Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Beschluss vom 12.01.2005; Aktenzeichen 12 UF 129/04) |
Tenor
Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 12. Januar 2005 – 12 UF 129/04 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes; er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in Schleswig zurückverwiesen.
Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Antrag der nach § 94 Absatz 3 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes anhörungsberechtigten Kindesmutter auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwältin Charlotte Spieler, Vinetaplatz 4, 24143 Kiel, wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine sorgerechtliche Entscheidung.
1. Der Beschwerdeführer ist Vater einer im Jahr 1999 geborenen Tochter und eines im Jahr 2001 geborenen Sohns, die beide aus der nichtehelichen Beziehung des Beschwerdeführers mit der Kindesmutter hervorgegangen sind. Die Kindesmutter ist zugleich Mutter von vier weiteren Kindern. Bis zum Frühjahr 2003 betreute der Beschwerdeführer alle sechs Kinder.
2. Nachdem die Kindeseltern sich im Jahr 2003 getrennt hatten, entzog das Amtsgericht mit Beschluss vom 23. Juni 2004 im Wege der einstweiligen Anordnung der bis dahin allein sorgeberechtigten Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie weitere Teile der elterlichen Sorge für deren sechs Kinder und übertrug sie dem Jugendamt der Stadt Kiel als Aufenthaltsbestimmungspfleger. Seither leben die beiden Kinder des Beschwerdeführers in einer Pflegefamilie.
3. Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers, mit der er die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für seine beiden Kinder auf sich beantragt hatte, wies das Oberlandesgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 12. Januar 2005 zurück. Grundsätzlich sei der Beschwerdeführer zwar in der Lage, die Kinder zu erziehen und zu versorgen. Der Verbleib der Kinder in der Pflegefamilie sei jedoch besser für das Kindeswohl. Den Kindern gehe es in der Pflegefamilie gut. Der Beschwerdeführer möge zwar durchaus in der Lage sein, normal entwickelte Kinder angemessen zu betreuen, die für seine in ihrer Entwicklung gestörten Kinder erforderliche besonders qualifizierte Betreuung und Förderung könne er nicht gewährleisten. Das Oberlandesgericht ließ die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nicht zu.
4. Mit der hiergegen und mittelbar gegen § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG. Entgegen dem Wortlaut des § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB sei darauf abzustellen, ob die Übertragung des Sorgerechts auf den Beschwerdeführer dem Kindeswohl nicht widerspreche. Wenn man wie das Oberlandesgericht darauf abstelle, welche Entscheidung dem Kindeswohl am besten entspreche, sei der verfassungsrechtlich gewährleistete Elternvorrang dahin. § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB sei im Wege der verfassungskonformen Auslegung an Satz 1 anzugleichen. Danach diene eine Sorgerechtsübertragung auf den Vater regelmäßig dem Kindeswohl, solange nicht konkret feststellbare Kindesinteressen der Übertragung widersprächen. Der Beschwerdeführer habe mit der Kindesmutter und den Kindern mehrere Jahre zusammengelebt. In einem solchen Fall sei nicht nachvollziehbar, weshalb bei einem Sorgerechtsentzug die Entscheidung darüber, ob eine positive oder negative Kindeswohlprüfung stattzufinden habe, davon abhänge, ob die Kindesmutter einmal gemäß § 1626 a BGB ihre Zustimmung zur Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts gegeben hätte. Die vom Gesetzgeber in § 1626 a BGB zugrunde gelegte Kooperationsbereitschaft der Kindeseltern habe ursprünglich auch zwischen dem Beschwerdeführer und der Kindesmutter bestanden, es sei lediglich nicht zu der Erklärung zwischen dem Beschwerdeführer und der Kindesmutter gekommen. Nach den Feststellungen des Jugendamts sei der Beschwerdeführer während der Dauer des Zusammenlebens mit der Kindesmutter der Garant für eine kontinuierliche Versorgung der Kinder gewesen. Das Oberlandesgericht begründe seine Auffassung nicht näher, wieso der Beschwerdeführer nicht in der Lage sein könnte, die in ihrer Entwicklung rückständigen Kinder adäquat zu versorgen.
