Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 02.03.1999; Aktenzeichen 7 UF 43/99) |
AG Soest (Beschluss vom 19.01.1999; Aktenzeichen 18 F 141/98) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerden betreffen ein Verfahren nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (Haager Kindesentführungsübereinkommen – HKiEntÜ –, BGBl II 1990, S. 206).
I.
Die am 30. März 1993 und am 5. August 1995 geborenen Kinder haben zunächst bis Anfang 1997 mit ihren nicht miteinander verheirateten Eltern in Schweden zusammengelebt. Den Eltern steht das Sorgerecht gemeinsam zu. Der Vater ist schwedischer Staatsangehöriger, die Mutter Deutsche; die beiden Kinder besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit.
Im Februar 1997 kam es zu einer ersten Trennung der beiden Eltern. Mit Zustimmung des Vaters nahm die Mutter die Kinder mit nach Deutschland, wo sie zunächst bei ihr wohnten. Da die Mutter sich Ende Juni 1997 in Deutschland in stationäre Krankenhausbehandlung begeben mußte, kehrten die Kinder mit dem Vater nach Schweden zurück. Ob die Mutter dieser Rückkehr zugestimmt hat, ist zwischen den Parteien streitig. Unstreitig kehrte die Mutter aber nach der Beendigung des Krankenhausaufenthaltes im Juli 1997 ebenfalls nach Schweden zurück, wo sie – unterbrochen durch einen erneuten Krankenhausaufenthalt – wieder mit dem Vater und den Kindern zusammenlebte.
Nach den Feststellungen der Familiengerichte wurden im September 1997 die Hausratsgegenstände, die von der Mutter nach Deutschland mitgenommen worden waren, nach Schweden zurückgebracht. Ebenfalls im September 1997 beantragte die Mutter ihre Einbürgerung in Schweden, zog diesen Antrag jedoch im Januar 1998 zurück.
Im Februar 1998 kam es erneut zu einer Trennung der Eltern. Die Mutter mietete am bisherigen gemeinsamen Wohnort eine eigene Wohnung, für die sie die Kinder auch amtlich meldete. Nachdem die Eltern zunächst versucht hatten, bei wöchentlichem Aufenthaltswechsel die Kinder zu erziehen, nahm die Mutter die Kinder ganz zu sich, als sich herausstellte, daß diese mit dem häufigen Wechsel ihres Aufenthaltes überfordert waren.
Am 29. März 1998 fuhr die Mutter mit den Kindern nach Deutschland, um dort ihren schwer erkrankten Vater zu besuchen. Mit dem bis zum 9. April 1998 befristeten Besuch war der Vater der beiden Kinder einverstanden. Ohne Rücksprache mit ihm entschloß sich die Mutter jedoch später, mit den Kindern auf Dauer in Deutschland zu bleiben. Sie bezog in Deutschland eine eigene Wohnung. Am 8. April 1998 beantragte sie beim Amtsgericht – Familiengericht – die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf sich.
Der Vater hat die Rücküberstellung der Kinder nach Schweden gemäß den Bestimmungen des HKiEntÜ beantragt und eine Entscheidung des zuständigen schwedischen Amtsgerichts nach Art. 3 und Art. 15 HKiEntÜ herbeigeführt, in der die Rechtswidrigkeit des eigenmächtig durch die Mutter begründeten Aufenthalts der Kinder in Deutschland festgestellt wird.
Mit Beschluß vom 19. Januar 1999 hat das Amtsgericht – Familiengericht – in Soest die Herausgabe der Kinder an den Vater zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Schweden angeordnet.
Das Amtsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Herausgabeantrag des Vaters sei nach Art. 12 Abs. 1 HKiEntÜ begründet. Die Widerrechtlichkeit des Aufenthalts in Deutschland sei durch die rechtskräftige Entscheidung des zuständigen schwedischen Gerichts hinreichend belegt.
