Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetz zur Änderung und Ergänzung vermögensrechtlicher und anderer Vorschriften
Beteiligte
Rechtsanwälte Professor Dr. Rüdiger Zuck und Koll. |
Rechtsanwälte Dr. Joachim Brauer und Koll. |
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Tatbestand
Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, das Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung vermögensrechtlicher und anderer Vorschriften (Vermögensrechtsergänzungsgesetz – VermRErgG), hilfsweise von Art. 1 Nr. 2 sowie Art. 3 Nr. 1 Buchstabe e und g dieses Gesetzes, einstweilen aufzuschieben.
I.
1. Am 7. Juli 2000 hat der Deutsche Bundestag das Vermögensrechtsergänzungsgesetz verabschiedet (vgl. BRDrucks 409/00). Der Bundesrat hat dem Gesetz am 14. Juli 2000 gemäß Art. 84 Abs. 1 GG zugestimmt (vgl. BRDrucks 409/00 ≪Beschluss≫). Es sieht unter anderem in Artikel 1 Änderungen des Vermögensgesetzes (VermG) und in Artikel 3 Änderungen des Ausgleichsleistungsgesetzes (AusglLeistG) vor und soll nach seinem Artikel 6 am Tag nach der Verkündung in Kraft treten. Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes stehen noch aus.
Für das vorliegende Verfahren sind folgende Regelungen des Vermögensrechtsergänzungsgesetzes von Bedeutung:
a) Art. 1 Nr. 2 VermRErgG sieht die Aufhebung von § 9 VermG vor. Nach dessen Satz 1 kann, wenn die Rückübertragung eines Grundstücks wegen redlichen Erwerbs nach § 4 Abs. 2 VermG ausgeschlossen ist, die Entschädigung durch Übereignung von Grundstücken mit möglichst vergleichbarem Wert erfolgen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 107, 205) hat der von der Restitution Ausgeschlossene grundsätzlich einen Anspruch auf Überlassung eines Ersatzgrundstücks, wenn ein in kommunalem Eigentum stehendes Grundstück im gleichen Stadt- oder Gemeindegebiet zur Verfügung steht und einer Eigentumsübertragung keine berechtigten Interessen entgegenstehen. Die Gemeinden dürfen die Bereitstellung von Ersatzgrundstücken nicht mit Hinweis auf ihre Haushaltslage verweigern, weil sie vom Bund den vollen Ersatz ihrer Aufwendungen in Höhe des Verkehrswerts des jeweiligen Ersatzgrundstücks verlangen können. Diese Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht nach Ansicht der Bundesregierung dem Sinn und Zweck des § 9 VermG (vgl. Begründung zum Entwurf eines Vermögensrechtsergänzungsgesetzes, BTDrucks 14/1932, S. 9). Deshalb soll die Vorschrift ersatzlos aufgehoben werden mit der Folge, dass den Entschädigungsberechtigten nur noch ein Anspruch auf eine Geldentschädigung nach Maßgabe des Entschädigungsgesetzes zusteht.
b) Die weiteren hier maßgeblichen Änderungen betreffen den in § 3 AusglLeistG geregelten Erwerb von land- und forstwirtschaftlichen Flächen (vgl. dazu BVerfGE 94, 334 ≪336 ff.≫). Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Kommission) hat die Regelungen in dieser Vorschrift in ihrer Entscheidung vom 20. Januar 1999 (ABl EG L Nr. 107, S. 21) teilweise beanstandet. Dem soll im Rahmen der vorgesehenen Änderungen des § 3 AusglLeistG Rechnung getragen werden (vgl. BTDrucks 14/1932, S. 11 f.).
Durch die Änderungen von § 3 Abs. 1, 2 und 8 Satz 1 Ausgl-LeistG (vgl. Art. 3 Nr. 1 Buchstabe a, b und f VermRErgG) soll die Diskriminierung von Staatsangehörigen der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (im Folgenden: EU) beseitigt werden, die die Kommission darin erblickt hat, dass der Erwerb land- und forstwirtschaftlicher Flächen bislang die Ortsansässigkeit des Erwerbers am 3. Oktober 1990 voraussetzte. Nach der Entscheidung der Kommission ist ferner der im bisherigen § 3 Abs. 7 Satz 1 AusglLeistG vorgesehene Verkauf landwirtschaftlicher Flächen zum dreifachen Einheitswert 1935 mit dem Gemeinsamen Markt grundsätzlich unvereinbar, wenn dadurch die zulässige Beihilfeintensität in nicht benachteiligten Gebieten in Höhe von 35 % überschritten wird. Nach den Berechnungen der Kommission entspricht der dreifache Einheitswert 1935 einer Beihilfeintensität von durchschnittlich etwa 50 % (vgl. BTDrucks 14/1932, S. 11). Daher soll der Kaufpreis nunmehr für alle Berechtigtengruppen einheitlich auf den Verkehrswert der landwirtschaftlichen Flächen, abzüglich 35 %, angehoben werden (vgl. Art. 3 Nr. 1 Buchstabe e Doppelbuchstabe aa VermRErgG).