5. Das Bundesverfassungsgericht hat gemäß § 94 Abs. 3 BVerfGG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Kindesmutter hat die angegriffene Entscheidung verteidigt und für das Verfassungsbeschwerdeverfahren die Gewährung von Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten beantragt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung sind gegeben (vgl. § 93 a Abs. 2 Buchstabe b, § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung und ist zulässig und begründet. Hingegen hat der Antrag der nach § 94 Abs. 3 BVerfGG anhörungsberechtigten Kindesmutter auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung einer Rechtsanwältin keinen Erfolg.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Kindesmutter hat der Beschwerdeführer auch den Rechtsweg erschöpft. So hat er einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt, dem das Oberlandesgericht nicht stattgegeben hat. Eine Nichtzulassungsbeschwerde findet nicht statt, wenn wie hier eine familienrechtliche Entscheidung nach § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vor dem 1. Januar 2007 verkündet, den Beteiligten zugestellt oder sonst bekannt gemacht worden ist (vgl. § 26 Nr. 9 EGZPO, § 621 e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Der Beschwerdeführer wird durch die angegriffene Entscheidung in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Soweit das Oberlandesgericht sinngemäß festgestellt hat, eine Sorgerechtsübertragung auf den Beschwerdeführer scheide trotz dessen grundsätzlicher Erziehungseignung aus, weil die Kinder in der Pflegefamilie eine bessere Förderung genössen, hat es die inhaltlichen Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 GG verkannt.
a) Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der angegriffenen Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass für die leiblichen Eltern die Trennung von ihrem Kind der stärkste vorstellbare Eingriff darstellt, der nur bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit dem Grundgesetz vereinbar ist (vgl. BVerfGE 60, 79; 79, 51 ≪60≫).
Zwar stellt das Kindeswohl in der Beziehung zum Kind die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung dar. Das bedeutet jedoch nicht, dass es zur Ausübung des Wächteramts des Staates nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG gehörte, gegen den Willen der Eltern für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen. Das Grundgesetz hat den Eltern zunächst die primäre Entscheidungszuständigkeit bezüglich der Förderung ihrer Kinder zugewiesen. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass Kinder durch den Entschluss der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden, die im Rahmen einer nach objektiven Maßstäben betriebenen Begabtenauslese vielleicht hätten vermieden werden können (vgl. BVerfGE 60, 79 ≪94≫; stRspr).
b) Diese Erwägungen werden durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 2003 – 1 BvL 20/99, 1 BvR 933/01 – über die grundsätzliche Zuweisung der elterlichen Sorge für nichteheliche Kinder zur Kindesmutter nicht in Frage gestellt (vgl. insbesondere BVerfGE 107, 150 ≪169 ff.≫). Danach beruht die durch § 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB den Eltern eines nichtehelichen Kindes eröffnete Möglichkeit zur gemeinsamen Sorgetragung auf einem Regelungskonzept für die elterliche Sorge, das unter Kindeswohlgesichtspunkten den Konsens der Eltern über die gemeinsame Sorgetragung zu deren Voraussetzung macht. Das Bundesverfassungsgericht hat zumindest zum Zeitpunkt seiner Entscheidung keine Anhaltspunkte gesehen, dass damit dem Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art. 6 Abs. 2 GG nicht hinreichend Rechnung getragen wird. Es hat auch nicht beanstandet, dass der Gesetzgeber in dem Fall einer fehlenden gemeinsamen Sorgerechtserklärung grundsätzlich der Mutter die elterliche Sorge zuweist (vgl. BVerfGE 107, 150 ≪169 ff.≫). Diese Entscheidung hat damit eine Klärung von Fragen nach dem Ausgleich der elterlichen Rechte in Konfliktsituationen zwischen den Eltern herbeigeführt. Sie lässt jedoch zugleich den Stellenwert des Elternrechts des bislang nichtsorgeberechtigten Kindesvaters für den Fall unberührt, dass der Kindesmutter die alleinige elterliche Sorge entzogen worden ist.
c) Der vorliegende Sachverhalt ist auch nicht mit der Fallkonstellation vergleichbar, die der Entscheidung der Dritten Kammer des Ersten Senats vom 23. April 2003 – 1 BvR 1248/99 – zugrunde lag (vgl. BVerfGK 1, 117-119). Im Rahmen dieser Entscheidung hat die Kammer keine Zweifel an der Verfassungskonformität der gesetzlichen Regelungen der § 1626 a, § 1672 Abs. 1 BGB gehabt. Die Kammer hat dabei darauf hingewiesen, dass ein Sorgerechtswechsel – anders als die gemeinsame Sorge beider Eltern – nicht zur Verfestigung der Beziehungen des Kindes zu beiden Elternteilen beitragen kann, sondern die bisherige Sorgetragung eines Elternteils durch die des anderen ersetzt. Es ist danach nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber mit § 1672 Abs. 1 BGB für eine solche Änderung zur Voraussetzung macht, dass die Übertragung der Alleinsorge dem Kindeswohl dient (vgl. BVerfGK 1, 117 ≪119≫).
