Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Beschluss vom 21.02.2002; Aktenzeichen 2 Ws 234/01) |
LG Heidelberg (Beschluss vom 24.07.2001; Aktenzeichen 7 StVK 108/01) |
Tenor
Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 21. Februar 2002 – 2 Ws 234/01 – und des Landgerichts Heidelberg vom 24. Juli 2001 – 7 StVK 108/01 – verletzen, soweit sie die Anträge des Beschwerdeführers betreffen, die Anstalt zu verpflichten, seiner Verteidigerin Einsicht in sämtliche Krankenunterlagen zu gewähren, hilfsweise, die Anstalt diesbezüglich zu erneuter Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten, den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden insoweit aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung an das Landgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Recht eines im Maßregelvollzug Untergebrachten auf Einsicht in seine Krankenunterlagen.
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde 1990 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt; gemäß § 63 StGB wurde seine Unterbringung im Maßregelvollzug angeordnet.
In dem psychiatrischen Krankenhaus, in dem der Beschwerdeführer sich aufgrund der Unterbringungsanordnung befindet, wurden dem Beschwerdeführer zuvor genehmigte Vollzugslockerungen (Ausgänge und Urlaube außerhalb des Geländes) im September 2000 widerrufen. Der Widerruf wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer sich unwillig gezeigt habe, sich mit den emotionalen Erlebnissen während der Beurlaubungen auseinanderzusetzen; es sei aufgrunddessen davon auszugehen, dass die therapeutischen Bemühungen der letzten Jahre an der Grundpersönlichkeit des Beschwerdeführers nichts zu ändern vermocht hätten. Die den Taten zugrundeliegende Persönlichkeitsstörung bestehe fort.
Wegen des Widerrufs der Lockerungen und um nachvollziehen zu können, unter welchen Voraussetzungen Lockerungen gewährt worden waren und inwieweit Therapieerfolge in den letzten Jahren verzeichnet werden konnten, sowie zur Einschätzung der Entlassungsprognose bat die Verteidigerin des Beschwerdeführers um Einsicht in die vollständigen Krankenunterlagen.
Die Klinik erklärte hierzu mit Schreiben vom 29. Dezember 2000, man könne nur die so genannten “harten Fakten” (objektive Befunde wie EEG, EKG, Labordaten) zur Verfügung stellen, nicht aber die in der Dokumentation enthaltenen subjektiven Einschätzungen, Arbeitshypothesen und diagnostischen Überlegungen, die auch auf das Verhalten anderer Patienten und auf interne Angelegenheiten des Hauses Bezug nähmen. Das Einsichtsrecht beziehe sich nur auf die für die jeweiligen gerichtlichen Verfahren bedeutsamen Vorgänge, die in den externen Gutachten und in den jährlichen Stellungnahmen der Klinik ausreichend dokumentiert seien.
2. Im gerichtlichen Verfahren zur jährlichen Überprüfung der Fortdauer der Maßregel ersuchte das Landgericht Heidelberg die Klinik im Januar 2001 um Vorlage sämtlicher Krankenunterlagen. Dies lehnte die Klinik mit Schreiben vom 19. März 2001 ab. Einer Herausgabe der Akten stünden Sicherheitsbedenken sowie die Interessen des behandelnden Personals entgegen. Die Dokumentation enthalte unter anderem Informationen zu Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomenen, die viel über die eigene Person des Therapeuten aussagten. Zudem sei es nicht zweckdienlich, dem Beschwerdeführer Zugang zu den Akten zu verschaffen, weil dieser sehr intelligent sei und daher aus den Akten Rückschlüsse auf die erwarteten Verhaltensweisen ziehen und sich diese aneignen könne, ohne dass sie seiner inneren Überzeugung entsprächen. Dadurch würde eine Beurteilung des Therapieerfolges unmöglich. Sollte das Gericht ein Akteneinsichtsrecht bejahen, so müssten die in der Akte enthaltenen subjektiven Wertungen von der Akteneinsicht ausgenommen werden, was jedoch wegen der Art der Aktenführung praktisch nicht bewerkstelligt werden könne.
3. Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin beim Landgericht Heidelberg, den seiner Prozessbevollmächtigten nachrichtlich übersandten “negativen Bescheid” vom 19. März 2001 aufzuheben, die Anstalt zu verpflichten, seiner Prozessbevollmächtigten Einsicht in sämtliche Krankenakten zu gewähren, sowie – hilfsweise – die Anstalt zur erneuten Entscheidung zu verpflichten.
Das Landgericht wies mit Beschluss vom 24. Juli 2001 den Antrag als unbegründet zurück. Zwar habe auch der in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachte grundsätzlich ein Recht auf Einsicht in die über ihn geführten Krankenunterlagen. Ebenso unbestritten sei in der Rechtsprechung jedoch, dass das Einsichtsrecht nicht unbeschränkt bestehe. So bleibe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Entscheidung, ob therapeutische Bedenken gegen eine uneingeschränkte Akteneinsicht bestünden, dem Arzt überlassen. Der Arzt müsse die entgegenstehenden Bedenken zwar nach Art und Richtung kennzeichnen; eine Verpflichtung, hierbei ins Detail zu gehen, bestehe aber nicht. Nach diesen rechtlichen Maßgaben, die auch das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss vom 16. September 1998 (NJW 1999, S. 1777) gebilligt habe, könnten angesichts der vorgebrachten Gegengründe weder der Beschwerdeführer noch seine Verteidigerin die Akteneinsicht beanspruchen.