Ausnahmegründe nach Art. 13 Abs. 1 HKiEntÜ seien nicht zu erkennen. Die Ausnahmeklausel sei eng auszulegen. Nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls könnten sich im Einzelfall durchsetzen, wenn sie über die mit einer Rücküberstellung gewöhnlich verbundenen Schwierigkeiten hinausgingen. Eine solche Belastung sei nicht erkennbar. Zwar seien die Kinder durch den Streit zwischen den Eltern belastet. Allerdings sei bei der richterlichen Anhörung festgestellt worden, daß sich die Kinder dennoch fröhlich und aufgeschlossen verhielten. Die knapp 6jährige Tochter habe zudem erklärt, lieber in Schweden leben zu wollen.
Die möglichen körperlichen und seelischen Belastungen für die Kinder verringerten sich weiter dadurch, daß der Vater seine Bereitschaft erklärt habe, der Mutter und den Kindern die frühere gemeinsame Wohnung zur Verfügung zu stellen und selbst auszuziehen.
Die gegen diese Entscheidung des Amtsgerichts eingelegte sofortige Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Hamm mit Beschluß vom 2. März 1999 mit im wesentlichen übereinstimmender Begründung zurückgewiesen.
Die Rechtsauffassung der Mutter, die Kinder seien schon seit Sommer 1997 durch den Vater seinerseits widerrechtlich in Schweden zurückgehalten worden, vermöge nicht zu überzeugen. Die Mutter habe nach der ersten Trennung jedenfalls durch die Zurückholung des Hausrats nach Schweden und den Einzug in die gemeinsame Wohnung den Aufenthalt der Kinder in Schweden genehmigt. Dies habe sie auch nach der zweiten Trennung durch die amtliche Meldung der Kinder mit ihrem Wohnsitz in der dortigen neuen Wohnung bestätigt.
Im Gegensatz zu dem vom Bundesverfassungsgericht am 29. Oktober 1998 – 2 BvR 1206/98 – entschiedenen Fall lägen keine widerstreitenden Rückführungsanträge vor. Die Gefahr kurzfristiger Hin- und Rücküberstellungen mit den damit verbundenen besonderen Gefahren für das Kindeswohl bestehe deshalb nicht.
Insgesamt seien keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Kinder bei einer Rückführung nach Schweden in eine unzumutbare Lage gebracht würden. Sie hätten bis März 1998 fast ausschließlich dort gelebt. Ihre emotionalen Bindungen zum Vater und zur Großmutter in Schweden seien stark ausgeprägt.
Mit ihren am 5. März 1999 eingegangenen Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 16 Abs. 2 GG. Für die minderjährigen Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. wird eine Ergänzungspflegschaft in Aussicht gestellt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil ihnen weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, noch die Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).
1. Die hier aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen des Haager Kindesentführungsübereinkommens sind seit der Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1998 – 2 BvR 1206/98 – (EuGRZ 1998, S. 612) geklärt.
2. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt.
a) Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts sind Sache der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet nur die Verletzung von Verfassungsrecht. Die zur Überprüfung der Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte entwickelten Maßstäbe gelten in gleicher Weise für das Völkervertragsrecht (vgl. BVerfGE 94, 315 ≪328≫; vgl. auch BVerfGE 58, 1 ≪34≫; 59, 63 ≪89≫).
b) Das Wohl des Kindes bildet den Richtpunkt für den staatlichen Schutzauftrag nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG. Bei einer Interessenkollision zwischen Eltern und Kind ist das Kindeswohl der bestimmende Maßstab (vgl. BVerfGE 37, 217 ≪252≫; 56, 363 ≪383≫; 68, 176 ≪188≫; 75, 201 ≪218≫). Das Haager Kindesentführungsübereinkommen gewährleistet die Beachtung des Kindeswohls im Zusammenspiel von Rückführung als Regelfall und Ausnahmen nach Art. 13 und Art. 20 HKiEntÜ (BVerfG, Beschluß des Zweiten Senats vom 29. Oktober 1998 – 2 BvR 1206/98 –, EuGRZ 1998, S. 612 ≪615≫).