Unabhängig von den Beanstandungen der Kommission soll den neuen Ländern und von ihnen benannten Naturschutzverbänden oder – stiftungen die Möglichkeit eingeräumt werden, Naturschutzflächen im Gesamtumfang von bis zu 100.000 ha zu erwerben (vgl. Art. 3 Nr. 1 Buchstabe g VermRErgG). Das Eigentum an Flächen im Gesamtumfang von bis zu 50.000 ha soll nach Maßgabe des neuen § 3 Abs. 13 Satz 1 AusglLeistG unentgeltlich übertragen werden. Die übrigen Flächen können von den Ländern nach § 3 Abs. 13 Satz 2 AusglLeistG (neu) jeweils zu den Wertansätzen des neuen § 3 Abs. 7 AusglLeistG getauscht werden. Bei Forstflächen unter 30 ha und landwirtschaftlichen Flächen ist stattdessen gemäß § 3 Abs. 13 Satz 3 AusglLeistG (neu) auch ein Kauf zum Verkehrswert möglich. Von der Eigentumsübertragung auf die Länder, Naturschutzverbände oder -stiftungen ausgenommen sind zufolge § 3 Abs. 13 Satz 4 AusglLeistG (neu) Flächen, die benötigt werden, um den Erwerb nach § 3 Abs. 1 bis 5 AusglLeistG zu ermöglichen.
2. Die Antragsteller haben Verfassungsbeschwerden gegen Vorschriften des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes erhoben, mit denen sie im Wesentlichen geltend machen, dass das Ausgleichsleistungsgesetz, soweit es in § 2 Abs. 1 wegen der maßgeblichen Bemessungsgrundlage, der Kürzungsbeträge, des Lastenausgleichsabzugs und des Leistungszeitpunkts auf das Entschädigungsgesetz verweist, gegen Art. 3 Abs. 1 GG, das Rechts- und das Sozialstaatsprinzip sowie gegen die Grundsätze des deutschen Entschädigungsrechts verstoße. Das Gleiche gelte für die Regelungen in § 3 AusglLeistG über den Flächenerwerb. Ziel dieser Verfassungsbeschwerden ist es, eine gesetzliche Neuregelung zu erreichen, die höhere Ausgleichsleistungen vorsieht und die Möglichkeiten der Betroffenen der Bodenreform verbessert, ihr früheres land- und forstwirtschaftliches Eigentum wiederzuerlangen (vgl. BVerfGE 94, 334 ≪341 f.≫). Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am 11. April 2000 unter anderem über die Verfassungsbeschwerde der Antragsteller zu 8 bis 27 und 29 bis 38 (1 BvR 1408/95) mündlich verhandelt. Eine Entscheidung ist insoweit noch nicht ergangen.
Diese Entscheidung soll nach Auffassung der Antragsteller mit dem Vermögensrechtsergänzungsgesetz durch die Schaffung vollendeter Tatsachen unterlaufen werden. Sie beantragen daher das Inkrafttreten dieses Gesetzes, hilfsweise seiner Regelungen in Art. 1 Nr. 2 und Art. 3 Nr. 1 Buchstabe e und g, einstweilen aufzuschieben. Die gebotene Folgenabwägung falle zu ihren Gunsten aus:
Ergehe die einstweilige Anordnung nicht, habe eine Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, verlören die Antragsteller eigentumsrechtlich unangreifbar etwaige Ansprüche nach § 9 VermG. Sie würden zudem Opfer einer europaweiten Landverschleuderung zu erhöhten Preisen, zu denen sie nicht mehr mitbieten könnten. Trete das Vermögensrechtsergänzungsgesetz in Kraft und werde es vollzogen, stünden zurzeit noch im Eigentum des Staatsfiskus befindliche landwirtschaftliche Flächen in einer Größe von etwa 1,2 Mio. ha und forstwirtschaftliche Flächen in einer Größe von ungefähr 400.000 ha für Wiedergutmachungszwecke endgültig nicht mehr zur Verfügung. Wegen der Ausdehnung des Flächenerwerbsprogramms auf sämtliche Bürger der EU-Mitgliedstaaten sei der Gesetzgeber, sofern er nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerden gegen das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz tätig werden müsse, nicht mehr frei, den Antragstellern anstelle einer Geldentschädigung die vorgenannten land- und forstwirtschaftlichen Flächen ganz oder teilweise zurückzugeben oder zu symbolischen Kaufpreisen anzubieten. Die derzeit bestehenden Flächenerwerbsmöglichkeiten der Antragsteller würden rechtlich und faktisch derart eingeschränkt, dass sie davon praktisch keinen Gebrauch mehr machen könnten. Zudem würden die für Naturschutzzwecke vorgesehenen Flächen der Privatisierung endgültig entzogen.