4. Die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde verwarf das Oberlandesgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 21. Februar 2002. Soweit der Antrag des Beschwerdeführers sich auf die Aufhebung des “negativen Bescheids” der Klinik vom 19. März 2001 richtete, sei er bereits unzulässig gewesen, da Handlungen eines Verfahrensbeteiligten innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens keine nach § 109 StVollzG anfechtbaren Maßnahmen seien. Das auf Einsicht der Verteidigerin in die vollständigen Krankenunterlagen gerichtete Verpflichtungsbegehren sei unbegründet. Das Einsichtsrecht des Verteidigers gehe dem Umfang nach nicht über das dem Untergebrachten selbst zugestandene Einsichtsrecht hinaus. Das Einsichtsrecht eines nach § 63 StGB Untergebrachten in die ihn betreffenden Krankenunterlagen sei spezialgesetzlich nicht geregelt. § 185 StVollzG sei mangels ausdrücklicher Verweisung in § 138 Abs. 2 StVollzG auf den Maßregelvollzug nicht unmittelbar anwendbar. Ein Einsichtsrecht des Untergebrachten sei als Ausprägung des Rechts auf Selbstbestimmung und der personalen Würde (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) gewährleistet. Dieses Recht bestehe aber nicht unbeschränkt. Für den Bereich des privatärztlichen Behandlungsverhältnisses habe die Rechtsprechung – mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts – den Ärzten gerade im Rahmen der Psychiatrie und Psychotherapie einen therapeutischen Vorbehalt zugestanden. Auch im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Unterbringungsverhältnisses komme ein unbeschränkter Anspruch des Untergebrachten auf Einsicht in die Krankenunterlagen ohne Rücksicht auf öffentliche Belange und grundrechtlich geschützte Belange Dritter nicht in Betracht.
Für ein uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht bestehe auch kein zwingendes Bedürfnis. Soweit gerichtliche Entscheidungen, sei es über Lockerungen, sei es nach § 67e StGB, auf ärztliche Gutachten über den Untergebrachten gestützt werden, erfordere das Gutachten eine umfassende und in sich nachvollziehbare Darstellung des Erkenntnis- und Wertungsprozesses des Begutachtenden. Soweit subjektive Befunde für die Diagnose des Sachverständigen von Relevanz seien, müssten diese im Gutachten kenntlich gemacht werden, um dem Gericht eine Nachprüfung zu ermöglichen. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG gebiete es, dass auch der Verteidiger zu allen entscheidungs- und verfahrensrelevanten Tatsachen und Wertungen Stellung nehmen kann. Damit sei gewährleistet, dass er Einblick in die subjektiven Erhebungen insoweit erhalte, als sie Gegenstand eines Gutachtens sind, und dass er denselben Wissensstand wie das Gericht habe. Eine uneingeschränkte Pflicht zur Herausgabe der Krankenunterlagen könne sich auch im Ergebnis kontraproduktiv auswirken. Da eine Dokumentationspflicht hinsichtlich der subjektiven Befunde nicht bestehe, wäre bei Gewährung eines diesbezüglichen Einsichtsrechts der Verzicht des Therapeuten auf die im Interesse des Patienten wichtige Anfertigung schriftlicher Unterlagen, die er nicht nur für späteres Nachvollziehen seiner eigenen Erkenntnisse, sondern auch zur Kontrolle der Interaktion zwischen ihm selbst und seinem Patienten benötige, die unausweichliche Folge.
Gegen die im vorliegenden Fall erstrebte Akteneinsicht würden vornehmlich Sicherheitsbedenken geltend gemacht, die das Interesse des Beschwerdeführers an informationeller Selbstbestimmung überwögen. Denn es bestehe die Gefahr, dass der Beschwerdeführer sein Verhalten gezielt an den für eine positive Prognose vorausgesetzten Erwartungen ausrichte und dadurch Therapieerfolge vortäusche.
Mit dem angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts wurde neben der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 24. Juli 2001 auch die Rechtsbeschwerde in einem verbundenen anderen – den Widerruf der Lockerungen betreffenden – Verfahren als unbegründet verworfen. Insoweit war die Entscheidung des Oberlandesgerichts Gegenstand einer anderen Verfassungsbeschwerde, die nicht zur Entscheidung angenommen wurde (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Mai 2002 – 2 BvR 452/02 –).
II.
1. Mit seiner fristgemäß eingelegten Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 24. Juli 2001 sowie gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 21. Februar 2002.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Rechts auf Selbstbestimmung und personale Würde gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, seines Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG sowie seines Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Er macht geltend, dass der Maßregelvollzug ohne die beanspruchte Akteneinsicht nicht ausreichend transparent sei. Ohne vollständige Einsicht in die Krankenunterlagen sei in Prognosefragen – etwa bezüglich der Gewährung von Lockerungen, einer Entlassung oder der Verlegung in eine andere Einrichtung – eine Prüfung nicht möglich. Der Beschwerdeführer könne Äußerungen der Klinik nicht widerlegen, etwaige Widersprüche nicht aufzeigen und Therapiefortschritte nicht wirksam geltend machen. Dem Verteidiger müsse alles offengelegt werden, was für die Beurteilung der Prognosefrage wichtig sein könnte. Soweit im Rahmen zivilrechtlicher Verhältnisse ein sogenannter therapeutischer Vorbehalt anerkannt sei, könne dies jedenfalls im Maßregelvollzug nicht gelten. Die Anerkennung eines therapeutischen Vorbehalts würde demgegenüber das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung weitgehend leerlaufen lassen. Schützenswerte Interessen des behandelnden Arztes und der sonstigen Therapeuten könnten diesem Recht nicht entgegengehalten werden, und das Interesse des Untergebrachten an informationeller Selbstbestimmung dürfe auch den Schutzinteressen der Allgemeinheit nicht bedingungslos untergeordnet werden.
Der Beschwerdeführer beruft sich zudem auf die im Verfahren über eine andere von ihm eingelegte Verfassungsbeschwerde ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in welcher er darauf verwiesen worden war, dass sein Verteidiger im Vollstreckungsverfahren “nach Ansicht der Fachkommentare Einsicht in sämtliche Krankenunterlagen nehmen kann” (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2000 – 2 BvR 500/00 –).
