Entscheidungsstichwort (Thema)
Streichung des Kinderfreibetrags auch für Rentner verfassungsgemäß
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Streichung des § 32 EStG durch Art. 1 Nr. 40 EStRG benachteiligt Rentner nicht unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG im Verhältnis zu den sonstigen steuerpflichtigen Erwerbstätigen. Diese erhalten für ihre Kinder das im Betrag erheblich niedrigere Kindergeld. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß der Gesetzgeber die Kumulierung von Kindergeld und Kinderzuschuß ausschließt.
2. Rentner, die nur von der Rente leben, hatten schon vor der Steuerreform typischerweise keine Erleichterung neben dem Kinderzuschuß, weil der Ertragsanteil nach seiner Höhe durchschnittlich nicht steuerpflichtig ist. Wer als Rentner selbst oder zusammen mit seiner Ehefrau über steuerpflichtige sonstige Einkünfte verfügt, wird gegenüber den sonstigen Erwerbstätigen, die auf das Kindergeld angewiesen sind, mit dem erheblich höheren Kinderzuschuß nicht beschwert, sondern begünstigt. Der Steuergesetzgeber hat die etwaige soziale Schutzbedürftigkeit der Rentnerfamilie gebührend berücksichtigt.
Normenkette
EStRG Art. 1 Nr. 40; EStG 1975 § 12 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Gründe
1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Streichung des § 32 Einkommensteuergesetz alter Fassung (Kinderfreibetrag) durch Art. 1 Nr. 40 des Einkommensteuerreformgesetzes. Gleichzeitig ist zwar § 10 des Bundeskindergeldgesetzes durch Art. 2 Einkommensteuerreformgesetz dahingehend geändert worden, daß Kindergeld bereits ab dem ersten Kind gewährt wird in Höhe von 50,– DM monatlich für das erste Kind, 70,– DM für das zweite und 120,– DM für das dritte und jedes weitere Kind. Unverändert blieb jedoch § 8 BKGG in dem hier einschlägigen Teil des Abs. 1 Nr. 1, der besagt, daß Kindergeld für ein Kind nicht gewährt wird, für das Kinderzuschüsse aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden.
Der Kinderzuschuß erhöht nach § 1262 RVO / § 39 AVG die Rente der Berufs- oder Erwerbsunfähigen sowie der Altersrentner für Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres. Die Höhe dieses Kinderzuschusses ist unabhängig von der individuellen Rentenhöhe und den früher gezahlten Versicherungsbeiträgen. Der Kinderzuschuß beträgt jährlich ein Zehntel der für die Berechnung der Rente maßgebenden allgemeinen Bemessungsgrundlage. Nach Einführung des Kinderzuschusses in der jetzigen Form im Jahre 1957 betrug er monatlich 35,70 DM. Im Jahre des Einkommensteuerreformgesetzes war er auf 123,90 DM gestiegen. Inzwischen erreicht er den Betrag von 152,90 DM.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde, die sich unmittelbar gegen das Gesetz richtet, wird geltend gemacht, daß Rentnerfamilien mit Kindern im Verhältnis zu den übrigen Steuerpflichtigen in verfassungswidriger Weise ungleich behandelt werden. Ein Rentnerehepaar, das deshalb steuerpflichtig sei, weil es außer der Rente sonstige Einkünfte – sei es durch den Rentner, sei es durch seinen Ehegatten – bezieht, habe vor der Einkommensteuerreform neben dem Steuervorteil den Kinderzuschlag erhalten. Im Gegensatz zu allen anderen Gruppen sei ihnen kein angemessener Ausgleich für den Fortfall des steuerlichen Freibetrages zugeflossen, weil sich die Verbesserungen im Bereich des Kindergeldes wegen der Ausschlußvorschrift des § 8 BKGG nicht bemerkbar machten. Insbesondere für die gleichermaßen betroffenen Beamten habe der Gesetzgeber die Nachteile durch eine Erhöhung des Ortszuschlages ausgeglichen.
Die Benachteiligung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wobei der Gesetzgeber gerade die Personen besonders hart getroffen habe, die an sich besonders schutzwürdig seien, weil noch kindergeld- bzw. kinderzuschußberechtigende Kinder vorhanden seien, obwohl ein Elternteil bereits Rentner sei. Aus diesem Grund müsse den Rentnerfamilien entweder der Kinderfreibetrag neben dem Kinderzuschuß erhalten bleiben, oder aber sie müßten neben dem Kinderzuschuß Kindergeld erhalten.
3. Die unmittelbar gegen das Einkommensteuerreformgesetz gerichtete Verfassungsbeschwerde ist zulässig, weil der Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch das Gesetz betroffen wird, solange er zusammen mit seiner erwerbstätigen Ehefrau veranlagt wird. Eines Vollzugsaktes der Finanzbehörde bedarf es angesichts des klaren Gesetzeswortlauts zur Feststellung der Beschwer nicht (vgl. auch BVerfGE 43, 108).
4. Der Beschwerdeführer wird jedoch nicht in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt. Niemand hat einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Fortbestand einer steuerlichen Regelung. Der Beschwerdeführer wird als Rentner auch nicht unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG im Verhältnis zu den sonstigen Steuerpflichtigen ungleich behandelt. Die Rentner, die nur von der Rente leben, hatten schon vor der Steuerreform typischerweise keine Erleichterung neben dem Kinderzuschuß, weil der Ertragsanteil nach seiner Höhe durchschnittlich nicht steuerpflichtig ist. Wer als Rentner über steuerpflichtige sonstige Einkünfte verfügt, wird gegenüber sonstigen Erwerbstätigen, die auf das Kindergeld angewiesen sind, mit dem erheblich höheren Kinderzuschuß nicht beschwert, sondern eher begünstigt. Der Gesetzgeber hat also die etwaige soziale Schutzbedürftigkeit von Rentnerfamilien mit Kindern gebührend berücksichtigt.
Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß der Gesetzgeber die Kumulierung von Kindergeld und Kinderzuschuß ausschließt, weil der Kinderzuschuß nicht zu den beitragsorientierten Versicherungsleistungen in der Rentenversicherung zählt, sondern fürsorgerischen Charakter trägt (vgl, hierzu BVerfGE 17, 1 [9 f.]); er bringt das allgemeine sozialpolitische Anliegen des Familienlastenausgleichs im abgegrenzten Bereich des Rentenversicherungsrechts zum Ausdruck.
Auch die besitzstandswahrende Regelung im Beamtenbesoldungsrecht vermag nicht zu einer anderen Beurteilung zu führen. Sie erfolgte, weil die durch diese Regelung begünstigte Beamtengruppe nicht nur den Steuervorteil verlor, sondern weil auch die sie bis dahin begünstigende Regelung über den Kinderzuschlag im öffentlichen Dienst geändert wurde. Den Rentnern blieb hingegen der Anspruch auf Kinderzuschuß in der für sie gegenüber dem Kindergeld günstigeren Höhe erhalten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen