Entscheidungsstichwort (Thema)
Herausgabe eines von einer Gemeinde im Beitrittsgebiet genutzten Grundstücks
Beteiligte
Rechtsanwälte Joachim Heinle und Koll. |
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Zivilrechtsstreit um die Herausgabe eines von einer Gemeinde im Beitrittsgebiet genutzten Grundstücks und die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB.
Nach dieser Regelung, die durch das Sachenrechtsänderungsgesetz vom 21. September 1994 (BGBl I S. 2457) geschaffen worden ist, kann der Eigentümer eines im Beitrittsgebiet belegenen Grundstücks, das von einer öffentlichen Körperschaft zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben genutzt wird, von dieser Körperschaft für die Zeit ab dem 1. Januar 1995 ein Entgelt in Höhe von jährlich 0,8 % des Bodenwerts eines in gleicher Lage belegenen unbebauten Grundstücks sowie die Freistellung von den Lasten des Grundstücks verlangen. Der Zeitraum, für den dieser Anspruch geltend gemacht werden kann, war zunächst bis zum 31. Dezember 1998 begrenzt, ist jedoch durch das Vermögensrechtsbereinigungsgesetz vom 20. Oktober 1998 (BGBl I S. 3180) bis zum 30. September 2001 verlängert worden.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines Grundstücks im Beitrittsgebiet, auf dem 1971 ein Gebäude errichtet worden ist, das teilweise vom Rat der im Ausgangsverfahren beklagten Gemeinde für Gemeindeaufgaben und teilweise von einer Konsumgenossenschaft genutzt wurde. Die Beklagte ist nicht Eigentümerin des Gebäudes und hat es noch in Besitz.
Der Beschwerdeführer hat im Ausgangsverfahren die Räumung und Herausgabe des Grundstücks nebst Gebäude verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die Berufung des Beschwerdeführers zurückgewiesen:
Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB stelle ein besonderes, mit einem Endzeitpunkt versehenes Moratorium dar, das nicht voraussetze, dass Grundstücks- und Gebäudeeigentum zusammenfielen. Hier sei die Anwendbarkeit des Moratoriums im Hinblick auf die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Landgericht feststehende öffentliche Nutzung des Gebäudes zu bejahen. Auch nach dem In-Kraft-Treten der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 18. Februar 1994 (GVOBl M-V S. 249) und der Zuordnung der Beklagten zum Amt N. seien der Gemeinde öffentliche Aufgaben verblieben. Daran habe sich durch die Neufassung der Kommunalverfassung vom 13. Januar 1998 (GVOBl M-V S. 29) nichts geändert.
Es erscheine schon zweifelhaft, ob allein aus dem Wortlaut der geänderten Hauptsatzung der Beklagten, in der in Bezug auf das streitbefangene Gebäude nur noch von der ehemaligen Gemeindeverwaltung die Rede sei, auf eine förmliche Entwidmung geschlossen werden könne. Soweit das Gebäude zu Zwecken des Gemeingebrauchs genutzt worden sei, habe dies im öffentlichen Interesse gelegen. Die Nutzung für Zwecke eines gemeinnützigen Vereins als Begegnungsstätte und als Gemeindearchiv liege im Interesse nicht nur Einzelner, sondern der Allgemeinheit. Auf den Umfang dieser Nutzung und der Nutzung durch den Bürgermeister komme es nicht an, weil der Moratoriumstatbestand darauf nicht abstelle. Ob in Ausnahmefällen eine Inanspruchnahme gegen § 242 BGB verstoßen könne, brauche nicht entschieden zu werden, weil die Voraussetzungen dafür nach den Ausführungen des Landgerichts nicht gegeben seien.
Das Moratorium verstoße nicht gegen Art. 14 GG. Durch die gesetzliche Regelung würden nicht Teile des Eigentumsrechts entzogen, sondern bereits vorhandene Beeinträchtigungen einer zu erwartenden gesetzlichen Neuregelung vorbehalten. Für die Zwischenzeit sei eine Entschädigung festgesetzt worden.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die genannten Gerichtsentscheidungen und mittelbar gegen Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB in der Fassung des Vermögensrechtsbereinigungsgesetzes. Er rügt die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.