Dagegen würden keine Gemeinwohlbelange beeinträchtigt, wenn die einstweilige Anordnung ergehe, eine Verfassungsbeschwerde aber später keinen Erfolg habe. Trotz der von der Kommission in ihrer Entscheidung vom 20. Januar 1999 gesetzten Zwei-Monats-Frist habe sich der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des Vermögensrechtsergänzungsgesetzes eineinhalb Jahre Zeit gelassen. Deshalb seien dringende Handlungsperspektiven für den Gesetzgeber nicht erkennbar. Da der Staatsfiskus das enteignete Grundvermögen der Alteigentümer seit der Wiedervereinigung in seiner Verfügungsmacht halte, erscheine es angemessen, über die Privatisierung dieses Vermögens endgültig erst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz zu befinden. Jedenfalls würde eine weitere Verzögerung der Privatisierung keinen gewichtigen Nachteil für die Allgemeinheit darstellen. Ein solcher Nachteil lasse sich auch nicht europarechtlich begründen. Die Kommission verlange nur, dass bereits unzulässig gewährte Beihilfen zurückgefordert würden und auf die Gewährung solcher Beihilfen künftig verzichtet werde. Sie fordere aber nicht eine alsbaldige europaweite Privatisierung land- und forstwirtschaftlicher Flächen in den neuen Ländern zu den jetzt vorgesehenen Kaufpreisen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt ohne Erfolg.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Wegen der meist weit tragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt insbesondere, wenn der Vollzug eines Parlamentsgesetzes ausgesetzt oder – wie hier – schon das Inkrafttreten gesetzlicher Regelungen aufgeschoben werden soll. Dabei müssen die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Gesetzes sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Ist dies nicht der Fall, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 94, 334 ≪347 f.≫; 99, 57 ≪66≫; stRspr).
2. Im vorliegenden Verfahren braucht auf die Erfolgsaussichten einer noch einzulegenden Verfassungsbeschwerde gegen das Vermögensrechtsergänzungsgesetz nicht eingegangen zu werden, weil jedenfalls die Folgenabwägung zu Lasten der Antragsteller ausfällt.
a) Den Antragstellern drohen bei Nichterlass der einstweiligen Anordnung keine schweren Nachteile.
aa) Erweist sich eine von den Antragstellern noch einzulegende Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Aufhebung des § 9 VermG als begründet, können die Antragsteller, sofern sie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, eine Entschädigung durch Übereignung eines Ersatzgrundstücks verlangen. Die Gefahr, dass solche Ansprüche wegen Versäumung der Anmeldefrist des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG abgelehnt werden, besteht nicht. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei Urteilen vom 5. April 2000 – BVerwG 8 C 22.99 und 8 C 29.99 – entschieden, dass diese Frist für das Wahlrecht nach § 9 VermG nicht gilt, wenn der Ersatzanspruch im Rahmen eines Restitutions- oder Entschädigungsverfahrens geltend gemacht wird und der Restitutions- oder Entschädigungsanspruch rechtzeitig angemeldet wurde. Die Erwähnung des § 9 VermG in § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG betreffe nur den Fall, dass ein solcher Anspruch ohne vorherigen Restitutions- oder Entschädigungsantrag erstmals, sozusagen isoliert, angemeldet werde (vgl. Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen, Rechtsprechungsübersicht 08/2000 vom 7. Juli 2000, S. 33 ≪35 ff.≫).
