Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 19.01.2001; Aktenzeichen 522 Qs 6/01) |
AG Berlin-Tiergarten (Beschluss vom 26.05.2000; Aktenzeichen 351 Gs 2081/00) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine richterliche Durchsuchungsgestattung im Strafverfahren.
Der Beschwerdeführer ist zusammen mit seiner Ehefrau Geschäftsführer der Z. Verwaltungs-GmbH; diese ist die persönlich haftende Gesellschafterin der Z. GmbH & Co. KG in T. Durch Beschluss des Insolvenzgerichts vom 21. Juli 1999 wurde auf Gläubigeranträge über das Vermögen der Kommanditgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet. Dem lag ein Sachverständigengutachten vom 20. Juli 1999 zu Grunde, das hervorhob, es lägen keine Buchhaltung, kein Kassenbuch und keine Bilanzen für die Geschäftsjahre 1997 und 1998 vor. Ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens war weder durch den Beschwerdeführer noch durch seine Ehefrau gestellt worden.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erließ das Amtsgericht im Ermittlungsverfahren „wegen Verletzung der Buchführungspflicht und anderem” einen Beschluss, der die Durchsuchung der „Wohn-, Geschäfts- und Nebenräume” des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau unter deren Wohnanschrift in B. anordnete. Dies führe „vermutlich zur Auffindung von Beweismitteln, insbesondere Geschäftsunterlagen, Geschäftsbücher und Bankdokumente zur Fa. Z. GmbH & Co. KG” in T. Gegen den Beschwerdeführer und seine Ehefrau bestehe der „Verdacht, u. a. entgegen § 130a Abs. 1, 4 HGB vorsätzlich es unterlassen zu haben, als organschaftliche Vertreter bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen”. Das Landgericht verwarf die hiergegen gerichtete Beschwerde als unbegründet.
Entscheidungsgründe
II.
Der Beschwerdeführer sieht sich in seinen Rechten aus Art. 13 Abs. 1 und 2, 19 Abs. 4, 20 GG verletzt. Die Durchsuchungsanordnung genüge nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen, weil der Tatverdacht nicht ausreichend mit Tatsachen belegt worden sei. Rechtlich sei der Vorwurf nur unter anderem auf die Straftat nach § 130b HGB gerichtet gewesen; die Mitteilung eines Teils des Vorwurfes reiche aber nicht aus. Die Örtlichkeiten, in denen die Durchsuchung gestattet worden sei, seien ungenau gekennzeichnet worden. Schließlich seien die Beweismittel, denen die Durchsuchung gelten sollte, nur vage umschrieben worden. Das Landgericht habe dies nicht geprüft. Die gesuchten Unterlagen hätten zudem dem Insolvenzverwalter vorgelegen, so dass es einer Durchsuchung nicht bedurft hätte. Zwischen dem Erlass des Durchsuchungsbeschlusses und seiner Vollziehung habe ein so langer Zeitraum gelegen, dass die Vollziehung nicht mehr von einer wirksamen richterlichen Durchsuchungsgestattung gedeckt gewesen sei. Das Landgericht habe sich mit seinen Argumenten nicht auseinander gesetzt.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind entschieden. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat.
1. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der Richter bei der Gestattung der Durchsuchung gemäß §§ 102, 105 Abs. 1 StPO den nachfolgenden Eingriff der Exekutive in das Recht aus Art. 13 Abs. 1 GG nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend genau umgrenzen; nur so bleibt der Eingriff messbar und kontrollierbar (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪220≫; 96, 44 ≪51 f.≫; 103, 142 ≪151≫). Dem würde ein Ausspruch nicht genügen, dass bestimmte Personen und Räume durchsucht werden dürfen, wobei das Ziel und Ausmaß der Durchsuchung dem Ermessen der Beamten überlassen wird (vgl. BVerfGE 20, 162 ≪224≫). Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat grundsätzlich, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalles möglich ist (BVerfGE a.a.O.). Sonst bleibt offen, welcher Tatsachenbereich durch die Durchsuchung geklärt werden soll. Deshalb reicht die bloße Bezeichnung des Wortlauts des Straftatbestands oder eine schlagwortartige Tatbezeichnung im Allgemeinen nicht aus (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪220 f.≫). Der Richter muss grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt der Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Falles möglich ist. Allerdings ist die genaue Bezeichnung der gesuchten Beweismittel häufig nicht möglich; dann reicht eine Umschreibung mit beispielhaften Angaben aus (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪221≫). Ein Durchsuchungsbefehl, der weder tatsächliche Angaben zum Inhalt des Tatvorwurfs enthält noch die Art und den denkbaren Inhalt der gesuchten Beweismittel bezeichnet, genügt den rechtsstaatlichen Anforderungen jedenfalls dann nicht, wenn solche Mitteilungen nach dem Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪220≫; 44, 353 ≪371≫; 45, 82; 50, 48 ≪49≫; 71, 64 ≪65≫). Ausnahmsweise können auch sonstige, außerhalb des Durchsuchungsbefehls liegende Umstände geeignet sein, die rechtsstaatlichen Funktionen zu übernehmen, die der Inhalt einer richterlichen Durchsuchungsanordnung in der Regel zu erfüllen hat (vgl. BVerfGE 20, 162 ≪227 f.≫; 42, 212 ≪222≫; 44, 353 ≪372≫).
b) Der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts genügt diesen Anforderungen noch. Er hat den Vorwurf eines Vergehens nach § 130b Abs. 1 in Verbindung mit § 130a Abs. 1 und 4 HGB nicht nur mit dem Wortlaut des Gesetzes, sondern auch hinsichtlich seines tatsächlichen Bezugspunktes genannt; es ging danach um das Unterlassen eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bezüglich der Firma Z. GmbH & Co. KG bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung.
Da ein Unterlassensvorwurf erhoben wurde, war keine genauere Umschreibung des strafrechtlich relevanten Verhaltens, das dem Beschwerdeführer zur Last liegt, möglich und erforderlich. Ebenfalls bedurfte es hier keiner näheren Kennzeichnung der Tatzeit. Die einzelnen Faktoren der Konkretisierung einer Tat im strafprozessualen Sinn, also des zu untersuchenden Lebenssachverhalts, haben von Fall zu Fall unterschiedliche Bedeutung. Bei der Tatkonkretisierung geht es um die Unterscheidung des aufzuklärenden historischen Ereignisses von möglichen vergleichbaren Vorfällen. Handelt es sich im konkreten Fall um ein einmaliges Ereignis, dann bedarf es nur der Mitteilung weniger Umstände, um die prozessuale Tat von anderen abzugrenzen. Bei einem massenhaft vorkommenden Geschehen muss das einzelne Ereignis mit präziseren Daten von anderen vergleichbaren Vorfällen abgegrenzt werden. Auch die Tatzeit als Eingrenzungskriterium verliert in Fällen seltener vorkommender Ereignisse erheblich an Bedeutung (vgl. für die Konkretisierung von Serientaten in einer späteren Anklageschrift BGHSt 44, 153 ≪155≫). Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung einer bestimmten Firma, die eine Handlungspflicht des Geschäftführers auslöst, ist kein häufig vorkommendes Ereignis. Das aufzuklärende historische Geschehen ist insoweit schon mit der genauen Bezeichnung der Firma, um deren Zahlungsunfähigkeit es geht, für Zwecke der Kennzeichnung des Durchsuchungsziels ausreichend umrissen.
Eine Begrenzung des Durchsuchungszwecks im angegriffenen Beschluss wurde auch durch die beispielhafte Umschreibung der gesuchten Beweismittel, nämlich Geschäftsunterlagen, Geschäftsbücher und Bankdokumente der Firma Z. GmbH & Co. KG, erreicht. Durch das Zusammenwirken der Bezeichnung des Tatvorwurfes und der Umschreibung der gesuchten Beweisgegenstände trug die richterliche Durchsuchungsgestattung noch in ausreichendem Maße zur Begrenzung der Vollziehung der Zwangsmaßnahme bei. Die Kennzeichnung des Verdachts „u.a.” bezüglich eines Vergehens nach § 130b HGB erweist sich in diesem Fall als unschädlich, zumal der weitere Vorwurf des Vorenthaltes von Arbeitsentgelt an anderer Stelle im Beschlusstext genannt ist.
