Beteiligte
Verfahrensgang
LG Regensburg (Zwischenurteil vom 26.10.1999; Aktenzeichen StVK 178/96 (13)) |
Tenor
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Tatbestand
I.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt in der Justizvollzugsanstalt Straubing eine langjährige Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Gegen ihn ist ein Strafverfahren wegen räuberischer Erpressung und anderer Taten anhängig. Zu der auf den 4. November 1999 anberaumten Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht – Schöffengericht – Regensburg wurde der Beschwerdeführer geladen, und die Justizvollzugsanstalt Straubing wurde um seine rechtzeitige Verschubung ersucht.
2. Am 15. Oktober 1999 beantragte der Beschwerdeführer bei der Justizvollzugsanstalt, ihn zur Hauptverhandlung in eigener Privatkleidung vorzuführen.
3. Bevor dieser Antrag beschieden worden war, beantragte der Beschwerdeführer am 20. Oktober 1999 beim Landgericht Regensburg, Auswärtige Strafvollstreckungskammer in Straubing, den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. In ihrer Stellungnahme nahm die Justizvollzugsanstalt auf Beschlüsse des Landgerichts Bezug, die einen anderen Mitgefangenen betrafen. Insbesondere machte sie sich die dortigen Ausführungen des Landgerichts zu eigen, daß das Tragen von Anstaltskleidung den Gefangenen weder diskriminiere noch an der Wahrnehmung von Rechten hindere, der Strafgefangene vielmehr nur als das behandelt werde, was er sei, nämlich ein Strafgefangener.
4. Mit dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluß des Landgerichts wurde der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung als unzulässig verworfen.
a) Mit der beantragten Entscheidung würde die Hauptsache vorweggenommen, was nur zulässig sei, wenn ansonsten schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden. Eine Stigmatisierung des Beschwerdeführers durch das Tragen von Anstaltskleidung sei nicht erkennbar. Allen Verfahrensbeteiligten einschließlich der Schöffen sei bekannt, daß der Beschwerdeführer Strafgefangener sei. Es sei kein Unterschied ersichtlich, ob der Beschwerdeführer in Anstaltskleidung oder in Zivilkleidung zu seiner Hauptverhandlung erscheine. Die befürchtete Beeinflussung der Schöffen ergebe sich bereits aus seinem Aufenthaltsort.
b) Die beantragte einstweilige Anordnung sei auch deswegen unzulässig, weil die Entscheidung über das Tragen von Zivilkleidung in das Ermessen des Anstaltsleiters gestellt sei. Dieses sei nicht auf Null reduziert, und zwar auch nicht dadurch, daß der Beschwerdeführer bereits mehrmals in Zivilkleidung zu Gerichtsterminen vorgeführt worden sei.
II.
1. Mit seiner fristgemäß eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 GG.
Bis vor kurzem sei der Beschwerdeführer, wie alle anderen Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt Straubing, in Privatkleidung zu Gerichtsterminen vorgeführt worden. Erst aufgrund einer Generalanordnung der Justizvollzugsanstalt würden alle Gefangenen nunmehr zu Gerichtsterminen grundsätzlich in Anstaltskleidung vorgeführt.
Durch das Tragen von Sträflingskleidung in einer Hauptverhandlung werde er stigmatisiert und diskriminiert. Über die gegen ihn erhobene Anklage würden Laienrichter mitentscheiden, bei denen der äußere Eindruck ebenso zähle wie das mitunter schwer verständliche materielle Strafrecht. Dem Beschwerdeführer gehe es dabei nicht darum, vor den Schöffen geheim zu halten, daß er Strafgefangener sei, sondern darum, als Strafgefangener in Würde, sich ordentlich benehmend, korrekt und gutbürgerlich gekleidet, diesen wie ein Normalbürger gegenüberzutreten, in der Hoffnung, dadurch den Makel eines Strafhäftlings und eine vielleicht daraus abgeleitete Voreingenommenheit zu kompensieren. Der Kleidung komme eine nicht zu unterschätzende, unterschwellige, psychisch wirkende Bedeutung zu. Die angefochtene Entscheidung verschließe ihm die Möglichkeit, sich in positiver Weise entsprechend der Unschuldsvermutung zu präsentieren.
2. Weiterhin beantragt der Beschwerdeführer, im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG anzuordnen, daß er zu dem auf den 4. November 1999 anberaumten Hauptverhandlungstermin sowie zu eventuellen Folgeterminen in eigener Zivilkleidung vorzuführen sei.
Entscheidungsgründe
III.
