Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 20.02.2008; Aktenzeichen 2 StR 39/08) |
LG Marburg (Urteil vom 17.08.2007; Aktenzeichen 1 KLs 4 Js 8581/06) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das aus dem Grundsatz der Verfahrensfairness folgende Recht eines Beschuldigten auf unmittelbare und konfrontative Befragung von Belastungszeugen.
I.
1. Der vielfach vorbestrafte Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landgerichts Marburg vom 17. August 2007 wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Gericht ordnete neben der Freiheitsstrafe die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Die Kammer sah es unter anderem als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer den Zeugen A. mit solcher Wucht ins Gesicht geschlagen hatte, dass dieser sofort bewusstlos wurde und – zu Boden gehend – heftig mit dem Kopf aufschlug. Der Beschwerdeführer habe sodann noch mehrmals auf den am Boden liegenden A. eingetreten und ihn dabei mit dem beschuhten Fuß insbesondere im Gesichtsbereich getroffen. Der Zeuge A. habe hierdurch erhebliche Verletzungen, insbesondere im Bereich des Kopfes erlitten.
Ihre Überzeugung vom Tathergang und der Täterschaft des Beschwerdeführers stützte die Kammer vor allem auf die Aussagen der Zeugen A., J. und J. sowie auf die am Tatort vorgefundenen Spuren. Ergänzend griff die Strafkammer auf die Bekundungen zweier anonymer, von dem zuständigen Justizministerium gesperrter Zeugen zurück. Diese Aussagen waren durch die Vernehmung polizeilicher Verhörspersonen in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Weder der Beschwerdeführer noch die Verteidigung hatten Gelegenheit, die beiden gesperrten Zeugen unmittelbar zu befragen und Vorhalte zu machen.
2. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Beschwerdeführers verwarf der Bundesgerichtshof auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet.
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Wenn das Landgericht Marburg die Überzeugung von seiner Täterschaft auf die Aussagen der Zeugen A., J. und J. stütze, so handele es sich hierbei in Wahrheit um eine bloße Vermutung. Keiner der genannten Zeugen habe mit Sicherheit sagen können, dass er – der Beschwerdeführer – und nicht etwa einer seiner Begleiter den Zeugen A. verletzt habe. Insbesondere habe keiner der drei Zeugen gesehen, wie er dem A. gegen den Kopf getreten habe. Dabei seien diese Tritte doch offensichtlich ausschlaggebend für die Verhängung der Sicherungsverwahrung gewesen. Tatsächlich beruhe seine Verurteilung demnach entgegen den Behauptungen des Gerichts maßgeblich auf den Aussagen der beiden anonymen Zeugen, obwohl deren Angaben allenfalls zur Abrundung des Beweisbildes hätten berücksichtigt werden dürfen. Es sei aus rechtsstaatlicher Sicht nicht hinnehmbar, dass er zu einer langen Freiheitsstrafe und zur Sicherungsverwahrung verurteilt werde, ohne zuvor die Möglichkeit gehabt zu haben, die Hauptbelastungszeugen in seiner Gegenwart direkt zu befragen. Wenn die beiden anonymen Zeugen durch das Gericht schon nicht als „normale” Zeugen vernommen worden seien, so sei es doch völlig unverständlich, warum sie nicht wenigstens unter akustischer und optischer Abschirmung vernommen worden seien, zumal eine solche Vernehmung unter Beteiligung seines Verteidigers in seiner – des Beschwerdeführers – Abwesenheit hätte stattfinden können. Die Verwertung der Aussagen der anonymen Zeugen stehe somit im Widerspruch sowohl zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, weil die maßgeblichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt sind (vgl. BVerfGE 57, 250; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Januar 2009 – 2 BvR 2044/07 –, juris; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. April 1991 – 2 BvR 196/91 –, NJW 1992, S. 168; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juli 1995 – 2 BvR 1142/93 –, NJW 1996, S. 448; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. August 1996 – 2 BvR 1304/96 –, NJW 1997, S. 999; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2000 – 2 BvR 591/00 –, NJW 2001, S. 2245; BVerfGK 4, 72). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte nicht angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫; 96, 245 ≪248 ff.≫); denn sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1. Es kann dahinstehen, ob die Verfassungsbeschwerde in Ermangelung einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Begründung bereits unzulässig ist, denn sie ist jedenfalls unbegründet.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen verfassungsmäßigen Rechten.