2. Das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Entscheidungsgründe
B.
I.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde insoweit maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Soweit sie sich gegen die angegriffenen Entscheidungen auch insofern wendet, als diese den Antrag auf Aufhebung des “negativen Bescheids” der Klinik vom 19. März 2001 betreffen, ist sie mangels ausreichender Begründung unzulässig. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts hat die vom Beschwerdeführer eingelegte Rechtsbeschwerde insoweit als unzulässig zurückgewiesen. Hiergegen ist ein substantiierter Einwand mit der Verfassungsbeschwerde nicht erhoben worden.
II.
1. Soweit die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen wird, ist sie zulässig und in einem die Kammerzuständigkeit begründenden Sinne offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf – auch informationsbezogene – Selbstbestimmung und personale Würde gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
a) Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪43≫; 78, 77 ≪84≫; 80, 367 ≪373≫). Dieses Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet. Einschränkungen bedürfen aber einer gesetzlichen Grundlage und müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen; vor allem dürfen sie nicht weiter gehen als zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪44≫; 78, 77 ≪85≫).
Enthielte der anerkannte grundrechtliche Anspruch, über Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten grundsätzlich selbst zu entscheiden, einen seiner rechtlichen Natur nach gleichgearteten Anspruch auf Zugang zu über die eigene Person gespeicherten Daten, so läge in der Verweigerung oder Beschränkung des Zugangs zu solchen Daten ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, der in gleicher Weise wie Eingriffe durch Erhebung und Weitergabe solcher Daten nur auf der Grundlage eines dazu ermächtigenden Gesetzes zulässig wäre. Ob das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einen derartigen Anspruch des Einzelnen auf Information über seine persönlichen Daten umfasst, hat das Bundesverfassungsgericht bislang noch nicht entschieden. Aus der allgemeinen Umschreibung des Schutzbereichs dieses Grundrechts im – insoweit grundlegenden – Volkszählungsurteil (BVerfGE 65, 1 ≪43≫) lässt sich eine Antwort auf diese Frage nicht ohne weiteres ableiten (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2000 – 1 BvR 586, 673/90 –, DVBl 2001, S. 275).
Anerkannt ist jedoch, dass auch fehlender Zugang zum Wissen Dritter über die eigene Person die von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte individuelle Selbstbestimmung berühren kann (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪43≫), und dass daher das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung seinem Träger auch Rechtspositionen verschafft, die den Zugang zu den über ihn gespeicherten persönlichen Daten betreffen.
So hat das Bundesverfassungsgericht angenommen, dass der Anspruch des Einzelnen auf Information über die ihn betreffenden Eintragungen im Bundeszentralregister nicht nur aus § 42 Abs. 1 BZRG, sondern auch aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung folgt, dem diese einfachgesetzliche Bestimmung Rechnung trägt (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juli 1991 – 2 BvR 1570/89 –, JURIS).
Bezogen auf den Zugang zu Krankenunterlagen hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das Recht auf Selbstbestimmung und die personale Würde des Patienten (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG) es gebieten, jedem Patienten gegenüber seinem Arzt und Krankenhaus grundsätzlich einen Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen einzuräumen (Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. September 1998 – 1 BvR 1130/98 –, NJW 1999, S. 1777). Dieses Informationsrecht des Patienten ist zwar von Verfassungs wegen nicht ohne Einschränkungen gewährleistet (BVerfG, a.a.O., S. 1777 f., näher dazu unter b). Das ändert aber nichts daran, dass es seine Grundlage unmittelbar im grundrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht des Patienten hat und daher nur zurücktreten muss, wenn ihm entsprechend gewichtige Belange entgegenstehen.
Auch in der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Selbstbestimmungsrecht als Quelle von Schutzansprüchen anerkannt, die sich auf den Zugang zu persönlichen Daten beziehen, auch hier allerdings bislang nicht als Quelle eines umfassenden, nur durch Gesetz einschränkbaren Informationsanspruchs, sondern als Quelle jedenfalls eines Anspruchs auf Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der sich zu einem Informationsanspruch dann verdichtet, wenn keine mindestens gleich gewichtigen Belange entgegenstehen (vgl. BVerwGE 84, 375 ≪378 f., 381≫; für den Zugang zu Unterlagen über psychiatrische Behandlung BVerwGE 82, 45 ≪48 f.≫; BGHZ 106, 146 ≪148≫).
b) Bei der demnach notwendigen Abwägung kommt dem Informationsinteresse des Patienten grundsätzlich erhebliches Gewicht zu. Ärztliche Krankenunterlagen betreffen mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen den Patienten unmittelbar in seiner Privatsphäre (vgl. BVerfGE 32, 373 ≪379≫; 44, 353 ≪372≫; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. September 1998 – 1 BvR 1130/98 –, NJW 1999, S. 1777; Jorzig/Noltze, KHuR 2000, S. 136 ≪137≫). Deshalb und wegen der möglichen erheblichen Bedeutung der in solchen Unterlagen enthaltenen Informationen für selbstbestimmte Entscheidungen des Behandelten hat dieser generell ein geschütztes Interesse daran, zu erfahren, wie mit seiner Gesundheit umgegangen wurde, welche Daten sich dabei ergeben haben und wie man die weitere Entwicklung einschätzt (vgl. Hinne, NJW 2005, S. 2270 ff.; Deutsch, AcP 192 ≪1992≫, S. 161 ≪171≫). Dies gilt in gesteigertem Maße für Informationen über die psychische Verfassung (vgl. BVerfGE 89, 69 ≪82 ff.≫).
