Verfahrensgang
Tenor
- Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 31. März 2003 – NotZ 39/02 –, der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 8. Oktober 2002 – Not. 2/2002 – und die Verfügung des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 18. März 2002 – 3835.I/0365-0370 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes; die Beschlüsse werden aufgehoben.
- Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
- Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Baden-Württemberg. Er hat sich erfolglos auf eine ausgeschriebene Anwaltsnotarstelle beworben. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet er sich gegen die herangezogenen Kriterien für die Bewerberauswahl.
I.
1. Die Bundesnotarordnung (BNotO) in der Fassung des Gesetzes vom 31. August 1998 (BGBl I S. 2585) unterscheidet zwischen Notaren in hauptberuflicher Amtsausübung (§ 3 Abs. 1) und solchen, die als Rechtsanwälte das Amt des Notars im Nebenberuf ausüben, den Anwaltsnotaren (§ 3 Abs. 2). In beiden Fällen werden gemäß § 4 BNotO nur so viele Notare bestellt, wie es den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspricht. Dabei werden das Bedürfnis nach einer angemessenen Versorgung Rechtsuchender mit notariellen Leistungen und die Wahrung einer geordneten Altersstruktur im Notarberuf berücksichtigt. Die geeigneten Bewerber sind gemäß § 6b Abs. 1 BNotO durch Ausschreibung zu ermitteln. Hinsichtlich der Eignung für das Amt des Notars bestimmt die Bundesnotarordnung:
§ 6
(1) Nur solche Bewerber sind zu Notaren zu bestellen, die nach ihrer Persönlichkeit und ihren Leistungen für das Amt des Notars geeignet sind …
(2) In den Fällen des § 3 Abs. 2 soll in der Regel als Notar nur bestellt werden, wer bei Ablauf der Bewerbungsfrist
1. mindestens fünf Jahre zur Rechtsanwaltschaft zugelassen war und
2. seit mindestens drei Jahren ohne Unterbrechung in dem in Aussicht genommenen Amtsbereich hauptberuflich als Rechtsanwalt tätig ist.
(3) Die Reihenfolge bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Bewerbern richtet sich nach der persönlichen und fachlichen Eignung unter Berücksichtigung der die juristische Ausbildung abschließenden Staatsprüfung und der bei der Vorbereitung auf den Notarberuf gezeigten Leistungen. In den Fällen des § 3 Abs. 2 können insbesondere in den Notarberuf einführende Tätigkeiten und die erfolgreiche Teilnahme an freiwilligen Vorbereitungskursen, die von den beruflichen Organisationen veranstaltet werden, in die Bewertung einbezogen werden. …
2. Die Länder haben die Regelungen der Bundesnotarordnung durch Verwaltungsvorschriften ergänzt. In Baden-Württemberg bestimmt die Allgemeine Verfügung des Justizministeriums (AVNot) vom 10. September 1998 (Die Justiz, S. 561) zur Auswahl Folgendes:
I.
1. …
2. …
3. Die Reihenfolge bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Bewerbern richtet sich nach der persönlichen und der mit einer Punktzahl bewerteten fachlichen Eignung. Die Punktzahl wird nach der in Ziffer 4 wiedergegebenen Berechnungsweise bestimmt. Zum Notar wird im Regelfall der Bewerber mit der höchsten Punktzahl bestellt, sofern er nicht persönlich weniger geeignet erscheint als ein nachfolgender Bewerber. …
4. Die fachliche Eignung als Notar wird wie folgt bewertet.
a) Das Ergebnis (Punktzahl) der die juristische Ausbildung abschließenden Staatsprüfung wird mit dem Faktor 6 multipliziert. Bei Errechnung der Punktzahl ist vorerst eine Bewertung zugrunde zu legen, die der in Baden-Württemberg bis zur Herbstprüfung 1982 angewandten 15-Punkte-Skala entspricht. Ab einem geeigneten späteren Zeitpunkt wird dann die Benotung nach der 18-Punkte-Skala und dem Faktor 5 berücksichtigt.