a) Prüfungsmaßstab ist hier das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet dieses Recht dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪111≫). Aus dem Gebot der Verfahrensfairness folgt unter anderem ein Anspruch des Beschuldigten auf materielle Beweisteilhabe, also auf Zugang zu den Quellen der Sachverhaltsfeststellung (vgl. BVerfGK 4, 72 ≪75≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2000 – 2 BvR 591/00 –, NJW 2001, S. 2245 ≪2246≫).
Die Bestimmung der verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen, die dem Beschuldigten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens im Einzelnen einzuräumen und die Festlegung, wie diese auszugestalten sind, ist indes in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann – in den vom Gesetz gezogenen Grenzen – den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht – auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte – ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde. Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege sowie die Belange eines effektiven Opfer- und Zeugenschutzes in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Januar 2009 – 2 BvR 2044/07 –, juris, Rn. 69 ff. mit zahlreichen Nachweisen).
b) Vor diesem Hintergrund und unter maßgeblicher Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 lit. d) EMRK (vgl. hierzu EGMR, StV 1997, S. 617 – van Mechelen gegen Niederlande –; NJW 2003, S. 2297 ≪2298≫ – N.F.B. gegen Deutschland –; NStZ 2007, S. 103 – Haas gegen Deutschland – sowie BGHSt 46, 93 ≪94 ff.≫; 51, 150 ≪154≫) hat der Bundesgerichtshof Leitlinien zur Handhabung des Beschuldigtenrechts auf konfrontative Befragung von Belastungszeugen und zur Verwertbarkeit nicht konfrontierter Aussagen bei der Urteilsfindung entwickelt, die sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen lassen:
Der Beschuldigte hat – als eine besondere Ausformung des Grundsatzes der Verfahrensfairness – ein Recht, Belastungszeugen unmittelbar zu befragen oder befragen zu lassen. Die Befragung des Zeugen hat dabei grundsätzlich, aber nicht zwingend in der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Beschuldigten zu erfolgen. Ist der Zeuge lediglich im Ermittlungsverfahren oder sonst außerhalb der Hauptverhandlung vernommen worden, muss dem Beschuldigten entweder zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium die Gelegenheit gegeben werden, den Zeugen selbst zu befragen, unter Umständen über seinen Verteidiger befragen zu lassen (vgl. BGHSt 51, 150 ≪154≫ m.w.N.). In bestimmten Fällen kann indes auf eine Konfrontation des Zeugen mit dem Angeklagten verzichtet werden, etwa aus Gründen des Zeugenschutzes oder wenn zu befürchten ist, dass der Zeuge in Gegenwart des Angeklagten nicht die Wahrheit sagen werde (vgl. BGHSt 46, 93 ≪96≫ m.w.N.). Allerdings muss die Justiz eine solche Einschränkung des Fragerechts durch andere Maßnahmen ausgleichen. Ein solcher Ausgleich kann etwa dadurch erfolgen, dass wenigstens der Verteidiger bei der Zeugenvernehmung anwesend sein und den Zeugen befragen kann oder dass dem Angeklagten die Gelegenheit gegeben wird, schriftlich Fragen an den Zeugen zu richten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 1993 – 2 StR 525/92 –, NStZ 1993, S. 292). Auch kann eine audiovisuelle Konfrontationsvernehmung nach § 247a StPO – gegebenenfalls unter optischer und akustischer Abschirmung – geboten sein, um eine Verletzung des Fairnessgebots zu vermeiden (vgl. BGHSt 45, 188 ≪190≫; 46, 93 ≪103≫; BGH, Beschluss vom 7. März 2007 – 1 StR 646/06 –, NStZ 2007, S. 477 ≪478≫ m.w.N.).