a) Bei Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB handele es sich unabhängig davon, ob ihm über die dem Wortlaut nach vorhandene Vergütungsregelung hinaus die Bedeutung eines Moratoriums zukomme, um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung. Die Regelung enthalte aber bei verfassungskonformer Auslegung kein eigenes Moratorium. Der weite Gestaltungsspielraum, den der Gesetzgeber bei der Angleichung der im Beitrittsgebiet vorgefundenen Rechtsverhältnisse an das bundesdeutsche Recht habe, rechtfertige nicht, den Nutzer, der selbständiges Gebäudeeigentum nicht erworben habe, besser zu stellen als denjenigen, dessen Nutzungsbefugnis rechtlich verfestigt gewesen sei und dessen Rechte im Sachenrechtsbereinigungsgesetz geregelt worden seien. Den „Aufschub”, der nach Art. 233 § 2 a Abs. 1 EGBGB nur bis Ende 1994 oder bis zum Abschluss der Sachenrechtsbereinigung gegolten habe, für die Fälle des Absatzes 9 bis zum 30. September 2001 zu verlängern, schränke die Rechte des Eigentümers unverhältnismäßig ein. Ein Moratorium über den 31. Dezember 1994 hinaus sei daher mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Die Verlängerung der Übergangsfrist in Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB bis elf Jahre nach der Wiedervereinigung lasse sich nicht mehr durch die Unkenntnis der Verhältnisse im Beitrittsgebiet rechtfertigen und wirke sich allein zu Lasten der betroffenen Grundstückseigentümer aus.
Sei in dieser Vorschrift nur eine Vergütungsregelung zu sehen, werde dadurch die Nutzungs- und Verwertungsbefugnis des Grundstückseigentümers insofern eingeschränkt, als die Wertziehungsmöglichkeit der Höhe nach begrenzt werde und der Eigentümer nicht am Gebäudewert partizipieren könne. Dafür fehle ein rechtfertigender Grund, so dass die Beschränkung des Nutzungsentgelts unverhältnismäßig und damit ebenfalls verfassungswidrig sei.
In der Bezeichnung des Gebäudes als „ehemaliges Gemeindeamt” durch die Beklagte sei eine Entwidmung zu sehen. Eine öffentlichrechtliche Sachherrschaft, die das Privateigentum des Beschwerdeführers überlagern könnte, liege deshalb nicht mehr vor. Eine solche Sachherrschaft sei auch deshalb nicht gegeben, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Landgericht das Objekt nicht mehr primär im Verwaltungsgebrauch stehe.
Durch die Verlängerung der Übergangsfrist in Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB sei die durch den Gesetzgeber selbst genährte Erwartung zu Lasten der Grundstückseigentümer enttäuscht worden. Die ursprüngliche Vorgabe habe dahin verstanden werden müssen, dass spätestens nach einmaliger Verlängerung der Frist des Art. 233 § 2 a Abs. 1 Satz 2 EGBGB eine abschließende Regelung des Interessenausgleichs erfolgen werde.
b) Die angegriffenen Entscheidungen verstießen auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot, weil die Herleitung eines Besitzrechts aus Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB entgegen dessen eindeutigem Wortlaut auf sachfremden Erwägungen beruhe. Das Oberlandesgericht habe ferner verkannt, dass die in dieser Vorschrift vorgesehene Entschädigung für ein Moratorium nicht ausreiche, und ohne nähere Prüfung den Fortbestand einer öffentlichrechtlichen Widmung angenommen.
c) Die fehlerhafte Anwendung des Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB durch die angegriffenen Entscheidungen verstoße auch gegen Art. 2 Abs. 1 GG.
3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium der Justiz namens der Bundesregierung und der Präsident des Bundesgerichtshofs Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG.
a) Die von den Zivilgerichten angewandte Regelung des Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB ist mit der Eigentumsgarantie vereinbar.
aa) Es erscheint schon fraglich, ob diese Vorschrift das Eigentumsrecht des Beschwerdeführers beeinträchtigt.
aaa) Das durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentum, zu dem auch das Grundstückseigentum gehört, ist in seinem rechtlichen Gehalt durch Privatnützigkeit und die grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet. Dem grundrechtlichen Schutz unterliegt danach auch die Entscheidung des Eigentümers darüber, wie er das Eigentumsobjekt verwenden will. Diese Rechtsstellung wird zu Lasten des Grundstückseigentümers betroffen, wenn ihm die Möglichkeit, Dritte von Besitz und Nutzung seines Grundstücks auszuschließen, durch gesetzliche Regelungen genommen oder beschnitten wird oder wenn solche Regelungen das Entgelt für die Überlassung einer Grundstücksnutzung ohne Rücksicht darauf begrenzen, dass der Eigentümer hohe öffentliche Lasten zu tragen hat (vgl. BVerfGE 98, 17 ≪35 f.≫; 101, 54 ≪74 f.≫).