Nach dem Vorbringen im Antragsschriftsatz werden nur die Antragsteller zu 31 bis 38 von der Aufhebung des § 9 VermG betroffen. Die Restitutionsberechtigung dieser Antragsteller steht aber nach ihrem Vortrag im Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 1408/95 bereits bestandskräftig fest. Sie haben danach fristgerecht Restitutionsansprüche angemeldet und können daher bei einer Verfassungswidrigkeit des Art. 1 Nr. 2 VermRErgG das Wahlrecht nach § 9 VermG noch im Restitutions- oder Entschädigungsverfahren ausüben. Sollte dieses Verfahren im Zeitpunkt der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde schon abgeschlossen sein, entstehen ihnen ebenfalls keine Nachteile. Denn bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde wird der Gesetzgeber dafür Sorge zu tragen haben, dass die Antragsteller Entschädigung durch Übereignung eines Ersatzgrundstücks noch verlangen können.
Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, könnten allerdings bei einem späteren Erfolg der Verfassungsbeschwerde bestimmte Grundstücke nicht mehr für eine Entschädigung nach § 9 Satz 1 VermG zur Verfügung stehen. Diese Vorschrift räumt aber ohnehin keinen Anspruch auf Übereignung eines bestimmten Ersatzgrundstücks ein. Vielmehr ist in § 9 Satz 3 in Verbindung mit § 21 Abs. 3 Satz 1 VermG die Überlassung von Ersatzgrundstücken auf solche Grundstücke beschränkt, die für diesen Zweck zur Verfügung stehen. Nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts dürfen die Gemeinden ihre Grundstücke im Rahmen der ihnen garantierten Selbstverwaltung jederzeit anderen Zwecken widmen oder für solche Zwecke vorhalten, so dass sie zunächst selbst darüber zu entscheiden haben, welche ihrer Grundstücke den Berechtigten als Ersatzgrundstücke zugewiesen werden können (vgl. BVerwGE 107, 205 ≪210≫).
bb) Unterbleibt die beantragte einstweilige Anordnung, können die Antragsteller weiter landwirtschaftliche Flächen zunächst nur noch zum Verkehrswert, abzüglich 35 %, erwerben. Im Fall eines späteren Erfolgs einer Verfassungsbeschwerde gegen § 3 Abs. 7 Satz 1 AusglLeistG (neu) wird ihnen jedoch die Differenz zwischen dem Kaufpreis nach der derzeit noch geltenden Regelung und dem durch die Neuregelung erhöhten Kaufpreis zurückzuerstatten sein. Dass eine solche partielle Rückabwicklung von Kaufverträgen hinsichtlich des Kaufpreises ohne weiteres möglich ist, zeigt die Vorschrift des § 3 a AusglLeistG (neu), die durch Art. 3 Nr. 2 VermRErgG geschaffen werden soll. Danach sollen die Käufer landwirtschaftlicher Flächen, die nicht zum Kreis der Alteigentümer gehören, die Differenz zwischen den von ihnen gezahlten Kaufpreisen und den europarechtlich zulässigen Beihilfeintensitäten nachentrichten. Die Rückgewähr zu viel gezahlter Kaufpreise im Fall des Erfolgs einer Verfassungsbeschwerde kann im Übrigen auch durch einen entsprechenden Vorbehalt in künftigen Kaufverträgen mit der Privatisierungsstelle sichergestellt werden. Zwar machen die Antragsteller geltend, dass sie gar nicht in der Lage seien, landwirtschaftliche Flächen zum künftigen Kaufpreis zu erwerben. Darauf lässt sich ein schwerer Nachteil aber schon deshalb nicht stützen, weil sie diese Behauptung nicht näher substantiiert haben.
cc) Ein solcher Nachteil droht den Antragstellern auch nicht beim Inkrafttreten der neuen Absätze 12 bis 15 des § 3 AusglLeistG, nach denen die neuen Länder und von ihnen benannte Naturschutzverbände und -stiftungen künftig Naturschutzflächen im Gesamtumfang von bis zu 100.000 ha erwerben können.
Von diesem Erwerb sind nach § 3 Abs. 13 Satz 4 AusglLeistG (neu) ausdrücklich die Flächen ausgenommen, die benötigt werden, um den Erwerb nach § 3 Abs. 1 bis 5 AusglLeistG zu ermöglichen. Die Regelungen des § 3 Abs. 12 bis 15 AusglLeistG (neu) lassen also die Erwerbspositionen der Alteigentümer nach § 3 Abs. 1 bis 5 AusglLeistG, und damit auch derjenigen, die auf den zu erwerbenden Flächen keinen landwirtschaftlichen Betrieb einrichten wollen, unberührt (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsfinanzausschusses, BTDrucks 14/3802 in der noch nicht gedruckten Fassung, S. 33). Insoweit sind daher die Erwerbsmöglichkeiten der Antragsteller gegenüber denen der Länder, Naturschutzverbände und -stiftungen vorrangig.
