Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung von Einfamilienhäusern. Aktualisierung der Einheitswerte für Grundbesitz zum 1.1.1974
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anwendung der nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 festgestellten und ab 1. Januar 1974 aktualisierten Einheitswerte des Grundbesitzes ist zur Zeit noch nicht verfassungswidrig.
2. Der Besteuerung müssen grundsätzlich zeitnahe Einheitswerte zugrunde gelegt werden. Daher dürfte es erforderlich sein, in angemessener Zeit eine neue Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes durchzuführen und die dabei zu ermittelnden Einheitswerte der Besteuerung zugrunde zu legen .
Normenkette
BewG §§ 76, 78-79; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
I.
Das Finanzamt stellte im Ertragswertverfahren für das im Jahr 1963 erbaute und im Jahr 1964 erworbene Einfamilienhaus der Beschwerdeführerin einen Einheitswert in Höhe von rund 4/5 des Kaufpreises fest. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen das diese Feststellung bestätigende Urteil des Bundesfinanzhofs machte die Beschwerdeführerin geltend, das Ertragswertverfahren nach dem Bewertungsgesetz 1965 verstoße gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes, weil die meisten im Ertragswertverfahren ermittelten Einheitswerte für bebaute Grundstücke in einer erheblichen Schwankungsbreite von rund 20 bis 80 vom Hundert unter den tatsächlich ermittelten Verkaufspreisen lägen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1. Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß für bebaute Wohn- und Geschäftsgrundstücke in der Regel im Ertragswertverfahren unter dem gemeinen Wert liegende Einheitswerte ermittelt werden. Einheitswerte gelten in erster Linie als besonders festgestellte Besteuerungsgrundlagen für die Grundsteuer und die Vermögensteuer, also für Steuern, die nach der gesetzgeberischen Zielsetzung den Ertrag und nicht die Substanz belasten sollen (BVerfG, Beschluß vom 10. Februar 1976 – 1 BvL 8/73 – C I). Wenn das Ertragswertverfahren auf der Grundlage der ermittelten Rohmieten zu Werten führt, die nicht selten unter den gemeinen Werten liegen, beruht das darauf, daß sich im Ertragswertverfahren unrealisierte Ertragsteigerungsaussichten, die den gemeinen Wert eines Grundstücks beeinflussen, nicht auswirken. Das begründet bei bebauten Grundstücken keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Ertragswertverfahren als solches, sofern die Änderungen der im Ertragswertverfahren gewonnenen Werte durch die in regelmäßigen Zeitabständen (nach § 21 BewG: in sechsjährigem Turnus) vorgesehenen Hauptfeststellungen erfaßt und zur Grundlage der Besteuerung gemacht werden.
2. Es ist auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, daß der Gesetzgeber für die in § 76 Abs. 3 BewG näher bezeichneten Wohn- und Geschäftsgrundstücke sowie für sonstige bebaute Grundstücke die Bewertung im Sachwertverfahren angeordnet hat. Das Nebeneinander von Ertragswert- und Sachwertverfahren bei bebauten Grundstücken nach dem Bewertungsgesetz beruht auf der sachgerechten Erwägung, daß sich für die meisten, aber nicht für alle Grundstücksarten die gezahlte oder übliche Jahresrohmiete verhältnismäßig unschwer ermitteln oder in befriedigender Weise schätzen läßt.
3. Auch daß die große Zahl der Einfamilienhäuser im Ertragswertverfahren zu bewerten ist, beruht nicht auf einer den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzenden Willkür des Gesetzgebers. Zwar hätte der Gesetzgeber auch Einfamilienhäuser im Sachwertverfahren bewerten lassen können. Er hat jedoch die für und gegen das eine oder das andere Verfahren sprechenden Gründe sachgerecht gegeneinander abgewogen und sich schließlich unter Berücksichtigung dessen, daß das Verfahren für eine Massenbewertung geeignet sein muß, für die Bewertung der Einfamilienhäuser grundsätzlich im Ertragswertverfahren entschieden.