2. Diesen verfassungsrechtlichen Maßgaben werden die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts nicht gerecht.
a) Dabei kann die vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht entschiedene Frage, ob Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG dem Einzelnen ein nur durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes einschränkbares Recht auf Zugang zu den über ihn gespeicherten persönlichen Daten gewährleistet – mit der Folge, dass dem Beschwerdeführer der Zugang zu seinen Krankenunterlagen schon mangels einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage nicht verweigert werden könnte –, offenbleiben.
Eine Grundrechtsverletzung liegt auch dann vor, wenn unterstellt wird, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, was den Zugang zu für die personale Selbstbestimmung erheblichen Daten angeht, nur ein Recht auf abwägende Berücksichtigung des Informationsinteresses und folglich nur einen durch gegenläufige Belange von vornherein – unabhängig von gesetzlicher Regelung – eingeschränkten Anspruch auf Information umfasst. Denn auch in diesem Fall verlangt das Grundrecht eine Abwägung, in die die abwägungsrelevanten Belange des Beschwerdeführers mit dem ihnen von Verfassungs wegen zukommenden Gewicht eingestellt werden müssen. Ob die fachgerichtlichen Entscheidungen dieser Anforderung gerecht geworden sind, unterliegt der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Diese Prüfung fällt hier negativ aus.
b) Beide Gerichte haben nicht verkannt, dass das Informationsinteresse des Beschwerdeführers durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 GG grundrechtlich geschützt ist und nur nach Maßgabe einer Abwägung mit entgegenstehenden Gesichtspunkten zurückgestellt werden darf. Bei der vorgenommenen Abwägung haben sie jedoch, sowohl was das Gewicht des Informationsinteresses des Beschwerdeführers als auch was die Bedeutung der entgegenstehenden Belange angeht, verfassungsrechtlich wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen oder nicht hinreichend gewürdigt.
aa) Landgericht und Oberlandesgericht haben dem Antrag des Beschwerdeführers den Erfolg versagt unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die den Anspruch des Patienten auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen zunächst grundsätzlich auf sogenannte objektive Befunde beschränkt (vgl. BGHZ 85, 327 ≪329 ff.≫) und einen sogenannten therapeutischen Vorbehalt anerkannt hat, der es ermöglicht, einer erstrebten weitergehenden Einsichtnahme über eigene Rechte des Therapeuten und Rechte Dritter (vgl. BGHZ 85, 339 ≪342, 344≫) hinaus auch therapeutische Bedenken entgegenzuhalten (vgl. BGHZ 106, 146 ≪148 ff.≫). Ob diese Rechtsprechung, nicht zuletzt angesichts neuerer Entwicklungen und zwischenzeitlich veränderter Anschauungen, aus verfassungsrechtlicher Sicht der Weiterentwicklung in dem Sinne bedarf, dass die Persönlichkeitsrechte des Patienten höher gewichtet werden (vgl. Hinne, NJW 2005, S. 2270 ff.), kann offenbleiben; denn jedenfalls bietet sie für die angegriffenen Entscheidungen keine verfassungsrechtlich tragfähige Grundlage. Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, dass es hier nicht um ein privatrechtliches Arzt-Patienten-Verhältnis, sondern um die Reichweite des Informationsanspruchs eines im Maßregelvollzug Untergebrachten geht. Die angegriffenen Entscheidungen haben dies zwar erkannt, der grundrechtlichen Bedeutung dieser Besonderheit aber nicht hinreichend Rechnung getragen.
Der Untergebrachte kann seinen Arzt und andere Therapeuten nicht frei wählen. Er kann selbst dann nicht nach eigenem Wunsch in ein anderes Behandlungsverhältnis wechseln, wenn ihm jedes Vertrauen zum Therapeuten fehlt und nach seiner Wahrnehmung die Beziehung zerrüttet ist. Auch wo solche Einschätzungen rein subjektiven Charakter haben, ist unter diesen Bedingungen das Selbstbestimmungsrecht des Behandelten durch Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Teilen der eigenen Krankenunterlagen wesentlich intensiver berührt als in einem privatrechtlichen Behandlungsverhältnis, in dem der Betroffene – wie auch der Bundesgerichtshof hervorgehoben hat (BGHZ 85, 327 ≪329≫) – sein Selbstbestimmungsrecht dadurch ausüben kann, dass er sich aus dem Behandlungsverhältnis zurückzieht.
Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung, in der er für das privatrechtliche Arzt-Patienten-Verhältnis ein Akteneinsichtsrecht des Patienten bezüglich der objektiven Befunde anerkannt, es zugleich aber auf diese Befunde beschränkt hat, festgestellt, dass mit dem Recht des Arztes, nicht-objektive Befunde von der Akteneinsicht auszuschließen, eine gewisse Missbrauchsgefahr verbunden sei, die aber zunächst in Kauf genommen werden müsse (BGHZ 85, 327 ≪338≫). Dass eine solche Missbrauchsgefahr im Maßregelvollzug wesentlich schwerer wiegt, weil hier vom Inhalt und damit auch von der ordnungsgemäßen Führung der Krankenakten Entscheidungen über die Freiheit des Untergebrachten und über das Ausmaß der Freiheitsbeschränkungen im Vollzug abhängen können, haben die angegriffenen Entscheidungen nicht berücksichtigt.
