthal/Hagemann, SGb 2002, S. 372 ≪374≫, jeweils m.w.N.), haben sich im sozialrechtlichen Schrifttum nicht durchgesetzt und wurden auch von der Rechtsprechung nicht aufgegriffen. Die erhebliche Beitragssteigerung für Vereine der Fußballbundesligen sowie der Fußballregionalligen, die im Jahre 1995 eine Diskussion über das System der Beitragsfestsetzung in der gesetzlichen Unfallversicherung in Gang gesetzt hatte, kam in der Praxis aufgrund einer vertraglichen Einigung mit der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft nicht in dem erwarteten Ausmaß zum Tragen (vgl. hierzu die Darstellung bei Fenn, a.a.O., S. 13 ff.). Vergleichbare Härtefälle hat es seitdem nicht gegeben.
3. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen sozialgerichtlichen Entscheidungen verletzen Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Die Sozialgerichte haben zutreffend entschieden, dass es der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft nicht durch den allgemeinen Gleichheitssatz verwehrt war, die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung bei der Festsetzung des Gefahrtarifs 1998 als eigenen Gewerbezweig mit zwei unterschiedlichen Tarifstellen zu erfassen, und sie verfassungsrechtlich nicht gehalten war, einen von der Beschwerdeführerin im Ergebnis erstrebten reinen und stärker differenzierenden Tätigkeitstarif zu verwenden.
a) Der Gleichheitssatz ist auch dann verletzt, wenn für die gleiche Behandlung verschiedener Sachverhalte – bezogen auf den in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart – ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt (vgl. BVerfGE 90, 226 ≪239≫; 109, 96 ≪123≫; vgl. ferner BVerfGE 98, 365 ≪385≫).
b) Der Gefahrtarif 1998 der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft sah für Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung zwei Gefahrklassen vor. Diese waren danach differenziert, ob die überlassenen Beschäftigten ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen oder aber in sonstigen, insbesondere also produzierenden oder gewerblichen Unternehmensteilen eingesetzt werden und entsprechende Tätigkeiten verrichten.
Damit behandelte der Gefahrtarif der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft diejenigen Beschäftigten gleich, die ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen eingesetzt werden. Ferner fasste er diejenigen Beschäftigten in einer Gefahrklasse zusammen, die in sonstigen, insbesondere also produzierenden oder gewerblichen Unternehmensteilen eingesetzt werden. Gegen die Gleichbehandlung der Angehörigen der zuletzt genannten Gruppe richtet sich vor allem die Verfassungsbeschwerde. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die dortigen Tätigkeiten seien zu unterschiedlich und könnten nicht in einer gemeinsamen Tarifstelle erfasst werden.
c) Ob und gegebenenfalls inwiefern sich die in Frage stehenden Tätigkeiten und die mit ihnen verbundenen Risiken tatsächlich in erheblichem Maße voneinander unterscheiden, hängt von den jeweiligen Arbeitsbedingungen auf dem Markt der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung ab; hierzu hat die Beschwerdeführerin nicht hinreichend vorgetragen. Es kann aber offen bleiben, ob eine gleiche Behandlung hinreichend verschiedener Sachverhalte vorliegt. Gleiches gilt für die weitere Frage, ob die von der Beschwerdeführerin beanstandete Gleichbehandlung sie tatsächlich erheblich benachteiligt. Denn die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft hatte einen vernünftigen, einleuchtenden Grund dafür, die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung in ihrem Gefahrtarif 1998 als eigenständigen Gewerbezweig mit zwei Gefahrtarifstellen zu erfassen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kennzeichnet Unternehmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung von ihrem Betriebsgegenstand her eine gemeinsame gewerbetypische Unfallgefahr. Arbeitnehmer solcher Unternehmen würden zu verschiedenen Arbeiten herangezogen und an verschiedene Arbeitsplätze “verliehen”. Allein der häufige Wechsel des Arbeitsplatzes mit der Folge, sich in eine neue Arbeitsumwelt eingewöhnen zu müssen, und die damit verbundenen Wegeunfallgefahren rechtfertigten es, bei den Unternehmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung von einer gewerbetypischen Unfallgefährdung auszugehen. Gerade weil die sich aus den verschiedenen Betätigungen dieser Unternehmen ergebenden Unfallgefahren so vielfältig seien und ihr Auftreten in unterschiedlichen Kombinationen möglich sei, sei es berechtigt, für diesen Unternehmenszweig gesonderte Gefahrtarifstellen zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. August 1991 – 2 RU 54/90 –, NZA 1992, S. 335). Darin kann ein vernünftiger und einleuchtender Grund gesehen werden, der die Gleichbehandlung vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigt. Ob eine andere Gliederung der Gefahrtarife – wie die Beschwerdeführerin meint – sinnvoller wäre, hat das Bundesverfassungsgericht, auch im Hinblick auf den verfassungsrechtlich unbedenklich weiten Gestaltungsspielraum der Berufsgenossenschaften (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 1985 – 1 BvR 282/85 –, SozR 220 § 543 RVO Nr. 6), nicht zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. März 1982 – 1 BvR 34/82 –, SozR 2200 § 734 RVO Nr. 2).
d) Es existiert auch ein vernünftiger, einleuchtender Grund dafür, dass die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft in ihrem Gefahrtarif 1998 für die im Bereich der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung ausgeübten Tätigkeiten lediglich zwei und nicht weitere Gefahrtarifstellen vorsah.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass der Unfallversicherungsträger nicht gehindert ist, durch Typisierungen den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung zu tragen (BVerfG, Beschluss vom 4. März 1982 – 1 BvR 34/82 –, SozR 2200 § 734 RVO Nr. 2). Dabei gegebenenfalls auftretende Härten sind bei einer generalisierenden Regelung unvermeidlich und – überschreiten sie, wie hier, nicht das Maß des Zumutbaren – hinzunehmen. Die Berufsgenossenschaften sind von den früheren reinen Tätigkeitstarifen abgerückt, weil diese die tatsächlichen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr nachzeichnen konnten. Wesentlicher Grund für diese Tarifumstellung war, dass das für die Gefahrklassenberechnungen erforderliche statistische Zahlenmaterial bei der Vielzahl der Tätigkeiten der Versicherten in einer arbeitsteiligen Wirtschaft nicht mehr fassbar war und die Meldungen der Unternehmen von den Versicherungsträgern nur sehr begrenzt kontrolliert werden konnten (vgl. Bigge, in: Wannagat, Kommentar zum Recht des Sozialgesetzbuchs, § 157 SGB VII, Rn. 9 ≪Bearbeitungsstand: März 2005≫). Diese Schwierigkeiten und Unstimmigkeiten bei der Einstufung in der Praxis mittels einer “gröberen” Gefahrtarifbildung der hier vorliegenden Art zu vermeiden, war der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft von Verfassungs wegen nicht verwehrt.
4. Im Übrigen wird von einer Begründung gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
Haufe-Index 1779372 |
NWB 2007, 2636 |
NVwZ-RR 2007, 686 |
ZAP 2007, 892 |
GewArch 2007, 475 |
NZS 2008, 144 |
DVBl. 2007, 1172 |
GuT 2007, 334 |