Selbst wenn der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt die Gelegenheit zur konfrontativen Befragung des Zeugen hatte, so verstößt dies aber nicht ohne weiteres gegen den Grundsatz der Verfahrensfairness. Entscheidend ist vielmehr, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung und -würdigung fair war (vgl. BGHSt 46, 93 ≪95≫). Bei der Prüfung, ob insgesamt ein faires Verfahren vorlag, kommt es auch darauf an, ob der Umstand, dass der Angeklagte keine Gelegenheit zur konfrontativen Befragung hatte, der Justiz zuzurechnen ist (vgl. BGHSt 51, 150 ≪155≫).
Ein Ausschluss des Fragerechts führt regelmäßig nicht zu einem Beweisverwertungsverbot im Hinblick auf die nicht konfrontierte Aussage. Vielmehr kann ein solches Defizit auch noch im Rahmen der abschließenden Beweiswürdigung ausgeglichen werden (vgl. BGHSt 46, 93 ≪104 f.≫). Für die tatrichterliche Beweiswürdigung bedeutet dies, dass der Beweiswert der Angaben eines nicht konfrontierten Zeugen äußerst sorgfältig und zurückhaltend gewürdigt werden müssen. Eine Verurteilung kann auf die Aussage eines nicht konfrontierten Zeugen regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden (vgl. BGHSt 46, 93 ≪106≫; 51, 150 ≪155≫ jeweils mit weiteren Nachweisen. Ausführlich auch Schädler, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, Art. 6 MRK, Rn. 51 ff.; Safferling, NStZ 2006, S. 75 ff.).
c) Diese Grundsätze genügen den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäben. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach entschieden, dass auch Bekundungen, die auf in der Hauptverhandlung nicht vernommene Gewährsleute zurückgehen, bei der Urteilsfindung berücksichtigt werden dürfen. Allerdings genügen solche Bekundungen hinsichtlich ihres Beweiswerts regelmäßig nicht für die richterliche Überzeugungsbildung, wenn sie nicht durch andere, nach der Überzeugung des Strafgerichts wichtige Gesichtspunkte und Beweisanzeichen bestätigt werden. Der Tatrichter muss sich dabei der Grenzen seiner Überzeugungsbildung stets bewusst sein, sie wahren und dies in den Urteilsgründen zum Ausdruck bringen. Gesteigerte Sorgfalt ist insoweit geboten, wenn Gewährspersonen – wie hier – nur deshalb nicht als Zeugen gehört werden können, weil die zuständige Behörde sich weigert, ihre Identität preiszugeben oder eine Aussagegenehmigung zu erteilen. Ein Beweisverbot, das den Willen und die Fähigkeit der Gerichte in Zweifel zöge, den genannten Grundsätzen der Beweiswürdigung den zutreffenden Stellenwert einzuräumen, ist von Verfassungs wegen hingegen regelmäßig nicht geboten (vgl. BVerfGE 57, 250 ≪283 ff.≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. April 1991 – 2 BvR 196/91 –, NJW 1992, S. 168; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juli 1995 – 2 BvR 1142/93 –, NJW 1996, S. 448 ≪449≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. August 1996 – 2 BvR 1304/96 –, NJW 1997, S. 999; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2000 – 2 BvR 591/00 –, NJW 2001, S. 2245 ≪2246≫).