Die grundrechtliche Gefährdungslage im Maßregelvollzug ist von derjenigen in privatrechtlichen Behandlungsverhältnissen fundamental verschieden. In einem Bereich, der wie der Maßregelvollzug – in einem gewissen Maße zwangsläufig – durch ein besonders hohes Machtgefälle zwischen den Beteiligten geprägt ist, sind die Grundrechte der Betroffenen naturgemäß besonderer Gefährdung ausgesetzt (vgl. Bernsmann, Maßregelvollzug und Grundgesetz, in: Blau/Kammeier, Straftäter in der Psychiatrie, 1984, S. 42 ≪151 ff.≫; Müller, Der Maßregelvollzug aus der Innenansicht eines Betroffenen, in: Blau/Kammeier, a.a.O., S. 107 ≪113 ff.≫; Lindemann, Die Sanktionierung unbotmäßigen Patientenverhaltens – Disziplinarische Aspekte des psychiatrischen Maßregelvollzuges, 2004, S. 68 ff.). Dies gilt auch in Bezug auf die Führung der Akten und den Zugang zu ihnen. Die Akteneinträge können in vielfältiger Weise Auswirkungen auf den Unterbringungsalltag haben (vgl. OLG Hamm, NStZ 2002, S. 615 ≪616≫). Sie sind als wesentlicher Teil der Tatsachengrundlage für künftige Vollzugs- und Vollstreckungsentscheidungen verfügbar (vgl. Rzepka, in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 2. Aufl. 2002, Rn. H 27). Von ihnen hängt sowohl die Ausgestaltung des Vollzugsalltags des Betroffenen und dessen Aussicht, einzelne Freiheiten oder seine Freiheit insgesamt wiederzuerlangen, nicht unwesentlich ab.
Vor diesem Hintergrund besteht an der Akteneinsicht im Maßregelvollzug auch deshalb ein besonders starkes verfassungsrechtlich geschütztes Interesse, weil der Betroffene ohne sie seinen Anspruch auf Löschung oder Berichtigung falscher Informationen gegenüber der die Informationen erhebenden und verarbeitenden Stelle nicht verwirklichen (vgl. BVerfGE 100, 313 ≪361≫, dort im Rahmen von Ausführungen zu Art. 10 GG; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. April 2001 – 1 BvR 1104/92, 1086/99 –, DVBl 2001, S. 1057 ≪1059≫; OLG Hamm, NStZ 2002, S. 615 ≪616≫) und sich nicht vergewissern kann, ob die Akten auch im Übrigen so geführt sind, dass seine grundrechtlichen Ansprüche in Bezug auf Behandlung und eventuelle Beendigung der Unterbringung nicht beeinträchtigt werden.
Der Zugang zu den in Krankenunterlagen enthaltenen Informationen hat zudem Bedeutung für die Effektivität des Rechtsschutzes in Vollzugs- und Vollstreckungsangelegenheiten (zur Bedeutung des Gesichtspunkts der Effektivität des Rechtsschutzes schon im Vorfeld potentieller Rechtsstreitigkeiten vgl. BVerfGE 65, 1 ≪70≫; 69, 1 ≪49≫; Albers, Informationelle Selbstbestimmung, 2005, S. 472). Auch dies erhöht das Gewicht des Informationsinteresses des Untergebrachten. Kriminalprognostische Gutachten, auf die sich Vollzugs- und Vollstreckungsentscheidungen stützen, müssen auf sorgfältiger Auswertung der Akten beruhen. Auch insoweit unterliegt die Qualität solcher Gutachten richterlicher Kontrolle im Rahmen der vom Richter selbst zu treffenden Prognoseentscheidung (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪164 f.≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 2005 – 2 BvR 983/04 –, JURIS, Rn. 15; OLG Koblenz, ZfStrVo 2003, S. 301 ≪302≫; zur Bedeutung sorgfältiger Aktenauswertung siehe auch Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 2000, S. 247 f.). In der Praxis weisen Gutachten aber gerade hinsichtlich der Auswertung der Akten häufig Mängel auf (vgl. Kröber, NStZ 1999, S. 593 ≪594, 598≫). Diesbezügliche Zweifel an der Qualität eines Gutachtens lassen sich nur bestätigen oder ausräumen, wenn die vollständigen Akten zum Vergleich herangezogen werden. Das Landgericht selbst war in einem vorausgegangenen Verfahren des Beschwerdeführers über die Fortdauer der Maßregel offenbar zunächst davon ausgegangen, dass es auf den Inhalt der Krankenakten ankommt; denn es hatte – allerdings vergeblich – um Vorlage dieser Akten gebeten.
Das erhebliche verfassungsrechtliche Gewicht, das dem Interesse eines Untergebrachten an den ihn betreffenden Krankenunterlagen angesichts dieser Sach- und Rechtslage zukommt, und die wesentlichen Unterschiede, die insoweit zum privatrechtlichen Arzt-Patienten-Verhältnis bestehen, haben die angegriffenen Entscheidungen ebensowenig gewürdigt wie den Umstand, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon im privatrechtlichen Arzt-Patienten-Verhältnis eine pauschale Beschränkung des Akteneinsichtsrechts auf sogenannte objektive Befunde nicht in Betracht kommt (Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. September 1998 – 1 BvR 1130/98 –, NJW 1999, S. 1777).
bb) Umgekehrt wurden bei der Würdigung entgegenstehender Interessen der behandelnden Therapeuten die rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte außer Acht gelassen, die für eine Nachrangigkeit dieser Interessen gegenüber dem grundrechtlich geschützten Informationsinteresse des Beschwerdeführers sprechen.