c) Die restriktive Auslegung der Ausnahmeklausel durch die Fachgerichte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Zwecke, die Lebensbedingungen für das Kind zu verstetigen, eine sachnahe Sorgerechtsentscheidung am ursprünglichen Aufenthaltsort sicherzustellen und Kindesentführungen allgemein entgegenzuwirken, weisen die Anordnung der sofortigen Rückführung grundsätzlich als zumutbar aus. Deswegen rechtfertigt nicht schon jede Härte eine Anwendung der Ausnahmeklausel; vielmehr stehen nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls, die sich als besonders erheblich, konkret und aktuell darstellen, einer Rückführung entgegen. Im Sonderfall gegenläufiger Rückführungsanträge ist jedoch eine nähere Prüfung des Kindeswohls anhand von Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) HKiEntÜ geboten (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 616).
d) Härten für den entführenden Elternteil begründen in der Regel keinen solchen Nachteil. Die mit einer Trennung des Kindes von dem entführenden Elternteil verbundenen Beeinträchtigungen des Kindeswohls können meist dadurch vermieden werden, daß der entführende Elternteil gemeinsam mit dem Kind zurückkehrt (vgl. BVerfG, a.a.O.).
e) Gemessen an diesen Maßstäben ist die Rückführungsentscheidung des Oberlandesgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Es liegt kein Fall gegenläufiger Rückführungsanträge vor. Dabei kann dahinstehen, ob die Verbringung der Kinder von Deutschland nach Schweden im Jahre 1997 durch den Vater als Kindesentführung i.S. des Haager Kindesentführungsübereinkommens zu qualifizieren ist. Es ist weder behauptet noch sonst aus den Akten ersichtlich, daß die Mutter in der Folge einen Rückführungsantrag nach dem Übereinkommen gestellt hat. Damit liegen – anders als in dem in den Verfassungsbeschwerden herangezogenen Verfahren 2 BvR 1206/98 – keine gegenläufigen Rückführungsanträge vor, die ein Hin- und Herschieben der Kinder aufgrund staatlicher Anordnungen zur Folge haben könnten. Darüber hinaus ist die Würdigung des Oberlandesgerichts, daß seit der Rückkehr der Mutter von Deutschland nach Schweden der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder wieder in Schweden begründet sei, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht kann sich dabei auf die Rückführung der Haushaltsgegenstände nach Schweden und auf die von der Mutter nach der zweiten Trennung in Schweden bezogene Wohnung stützen, für die sie die Kinder amtlich gemeldet hat.
bb) Bei der Auslegung der Ausnahmeklauseln in Art. 13 Abs. 1 und Art. 20 HKiEntÜ hat das Oberlandesgericht die tatsächliche Situation der Kinder gewürdigt und kommt in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis, daß die mit der Rückkehr nach Schweden verbundenen Belastungen nicht über das normalerweise mit solchen Ortswechseln verbundene Maß hinausgehen.
cc) Auch die besondere Belastung der Mutter führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Rückkehr an den ursprünglichen gewöhnlichen Aufenthalt ist als Folge der Entführung grundsätzlich zumutbar. Wenn schon bei den Ausnahmen aus Gründen des Kindeswohls nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen Beachtung finden können, so muß dies erst recht für Gründe in der Person des entführenden Elternteils gelten. Es ist der Mutter zuzumuten, sich vor Ort um – notfalls gerichtlichen – Schutz vor den behaupteten Belästigungen durch den Vater der Kinder zu bemühen.
f) Art. 16 Abs. 2 GG ist nicht verletzt. Der Schutzbereich dieses Grundrechts ist nicht berührt, da die Herausgabe eines Kindes an einen sorgeberechtigten Elternteil allein die familiären Rechtsbeziehungen betrifft und deshalb weder selbst eine Auslieferung an einen Staat darstellt noch einer solchen gleichkommt. Es fehlt an der für die Auslieferung kennzeichnenden Verbringung in die Hoheitsgewalt eines anderen Staates auf dessen Ersuchen; die Kinder werden lediglich – vorläufig – auf Wunsch eines Elternteils dessen Obhut unterstellt (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats, Beschluß vom 15. August 1996 – 2 BvR 1075/96 –, NJW 1996, S. 3145).
Mit der Nichtannahme erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Kirchhof, Jentsch
Fundstellen
Haufe-Index 1134569 |
NJW 1999, 2173 |
FamRZ 1999, 641 |
NJWE-FER 1999, 270 |
IPRax 2000, 221 |
IPRspr. 1999, 81 |
InJur 2000, 5 |
www.judicialis.de 1999 |