bbb) Nach der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs, der sich die Zivilgerichte im Ausgangsverfahren angeschlossen haben, handelt es sich bei Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB um ein besonderes, mit einem Endzeitpunkt versehenes Moratorium, mit dem eine in der Deutschen Demokratischen Republik begründete öffentliche Nutzung fremder Privatgrundstücke bis zur endgültigen Bereinigung der Rechtsverhältnisse aufrechterhalten wird (vgl. VIZ 1996, S. 520 ≪521≫). An diese Auffassung, die auch im Schrifttum vertreten wird (vgl. Czub, in: Ders./Schmidt-Räntsch/Frenz, Sachenrechtsbereinigungsgesetz, § 2 Rn. 106 ≪Stand: 1995≫; Zimmermann/Heller, in: Prütting/Zimmermann/Heller, Grundstücksrecht Ost, § 2 SachenRBerG Rn. 85 ≪Stand: März 1997≫), ist das Bundesverfassungsgericht im Grundsatz gebunden. Die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür zuständigen Gerichte. Das Bundesverfassungsgericht kann insoweit korrigierend nur eingreifen, wenn die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Auslegung des einfachen Rechts willkürlich wäre oder Fehler erkennen ließe, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Fall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫). Dafür ist hier nichts ersichtlich.
Der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB das Fortbestehen von in der Deutschen Demokratischen Republik in Anspruch genommenen Nutzungen privater Grundstücke zu öffentlichen Zwecken absichert. Dies gelte auch für Nutzungen, bei deren Begründung Rechtsformen nicht eingehalten worden seien, soweit die der öffentlichen Bestimmung der Sache zugrunde liegende Verwaltungsentscheidung nicht an einem Mangel leide, der bereits nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik zur Nichtigkeit geführt hätte (vgl. a.a.O., S. 521; ebenso Zimmermann/Heller, a.a.O.; siehe auch BTDrucks 12/7425, S. 92). Diese rechtliche Würdigung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Dass Art. 233 § 2 a Abs. 9 Satz 1 EGBGB der öffentlichen Körperschaft, die ein fremdes Privatgrundstück zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben nutzt, ein Recht zum Besitz dieses Grundstücks gewährt, lässt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift herleiten. Danach kann der Grundstückseigentümer von der Körperschaft für den in der Regelung angegebenen Zeitraum „nur” ein Nutzungsentgelt verlangen. Das kann ohne weiteres dahin verstanden werden, dass dem Eigentümer ausschließlich der Entgeltanspruch zustehen soll, weitere Ansprüche einschließlich des Anspruchs auf Herausgabe des Grundstücks jedoch bis zur endgültigen Bereinigung der Rechtsverhältnisse ausgeschlossen sein sollen. Die Materialien zum Sachenrechtsänderungs- (vgl. BTDrucks 12/7425, S. 57) und zum Vermögensrechtsbereinigungsgesetz (vgl. BTDrucks 13/11041, S. 31) stützen diese Beurteilung. Daher ist die Auffassung, Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB enthalte ein Moratorium zugunsten öffentlicher Körperschaften, plausibel und nachvollziehbar. Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung im Sinne des verfassungsrechtlichen Willkürverbots auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. dazu BVerfGE 96, 189 ≪203≫) oder dass die Zivilgerichte Bedeutung und Tragweite von Art. 14 Abs. 1 GG grundlegend verkannt haben könnten, sind nicht ersichtlich.