Soweit der Einsichtnahme des Untergebrachten in die über ihn geführte Krankenakte Persönlichkeitsrechte der Therapeuten deshalb entgegenstehen könnten, weil – wie im Ausgangsverfahren die Vollzugseinrichtung geltend gemacht hat – in den Akten Feststellungen zu Übertragungen und Gegenübertragungen dokumentiert sind, die viel über die Person des Therapeuten aussagen, kann diese Erwägung eine Beschränkung der Akteneinsicht auf die sogenannten objektiven Befunde schon deshalb nicht rechtfertigen, weil eine solche Beschränkung dem Umfang nach über das zum Schutz personenbezogener Daten des Therapeuten gegebenenfalls Erforderliche hinausginge. Objektive Befunde sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auf die die angegriffenen Entscheidungen sich stützen, die naturwissenschaftlich objektivierbaren Befunde sowie die Aufzeichnungen über Behandlungsmaßnahmen, insbesondere Angaben über Medikation und Operationsberichte (vgl. BGHZ 85, 327 ≪333 f.≫; 106, 146 ≪152≫); von der Einsicht ausgeschlossen sein sollen dagegen diejenigen Dokumentationen, die bewertungsabhängige und insofern subjektive Beurteilungen des Krankheitsbildes durch die behandelnden Ärzte betreffen (BGHZ 85, 327 ≪336≫; 106, 146 ≪152≫). Letztere sind aber nicht notwendigerweise durchweg von der Art, dass sie Einblick in die Persönlichkeit des Behandelnden geben und ihre Offenlegung daher dessen Persönlichkeitsrecht berühren könnte.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass Dokumentationen in der Krankenakte, auch im psychiatrischen Bereich und erst recht im Maßregelvollzug, ohnehin nicht zum absolut geschützten Privatbereich desjenigen gehören, der die Dokumentation anfertigt, sondern sich ihrer Funktion nach von vornherein auch an Dritte richten. Sie sind jedenfalls zur Nutzung durch nachbehandelnde Therapeuten bestimmt (vgl. BGHZ 85, 327 ≪329≫; Wullweber, RuP 1985, S. 69 ≪70≫); außerdem kommt die Notwendigkeit einer Nutzung durch externe Gutachter in Betracht (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪164 f.≫). Das Oberlandesgericht selbst ist davon ausgegangen, dass für Gutachten auch die subjektiven Befunde von Bedeutung sein können, und dass dementsprechend Gutachten, die auch auf der Grundlage subjektiver Befunde aus den Krankenunterlagen erstellt sind, üblich sind oder jedenfalls vorkommen (vgl. außerdem zur Frage der Einsichtnahme durch Aufsichtsbehörden Schwill/Schreiber, RuP 2004, S. 151 ≪157 f.≫).
Selbst wenn es an einem Informationsbedarf Dritter fehlen würde, die Krankenakten also Informationen enthielten, die nicht zur Kenntnisnahme durch irgendeinen Dritten bestimmt, sondern ausschließlich als Gedächtnisstütze für den aufzeichnenden Therapeuten gedacht sind, wäre im Übrigen näher klärungsbedürftig, ob ein allgemeiner persönlichkeitsrechtlicher Schutz derartiger Informationen nicht deshalb ausscheiden muss, weil Persönlichkeitsrechte des Therapeuten hinreichend dadurch geschützt wären, dass dieser insoweit die Dokumentation in den Akten ohne Beeinträchtigung eigener oder fremder Belange beschränken kann (vgl. Wagner, in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 2. Aufl. 2002, Rn. D 169; vgl. auch noch unten cc).
Ob nach den Grundsätzen über den Schutz personenbezogener Daten, die das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil entwickelt hat, Amtsträger und andere öffentlich Bedienstete überhaupt vor einer Offenbarung personenbezogener Daten insoweit, als es um ihr dienstliches Handeln geht, in ähnlicher Weise geschützt sind wie Privatpersonen, und besonders ob auch insoweit personenbezogene Daten nur auf gesetzlicher Grundlage erhoben und weitergegeben werden dürfen, hat das Bundesverfassungsgericht bislang noch nicht entschieden (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 1988 – 2 BvR 522/87 –, NVwZ 1988, S. 1119; bejahend wohl BVerwG, NJW 2004, S. 2462 ≪2464≫; verneinend Simitis, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes, in: Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Veröffentlichte Gesetzesmaterialien des Parlamentsarchivs, Nr. 23, Februar 1988, S. 140; Rzepka, in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 2. Aufl. 2002, Rn. H 31). Diese Frage bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung; denn auch wenn sie zu bejahen sein sollte, würde daraus nicht folgen, dass im vorliegenden Fall berechtigterweise das Informationsinteresse des Beschwerdeführers gegenüber dem Interesse des Therapeuten an der Vertraulichkeit seiner Einträge in die Krankenakte zurückgesetzt wurde. Die angegriffenen Entscheidungen haben nicht geprüft, ob für etwaige Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Therapeuten eine gesetzliche Grundlage im Wege verfassungskonformer Auslegung des geltenden einfachen Rechts aufgefunden werden kann und muss.
Im baden-württembergischen Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz – UBG – i.d.F. vom 2. Dezember 1991, GBl S. 794) fehlt zwar, anders als im Maßregelvollzugs- und Unterbringungsrecht einer Reihe anderer Länder (vgl. Rzepka, in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 2. Aufl. 2002, Rn. H 30), eine spezialgesetzliche Regelung über Akteneinsichtsrechte des Untergebrachten. Sofern für die Gewährung vollständiger Einsicht in die Krankenunterlagen eines Untergebrachten im Hinblick auf dadurch berührte Persönlichkeitsrechte der Therapeuten eine gesetzliche Grundlage erforderlich sein sollte, könnte bei Fehlen einer solchen gesetzlichen Grundlage dem grundrechtlichen Anspruch des Untergebrachten auf eine inhaltliche Abwägung seines Informationsinteresses mit etwa entgegenstehenden Belangen (s.o. unter B. II. 1. a) grundsätzlich nicht Rechnung getragen werden, weil das Informationsinteresse des Untergebrachten – unabhängig von seinem materiellem Gewicht – von vornherein an dem formellen Hindernis der fehlenden gesetzlichen Grundlage für einen Eingriff in Rechte des Therapeuten scheitern müsste. Bei Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die Einsichtgewährung könnten demnach weder die grundrechtlichen Ansprüche des Therapeuten noch die des Untergebrachten ausreichend gewahrt werden, ohne zugleich grundrechtliche Ansprüche der jeweils anderen Seite zu missachten.