d) Hiervon ausgehend begegnen die angegriffenen Entscheidungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Zwar hat das Landgericht Marburg in seiner Beweiswürdigung auch die Aussagen zweier anonymer Zeugen verwertet, die der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens selbst befragen oder über seinen Verteidiger befragen lassen konnte. Indes hat das Gericht die durch den Ausschluss des Fragerechts erfolgte Einschränkung der Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers – im Rahmen der Beweiswürdigung – angemessen kompensiert.
aa) Das Gericht hat seine Überzeugung vom Tathergang und der Täterschaft des Beschwerdeführers weder ausschließlich noch auch nur überwiegend auf die Bekundungen der anonymen nicht konfrontierten Zeugen gestützt. Vielmehr hat das Gericht seine Überzeugung in erster Linie aus den Aussagen der Zeugen A..., J... und J... und den am Tatort vorgefundenen Spuren gewonnen, von denen selbst der Beschwerdeführer behauptet, sie begründeten „einen nicht unerheblichen Verdacht”, dass er der Täter gewesen sei. Lediglich ergänzend hierzu hat das Gericht die Aussagen der beiden anonymen Zeugen herangezogen.
Ob die Aussagen der Zeugen A..., J... und J... und die Tatortspuren – wovon das Landgericht Marburg offenbar ausgegangen ist – auch ohne Berücksichtigung der Aussagen der anonymen Zeugen für eine Verurteilung des Beschwerdeführers ausgereicht hätten, kann offen bleiben. Denn jedenfalls in einer Zusammenschau mit den Angaben der anonymen Zeugen rechtfertigen sie das von der Kammer gewonnene Beweisergebnis ohne weiteres.
Demgegenüber kann der Beschwerdeführer mit Erfolg nicht einwenden, die Aussagen der beiden anonymen Zeugen hätten aus Gründen der Verfahrensfairness allenfalls zur „Abrundung” des Beweisergebnisses, nicht aber als tragendes Element der Beweiswürdigung verwendet werden dürfen. Es gibt keinen Verfassungsrechtssatz, der besagt, dass bei der Verwendung von Aussagen nicht konfrontativ befragter Zeugen die Beweiswürdigung des Strafrichters in jedem Fall auch dann Bestand haben muss, wenn die Aussage des nicht konfrontierten Belastungszeugen hinweg gedacht wird. Dies zu verlangen käme der Annahme eines Verwertungsverbots nahe, das von Verfassungs wegen gerade nicht geboten ist.
bb) Das Gericht hat auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es sich des eingeschränkten Beweiswerts der beiden anonymen, nicht konfrontierten Zeugenaussagen bewusst war, und hat diese Aussagen eingehend und mit großer Sorgfalt gewürdigt. Insbesondere hat die Kammer die Aussagen der beiden Zeugen einer vergleichenden Betrachtung unterzogen und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Zeugenaussagen im Kern decken, was für ihre Glaubhaftigkeit spreche. Außerdem hat das Gericht sich mit der Entstehung der Aussagen und deren Plausibilität namentlich mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zum Tatzeitpunkt eingehend beschäftigt.
cc) Diese äußerst sorgsame Vorgehensweise des Gerichts im Rahmen der Beweiswürdigung lässt das Verfahren in seiner Gesamtheit – auch in Ansehung der Tatsache, dass letztlich die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers angeordnet wurde – als fair erscheinen.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Ausschluss des Fragerechts letztlich nicht auf ein Versäumnis des Gerichts zurückzuführen ist. Zu einer Konfrontation der beiden anonym gebliebenen Zeugen durch den Beschwerdeführer ist es nicht gekommen, weil sich das Justizministerium geweigert hatte, die Personalien der beiden Zeugen freizugeben. Zur Begründung haben die Behörden auf Zeugenschutzgesichtspunkte und die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege verwiesen. Den beiden Zeugen drohe bei wahrheitsgemäßer Aussage Gefahr für Leib oder Leben. Aus diesem Grund sei ihnen von den Strafverfolgungsbehörden Vertraulichkeit zugesichert worden. Wenn die Identität der Zeugen nun trotz dieser Vertraulichkeitszusage offenbart werde, so könne hierdurch das Vertrauen in derartige Zusagen der Strafverfolgungsbehörden insgesamt erschüttert werden. Der Einsatz von Vertrauenspersonen der Strafverfolgungsbehörden werde dann auf Dauer unmöglich gemacht. Der Gefahr für die Zeugen könne auch nicht durch Maßnahmen des Zeugenschutzes gemäß § 68 StPO entgegengewirkt werden. Diese Möglichkeiten seien ungeeignet, den Belangen von Zeugen Rechnung zu tragen, deren Identifizierung allein durch ihre Präsenz im Sitzungssaal gelingen könnte. Auch eine audiovisuelle Vernehmung gemäß § 247a StPO komme nicht in Betracht. Selbst bei Abschirmung der Zeugen könnten Sprachduktus, Mimik und Gestik zur Aufdeckung der Identität führen.