Nach dieser zivilrechtlichen Auslegung ist davon auszugehen, dass das Grundstückseigentum bereits mit einem Besitzrecht der öffentlichen Körperschaft, die das Grundstück zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben nutzt, belastet war, als es in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG gelangt ist. Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB erhält danach die in der Deutschen Demokratischen Republik begründeten Beschränkungen nur aufrecht und räumt den Grundstückseigentümern darüber hinaus einen Nutzungsentgeltanspruch ein. Demzufolge ist schon der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG nicht berührt.
bb) Auch wenn das anders gesehen und von einer Beschränkung des Grundstückseigentums ausgegangen wird, ist Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. In diesem Fall stellt die Regelung eine zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar.
aaa) Der Gesetzgeber hat bei der Erfüllung des ihm in dieser Vorschrift erteilten Auftrags sowohl der verfassungsrechtlich garantierten Rechtsstellung des Eigentümers als auch dem aus Art. 14 Abs. 2 GG folgenden Gebot einer sozialgerechten Eigentumsordnung Rechnung zu tragen. Er muss deshalb die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Eine einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung steht mit den verfassungsrechtlichen Vorstellungen eines sozialgebundenen Privateigentums nicht in Einklang (vgl. BVerfGE 101, 54 ≪75≫; 101, 239 ≪259≫; jeweils m.w.N.).
Grundlegende Veränderungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse können den Regelungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers erweitern. Schwierigkeiten, die die Überführung der sozialistischen Rechts- und Eigentumsordnung in das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland mit sich bringt, darf er deshalb bei Regelungen auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ebenso Rechnung tragen wie dem dazu erforderlichen Zeitbedarf. Das hat Konsequenzen für die Beurteilung des jeweils beschlossenen Regelungswerks. Einzelne belastende Vorschriften dürfen weder aus dem Regelungszusammenhang gelöst und für sich betrachtet noch ohne Rücksicht darauf gewürdigt werden, dass der angestrebte Rechtszustand nur in Schritten erreichbar war (vgl. BVerfGE 101, 54 ≪76≫).
bbb) Nach diesen Maßstäben steht Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB mit Art. 14 Abs. 1 GG in Einklang.
(1) Die Vorschrift dient einem legitimen Regelungsziel.
Sie bezweckt die Sicherung aus der Zeit der Deutschen Demokratischen Republik überkommener, ohne Klärung der Eigentumsverhältnisse erfolgter Inanspruchnahmen im Privateigentum stehender Grundstücke zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben bis zur endgültigen Neuordnung der Rechtsbeziehungen zwischen Grundstückseigentümer und öffentlichem Nutzer. Damit soll eine Schließung von Schulen, Rathäusern und anderen Verwaltungsgebäuden sowie eine Sperrung von Straßen, öffentlichen Plätzen und Parks wegen ungeklärter Rechtsverhältnisse verhindert werden. Die vorübergehende Aufrechterhaltung solcher Nutzungen bis zur Klärung der Rechtsverhältnisse liegt danach im öffentlichen Interesse (vgl. BTDrucks 12/7425, S. 92; Czub, a.a.O., § 2 Rn. 100).
(2) Sie führt unter Berücksichtigung des Nutzungsentgeltanspruchs des Grundstückseigentümers und der Tatsache, dass dieser zudem die Freistellung von den Grundstückslasten verlangen kann, auch zu einem sachgerechten und angemessenen Interessenausgleich.
(a) Der Gesetzgeber der Bundesrepublik konnte die in der Deutschen Demokratischen Republik entstandenen Nutzungen privater Grundstücke zu öffentlichen Zwecken ebenso wenig wie die vom Sachenrechtsmoratorium erfassten Nutzungsverhältnisse (vgl. dazu BVerfGE 98, 17 ≪38≫) ignorieren. Andernfalls wären die soeben geschilderten Folgen eingetreten und die neuen Länder und Kommunen im Beitrittsgebiet vielfach außerstande gewesen, ihre öffentlichen Aufgaben zu erfüllen. Zudem wären der Auf- und Ausbau der Infrastruktur im Beitrittsgebiet erheblich beeinträchtigt worden. Der Gesetzgeber durfte daher die bei der Wiedervereinigung vorgefundenen Nutzungsverhältnisse weiterhin als schutzwürdig ansehen und ihre Überführung in das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland anstreben. Diese war kurzfristig nicht möglich. Die zu regelnden Lebenssachverhalte sind vielgestaltig und kompliziert und in ihrer Vielfalt und ihrem Ausmaß dem Gesetzgeber erst nach und nach bekannt geworden. Sie erfordern daher eine gründliche Prüfung und schwierige Entscheidungen. Es ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden, dass sich der Gesetzgeber zunächst im Wesentlichen darauf beschränkt hat, den überkommenen status quo aufrechtzuerhalten.