Wird im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht des Therapeuten eine gesetzliche Grundlage für die Gewährung von Akteneinsicht als notwendig erachtet, müsste daher geklärt werden, ob eine gesetzliche Grundlage, die es gestatten würde, über die beantragte Akteneinsicht nach Maßgabe der verfassungsrechtlich gebotenen, die Belange des Untergebrachten angemessen gewichtenden Abwägung zu entscheiden, nicht zumindest im Wege verfassungskonformer Auslegung in gesetzlichen Vorschriften außerhalb des baden-württembergischen Unterbringungsrechts aufgefunden werden kann (s. etwa für die Anwendbarkeit des § 29 VwVfG Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug, 6. Aufl. 2003, S. 179 f.; Wagner, Effektiver Rechtsschutz im Maßregelvollzug, Diss. Tübingen 1988, S. 217; zur begrenzten Reichweite des § 29 VwVfG demgegenüber BVerwGE 84, 375 ≪376≫; OLG Hamm NStZ 1993, S. 255 ≪256≫; VGH Baden-Württemberg, VersR 1985, S. 373 ≪374 f.≫; zur Anwendung datenschutzrechtlicher Bestimmungen Globig, Der Auskunftsanspruch des Betroffenen als Grundrecht, in: Arndt, Völkerrecht und deutsches Recht, Festschrift für Walter Rudolf zum 70. Geburtstag, 2001, S. 441; Lang, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Patienten und die ärztliche Schweigepflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 140; verneinend BVerwGE 84, 375 ≪377≫; Geppert, Zum Einsichtsrecht des Strafgefangenen in die anstaltsärztlichen Krankenunterlagen, in: Wilke, Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 1984, S. 158 f.).
Soweit schließlich eine Zurückhaltung bestimmter in den Krankenunterlagen enthaltener Informationen im Hinblick auf Persönlichkeitsrechte des aufzeichnenden Therapeuten deshalb als unabdingbar angesehen werden müsste, weil dieser die Aufzeichnungen in der Annahme angefertigt hat, die herrschende Rechtsauffassung garantiere, dass sie dem Patienten nicht herausgegeben werden müssen (zu diesem Gesichtspunkt vgl. BGHZ 85, 339 ≪344≫), hätte es näherer Auseinandersetzung mit der Möglichkeit der Aussonderung der betreffenden Aktenbestandteile bedurft (s. unter ee).
cc) Das Oberlandesgericht hat die angenommene Beschränkung des Akteneinsichtsrechts auch mit der Erwägung untermauert, eine Pflicht zur Gewährung vollständiger Akteneinsicht würde sich kontraproduktiv auswirken, weil sie unweigerlich zur Folge hätte, dass auf im Interesse des Patienten wichtige schriftliche Aufzeichnungen verzichtet werden würde.
Zu erwartende ungünstige Rückwirkungen der Eröffnung von Möglichkeiten des Informationszugangs auf die Erzeugung und Bereitstellung der Informationen, um die es geht, können grundsätzlich geeignet sein, Beschränkungen des Informationszugangs verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Dazu muss jedoch eine ausreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts solcher Rückwirkungen und deren verfassungsrechtliches Gewicht festgestellt werden, und auch eine näher begründete Erwartung solcher Rückwirkungen erübrigt nicht die gebotene verfassungsrechtliche Abwägung.
Der Umstand, dass das Oberlandesgericht einerseits subjektive Befunde als nicht dokumentationspflichtig einstuft (so auch Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug, 6. Aufl. 2003, S. 178; a.A. Wagner, in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, Rn. D 169), andererseits aber feststellt, die Anfertigung entsprechender Unterlagen sei für den Therapeuten notwendig und liege im Interesse des Patienten, deutet darauf hin, dass es schon an einer ausreichenden Klärung der spezifischen Zwecke der Führung der Krankenakte im Maßregelvollzug und der sich daraus ergebenden dienstlichen Dokumentationspflichten fehlt, ohne die eine begründete Einschätzung und Bewertung der Auswirkungen umfassender Zugänglichkeit der Krankenunterlagen nicht möglich ist. Nur auf der Grundlage einer solchen Klärung lässt sich die Frage sachgerecht beantworten, ob bei der Anfertigung schriftlicher Unterlagen Differenzierungen angebracht sind – beispielsweise dahingehend, dass Aufzeichnungen, die allein der Selbstkontrolle des Therapeuten dienen, und andere höchstpersönliche und besonders subjektiv gefärbte Vermerke nicht in dienstlichen Akten erfolgen (vgl. Wagner, a.a.O.) –, und inwieweit es demgemäß als erwünschte oder unerwünschte Konsequenz anzusehen wäre, wenn sich als Folge eines weiterreichenden Akteneinsichtsrechts Zurückhaltung bei der aktenmäßigen Dokumentation bestimmter subjektiver Befunde einstellte. In diesem Zusammenhang bedarf insbesondere der Klärung, welchen Stellenwert die Dokumentation der in den angefochtenen Entscheidungen angesprochenen Interaktionen zwischen Therapeut und Patient (Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene) für eine objektive Nachvollziehbarkeit des Gangs und der Ergebnisse der Therapie hat. In Betracht zu ziehen und in die Abwägung einzustellen sind außerdem neben möglichen ungünstigen auch naheliegende günstige Rückwirkungen vollständigen Informationszugangs auf das Dokumentationsverhalten, wie zum Beispiel eine sorgfältigere Erfüllung der Dokumentationspflichten und derjenigen Pflichten, deren Erfüllung zu dokumentieren ist, sowie der Verzicht auf die Dokumentation besonders subjektiv und emotional geprägter Beurteilungen des Patientenverhaltens.
dd) Auch soweit die Gerichte darauf abgestellt haben, der Beschwerdeführer könnte aufgrund der Akteneinsicht Therapieerfolge vortäuschen und dadurch ungerechtfertigte Lockerungen erreichen, wurden Gesichtspunkte, die für das Überwiegen des Informationsinteresses des Beschwerdeführers sprechen, nicht berücksichtigt.