Auch hinsichtlich des Erwerbs von Waldflächen nach § 3 Abs. 8 AusglLeistG ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtsstellung der Antragsteller nicht ersichtlich. Nach § 3 Abs. 13 Satz 1 zweiter und dritter Spiegelstrich AusglLeistG (neu) soll das Eigentum an maximal 30.000 ha forstwirtschaftlich nutzbaren Flächen unentgeltlich auf die Länder oder von ihnen benannte Naturschutzverbände oder -stiftungen übertragen werden können. Da diese nach § 3 Abs. 13 Satz 3 Ausgl-LeistG (neu) nur kleinere Forstflächen bis 30 ha zum Verkehrswert zusätzlich zu unentgeltlich erworbenen Flächen kaufen können, kann davon ausgegangen werden, dass der Hinzuerwerb weiterer forstwirtschaftlicher Flächen zu Naturschutzzwecken ganz überwiegend durch einen Flächentausch gemäß § 3 Abs. 13 Satz 2 AusglLeistG (neu) erfolgen wird. Die eingetauschten Flächen stehen dann anstelle der erworbenen Flächen zur Privatisierung zur Verfügung. Im Übrigen dürften ohnehin genügend forstwirtschaftliche Flächen vorhanden sein, mit denen die Erwerbswünsche der Berechtigten befriedigt werden können, so dass sich auch die unentgeltliche Übertragung von Flächen nach § 3 Abs. 13 Satz 1 AusglLeistG (neu) nicht nachhaltig zum Nachteil der Antragsteller auswirken dürfte.
dd) Die Erwerbsmöglichkeiten der Antragsteller können allerdings dadurch geschmälert werden, dass nach dem Inkrafttreten des Vermögensrechtsergänzungsgesetzes sämtliche Bürger der EU-Mitgliedstaaten land- und forstwirtschaftliche Flächen zu den dann geltenden Kaufpreisen erwerben können und damit der Kreis der potentiell Erwerbsberechtigten ausgeweitet wird. Bei der Gewichtung dieses Nachteils ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch künftig nur solche Personen erwerbsberechtigt sind, die ortsansässig sind (vgl. insbesondere die Änderungen in Art. 3 Nr. 1 Buchstabe b VermRErgG), das heißt ihren Wohnsitz in der Nähe der zu erwerbenden Flächen haben oder nehmen. Daraus und aus dem Umstand, dass bisher nur 30 Anträge von Kaufinteressenten abgelehnt wurden, weil sie das von der Kommission beanstandete Ortsansässigkeitserfordernis am 3. Oktober 1990 nicht erfüllten, hat diese in ihrer Mitteilung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (vgl. BTDrucks 14/1932), in dem die Naturschutzregelungen noch nicht enthalten waren, gefolgert, dass nur in geringem Umfang mit neuen Anträgen zu rechnen ist und daher die vorgesehene Ausweitung der Flächen für am 3. Oktober 1990 nicht ortsansässige Personen um 10 % ausreichend ist (vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission zur Staatlichen Beihilfe Nr. N 506/99 – Deutschland, Flächenerwerbsprogramm, vom 19. Januar 2000, Rn. 108 ff.). Die Antragsteller haben diese Einschätzung der Kommission nicht in Frage gestellt. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass sie auf einer Fehlbewertung des zu erwartenden Kaufinteresses von Bürgern aus den anderen EU-Mitgliedstaaten beruht. Durch die Einräumung von Erwerbsansprüchen an diesen Personenkreis werden daher die Erwerbschancen der Antragsteller keineswegs in dem Maße verringert, wie sie dies annehmen.
b) Ergeht die einstweilige Anordnung, bleibt eine Verfassungsbeschwerde aber später erfolglos, ergeben sich erhebliche Nachteile für das gemeine Wohl und für durch das Flächenerwerbsprogramm Begünstigte.