Die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die (mögliche) Verfassungsbeschwerde erweise sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muß das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre. Das Instrument der verfassungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung ist dabei – nicht nur bei der Entscheidung über die vorläufige Aussetzung der Geltung eines Gesetzes – äußerst zurückhaltend und unter Anlegung eines strengen Maßstabs anzuwenden (vgl. BVerfGE 16, 220 ≪226 f.≫; 56, 396 ≪401 f.≫; 76, 253 ≪255≫; 77, 121 ≪124≫; 86, 65 ≪70≫; 94, 166 ≪216 f.≫; stRspr).
2. a) Mit der erstrebten einstweiligen Anordnung würde die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen, weil der Beschwerdeführer bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren sein Ziel erreichen würde, zu der fraglichen Hauptverhandlung in Zivilkleidung vorgeführt zu werden. Eine solche Anordnung wäre nicht von vornherein unzulässig, da eine Entscheidung in der Hauptsache – die bis zum 4. November 1999 nicht mehr ergehen kann – für den Beschwerdeführer zu spät kommen würde und dem Beschwerdeführer ausreichender Rechtsschutz in anderer Weise nicht mehr gewährt werden kann (vgl. BVerfGE 34, 160 ≪162 f.≫; 67, 149 ≪151≫). Ist der Antrag trotz der Vorwegnahme der Hauptsache zwar nicht bereits unzulässig, so sind an den Erlaß der einstweiligen Anordnung aber besonders strenge Anforderungen zu stellen, wobei die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfGE 46, 160 ≪164≫; 63, 254; 67, 149 ≪152≫; Berkemann, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 32 Rn. 170 f.).
b) Im vorliegenden Fall ist es jedenfalls möglich, daß der Beschwerdeführer durch die Ablehnung der Vorführung zu Gericht in eigener Kleidung in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt ist.
aa) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet auch die Selbstbestimmung des Einzelnen über die Darstellung der eigenen Person. Der Einzelne soll selbst darüber befinden dürfen, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will und was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll (BVerfGE 35, 202 ≪220≫; 54, 148 ≪155 f.≫; 63, 131 ≪142≫).
Deshalb bedeutet die Verpflichtung zum Tragen der einheitlichen Anstaltskleidung – die von Strafgefangenen regelmäßig als Selbstwertkränkung und Deprivation empfunden wird (vgl. Böhm, in: Schwind/Böhm, StVollzG, 3. Aufl. 1999, § 20 Rn. 1) – eine Beeinträchtigung. Der Strafgefangene hat diese Beeinträchtigung nach der gesetzlichen Regelung des § 20 StVollzG im Interesse der Sicherheit und Ordnung der Anstalt grundsätzlich hinzunehmen, soweit ihm die Justizvollzugsanstalt nicht nach § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG das Tragen eigener Kleidung gestattet. Der Gesetzgeber hat dabei dem Umstand, daß das Tragen von Anstaltskleidung außerhalb der Justizvollzugsanstalt eine zusätzliche Belastung darstellt, weil der Betroffene durch sie als Strafgefangener erkennbar und damit in der Öffentlichkeit bloßgestellt ist (vgl. Böhm, a. a. O., Rn. 3), durch eine gesonderte Regelung Rechnung getragen und dem Gefangenen für die Ausführung – bei welcher der Gefangene die Anstalt unter Aufsicht verläßt (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 StVollzG) – einen Anspruch auf das Tragen eigener Kleider eingeräumt, wenn zu erwarten ist, daß er nicht entweichen wird (§ 20 Abs. 2 Satz 1 StVollzG).
bb) Da die hier maßgebliche Frage der Vorführung zu Gericht (§ 36 Abs. 2 StVollzG) hinsichtlich des Tragens eigener Kleidung im Gesetz nicht gesondert geregelt ist, bemißt sie sich im Grundsatz nach der allgemeinen Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG, wonach die Entscheidung über das Tragen eigener Kleidung im Ermessen der Justizvollzugsanstalt steht. Es braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht geklärt zu werden, ob für eine Vorführung zu Gericht das Ermessen der Justizvollzugsanstalt – als Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und entsprechend der gesetzgeberischen Wertung des § 20 Abs. 2 Satz 1 StVollzG – grundsätzlich soweit verengt ist, daß eine dem Gefangenen günstige Ermessensentscheidung die Regel zu sein hat, soweit die übrigen Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 StVollzG erfüllt sind und – etwa bei der Durchführung einer gerichtlichen Anhörung in der Vollzugsanstalt – zwingende Gesichtspunkte der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht entgegenstehen (so OLG Karlsruhe, NStZ 1996, S. 202; zum Teil noch weitergehend: Böhm, a. a. O., § 20 Rn. 3; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 7. Aufl. 1998, § 20 Rn. 2; Grunau/Tiesler, StVollzG, 2. Aufl. 1982, § 20 Rn. 2; Kühling/Ullenbruch, in: Schwind/Böhm, StVollzG, 3. Aufl. 1999, § 11 Rn. 6 und § 36 Rn. 3; Pecic/Feest, in: Feest, StVollzG, 3. Aufl. 1990, § 20 Rn. 7). Zumindest ist es verfassungsrechtlich geboten, das allgemeine Persönlichkeitsrecht bei einer gerichtlichen Vorführung bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen und dabei dem Interesse des Betroffenen Rechnung zu tragen, in einer von ihm als angemessen empfundenen Kleidung vor Gericht zu erscheinen.
