Verfahrensgang

OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 06.10.2006; Aktenzeichen OVG 8 S 58.06)

VG Potsdam (Beschluss vom 16.06.2006; Aktenzeichen 5 L 131/06)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

I.

Der Beschwerdeführer ist indischer Staatsangehöriger. Er reiste 1996 in die Bundesrepublik ein, nach erfolglosem Asylverfahren wurde er geduldet. Im Januar 2006 schloss er in Schweden die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen. Darauf reiste er unter Nichtbeachtung der Einreisevorschriften wieder in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung beantragte. Gleichzeitig begehrte er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Erteilung einer Duldung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Zu dessen Begründung führte er aus, seinem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe die illegale Einreise gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht zwingend entgegen; ihn auf das Visumsverfahren zu verweisen, verstoße gegen Art. 8 EMRK. In ihrer Erwiderung wies die Ausländerbehörde darauf hin, dass der Beschwerdeführer bisher nicht nachgewiesen habe, von seiner in Indien lebenden Ehefrau geschieden zu sein.

Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht lehnten die Verpflichtung zur Erteilung einer Duldung unter Hinweis auf das gesetzlich vorgesehene Visumsverfahren ab. Die Einhaltung der Einreisevorschriften sei auch dann grundsätzlich nicht verfassungs- oder konventionswidrig, wenn Angehörige im Bundesgebiet lebten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner rechtzeitig eingelegten Verfassungsbeschwerde, mit der er im Wesentlichen eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG (Art. 8 Abs. 1 EMRK) rügt. Mit der Einholung des Visums in Indien sei eine Trennung der Eheleute von mindestens drei Monaten verbunden. Dies sei unverhältnismäßig, wenn die Ausreise nur der Durchsetzung der Einreisevorschriften diene.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).

Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. In der Versagung einer Duldung bis zur Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis liegt kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 GG. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass die Gerichte einen Anordnungsanspruch verneint und den ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik eingereisten Beschwerdeführer auf die Durchführung des Visumsverfahrens verwiesen haben.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG grundsätzlich keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt (vgl. BVerfGE 76, 1 ≪47 f., 51 f.≫; 80, 81 ≪92≫; BVerfGK 7, 49 ≪54 f.≫). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Ehe zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren, die bestehenden ehelichen Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 76, 1 ≪49 ff.≫; 80, 81 ≪93≫; BVerfGK 2, 190 ≪193 f.≫). Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Mai 2003 – 2 BvR 2042/02 –, DVBl 2003, S. 1260). Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es aber grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (vgl. BVerfG, Beschluss des Vorprüfungsausschusses vom 7. November 1984 – 2 BvR 1299/84 –, NVwZ 1985, S. 260). Das Aufenthaltsgesetz trägt dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung, indem es unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Einzelfall erlaubt, von dem grundsätzlichen Erfordernis einer Einreise mit dem erforderlichen Visum für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG) abzusehen.

Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen sind danach nicht zu beanstanden. Das vorliegende Aufenthaltsbegehren bot der Ausländerbehörde hinreichend Anlass, auf der Einhaltung der Einreisevorschriften zu bestehen. Dies dient nicht – wie der Beschwerdeführer meint – allein einem vor Art. 6 GG nicht zu rechtfertigenden Formalismus. Der Sachverhalt unterscheidet sich auch in mehreren Hinsichten von der vom Beschwerdeführer angeführten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 2002 – Rs. C-60/00 – Carpenter, InfAuslR 2002, S. 373 f.). Unter anderem gibt es im Fall des Beschwerdeführers Gründe, das Bestehen einer wirksamen Ehe und damit der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Zweifel zu ziehen. Da die Ehe in Schweden unter Verzicht auf die Ausstellung eines Ehefähigkeitszeugnisses geschlossen worden ist, ist den konkreten Zweifeln der Ausländerbehörde an einer rechtswirksamen Scheidung des Beschwerdeführers von seiner indischen Ehefrau in dem dafür vorgesehenen Visumsverfahren nachzugehen. Dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in sein Heimatland zur Nachholung des Visumsverfahrens nicht zuzumuten wäre (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2, 2. Alternative AufenthG), hat er nicht dargelegt. Insbesondere spricht nichts für eine unverhältnismäßig lange, die übliche und vom Beschwerdeführer bei der Eheschließung vorauszusetzende Dauer eines Visumsverfahrens übersteigende Trennung der Eheleute.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt

 

Fundstellen

Haufe-Index 1979256

InfAuslR 2008, 239

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