aa) Beim Erlass der einstweiligen Anordnung bleibt § 9 VermG vorläufig in Kraft. Die von der Restitution wegen redlichen Erwerbs Ausgeschlossenen können dann weiterhin Entschädigung durch Übereignung eines Ersatzgrundstücks verlangen. Zwar hat diese Vorschrift bisher kaum Bedeutung erlangt, weil die Gemeinden – von Einzelfällen abgesehen – geeignete Grundstücke nicht zur Verfügung gestellt haben (vgl. BTDrucks 14/1932, S. 9). Dies dürfte sich aber aufgrund der bereits dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ändern. Die danach gegebene Pflicht des Bundes, den Gemeinden den vollen Verkehrswert der Ersatzgrundstücke zu ersetzen, kann infolgedessen nach der unwidersprochen gebliebenen Einschätzung der Bundesregierung zu Belastungen des Bundeshaushalts in Milliardenhöhe führen (vgl. BTDrucks 14/1932, S. 9). Die Belastungen, die bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde entstünden, blieben auch bei deren Misserfolg bestehen, weil der die Aufhebung von § 9 VermG anordnende Art. 1 Nr. 2 VermRErgG nur mit Wirkung ex nunc in Kraft treten würde. Durch jede Verzögerung des Inkrafttretens entstehen dem Bund also zusätzliche Kosten.
bb) Auch das Interesse der Allgemeinheit an einer möglichst baldigen Wiederaufnahme der Verkäufe nach dem Flächenerwerbsprogramm würde bei einer Aufschiebung des Inkrafttretens des Vermögensrechtsergänzungsgesetzes nachhaltig betroffen.
Die Bundesregierung hat diese Verkäufe nach der partiellen Beanstandung des Flächenerwerbsprogramms durch die Kommission ausgesetzt (vgl. etwa Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. Dezember 1998). Der Verkaufsstopp dauert nach dem Vorbringen der Antragsteller noch an (vgl. auch Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31. Juli 2000). Die Kammer geht davon aus, dass die Bundesregierung mit dem Verkauf erst wieder beginnen wird, wenn das Vermögensrechtsergänzungsgesetz, mit dem den Beanstandungen der Kommission Rechnung getragen werden soll, in Kraft getreten ist. Im Hinblick darauf wäre der Erlass der einstweiligen Anordnung geeignet, den im Gemeinwohlinteresse liegenden zügigen Aufbau der Land- und Forstwirtschaft im Beitrittsgebiet (vgl. dazu BVerfGE 94, 334 ≪350 f.≫) weiter zu hemmen. Außerdem würde die in Art. 3 Nr. 1 Buchstabe g VermRErgG vorgesehene Bereitstellung von Flächen für Naturschutzzwecke, die überwiegend der Umsetzung europarechtlicher Verpflichtungen dient (vgl. BTDrucks 14/1932, S. 21 unter 8.; 14/3802 in der noch nicht gedruckten Fassung, S. 33), verzögert. Auch insoweit würden deshalb Allgemeinwohlbelange beeinträchtigt.
Von der Fortdauer des Verkaufsstopps wären aber auch nach § 3 AusglLeistG Erwerbsberechtigte, insbesondere die selbstwirtschaftenden Pächter, nachteilig betroffen. Dass auch deren Belange berücksichtigungsfähig sind, obwohl es sich nicht um Wiedergutmachungsberechtigte handelt, hat das Bundesverfassungsgericht bereits klargestellt (vgl. BVerfGE 94, 334 ≪349 f.≫). Für die künftig ebenfalls berechtigten Bürger aus den übrigen EU-Mitgliedstaaten kann nichts anderes gelten. Da diese, wie bereits dargelegt, land- und forstwirtschaftliche Flächen nur erwerben können, wenn sie einen Betrieb wieder oder neu einrichten und ortsansässig sind oder werden, werden auch sie zum strukturellen Neuaufbau der Land- und Forstwirtschaft in den neuen Ländern beitragen.
c) Werden die genannten Nachteile, die bei einer vollständigen oder partiellen Aufschiebung des Inkrafttretens des Vermögensrechtsergänzungsgesetzes drohen, mit den nachteiligen Folgen verglichen, die auf Seiten der Antragsteller eintreten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, ergibt sich, dass die Nachteile überwiegen, die sich ergäben, wenn diese Maßnahme erginge. Dem Antrag kann deshalb nicht stattgegeben werden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 565100 |
NJW 2000, 3047 |
NJW 2000, 3058 |
VIZ 2000, 592 |
ZAP-Ost 2000, 553 |
NJ 2000, 478 |