Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 23.12.2011; Aktenzeichen 11 UF 213/11) |
AG Osnabrück (Beschluss vom 25.11.2011; Aktenzeichen 45 F 128/11 SO) |
AG Osnabrück (Beschluss vom 24.11.2011; Aktenzeichen 45 F 128/11 SO) |
Tenor
1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Osnabrück vom 24. November 2011 und 25. November 2011 – 45 F 128/11 SO – und des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 23. Dezember 2011 – 11 UF 213/11 – verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückverwiesen.
2. Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
3. Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
4. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000 EUR (in Worten: achttausend Euro) und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 4.000 EUR (in Worten: viertausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Beschwerdeführer wenden sich gegen den Entzug der elterlichen Sorge für ihren Sohn im Wege der einstweiligen Anordnung.
1. Aus der Ehe der Beschwerdeführer ist ein inzwischen dreijähriger Sohn hervorgegangen. Im Februar 2011 meldete sich der Kindesvater beim sozialen Dienst und ersuchte um Hilfe bei der Erziehung. Er berichtete von psychischen Auffälligkeiten seiner Frau, die seit Geburt des Sohnes bestünden. Nach Einschaltung des Jugendamts wurde das Kind mit Einverständnis der Kindeseltern für einige Tage bei den Großeltern väterlicherseits untergebracht. Nachdem bei dem Kind globale Entwicklungsverzögerungen um circa ein Jahr festgestellt wurden, erfolgte eine Frühförderung des Kindes, die am 5. Juli 2011 endete. Seit August 2011 besucht das Kind einen heilpädagogischen Kindergarten. Im selben Monat erfolgte der Abbruch einer in der Familie für rund dreieinhalb Monate durchgeführten Familienhilfe durch die Kindeseltern. Das Jugendamt ersuchte sodann das Familiengericht um Überprüfung einer Kindeswohlgefährdung des Kindes.
a) Durch Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 24. November 2011, welcher mit Beschluss vom 25. November 2011 ergänzt wurde, wurde das Recht der elterlichen Sorge für das Kind den Beschwerdeführern im Wege der einstweiligen Anordnung entzogen und auf das Jugendamt als Vormund übertragen. Nach dem Inhalt der mündlichen Verhandlung bestehe für das Kind eine erhebliche Kindeswohlgefährdung, die es erforderlich mache, das Kind sofort in Obhut zu nehmen. Es sei nicht sichergestellt, dass das Kind etwa bei Erkrankungen, die erhebliche Auswirkungen und Spätfolgen haben könnten, einem behandelnden Arzt vorgestellt werde. Das Kind habe im zweiten Lebensjahr eine Schädelfraktur erlitten, deren Herkunft die Eltern nicht hätten erläutern können. Es habe zwischen den Untersuchungen U6 und U7 drastische Rückschritte in der motorischen und sprachlichen Entwicklung gemacht. Bei dem Kind bestehe eine erhebliche emotionale Vernachlässigung und es werde von seinen Eltern nicht ausreichend gefördert. Da die Eltern nicht bereit seien, ambulante Hilfestellungen zu akzeptieren, sei eine sofortige Herausnahme des Kindes gemäß § 1666 BGB erforderlich.
b) In ihrer hiergegen eingelegten Beschwerde führten die Beschwerdeführer unter anderem aus, dass die Großmutter väterlicherseits im selben Stadtteil wie die Kindeseltern lebe und das Kind von Geburt an kenne. Das Kind werde gelegentlich tagsüber für einige Stunden von der Großmutter betreut und habe eine enge Beziehung zu ihr. Die Großmutter sei 70 Jahre alt, in guter körperlicher Verfassung und stehe als Betreuungsperson zur Verfügung. Die Großmutter wurde hierfür als Zeugin benannt.