Diese Erwägungen sind auf den vorliegenden Sachverhalt schon deshalb nicht übertragbar, als hier kein Wechsel des Sorgerechts zwischen den Elternteilen stattfindet, sondern die elterliche Sorge der Kindesmutter weitgehend entzogen worden ist. Anders als bei der Entscheidung BVerfGK 1, 117 ff. wird bei einer Gesamtbetrachtung der Umfang der elterlichen Sorge vorliegend reduziert.
d) Soweit die elterliche Sorge, wie in diesem Verfahren, ursprünglich der Mutter gemäß § 1626 a BGB allein zustand, ist eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater dem Wortlaut des § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB zufolge allerdings nur zulässig, wenn dies dem Wohl des Kindes dient.
Das Elternrecht des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet jedoch, die Vorschrift des § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB in einer Weise auszulegen, die der primären Entscheidungszuständigkeit der leiblichen Eltern gerecht wird. Wenn ein nach § 1626 a BGB nichtsorgeberechtigter Vater, wie hier der Beschwerdeführer, über einen längeren Zeitraum die elterliche Sorge für die Kinder zwar nicht in rechtlicher, aber in tatsächlicher Hinsicht wahrgenommen hat, ist es daher nach Art. 6 Abs. 2 BGB geboten, die Vorschrift dahingehend auszulegen, dass eine Sorgerechtsübertragung nach § 1680 Abs. 2 Satz 2 GG auf den Vater regelmäßig dem Kindeswohl dient, solange nicht konkret feststellbare Kindesinteressen der Übertragung widersprechen (vgl. beispielsweise Coester in Staudinger, BGB, Dreizehnte Bearbeitung 2000, § 1680, Rn. 14).
Der Gesetzesbegründung zufolge sollte die Formulierung des § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB den Familiengerichten wegen der Vielzahl von denkbaren Einzelfallkonstellationen die Möglichkeit eröffnen, eine dem Kindeswohl dienliche Entscheidung zu treffen (vgl. BTDrucks 13/4899, S. 103, 102). Die Erwägungen der Gesetzesbegründung zu § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB, dass in Fällen, in denen Eltern nichtehelicher Kinder keine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben haben, der Vater vielfach wenig oder gar keinen Kontakt zu seinen Kindern habe (vgl. BTDrucks 13/4899, S. 103, 102), treffen indes auf den Beschwerdeführer gerade nicht zu. Der Beschwerdeführer hat über längere Zeit nicht nur seine beiden eigenen Kinder, sondern alle sechs Kinder der Kindesmutter nahezu allein versorgt und betreut. Während dieser Zeitspanne der Kinderbetreuung durch den Beschwerdeführer sah das Jugendamt offenbar keinen Anlass, der Kindesmutter die alleinige elterliche Sorge entziehen zu lassen, wie sich aus dem Umstand ergibt, dass ein entsprechender Antrag erst nach der Trennung der Kindeseltern gestellt wurde. Die tatsächlich erfolgte Wahrnehmung elterlicher Verantwortung durch den Vater ist jedoch unter dem Gesichtspunkt einer grundsätzlich vorrangigen Entscheidungszuständigkeit der leiblichen Eltern zu berücksichtigen.
Dies hat das Oberlandesgericht in der angegriffenen Entscheidung verkannt. Es hat dabei nicht in Abrede gestellt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich in der Lage wäre, Kinder zu erziehen und zu versorgen. Soweit es den Verbleib der Kinder in der Pflegefamilie für besser für das Kindeswohl hält, verweist das Oberlandesgericht allerdings auf die dortigen besseren Fördermöglichkeiten für die Sprachentwicklung des Sohns. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, die hier erforderliche, besonders qualifizierte Betreuung und Förderung zu leisten. Bereits hierbei verkennt das Gericht jedoch die grundsätzlich vorrangige Erziehungsverantwortlichkeit des Beschwerdeführers. Insbesondere ist verfassungsrechtlich zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht bei der Beurteilung der Erziehungseignung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit die Möglichkeit einer Unterstützung des Beschwerdeführers durch öffentliche Stellen in Gestalt von logopädischen, therapeutischen und vergleichbaren Hilfen nicht erkennbar berücksichtigt hat.
Diese Verletzung des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG stellt für den Beschwerdeführer einen besonders schweren Nachteil dar, sodass die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen ist (vgl. § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
3. Die Voraussetzungen für die Bewilligung der von der nach § 94 Abs. 3 BVerfGG anhörungsberechtigten Kindesmutter beantragten Prozesskostenhilfe unter Beiordnung einer Rechtsanwältin liegen nicht vor, da die mit dem Gesuch vorgelegte anwaltliche Stellungnahme der Kindesmutter keinen relevanten Beitrag zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Verfassungsbeschwerde geleistet hat (vgl. BVerfGE 92, 122 ≪125≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1979243 |
NJW 2006, 1723 |
FamRZ 2006, 385 |
FPR 2007, 45 |