Verfahrensgang
AG Karlsruhe (Urteil vom 07.02.1995; Aktenzeichen 7 C 516/94) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft § 40 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) vom 30. Mai 1908 (RGBl S. 263).
I.
Der Beschwerdeführer hatte sein Kfz bei der Klägerin des Ausgangsverfahrens, einem Versicherungsunternehmen, haftpflichtversichert. Mit der Prämie für das Versicherungsjahr 1994 kam er in Verzug. Daraufhin setzte ihm die Versicherung gemäß § 39 Abs. 1 VVG eine Zahlungsfrist und kündigte, nachdem der Beschwerdeführer nach dem Ablauf der Frist mit der Zahlung immer noch im Verzug war, das Versicherungsverhältnis gemäß § 39 Abs. 3 VVG. Im Mai 1994 wurde das Kfz bei einem anderen Versicherungsunternehmen versichert.
Im Ausgangsverfahren stritten die Parteien um die Pflicht des Beschwerdeführers zur Zahlung der ausstehenden Versicherungsprämien für den Zeitraum von Mai bis Dezember 1994 in Höhe von 1.217,57 DM. Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer zur Zahlung des umstrittenen Betrags gemäß §§ 1 Abs. 2, 39 Abs. 1 und 3, 40 Abs. 2 Satz 1 VVG verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG verstoße weder gegen das Rechtsstaatsgebot noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Beschwerdeführer greift diese Rechtsauffassung des Amtsgerichts an. Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen von Prölss zur Verfassungsmäßigkeit des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG in dem von Prölss/Martin herausgegebenen Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz.
II.
1. Die Annahmevoraussetzungen liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG).
Die Verfassungskonformität des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG war allerdings lange Zeit in der Rechtsprechung umstritten (vgl. nur AG Haßfurt, VersR 1986, S. 859 ≪860 ff.≫) und wird derzeit immer noch in der Fachliteratur verschieden beurteilt (vgl. zum einen Römer/Langheid, Versicherungsvertragsgesetz, 1997, § 40 Rn. 3; zum anderen Prölss, in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 26. Aufl., 1998, § 40 Rn. 9 ff.). Eine solche Kontroverse in der Fachliteratur kann ein Anhaltspunkt für eine grundsätzliche Bedeutung der mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Frage sein (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 f.≫). Ob § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG verfassungskonform ist, läßt sich auch nicht ohne weiteres anhand der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung beantworten. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 4. Juni 1985 allein festgestellt, daß die Vorschrift vorkonstitutionelles Recht sei, sich zu ihrer materiellen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz aber nicht geäußert (vgl. BVerfGE 70, 126).
Gleichwohl kommt der Verfassungsbeschwerde keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie wirft insbesondere die Frage auf, ob § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG mit dem allgemeinen Gleichheitssatz in Einklang steht. Die Maßstäbe hierfür sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt. Vor allem aber hat sich der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 2. Oktober 1991 ausführlich mit den verfassungsrechtlichen Argumenten in bezug auf § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG auseinandergesetzt, einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder das Rechtsstaatsprinzip jedoch mit – wie noch darzulegen ist – überzeugenden Erwägungen verneint (vgl. BGHZ 115, 347). Seitdem stellen die Zivilgerichte die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift nicht mehr in Frage.
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die angegriffene Entscheidung beruht auf § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG. Diese Vorschrift ist nicht grundgesetzwidrig. Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist Art. 3 Abs. 1 GG. Die rechtsstaatlichen Bedenken gegen § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG lassen sich im Rahmen der Grundrechtsprüfung abhandeln.
a) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Die Abstufung der Anforderungen folgt aus dem Wortlaut und Sinn des Art. 3 Abs. 1 GG sowie aus seinem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen. Bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen unterliegt der Gesetzgeber regelmäßig einer strengen Bindung. Die engere Bindung ist aber nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt, sondern gilt auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird. Überdies sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers um so engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 95, 267 ≪316 f.≫).
b) Gemessen daran ist ein Gleichheitsverstoß nicht ersichtlich. Eine personenbezogene Differenzierung enthält § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG nicht. Allerdings führt die Regelung im Verhältnis der Versicherer zu den Versicherungsnehmern zu einer Ungleichbehandlung dergestalt, daß das respektive vertragliche Pflichtenprogramm divergiert: Der Versicherungsnehmer ist bis zum Ende der laufenden Versicherungsperiode, welche regelmäßig den Zeitraum eines Jahres umfaßt (§ 9 VVG), zur Prämienzahlung verpflichtet, obwohl er keinen Versicherungsschutz mehr besitzt. Diese Differenzierung führt aber nicht zu einer unverhältnismäßigen Besserstellung der Versicherer gegenüber den Versicherungsnehmern und ist von daher weder im Licht von Art. 3 Abs. 1 GG noch aus rechtsstaatlichen Erwägungen bedenklich. Das ergibt sich aus den zutreffenden Erwägungen des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung BGHZ 115, 347.