Die zu durchsuchenden Räume bedurften keiner genaueren Kennzeichnung, denn es wurde angeordnet, dass die Durchsuchung der „Wohn-, Geschäfts- und Nebenräume” des Beschwerdeführers und seiner mitbeschuldigten Ehefrau unter ihrer Wohnanschrift stattzufinden habe. Damit wurde der Durchsuchungsort so genau beschrieben, wie es nach Lage der Dinge möglich war.
2. Die Annahme des Beschwerdeführers, bei der Anordnung und Vollziehung der Durchsuchung habe kein Anfangsverdacht mehr vorgelegen und die Maßnahme sei unverhältnismäßig gewesen, ist auf Grund der Verfassungsbeschwerde-Begründung nicht nachzuvollziehen. Sie teilt mit, dass dem Sachverständigen im Insolvenzverfahren Buchhaltungsunterlagen und Bilanzen gefehlt hätten. Daraus konnte sich sowohl indiziell der Verdacht eines Vergehens nach § 130b i.V.m. § 130a Abs. 1 und 4 HGB als auch die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Durchsuchung zur Sicherstellung der Beweisgegenstände ergeben haben. Der Hinweis des Beschwerdeführers, dem Insolvenzverwalter hätten – im Gegensatz zum Sachverständigen im Insolvenzverfahren – alle Unterlagen vorgelegen, ist mangels ausreichenden Tatsachenvortrags nicht überprüfbar.
3. Anhand der Verfassungsbeschwerde-Begründung kann auch nicht nachgeprüft werden, ob die Entscheidung des Landgerichts verfassungsrechtlich zu beanstanden ist; denn der Beschwerdeführer hat seine dortige Beschwerdebegründung nicht mitgeteilt (§§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG).
4. Der Zeitpunkt der Vollziehung der Durchsuchung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar kann längerer Zeitablauf dazu führen, dass die Vollziehung der Maßnahme nicht mehr durch eine richterliche Gestattung gedeckt ist; denn mit fortschreitendem Zeitablauf entfernt sich die tatsächliche Entscheidungsgrundlage von dem Entscheidungsinhalt, den der Richter verantwortet (vgl. BVerfGE 96, 44 ≪52≫). Ein schwindendes Ahndungsbedürfnis für die Straftat infolge Zeitablaufs kann zudem die Angemessenheit der Zwangsmaßnahme entfallen lassen. Wie lange deshalb ein richterlicher Beschluss die Durchführung der Maßnahme trägt, richtet sich nach der Art des Tatverdachts, der Schwierigkeit der Ermittlungen, ferner nach der Dauerhaftigkeit der tatsächlichen Grundlagen für die Beurteilung der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Durchsuchung (vgl. BVerfGE 96, 44 ≪53 f.≫). Spätestens nach Ablauf eines halben Jahres ist davon auszugehen, dass die richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleistet und die richterliche Anordnung nicht mehr den Rahmen, die Grenzen und den Zweck der Durchsuchung im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes zu sichern vermag (vgl. BVerfGE 96, 44 ≪54≫).
So liegt der vorliegende Fall aber nicht. Zwischen dem Erlass des Durchsuchungsbeschlusses am 26. Mai 2000 und seiner Vollziehung am 3. August 2000 lagen wenig mehr als drei Monate. Eine Veränderung der Beweisgrundlagen des Vorwurfes nach § 130b HGB war in diesem Zeitraum kaum zu erwarten, weil die Krise der Firma sowie die Lage der Beschuldigten namentlich durch Urkunden nachzuvollziehen sind, die ihren Beweiswert durch Zeitablauf kaum verlieren. Innerhalb von rund drei Monaten schwindet auch das Ahndungsbedürfnis für ein Vergehen nach § 130b HGB nicht so, dass die Durchsuchungsgestattung einer erneuten richterlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung bedürfte. Der Beschwerdeführer führt seine Annahme, dass bereits der rund zweimonatige Zeitablauf zum Erlöschen der richterlichen Durchsuchungsgestattung geführt habe, vor diesem Hintergrund nicht näher aus.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1267276 |
KTS 2002, 679 |
NZI 2002, 57 |
ZInsO 2002, 424 |
NPA 2002, 0 |