Die Gefahr der Vortäuschung von Therapieerfolgen ist ohnehin ein zentrales Problem jeder Prognosebegutachtung. Gerade im Umgang mit Patienten, bei denen eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde, stehen Therapeuten häufig vor dem Problem, zwischen wahrheitsgemäßen Angaben und bloßer Vorspiegelung nicht sicher unterscheiden zu können (vgl. Seifert/Möller-Mussavi/Bolten/Losch, StV 2003, S. 301 ≪304≫; siehe auch, zu betrügerisch-manipulativem Verhalten als Kriterium der Psychopathie-Checklist PCL-R, Herpertz/Habermeyer, Persönlichkeitsstörungen – Theorie und Therapie 8 ≪2004≫, S. 73 ≪75≫; Freese, in: Müller-Isberner/Gonzalez Cabeza, Forensische Psychiatrie, 1998, S. 82). Die Betroffenen sind häufig psychiatrieerfahren und wissen ohnehin, durch welches Verhalten sie ihre Chancen auf eine positive Beurteilung steigern, oder können dies von kundigeren Mitpatienten erfahren. Gerade bei hoher Intelligenz sind Betroffene in der Lage, schon aus dem Therapiegeschehen selbst Anhaltspunkte für die Bewertung ihres Verhaltens zu gewinnen sowie psychologische Tests und Abläufe auf der Station zu manipulieren. Dies gilt vor allem für die sogenannte narzisstische Persönlichkeitsstörung, die bei dem Beschwerdeführer diagnostiziert wurde (vgl. Herpertz/Wenning, Narzisstische Persönlichkeitsstörung, in: Herpertz/Saß, Persönlichkeitsstörungen, 2003, S. 140, 144).
Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass die mit einer Akteneinsicht einhergehende Wissenssteigerung das Problem möglicher Vortäuschungen graduell verschärfen könnte. Es ist aber weder ersichtlich, dass diese Verschärfung gegenüber den ohnehin vorhandenen Schwierigkeiten überhaupt ins Gewicht fällt, noch dass sie mit den bekannten Analyseinstrumenten und Begutachtungsmethoden nicht bewältigt werden könnte.
Allgemein gehaltene Befürchtungen, die sich nicht auf konkrete und substantiiert vorgetragene Anhaltspunkte stützen können, sondern pauschal werten oder nur auf eine abstrakte Missbrauchsgefahr hinweisen, genügen den grundrechtlichen Anforderungen nicht (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪166≫; 17, 139 ≪145≫; Müller-Dietz, JR 1993, S. 477 ≪481≫).
Das Landgericht hätte sich daher mit der Frage, ob gerade die mit der Akteneinsicht einhergehende Wissenssteigerung künftige Begutachtungen vor Hindernisse stellt, die die Qualität der möglichen Prognose deutlich herabsetzen würden, näher auseinandersetzen müssen und sich insoweit nicht mit einer Auskunft von interessierter Seite – der Klinik selbst – begnügen dürfen.
ee) Soweit rechtliche Gesichtspunkte der Gewährung vollständiger Akteneinsicht entgegenstünden, wäre im Übrigen zu prüfen, ob eine weitergehende als die seitens der Klinik zugestandene Einsicht nicht durch Herausnahme oder dadurch hätte ermöglicht werden können, dass Aktenbestandteile, die unzugänglich bleiben sollen, in einer zur Einsichtnahme bereitzustellenden Kopie der paginierten Akte abgedeckt oder geschwärzt werden. Die Angabe der Klinik, ein Ausnehmen einzelner Aktenbestandteile von der Akteneinsicht sei wegen der Art der Aktenführung unpraktikabel, ist nicht nachvollziehbar. Um eine praktische Unmöglichkeit kann es sich angesichts der auch vom Bundesgerichtshof aufgewiesenen Möglichkeit, zur Einsichtnahme eine Kopie mit – als solche erkennbar gemachten – Abdeckungen zur Verfügung zu stellen (vgl. BGHZ 85, 327 ≪338 f.≫), nicht handeln. Dem Gesichtspunkt befürchteten Arbeitsaufwandes, auf den die Klinik sich mit dem Einwand der Unpraktikabilität möglicherweise berufen wollte, kann, da es sich um einen in jedem Einzelfall recht begrenzten Aufwand handelt, kein Vorrang vor dem Informationsinteresse des Betroffenen eingeräumt werden, zumal es in der Hand der Klinik liegt, die Aktenführung so zu gestalten, dass der Aufwand möglichst gering gehalten wird.
3. Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Die Kammer hebt sie deshalb insoweit gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG auf und verweist die Sache an das Landgericht Heidelberg zurück.
III.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Da der nicht zur Entscheidung angenommene Teil der Verfassungsbeschwerde von untergeordneter Bedeutung ist, sind die notwendigen Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BVerfGE 32, 1 ≪39≫; 86, 90 ≪122≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1489146 |
NJW 2006, 1116 |
NVwZ 2006, 816 |
NStZ 2013, 148 |
ArztR 2006, 301 |
DSB 2006, 18 |
JZ 2007, 91 |
JuS 2006, 555 |
MedR 2006, 210 |
MedR 2006, 419 |
GesR 2006, 326 |
NJW-Spezial 2006, 233 |
NPA 2007 |
StV 2007, 421 |
StraFo 2006, 152 |
R&P 2006, 94 |