c) Die Beschwerde sowie ein Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung wurden mit Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 23. Dezember 2011 als unbegründet zurückgewiesen. Der Entzug der elterlichen Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung sei unerlässlich gewesen. Bei dem Kind seien gravierende Entwicklungsdefizite festgestellt worden. Zwar sei nicht hinreichend gesichert, worauf die festgestellte globale Entwicklungsretardierung beruhe. Es bestünden jedoch aufgrund der Schilderungen der als Zeugen vernommenen Familienhelfer über ihre Beobachtungen während der Hausbesuche bei den Kindeseltern hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Ursache hierfür die mangelnde Erziehungsfähigkeit der Kindeseltern sei. Hiernach sei auf die körperlichen Bedürfnisse des Kindes oftmals nicht angemessen reagiert worden, eine altersangemessene Förderung des Kindes sei unterblieben und die Gesundheitssorge sei nur nachlässig durchgeführt worden. Der Abbruch der Familienhilfe und die seitherige Verweigerung jeglicher staatlicher Hilfe führten dazu, dass bei einem weiteren Verbleib des Kindes in der elterlichen Obhut dessen körperliches Wohl akut gefährdet wäre. Im Hinblick auf die sorglose Verhaltensweise der Kindeseltern anlässlich einer bei dem Kind eingetretenen Fiebererkrankung sowie eines Schädelbruchs des Kindes sei nicht hinreichend sichergestellt, dass die Kindeseltern bei einer Erkrankung von ihrem Kind angemessen und am Kindeswohl orientiert reagieren würden. Anhand der Beobachtungen der Bereitschaftspflegemutter im Rahmen der Besuchskontakte habe sich zudem gezeigt, dass mangels emotionaler Zuwendung auch das seelische Wohl des Kindes bei einem weiteren Verbleib in der Obhut der Eltern akut gefährdet wäre.
Mildere Maßnahmen kämen nicht in Betracht. Die Kindeseltern lehnten jegliche staatliche Hilfemaßnahmen ab. Die von den Kindeseltern benannte Cousine sei ohne Entschuldigung zum Termin nicht erschienen, so dass sich der Senat kein Bild davon habe machen können, ob die Cousine als vorläufiger Vormund für das Kind in Betracht komme. Überdies bestehe nach eigenen Angaben des Kindesvaters kein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen ihr und dem Kind. Die Großmutter sei von den Kindeseltern als Vormund nicht ausdrücklich benannt worden.
2. Mit ihrer am 27. Januar 2012 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Fachgerichte hätten völlig einseitig den Tatsachenvortrag des Jugendamts übernommen, ohne diese Angaben auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Die angenommene Erziehungsungeeignetheit der Eltern sei durch ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten abzuklären. Die Fachgerichte hätten nicht geprüft, ob anderweitige mildere Maßnahmen beispielsweise in Form der regelmäßigen Vorstellung des Kindes beim Arzt oder gegebenenfalls des Entzugs der Gesundheitsfürsorge in Betracht kämen. Ferner hätten die Gerichte bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht berücksichtigt, dass nahe Angehörige oder sonstige Bezugspersonen bei einer Vormundsauswahl bevorrechtigt berücksichtigt werden müssten. In der Beschwerdebegründung sei ausdrücklich die Großmutter väterlicherseits als Zeugin benannt worden, die als Betreuungsperson zur Verfügung stehe und das Kind gut kenne.
3. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag der Kammer vor.
4. Die Verfassungsbeschwerde wurde dem Niedersächsischen Justizministerium, dem Jugendamt der Stadt O. und der Verfahrensbeiständin zugestellt. Das Niedersächsische Justizministerium hat keine Stellungnahme abgegeben. Das Jugendamt und die Verfahrensbeiständin haben sich jeweils den Gründen der angegriffenen Entscheidungen angeschlossen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt.
1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Elternrechts der Beschwerdeführer geboten (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungs-rechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich zulässig und begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
a) Die Beschwerdeführer werden durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.
aa) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwortung der Eltern gelegt. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen (BVerfGE 60, 79 ≪88≫). In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein (BVerfGE 60, 79 ≪88≫ m.w.N.). Der Schutz des Elternrechts, das Vater und Mutter gleichermaßen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. BVerfGE 84, 168 ≪180≫; 107, 150 ≪173≫).
Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern als dem stärksten Eingriff in das Elternrecht geht, ist dieser allein unter den engen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 GG zulässig. Danach dürfen Kinder gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur aufgrund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen (vgl. BVerfGE 72, 122 ≪137 f.≫). Das elterliche Fehlverhalten muss dabei ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (BVerfGE 60, 79 ≪91≫).
Wenn Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen und damit zugleich die Aufrechterhaltung der Trennung der Kinder von ihnen gesichert werden soll, darf dies zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (vgl. BVerfGE 60, 79 ≪89≫). Dieser gebietet es, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Der Staat muss daher nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfGE 24, 119 ≪145≫; 60, 79 ≪93≫).
bb) Danach sind die Fachgerichte in den angegriffenen Entscheidungen den Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht gerecht geworden.