b) Die Dauer der hauptberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt wird mit 0,25 Punkten je angefangenem Monat, insgesamt maximal mit 45 Punkten bewertet. …
c) Die erfolgreiche Teilnahme an notarspezifischen Fortbildungskursen beruflicher Organisationen wird mit 0,5 Punkten für jeden besuchten Halbtag, insgesamt maximal mit 45 Punkten bewertet. …
d) Von dem Bewerber in den letzten 10 Jahren vor dem Ende der Bewerbungsfrist beurkundete Niederschriften nach §§ 8, 36, 38 Beurkundungsgesetz werden jeweils mit 0,1 Punkten, Niederschriften, die innerhalb der letzten drei Jahre während einer Vertreterbestellung oder Notariatsverwaltung mit einer ununterbrochenen Dauer von mindestens zwei Wochen errichtet wurden, mit jeweils 0,2 Punkten, insgesamt maximal mit 20 Punkten bewertet. …
e) Die Summe der nach lit. c und d anrechenbaren Punkte beträgt maximal 45 Punkte.
f) Im Rahmen der Gesamtentscheidung können in Ausnahmefällen bis zu 10 weitere Punkte hinzugerechnet werden, wenn Umstände, die den Bewerber für das Amt des Notars in ganz besonderer Weise qualifizieren, dies erfordern, um die fachliche Eignung des Bewerbers zutreffend zu kennzeichnen.
g) …
5. …
6. …
Aus den Ausführungsbestimmungen ergibt sich, dass im Auswahlverfahren – ohne Berücksichtigung von Zusatzpunkten – eine Höchstzahl von 180 Punkten erreicht werden kann. Hiervon entfallen bis zu 90 Punkte auf die Examensnote, bis zu 45 Punkte auf die Dauer der hauptberuflichen Rechtsanwaltstätigkeit sowie bis zu 45 Punkte auf notarspezifische Fortbildung; von Letzterer können bis zu 20 Punkte auch durch Niederschriften im Rahmen von Notarvertretungen und Notariatsverwaltungen ersetzt werden.
II.
Der 1960 geborene Beschwerdeführer ist seit 1989 Rechtsanwalt in Baden-Württemberg. Im Jahre 2001 bewarb er sich auf eine von insgesamt sechs ausgeschriebenen Stellen für Anwaltsnotare im Bezirk des Amtsgerichts Stuttgart.
Mit dem angegriffenen Bescheid vom 18. März 2002 wurde ihm mitgeteilt, dass seine Bewerbung nicht berücksichtigt werden könne. Die fachliche Eignung des Beschwerdeführers als Notar war auf der Grundlage der AVNot bewertet worden. Dabei erhielt der Beschwerdeführer für seine Zweite Juristische Staatsprüfung mit 8,16 Punkten unter Berücksichtigung des Faktors 5 40,8 Punkte, für seine Anwaltstätigkeit 37 Punkte und für Fortbildung und Beurkundungen 45 Punkte, mithin insgesamt 122,8 Punkte. Er nahm damit den 9. Platz auf der Rangliste ein. Die ausgewählten Bewerber erreichten eine Gesamtpunktzahl zwischen 125 und 137. Sie haben alle weitaus weniger berücksichtigungsfähige Beurkundungen vorgenommen.
Der Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung ist durch den ebenfalls angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Oktober 2002 zurückgewiesen worden. Die in der AVNot festgelegten Kriterien seien nicht zu beanstanden, und die dort vorgenommene Differenzierung erscheine insgesamt sachgerecht. Insbesondere sei das Ergebnis der Zweiten Staatsprüfung auch dann von erheblicher Aussagekraft für die Eignung des Bewerbers, wenn das Examen längere Zeit zurückliege. Die Examensnote sei auch nicht allein ausschlaggebend, vielmehr komme den anderen Eignungsparametern (Rechtsanwaltstätigkeit, Vorbereitung für den Anwaltsnotarberuf) ebenfalls eine angemessene Bedeutung zu. Es sei auch nicht geboten, die Relevanz der notarspezifischen Berufsvorbereitung anders zu gewichten, da diese in der AVNot sachgerecht bewertet und auch limitiert werde.
Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 31. März 2003 zurückgewiesen. Dem Ergebnis des Zweiten Juristischen Staatsexamens komme eine besondere Aussagekraft beim fachlichen Vergleich zu, und die auf die berufliche Tätigkeit nach der Zweiten Juristischen Staatsprüfung bezogenen Kriterien ließen den Bewerbern mit etwas schlechteren Prüfungsergebnissen die Chance, das Notaramt in Konkurrenz zu Prüfungsbesseren zu erlangen. Die erfolgreiche Teilnahme an Vorbereitungskursen dürfe in die Bewertung einbezogen werden, auch wenn die Kursteilnehmer den Abschlusstest in der Regel bereits bestünden, wenn sie dem Vortrag des Lehrstoffes aufmerksam folgten. Der Gesetzgeber habe kein Drittes Staatsexamen schaffen wollen.
III.
Der Beschwerdeführer hat am 10. April 2003, als der angegriffene Beschluss des Bundesgerichtshofs zwar verkündet, schriftlich aber noch nicht begründet worden war, Verfassungsbeschwerde erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
1. Er hatte das Justizministerium vergeblich gebeten, bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Eilantrag eine der ausgeschriebenen Anwaltsnotarstellen freizuhalten. Das Justizministerium teilte ihm mit, es werde angesichts der – infolge der verkündeten Entscheidung des Bundesgerichtshofs – eingetretenen Rechtskraft mit der Besetzung der Stellen nicht länger zuwarten. Noch am Tage des Eingangs der Verfassungsbeschwerde entschied das Bundesverfassungsgericht über die einstweilige Anordnung. Der Beschluss wurde am selben Tag mit Fax übermittelt. Es wurde dem Justizministerium Baden-Württemberg aufgegeben, eine Anwaltsnotarstelle im Bezirk des Amtsgerichts Stuttgart bis zum Ablauf der Begründungsfrist für die vorab eingelegte Verfassungsbeschwerde freizuhalten. Am selben Tag wurden auch die Ernennungsurkunden an fünf Bewerber ausgehändigt. Einen Tag später, am 11. April 2003, erhielt der sechste Bewerber seine Urkunde.
2. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 2 GG durch die angegriffenen Entscheidungen. Er ist der Ansicht, dass trotz der Besetzung aller sechs im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Notarstellen für ihn weiterhin ein Rechtsschutzinteresse bestehe. In der Sache dürfe das Anwaltsdienstalter als Auswahlkriterium nicht herangezogen werden, da sich Eignung, Befähigung und fachliche Leistung danach nicht bewerten ließen; es könne allenfalls Hilfskriterium sein. Die einzige berufsspezifische Qualifikation, die eigene berufsnahe Erfahrung, werde bei den Auswahlkriterien vollständig ausgeblendet, da Urkundspunkte ohne weiteres durch die Teilnahme an Vorbereitungskursen vollständig kompensiert werden könnten. Er habe in dem Zeitraum von 10 Jahren vor der Bewerbung weit über 3.000 qualifizierte Urkunden erstellt. Darüber hinaus erscheine es nach langjähriger Berufsausübung sachwidrig, auf das Ergebnis der lange zurückliegenden Zweiten Staatsprüfung mit besonderem Gewicht abzustellen.
IV.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben Stellung genommen das Justizministerium Baden-Württemberg, die Bundesnotarkammer, der Deutsche Notarverein, der Deutsche AnwaltVerein und die Bundesrechtsanwaltskammer.
Entscheidungsgründe
B.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung eines der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet im Sinne dieser Vorschrift.
I.
Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass die ausgeschriebenen Notarstellen, auf die der Beschwerdeführer sich beworben hat, seitens des Justizministeriums sämtlich besetzt worden sind. Dem Beschwerdeführer fehlt für sein Begehren, das auf Feststellung der Verfassungsverletzung und auf Neubescheidung seiner Bewerbung oder – im Falle der Unmöglichkeit – auf Schadensersatz gerichtet ist, nicht das Rechtsschutzinteresse. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit den zu wahrenden Grundrechten des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG erlauben die Weiterverfolgung des Bewerbungsverfahrens im Wege der Verfassungsbeschwerde, da das Justizministerium eine verfassungsgerichtliche einstweilige Anordnung nicht beachtet hat.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu mit Beschluss des Ersten Senats vom 20. April 2004 in den Verfahren 1 BvR 838/01 und andere die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen entschieden (vgl. NJW 2004, S. 1935).