3. Die erforderliche Folgenabschätzung und Folgenabwägung fällt zu Lasten des Beschwerdeführers aus. Die Nachteile, die den Beschwerdeführer treffen würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, rechtfertigen, verglichen mit den im Falle ihres Erlasses beeinträchtigten öffentlichen Interessen, den Erlaß der einstweiligen Anordnung nicht.
a) Gemäß § 23 Abs. 1 BVerfGG obliegt es zunächst dem Beschwerdeführer, die schweren Nachteile substantiiert darzulegen, zu deren Abwendung der Erlaß der einstweiligen Anordnung dringend geboten ist (vgl. Beschluß der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 1999 – 1 BvQ 10/99 –, in Juris veröffentlicht). Der Beschwerdeführer äußert sich aber dazu im einzelnen nicht.
b) Mögliche Nachteile rechtfertigen in Anbetracht des besonders strengen Maßstabs, wie er beim Erlaß einer verfassungsgerichtlichen, die Hauptsache vorwegnehmenden einstweiligen Anordnung anzulegen ist, ihren Erlaß nicht. Es ist überdies ungeklärt, ob der Vorführung in eigener Kleidung nicht eine mögliche und jedenfalls nicht völlig fernliegende Fluchtgefahr entgegensteht. Diese Frage wurde im Ausgangsverfahren aufgrund des dort eingenommenen rechtlichen Standpunkts nicht behandelt.
Die zur Beurteilung dieser Frage erforderlichen Feststellungen konnten weder in der verbleibenden Zeit nachgeholt werden, noch wären sie nach der Aufgabenverteilung zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit Sache des Bundesverfassungsgerichts. Sie hätten vielmehr zuvörderst dem fachgerichtlichen Eilrechtsschutz durch die sachnäheren, mit den Verhältnissen der Justizvollzugsanstalt vertrauten, Strafvollstreckungskammern oblegen. Der verfassungsgerichtliche Eilrechtsschutz ist demgegenüber subsidiär (vgl. Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Februar 1997 – 2 BvR 160/97 –, in Juris veröffentlicht). Für das fachgerichtliche Verfahren verlangt Art. 19 Abs. 4 GG im Falle schwerer und unzumutbarer, anders nicht abwendbarer Nachteile, daß erforderlichenfalls schon im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch tatsächlich und rechtlich eingehend geprüft wird, es sei denn, daß ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (vgl. BVerfGE 67, 43 ≪62≫; 79, 69 ≪75≫; 94, 166 ≪216≫). Darauf hat ein Beschwerdeführer gegebenenfalls nach dem Grundsatz der Subsidiarität mit einem Änderungsantrag nach § 114 Abs. 2 Satz 3 StVollzG hinzuwirken. Das Bundesverfassungsgericht ist dagegen nach den ihm durch Verfassung und Gesetz zugewiesenen Aufgaben und seiner gesamten Organisation weder dazu berufen noch in der Lage, einen gleichermaßen zeit- und sachnahen vorläufigen Rechtsschutz zu gewährleisten wie die Fachgerichtsbarkeit. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 BVerfGG ist – anders als der von Art. 19 Abs. 4 GG geprägte vorläufige Rechtsschutz im fachgerichtlichen Verfahren – nicht darauf angelegt, möglichst lückenlosen Schutz vor dem Eintritt auch endgültiger Folgen hoheitlicher Maßnahmen zu bieten (BVerfGE 94, 166 ≪212 ff.≫; Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 1999 – 2 BvQ 4/99 –, NJW 1999, S. 2174, 2175).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Jentsch, Hassemer
Fundstellen
Haufe-Index 543520 |
NJW 2000, 1399 |
NStZ 2000, 166 |
www.judicialis.de 1999 |