(1) Die Fachgerichte sind zunächst in nachvollziehbarer sowie verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass angesichts der berichteten allgemeinen Entwicklungsverzögerungen des Kindes sowie der nachlässigen Gesundheitssorge für das Kind hinreichende Anhaltspunkte für eine erhebliche Kindeswohlgefährdung gegeben sind, die eine Entziehung des Sorgerechts für das Kind erfordern. Die Bewertung haben die Gerichte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auf der Grundlage der Stellungnahmen des Jugendamts, der Familienhelfer und der Verfahrensbeiständin ohne Überschreitung der Grenzen des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG getroffen.
Das Oberlandesgericht hat nachvollziehbar dargestellt, dass gravierende Entwicklungsverzögerungen des Kindes bestehen, deren Ursache die mangelnde Erziehungsfähigkeit der Kindeseltern ist. Diese Ansicht wird insbesondere durch die berichteten Beobachtungen der Pflegemutter anlässlich der Besuchskontakte gestützt. Auch die weiteren Angaben der Familienhelfer und des Jugendamts in der mündlichen Verhandlung sowie der Verfahrensbeiständin bestätigen die Annahme, dass das Kind durch seine Eltern nicht ausreichend gefördert wurde, nachdem ein insgesamt fürsorglicher Umgang mit dem Kind nicht beobachtet werden konnte.
Ferner unterliegt es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Fachgerichte im Hinblick auf die nachlässige gesundheitliche Versorgung des Kindes von einer erheblichen Gefährdung für das körperliche Wohl des Kindes ausgegangen sind. Dies zeigen nicht nur die in den angegriffenen Entscheidungen geschilderten Vorgänge hinsichtlich einer Fiebererkrankung und eines Schädelbruchs des Kindes, sondern auch der Umstand, dass sich der Vater aus nicht nachvollziehbaren Motiven weigert, die Krankenkassenkarte, deren Besitz unabdingbar für eine ärztliche Versorgung des Kindes ist, an die Pflegefamilie herauszugeben.
(2) Soweit die Beschwerdeführer rügen, dass die Gerichte die einstweilige Anordnung ohne vorherige Einholung eines Sachverständigengutachtens getroffen haben, greift ihr Einwand nicht durch. Das Verfahren muss zwar grundsätzlich geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen. Die Fachgerichte sind aber verfassungsrechtlich nicht stets gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. BVerfGE 55, 171 ≪182≫). Sie müssen allerdings anderweit über eine hinreichend zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügen (vgl. BVerfGK 9, 274 ≪279≫).
Die Gerichte haben sich vorliegend zur Überzeugungsbildung hinreichender Beweismittel in Gestalt der persönlichen Anhörung des Kindes, der Kindeseltern, der Verfahrensbeiständin sowie des Jugendamts und der Familienhelfer bedient. Tatsachen, die darüber hinaus im Rahmen des Eilverfahrens die Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens erfordert hätten, ergeben sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer nicht.
(3) Die angegriffenen Entscheidungen lassen allerdings hinsichtlich der Auswahl der angeordneten Maßnahmen eine hinreichende Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vermissen. Die Fachgerichte haben von ihrem nach § 1779 Abs. 2 BGB eingeräumten Auswahlermessen nur unzureichenden Gebrauch gemacht und damit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt.
(a) Es ist nicht hinreichend dargelegt, dass die konkret getroffenen Anordnungen zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich sind. Erforderlich ist eine Maßnahme dann, wenn von den zur Erreichung des Zweckes gleich gut geeigneten Mitteln das mildeste, also die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigende Mittel gewählt wird (BVerfGE 100, 313 ≪375≫). Die Gerichte mussten sich insoweit damit auseinandersetzen, ob mildere Mittel zur Verfügung standen, die ebenso geeignet gewesen wären, die festgestellte Gefährdung von dem Kind abzuwenden.
Als mildere Maßnahme wäre insbesondere die Anordnung der Vormundschaft der Großmutter väterlicherseits in Betracht zu ziehen gewesen.
Gemäß § 1773 Abs. 1 in Verbindung mit § 1779 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht für einen Minderjährigen, der nicht unter elterlicher Sorge steht, einen Vormund auszuwählen. Dabei hat das Familiengericht bei der Auswahl mehrerer geeigneter Personen unter anderem den mutmaßlichen Willen der Eltern, die persönlichen Bindungen des Mündels und die Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit dem Mündel zu beachten, § 1779 Abs. 2 BGB. Durch § 1779 Abs. 2 BGB hat der Gesetzgeber die Grundlage für einen verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen den verfassungsrechtlichen Positionen der Betroffenen, insbesondere mit dem durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Elternrecht, geschaffen. Unter mehreren geeigneten Vormündern hat das Familiengericht die Auswahl nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen. Dieses Ermessen hat der Gesetzgeber aber wiederum in verfassungsgemäßer Konkretisierung der widerstreitenden grundrechtlichen Belange rechtlich durch § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB sowie durch § 1775 BGB gebunden (vgl. Wagenitz, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 1779 Rn. 4).
