Entscheidungsstichwort (Thema)

Stattgebender Kammerbeschluß: Verletzung von GG Art. 2 Abs. 1 iVm dem Rechtsstaatsprinzip durch die nicht vollständige Offenlegung der Befundtatsachen eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens in einem Mietrechtsstreit

 

Orientierungssatz

1. Zu den für einen fairen Prozeß (GG Art 2 Abs 1 iVm GG Art 20 Abs 3) unerläßlichen Verfahrensregeln gehört, daß das Gericht die Aussagen eines Gutachtens nicht ungeprüft übernimmt. Zur Nachprüfung kann die Kenntnis der einzelnen tatsächlichen Umstände, die der Sachverständige selbst erhoben und seinem Gutachten zugrunde gelegt hat, unentbehrlich sein.

In einem solchen Fall ist die Offenlegung aus rechtsstaatlichen Gründen regelmäßig geboten. Die Forderung nach Offenlegung dieser Tatsachen und der hierauf aufbauenden eigenen Überprüfung durch die Beteiligten ist um so berechtigter, je weniger das Gutachten auf dem Erfahrungswissen des Sachverständigen und je mehr es auf einzelnen konkreten Befundtatsachen aufbaut (vgl BVerfG, 1994-10-11, 1 BvR 1398/93, BVerfGE 91, 176 ≪181f≫).

2a. Unter bestimmten Voraussetzungen können allerdings Abstriche an dem Offenlegungsanspruch der Parteien gerechtfertigt sein. Dies kann etwa zutreffen, wenn ein Beteiligter seine Zweifel nicht hinreichend substantiiert oder wenn das Schweigen des Sachverständigen auf anerkennenswerten Gründen beruht und die Nichtverwertung des Gutachtens zum materiellen Rechtsverlust eines Beteiligten führen würde (BVerfG, aaO).

2b. Unterbleibt eine vollständige Offenlegung aus anerkennenswerten Gründen und kann auf eine Verwertung des Gutachtens aus überwiegendem Interesse der beweispflichtigen Partei dennoch nicht verzichtet werden, so muß das Gericht immerhin versuchen, sich Gewißheit zu verschaffen, in welcher Weise der Sachverständige seine Daten erhoben hat.

3. Hier: trotz substantiierter Geltendmachung von Zweifeln an der Richtigkeit des vom gerichtlichen Sachverständigen vorgelegten Gutachtens erfolgte Berufungszurückweisung.

 

Normenkette

BVerfGG § 93c Abs. 1 S. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; ZPO § 404a

 

Fundstellen

Haufe-Index 543678

NJW 1997, 1909

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