Zwar genügen die in § 6 BNotO normierten Auswahlmaßstäbe den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG unter Berücksichtigung der mit dem öffentlichen Amt der Notare verbundenen Besonderheiten aus Art. 33 Abs. 2 GG. Ihre Anwendung durch das Justizministerium Baden-Württemberg, konkretisiert in der AVNot, verfehlt jedoch die um der verfassungsrechtlich gewährleisteten Berufsfreiheit willen gebotene chancengleiche Bestenauslese zur Besetzung der freien Notarstellen.
1. Die in § 6 BNotO enthaltenen Auswahlkriterien sind genügend bestimmt und greifen nicht unangemessen in die Berufswahlfreiheit ein. Zum Schutz des wichtigen Gemeinschaftsgutes einer qualitätsvollen vorsorgenden Rechtspflege muss gewährleistet sein, dass im Auswahlverfahren zur Besetzung von Notarstellen derjenige zum Zuge kommt, der den Anforderungen des Amtes am ehesten entspricht. Bei der Auswahl von Anwaltsnotaren ist hierfür neben dem Ergebnis des die Ausbildung abschließenden Examens eine angemessene Berücksichtigung solcher Kenntnisse und Fähigkeiten, welche sich speziell auf das Amt und damit auf den Zweitberuf beziehen, nicht nur vom Gesetz ermöglicht, sondern auch rechtlich geboten.
2. Auslegung und Anwendung der Normen der Bundesnotarordnung in den angegriffenen Entscheidungen genügen nicht den verfassungsrechtlichen Erfordernissen.
a) Im durch die AVNot gesteuerten Auswahlverfahren kommt der spezifischen fachlichen Eignung für das Amt des Notars im Verhältnis zur allgemeinen Befähigung für juristische Berufe und zu den Erfahrungen aus dem Anwaltsberuf eine derart untergeordnete Bedeutung zu, dass die ablehnende Auswahlentscheidung, die sich nach den Vorgaben der AVNot richtet, und die sie bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG nicht mehr vereinbar sind. Insoweit wird auf die Ausführungen im Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts verwiesen (NJW 2004, S. 1935 ≪1938 ff.≫); die Verwaltungspraxis in Baden-Württemberg weicht von den im Senatsbeschluss behandelten Handhabungen in anderen Bundesländern nicht wesentlich ab.
Nach der auch im vorliegenden Fall geübten Praxis des Justizministeriums und der Gerichte wird der benoteten und infolge der Multiplikation mit fünf weit gespreizten Leistungsbewertung des Staatsexamens keine ebenso leistungsbezogene Bewertung der in der Vorbereitung auf das Notaramt gezeigten fachlichen Leistungen zur Seite gestellt. Das Ungleichgewicht zwischen den beiden Merkmalen der Befähigung und der fachlichen Eignung ist Folge der Punktzahlbildung sowie der gemeinsamen Gruppenbildung für Fortbildung und praktische Bewährung. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass der Anwaltstätigkeit für die spezifische Eignungsprognose dasselbe Gewicht zukommt wie Fortbildung und praktischer Bewährung zusammen.
Das Gewicht der praktischen Erfahrung durch selbstverantwortete eigene Beurkundungstätigkeiten ist auf 20 Punkte gekappt; diese Punktzahl erzielt man in Baden-Württemberg mit 200 Urkunden oder weniger. Hinzu tritt die gemeinsame Kappungsgrenze für den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen und die notarielle Praxis, die im Ergebnis die praktische Einarbeitung als ersetzbar kennzeichnet, weil die Höchstpunktzahl auch ohne jede Praxis erreicht werden kann. Insoweit wird ein erhebliches Defizit an fachbezogener beruflicher Praxis als möglich in Kauf genommen. Auch die Vorbereitungskurse, an denen nach dem Wortlaut von § 6 Abs. 3 Satz 2 BNotO der Bewerber erfolgreich teilgenommen haben muss, unterliegen keiner wirklichen Leistungskontrolle und Benotung.