Belange der betroffenen Grundstückseigentümer werden dadurch nicht unangemessen beeinträchtigt. Diese wurden durch die Wiedervereinigung erst in die Lage versetzt, Ansprüche in Bezug auf ihnen gehörende, zu öffentlichen Zwecken genutzte Grundstücke geltend zu machen. Mit der Aufrechterhaltung dieser Nutzungen für eine Übergangszeit sind den Grundstückseigentümern keine Befugnisse genommen worden, die sie vorher gehabt hätten oder hätten ausüben können. Sie erhielten zunächst nur weniger, als sie erhofft haben mochten, nachdem der Prozess der Wiedervereinigung in Gang gekommen war (vgl. auch BVerfGE 101, 54 ≪78≫; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, DtZ 1993, S. 309). Der Gesetzgeber durfte daher das Interesse der Grundstückseigentümer an einer möglichst baldigen privatnützigen Verwendung ihrer Grundstücke für eine Übergangszeit hinter dem Allgemeininteresse am Fortbestand der öffentlichen Zwecken dienenden Nutzungen zurückstellen.
(b) Auch die Dauer der Übergangszeit führt zu keiner unangemessenen Beeinträchtigung der Eigentümerbelange.
Die Regelung des Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB war zunächst bis zum 31. Dezember 1998 befristet. Der Gesetzgeber war bemüht, bis zu diesem Zeitpunkt eine gesetzliche Grundlage für die endgültige Bereinigung der in Rede stehenden Rechtsverhältnisse zu schaffen. Dazu mussten aber erst beim Bund, bei den neuen Ländern und den Kommunen umfangreiche und zeitaufwendige Ermittlungen über den tatsächlichen Umfang des Problems durchgeführt werden. Anschließend konnten wegen mittlerweile vorhandener landesrechtlicher Regelungen Notwendigkeit und Reichweite einer bundesgesetzlichen Regelung nicht mehr im vorgesehenen Zeitrahmen geklärt werden, so dass sich unabweisbar die Notwendigkeit einer Verlängerung der in Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB normierten Übergangsfrist ergab (vgl. BTDrucks 13/11041, S. 31).
Die Grundstückseigentümer konnten nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen, dass diese Frist nicht verlängert wird. Die Verlängerung um knapp drei Jahre findet in der Vielgestaltigkeit und Kompliziertheit der zu regelnden Rechtsverhältnisse und in der schwierigen Abgrenzung zwischen den Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder für die betroffenen Rechtsgebiete einen sachlichen Grund. Der Gesetzgeber, der im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes auf diese Schwierigkeiten dem Grunde nach ausdrücklich hingewiesen hatte (vgl. BTDrucks 12/7425, S. 7), hat auch nicht dadurch einen Vertrauenstatbestand zugunsten der Grundstückseigentümer geschaffen, dass er in Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB anders als für das Sachenrechtsmoratorium in Art. 233 § 2 a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 EGBGB eine Verlängerung der Übergangsfrist nicht ausdrücklich vorgesehen hat. Denn mit der letztgenannten Vorschrift sollte in erster Linie die Verlängerung der Frist für das Sachenrechtsmoratorium durch eine Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Justiz ermöglicht werden (vgl. BTDrucks 12/2480, S. 78). Die Verlängerungsbefugnis des Gesetzgebers, deren Inanspruchnahme aus der Sicht der Betroffenen vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen werden konnte, blieb davon unberührt.
(c) Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB führt auch nicht deshalb zu einer unangemessenen Beschränkung der Verwertungsbefugnis der Grundstückseigentümer, weil diese vom öffentlichen Grundstücksnutzer nur ein jährliches Entgelt von 0,8 % des Bodenwerts eines in gleicher Lage belegenen unbebauten Grundstücks verlangen können. Bis zum In-Kraft-Treten dieser Vorschrift erfolgte die Nutzung fremder Grundstücke zu öffentlichen Zwecken unentgeltlich (vgl. BTDrucks 12/7425, S. 57, 92). Mit der Einräumung eines Nutzungsentgeltanspruchs hat der Gesetzgeber die Verwertungsbefugnis der Grundstückseigentümer also wiederhergestellt. Die gleichzeitig vorgenommene Begrenzung dieses Anspruchs kann im Hinblick darauf, dass die betroffenen Grundstücke infolge der Verwendung für öffentliche Zwecke dem Grundstücksverkehr entzogen sind, insoweit also keinen Verkehrswert haben (vgl. BTDrucks 12/7425, S. 56 f.; Czub, a.a.O., § 2 Rn. 127) und der Anspruch nur die Übergangszeit bis zur endgültigen Bereinigung der Nutzungsrechtsverhältnisse betrifft, nicht als unangemessen angesehen werden. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass der Grundstückseigentümer zusätzlich von der öffentlichen Körperschaft die Freistellung von den Lasten des Grundstücks verlangen kann.