Soweit Elternwille oder Kindesbindung nicht bereits eindeutig die Auswahl eines bestimmten Vormunds verlangen, hat das Familiengericht Verwandte und Verschwägerte des Mündels zu ermitteln. Das Gericht wählt unter den geeigneten Familienangehörigen nach pflichtgemäßem Ermessen aus (vgl. Wagenitz, a.a.O., § 1779 Rn. 10). Eine unzureichende Prüfung, welche geeigneten Familienangehörigen vorhanden sind, beeinträchtigt die mit der gesetzlichen Auswahlvorschrift geschützten Grundrechte der Betroffenen.
Angesichts der von den Beschwerdeführern benannten Verwandten, die als Betreuungspersonen in Betracht kommen, hätte es hier besonders sorgfältiger Erwägungen und Ausführungen zur Auswahl des Vormunds bedurft, zumal in der Beschwerdeschrift an das Oberlandesgericht der Wille der Eltern, im Falle der Entziehung der elterlichen Sorge einen Verwandten zum Vormund zu bestimmen, deutlich zum Ausdruck kam. Zwar hat das Oberlandesgericht die Cousine der Beschwerdeführerin zur mündlichen Verhandlung geladen. Nicht nachvollziehbar ist jedoch, weshalb das Oberlandesgericht unter Verweis darauf, die Großmutter sei nicht als Vormund benannt worden, eine nach § 1779 Abs. 3 BGB gebotene Anhörung der Großmutter sowie eine nähere Prüfung der Betreuungsmöglichkeit durch die Großmutter unterlassen hat, obwohl diese als Zeugin benannt wurde und bereits zu einem früheren Zeitpunkt das Kind für einige Tage in Obhut genommen hatte, ohne dass es dabei erkennbar zu Beanstandungen gekommen ist.
Der ohnehin gravierende Eingriff in das Elternrecht durch die Entziehung des Sorgerechts und Trennung des Kindes von den Eltern hätte hier möglicherweise durch eine Unterbringung des Kindes bei Verwandten, zu denen nicht nur das Kind, sondern auch die Eltern regelmäßig eine engere Bindung als zu fremden Personen haben, abgemildert werden können. Umgangskontakte der Eltern mit dem Kind, die vorliegend grundsätzlich nicht als schädlich angesehen wurden, hätten dadurch möglicherweise erleichtert und gefördert werden können. Dies galt es insbesondere vor dem Hintergrund zu berücksichtigen, dass es sich lediglich um eine vorläufige Maßnahme handelte und eine Rückführung des Kindes in den elterlichen Haushalt nicht von vornherein ausgeschlossen werden darf. Aus den angegriffenen Entscheidungen ist jedoch nicht erkennbar, dass diesbezügliche Erwägungen angestellt wurden.
(b) Insoweit setzen sich die Entscheidungen auch nicht hinreichend mit den Auswirkungen der angeordneten Maßnahmen auf das Kindeswohl auseinander. Insbesondere hätten vor dem Hintergrund, dass die Regelung nur temporäre Geltung besitzt, sämtliche Mittel ausgeschöpft werden müssen, um die möglicherweise traumatischen Erfahrungen einer Fremdunterbringung auch für das Kind abzuschwächen. Die vorläufige Unterbringung bei einer verwandten Person, zu der das Kind eine vertrauensvolle Beziehung hat, hätte auch aus Kindessicht eine weniger einschneidende Maßnahme bedeuten können.
b) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den Verstößen gegen das Elternrecht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Fachgerichte bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls von einer Übertragung des Sorgerechts auf das Jugendamt als Vormund abgesehen hätten.
c) Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (BVerfGE 102, 197 ≪198, 224≫; 105, 197 ≪202, 235≫).
d) Es erscheint angezeigt, nur den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil den Beschwerdeführern damit besser gedient ist. Denn es liegt in ihrem Interesse, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 ≪5≫; 94, 372 ≪400≫).
2. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
3. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Gaier, Paulus, Britz
Fundstellen