Diese Erwägungen sind nachvollziehbar und daher geeignet, die Sperrung der beiden Zeugen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu rechtfertigen. Es ist namentlich nicht zu beanstanden, wenn die Behörden davon ausgehen, die Sicherheit der Zeugen sei im Falle ihrer Identifizierung gefährdet. Der Beschwerdeführer ist wegen schwerer Gewaltdelikte vielfach vorbestraft; zuletzt wurde er wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Auch einige Angehörige des Beschwerdeführers, zu denen er enge familiäre Bindungen unterhält, haben offenbar bereits schwere Gewalttaten begangen und sind einschlägig vorbestraft. Die Möglichkeit, der Beschwerdeführer oder seine Angehörigen könnten versucht sein, die Zeugen zu beeinflussen oder Rache an ihnen zu nehmen, erscheint daher als nahe liegend. Auch soweit das Justizministerium ausführt, der Gefährdung könne durch Maßnahmen des Zeugenschutzes gemäß § 68 StPO nicht entgegengewirkt werden und auch im Falle einer audiovisuellen Vernehmung nach § 247a StPO könne ein wirksamer Zeugenschutz nicht gewährleistet werden, sind die der Auskunftsverweigerung zugrunde liegenden Erwägungen plausibel und verfassungsrechtlich unbedenklich.
Darüber hinaus begegnet es auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Strafverfolgungsbehörden zur Begründung darauf verweisen, dass das Vertrauen in Zusagen der Strafverfolgungsbehörden insgesamt erschüttert würde, wenn die Vertraulichkeitszusage gegenüber den Zeugen nicht eingehalten würde. Hierbei handelt es sich um Erwägungen, die die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege in den Blick nehmen und daher geeignet sind, das aus dem Fairnessgebot folgende Fragerecht des Beschuldigten zu begrenzen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Januar 2009 – 2 BvR 2044/07 –, juris, Rn. 69 ff.; auch EGMR (Große Kammer), Urteil vom 27. Oktober 2004 – Nrn. 39647/98 und 40461/98 – Edwards u. Lewis gegen Vereinigtes Königreich – abrufbar unter www.echr.coe.int).
Es liegt schließlich auch keine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das Landgericht Marburg vor. Das Gericht hat sich nachdrücklich um eine Freigabe der Personalien der beiden anonymen Zeugen bemüht und eine Entscheidung der obersten Dienstbehörde erwirkt. Dabei hat es angeboten, erforderlichenfalls Schutzvorkehrungen zugunsten der Zeugen nach § 172 GVG, § 247, § 68 Abs. 3, § 247a StPO zu treffen und diese bei der Vernehmung unkenntlich zu machen. Welche weiteren Aufklärungsmöglichkeiten das Gericht hätte wahrnehmen können und müssen, hat der Beschwerdeführer nicht aufgezeigt.
2. Von einer weiteren Begründung der Nichtannahmeentscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen
NJW 2010, 925 |
StV 2010, 337 |