Die Vorgaben in der AVNot Baden-Württemberg stehen damit in Widerspruch zu den aus Art. 33 Abs. 2 GG abzuleitenden Grundsätzen für Auswahlentscheidungen beim Zugang zu einem öffentlichen Amt, weil sie nicht auf hinreichend aussagekräftigen fachlichen Beurteilungsgrundlagen beruhen. Die Auswahlvorkehrungen müssen geeignet sein, auf der Basis einer amtsangemessenen allgemeinen juristischen Befähigung die fachlich besten Bewerber zu ermitteln. Allein dieses Ziel rechtfertigt die Einschränkungen beim Berufszugang.
b) Auch die angegriffenen Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht.
Zwar haben alle berücksichtigten Bewerber, wie der Beschwerdeführer, in dem Bereich “Fortbildung/Beurkundungen” die Höchstzahl von 45 Punkten erreicht, doch hat allein der Beschwerdeführer, der im Rahmen von Notarvertretungen weit über 3.000 Beurkundungen vorgenommen hat, die hierfür vorgesehene Kappungsgrenze von 20 Punkten (um wenigstens 280 Punkte) überschritten. Die erfolgreichen Konkurrenten weisen demgegenüber Urkundspunkte von 0,00 bis 16,90 auf. Dem auf Rang 6 plazierten Rechtsanwalt wurden nur 141 Beurkundungen mit 14,10 Urkundspunkten angerechnet. Weitere 118 Beurkundungen lagen zu lange zurück, teilweise sogar vor Absolvierung des notariellen Grundkurses. Beide Bewerber hatten allein für den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen schon 45 Punkte erreicht. Im Zweiten Staatexamen hat der Bewerber auf Rang 6 mit 7,00 Punkten um 1,16 Punkte schlechter abgeschnitten als der Beschwerdeführer; im Gegensatz zu diesem hat er aber für die Dauer seiner Rechtsanwaltstätigkeit die Höchstpunktzahl erreicht; er ist seit 1975 Rechtsanwalt. Damit ist dem Beschwerdeführer mit dem besseren Staatsexamen und viel größerer praktischer Erfahrung im Notariat der “dienstältere” Rechtsanwalt vorgezogen worden. Gerade das Anciennitätsprinzip sollte aber durch die Neuregelung beendet werden.
Eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Auswahl wird die für den Notarberuf wesentlichen Eigenschaften, also die allgemeine fachliche Eignung der Bewerber, ebenso differenziert zu bewerten haben wie die von ihnen in der Vorbereitung auf das angestrebte Amt gezeigten theoretischen und praktischen Kenntnisse. Solange weder die erworbenen theoretischen Kenntnisse der Bewerber um ein Anwaltsnotariat noch deren praktische Erfahrungen, insbesondere bei den Beurkundungen, bewertet sind, wird in Abwägung zu den weiterhin berücksichtigungsfähigen Leistungen aus der die Ausbildung abschließenden Prüfung eine individuelle Prognose über die Eignung des Bewerbers im weiteren Sinne zu treffen sein. Dabei kommt den beiden genannten spezifischen Eignungskriterien im Verhältnis zur Anwaltspraxis und dem Ergebnis des Staatsexamens eigenständiges Gewicht zu.
3. Es ist nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer bei einer solchen Neubewertung im Ausgangsverfahren Erfolg haben kann. Es könnte sich erweisen, dass er der besser geeignete Bewerber im Verhältnis zu einem ihm vorgezogenen Bewerber war. Zur Beantwortung dieser Frage wird die Sache gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG unter Aufhebung der angegriffenen Gerichtsentscheidungen an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
III.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a BVerfGG.
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 1248462 |
NJW 2005, 50 |
AnwBl 2004, 723 |