4. Bei der Hauptfeststellung auf den 1. Januar 1964 galten für Grundstücke, die Wohnzwecken dienten, noch weitgehend Mietpreisbindungen. Am Bewertungsstichtag hatte die Kostenmiete (§ 31 Abs. 5 der Verordnung über wohnwirtschaftliche Berechnungen – Zweite Berechnungsverordnung [II. BVO] – vom 1. August 1963 [BGBl I S. 594]) erhebliche Bedeutung erlangt.
a) Soweit die Kostenmiete als die gezahlte oder übliche Miete für Januar 1964 anzusetzen war, konnte sie ohne Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz in die für die Bewertung maßgebliche Jahresrohmiete umgerechnet werden. Im Einheitswert kam auf diese Weise – verfassungsrechtlich unbedenklich – die dem Grundbesitz am 1. Januar 1964 bei der Mietpreisbildung noch auferlegte Beschränkung zum Ausdruck.
b) Der Gesetzgeber konnte auch in Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BewÄndG 1965 anordnen, daß bei Mieterhöhungen durch die Mietpreisfreigabe auf Grund der Änderung des § 15 des Zweiten Bundesmietengesetzes durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung von Fristen des Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht vom 29. Juli 1963 (BGBl. I S. 524) die Jahresrohmiete nach der nicht erhöhten Miete zu berechnen war. Die Mietpreisfreigabe setzte damals regional zu verschiedenen Zeitpunkten ein, so daß es für geraume Zeit nebeneinander sogenannte weiße und schwarze Kreise gab. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BewÄndG 1965 stellte also die kurz vor dem 1. Januar 1964 von der Mietpreisbindung befreiten Grundstücke den nach dem 1. Januar 1964 bindungsfrei werdenden Grundstücken gleich und beseitigte auf vertretbare Weise die mit dem bewertungsrechtlichen Stichtagsprinzip verbundenen Härten.
III.
Allerdings ist nicht zu verkennen, daß die Freigabe der Mieten im Laufe der folgenden Jahre zu Wertverzerrungen führen konnte. Die Kostenmiete, die 1964 noch maßgebliche Bedeutung hatte, ist inzwischen durch die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 2 des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe – MHRG – gemäß Art. 3 des Zweiten Gesetzes über den Kündigungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum – Zweites Wohnraumkündigungsschutzgesetz – vom 18. Dezember 1974 [BGBl. I S. 3603]) weitgehend verdrängt worden (vgl. Rid, Deutsches Steuerrecht 1967, 207, 213). Der Besteuerung müssen, wenn dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 GG) genügt werden soll, grundsätzlich zeitnahe Einheitswerte zugrunde gelegt werden, weil nur bei zeitnahen Werten angenommen werden kann, daß sie den wirklichen gemeinen oder Ertragswerten nahekommen. Aus Gründen der Praktikabilität müssen jedoch für einen gewissen Zeitraum die einmal festgestellten Werte unter Inkaufnahme von Abweichungen von den wirklichen Werten in Geltung belassen werden (BVerfG, a.a.O. C II 2). Das Bundesverfassungsgericht hat in der erwähnten Entscheidung unter anderem in Würdigung der mit einer Neubearbeitung verbundenen Schwierigkeiten eine Frist für das Wirksamwerden der neuen Einheitswerte bis 1. Januar 1974 noch hingenommen und damit die Anwendung der neuen Einheitswerte erst von diesem Zeitpunkt an gebilligt. Umstände von der Größe und dem Gewicht, wie sie zu der Billigung einer so langen Frist durch das Bundesverfassungsgericht geführt haben, sind jetzt, nachdem der Gesetzgeber ein neues Bewertungsverfahren geschaffen und bereits einmal erprobt hat, für die Verschiebung der turnusmäßigen Anpassung der Einheitswerte an die wirtschaftlichen Veränderungen nicht mehr erkennbar. Bei Berücksichtigung der mit einer neuen Hauptfeststellung verbundenen rechtlichen und verfassungsmäßigen Probleme kann es allerdings zur Zeit noch nicht verfassungswidrig sein, daß die auf den 1. Januar 1964 ermittelten und ab 1. Januar 1974 aktualisierten Einheitswerte noch beibehalten wurden.
Es dürfte jedoch erforderlich sein, in angemessener Zeit eine nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 BewG an sich fällige, aber durch Art. 2 Abs. 1 Satz 3 BewÄndG 1965 in der Fassung des Gesetzes vom 22. Juli 1970 (BGBl. I S. 1118) ohne zeitliche Begrenzung suspendierte Hauptfeststellung durchzuführen und die dabei zu ermittelnden Grundbesitzeinheitswerte der Besteuerung zugrunde zu legen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
BStBl II 1976, 637 |
BB 1976, 870 |
DB 1976, 1410 |
NJW 1977, 429 |