Der Bundesgerichtshof hat die Differenzierung zwischen Versicherern und Versicherungsnehmern dort mit der Erwägung gerechtfertigt, § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG stelle den vertragsbrüchigen Versicherungsnehmer im Vergleich zu den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften in aller Regel besser, weil dieser nach der versicherungsrechtlichen Vorschrift nur die ausstehenden Prämien für die laufende, höchstens einjährige Versicherungsperiode zahlen müsse, während er nach § 326 Abs. 1 BGB unter anderem zum Ersatz des entgangenen Gewinns für die gesamte Laufzeit verpflichtet sei (vgl. a.a.O., S. 350). Ferner habe der Gesetzgeber Vorsorge dagegen treffen dürfen, daß Versicherungsnehmer durch schlichte Zahlungseinstellung das Ende des Versicherungsverhältnisses folgenlos erzwingen können (vgl. a.a.O., S. 350 f.). Schließlich sei zu berücksichtigen, daß dem Versicherungsnehmer die Rechtsfolgen des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG nicht aufgezwungen würden. Dieser habe es in der Hand, durch rechtzeitige Zahlung der geschuldeten Prämien den Verlust des Versicherungsschutzes und die Kündigung zu verhindern (vgl. a.a.O., S. 351).
Die dagegen insbesondere von Prölss geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. Prölss/Martin, a.a.O., § 40 Rn. 10 bis 12) greifen nicht durch. Prölss ist der Auffassung, die umstrittene Regelung führe bei einem keineswegs geringen Teil der Versicherungsnehmer dazu, daß sie ohne sachlichen Grund einen Betrag zahlten, der den tatsächlichen Schaden des Versicherers weit übersteige. Daß die Regelung unter Umständen auch zu einer Besserstellung der Versicherungsnehmer führe, sei demgegenüber unbeachtlich, wenn der Versicherungsnehmer “in concreto” zu viel bezahlen müsse (a.a.O., Rn. 10). Bei dieser Argumentation wird jedoch verkannt, daß der Gesetzgeber insbesondere bei der Ordnung von Massenerscheinungen, zu denen das Recht der Versicherungsverträge gehört, einen – freilich nicht unbegrenzten – Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen hat (vgl. BVerfGE 96, 1 ≪6≫). Ebensowenig begründet der Hinweis, es könne je nach dem Kündigungszeitpunkt des Versicherers zu unterschiedlich hohen Prämienverpflichtungen der Versicherungsnehmer kommen, so daß jedenfalls die vom Bundesgerichtshof hervorgehobene vertragsstrafenähnliche Funktion des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG die von ihm ausgehenden Ungleichheiten nicht rechtfertigen könne (so aber Prölss, a.a.O., § 40 Rn. 11), die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift. Der Einwand betrifft in Wahrheit das Verhältnis der Versicherungsnehmer untereinander (dazu sogleich unter lit. c), stellt aber die Schutzwirkung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG gegen eine risiko- und folgenlose Vertragsbeendigung durch den Versicherungsnehmer nicht in Frage.
c) § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG kann ferner zu Ungleichheiten zwischen den Versicherungsnehmern untereinander führen. Wenn zwei Versicherungsnehmer zum gleichen Zeitpunkt innerhalb der Versicherungsperiode in Zahlungsverzug geraten, kann ihre Pflicht zur Zahlung der ausstehenden Prämien gleichwohl differieren, je nachdem, wann innerhalb der Versicherungsperiode der Versicherer die Kündigung gemäß § 39 Abs. 3 VVG ausspricht. Diese Ungleichbehandlung kann, wie zu Recht hervorgehoben wird (vgl. Prölss, a.a.O., § 40 Rn. 12), zu verfassungsrechtlich bedenklichen Ergebnissen führen. Das gilt vor allem dann, wenn die unterschiedlich hohen Zahlungspflichten auf dem Verhalten des Versicherers beruhen.
Gleichwohl stellt eine solche mögliche Ungleichbehandlung die Verfassungskonformität des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG nicht in Frage. Denn die Fachgerichte haben in extremen Fallsituationen, also insbesondere dann, wenn eine Ungleichbehandlung auf einem bewußten Verschieben der Kündigung durch den Versicherer in eine gerade erst angelaufene Versicherungsperiode beruht, die Möglichkeit, eine Zahlungsklage des Versicherers unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abzuweisen. Unterhalb der Mißbrauchsgrenze mag die Regelung zwar auch zu teilweise wenig einleuchtenden Ergebnissen führen. Die den Versicherungsnehmer treffende Belastung ist aber, da auf maximal eine Jahresprämie beschränkt, in aller Regel nicht besonders intensiv (vgl. BGHZ 115, 347 ≪352≫). Die Grenze einer zulässig generalisierenden, typisierenden und pauschalierenden Regelung hat der Gesetzgeber deshalb mit § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG nicht überschritten (vgl. BVerfGE 82, 126 ≪151 f.≫; 96, 1 ≪6≫).
d) Daß die Klägerin des Ausgangsverfahrens im vorliegenden Fall die Kündigung des Versicherungsvertrags in unbilliger Weise verzögert hätte, lag offenkundig nicht vor. Auch im übrigen ist es weder dargetan noch ersichtlich, daß § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG im vorliegenden Fall zu einer krassen Benachteiligung des Beschwerdeführers gegenüber dem Versicherer oder gegenüber anderen Versicherungsnehmern geführt hat.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Grimm, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 1276235 |
NJW 1999, 2959 |
NWB 1999, 1537 |
EWiR 1999, 475 |
ZAP 1999, 391 |
NVersZ 1999, 358 |
VersR 1999, 1221 |