Es ist auch verfassungsrechtlich nichts dagegen einzuwenden, dass Bemessungsgrundlage für das Nutzungsentgelt unabhängig von einer etwaigen Bebauung des Grundstücks nur der Bodenwert eines in gleicher Lage belegenen unbebauten Grundstücks ist. Nach der insoweit unwidersprochen gebliebenen Stellungnahme der Bundesregierung wurden im Regelfall für die öffentliche Nutzung unbebaute Grundstücke in Anspruch genommen. Notwendige Bebauungen wurden daher im Allgemeinen erst nach der Inanspruchnahme der Grundstücke durch die zuständigen staatlichen Stellen mit öffentlichen Mitteln vorgenommen. Es war deshalb von Verfassungs wegen nicht geboten, den Grundstückseigentümern auch eine Verzinsung des vom Nutzer errichteten Gebäudes einzuräumen, und zwar auch dann nicht, wenn am Gebäude selbständiges Eigentum nicht entstanden ist. Eine solche Verpflichtung bestand auch nicht hinsichtlich solcher Einzelfälle, in denen der Grundstückseigentümer sich nachträglich an den Kosten beteiligt, die ein Dritter in der Deutschen Demokratischen Republik zur Errichtung des Gebäudes aufgewandt hat. Denn jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 96, 1 ≪6≫ m.w.N.). Dass hier die verfassungsrechtlichen Grenzen zulässiger Typisierung (vgl. dazu BVerfGE 84, 348 ≪360≫; 87, 234 ≪255≫; 96, 1 ≪6≫) verletzt worden sind, ist weder vom Beschwerdeführer dargetan noch sonst ersichtlich.
b) Auch die Auslegung und Anwendung des Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB durch die Zivilgerichte begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dazu kann, soweit es um das Verständnis der Vorschrift als besondere Moratoriumsregelung geht, auf die Ausführungen unter II 1 a aa bbb verwiesen werden. Auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Gerichte bei der Normanwendung Bedeutung und Tragweite der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG verkannt haben könnten.
Die Gerichte haben die Anwendbarkeit des Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB bejaht, obwohl die Beklagte nicht Eigentümerin des von ihr auf dem Grundstück des Beschwerdeführers errichteten Gebäudes ist. Das ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB ist nach seinem Wortlaut nicht auf die Fälle des Auseinanderfallens von Grundstücks- und Gebäudeeigentum beschränkt. Ziel der Regelung ist es, sämtliche öffentlichen Nutzungen fremder Privatgrundstücke ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse an Gebäuden, die auf diesen Grundstücken errichtet wurden, bis zu einer endgültigen gesetzlichen Regelung vorübergehend zu sichern. In ihrer Anwendung auch auf solche Sachverhalte, in denen dem Grundstückseigentümer außerdem ein zu öffentlichen Zwecken genutztes Gebäude gehört, kann daher eine Verkennung der Reichweite der Eigentumsgarantie nicht erblickt werden.
Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist weiter, dass die Zivilgerichte angenommen haben, das Grundstück des Beschwerdeführers werde von der beklagten Gemeinde zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben genutzt. Das Oberlandesgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass der Beklagten nach dem In-Kraft-Treten der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern und der Zuordnung der Beklagten zum übergeordneten Amt öffentliche Aufgaben verblieben sind. Die Wahrnehmung solcher Aufgaben haben die Zivilgerichte in der Nutzung des auf dem Grundstück des Beschwerdeführers befindlichen Gebäudes für Sprechstunden des Bürgermeisters der Beklagten, für die Zwecke eines gemeinnützigen Vereins als Begegnungsstätte und als Gemeindearchiv gesehen. Da Art. 233 § 2 a Abs. 9 Satz 1 EGBGB generell Grundstücksnutzungen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben erfasst, bedeutet die Auffassung, dass auch Aufgaben der Daseinsvorsorge unter die Vorschrift fallen, keine grundlegende Verkennung der Bedeutung der Eigentumsgarantie (vgl. auch Czub, a.a.O., § 2 Rn. 129 ff.). Dies gilt auch, soweit das Oberlandesgericht angesichts der festgestellten Nutzungen eine Entwidmung des Gebäudes nicht darin gesehen hat, dass in der geänderten Satzung der Beklagten in Bezug auf das Gebäude nur noch von der ehemaligen Gemeindeverwaltung die Rede ist. Dies gebietet nicht zwingend den Schluss, dass das Gebäude nicht der Erfüllung anderer öffentlicher Aufgaben dient.
Keinen Bedenken im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG begegnet es schließlich, dass die Zivilgerichte angenommen haben, auf den Umfang der Grundstücksnutzung komme es jedenfalls grundsätzlich nicht an. Diese Auffassung steht im Einklang mit dem Wortlaut der angegriffenen Vorschrift. Art. 233 § 2 a Abs. 9 Satz 1 EGBGB macht das Besitzrecht im Sinne dieser Regelung nicht von einem bestimmten zeitlichen oder räumlichen Umfang der öffentlichen Grundstücksnutzung abhängig. Ob gleichwohl in Ausnahmefällen bei geringfügiger Inanspruchnahme eines Grundstücks eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB geboten sein könnte, war nach der nicht zu beanstandenden Einschätzung des Oberlandesgerichts nicht entscheidungserheblich. Auch insoweit ist deshalb für die Annahme einer grundlegenden Verkennung von Bedeutung und Reichweite der Eigentumsgarantie kein Raum. Da Art. 233 § 2 a Abs. 9 Satz 1 EGBGB grundsätzlich sämtliche derzeitigen Nutzungen fremder Privatgrundstücke zu öffentlichen Zwecken bis zur endgültigen Bereinigung der Rechtsverhältnisse absichern will, ist es verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht es als unerheblich angesehen hat, ob die Beklagte die öffentlichen Aufgaben, für die sie das streitbefangene Grundstück in Anspruch nimmt, auf anderen ihr zur Verfügung stehenden Grundstücken wahrnehmen könnte.
2. Die angegriffenen Entscheidungen sind auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
a) Die ihnen zugrunde liegende Regelung des Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB steht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz in Einklang. Soweit die Eigentümer der von ihr erfassten Grundstücke gegenüber den Eigentümern von Grundstücken, die unter das Sachenrechtsmoratorium fielen und jetzt dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz unterliegen, benachteiligt werden, ist dies sachlich hinreichend gerechtfertigt (vgl. zum Maßstab BVerfGE 101, 54 ≪101≫). Anders als das Eigentum in den zuletzt genannten Fällen wird das Eigentum an den von Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB erfassten Grundstücken durch eine öffentlichrechtliche Sachherrschaft überlagert, die eine Nutzung des Grundstücks für private Zwecke ausschließt. Auch sind die Grundsätze der Sachenrechtsbereinigung, die eine Halbteilung eines durch den Verkehrswert bestimmten Bodenwerts vorsehen, auf die Fälle des Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB nicht ohne weiteres übertragbar, weil die Grundstücke infolge der Verwendung für öffentliche Zwecke dem Grundstücksverkehr entzogen sind und insoweit keinen Verkehrswert haben (vgl. BTDrucks 12/7425, S. 56 f.; Czub, a.a.O., § 2 Rn. 108 ff.). Das sind Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können.
b) Es ist auch nicht erkennbar, dass die Zivilgerichte bei der Auslegung und Anwendung des Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen haben. Insbesondere kann die Handhabung der Regelung nach den Darlegungen zu Art. 14 GG (vgl. oben unter II 1 a aa bbb und b) nicht als willkürlich angesehen werden.
3. Schließlich ist auch Art. 2 Abs. 1 GG nicht verletzt. Ein Rückgriff auf die allgemeine Handlungsfreiheit kommt neben Art. 14 Abs. 1 GG nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 79, 292 ≪304≫; 101, 54 ≪74≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 567594 |
VIZ 2001, 334 |
WM 2001, 778 |
WuB 2001, 693 |
NJ 2001, 304 |