Verfahrensgang
LG Bochum (Beschluss vom 31.03.2011; Aktenzeichen III-1 Vollz (Ws) 130/11) |
OLG Hamm (Beschluss vom 13.12.2010; Aktenzeichen III StVK 1162/10) |
Tenor
Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Hamm vom 31. März 2011 – III-1 Vollz (Ws) 130/11 – und des Landgerichts Bochum vom 13. Dezember 2010 – III StVK 1162/10 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben, und die Sache wird an das Landgericht Bochum zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die medizinische Behandlung des an Diabetes mellitus erkrankten, strafgefangenen Beschwerdeführers.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe. Er leidet seit über 30 Jahren an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus des Typs I. Im Justizvollzugskrankenhaus F. wurde die Behandlung des Beschwerdeführers auf morgendlich zwölf und abendlich vierzehn Einheiten des sogenannten Protaphane-Insulins, eines Verzögerungsinsulins, eingestellt. Zusätzlich wurden je verzehrter Broteinheit zwei Einheiten des kurzfristig wirkenden „Actrapid-Insulins” verabreicht. Nach Aufnahme des Beschwerdeführers in die Justizvollzugsanstalt B. stellte der dortige Anstaltsarzt diese Therapie auf eine Abgabe von jeweils vierzehn Einheiten des Protaphane-Insulins am Morgen und Abend um, eine weitere Insulingabe erfolgte nicht.
2. Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 StVollzG) begehrte der Beschwerdeführer, dass die Justizvollzugsanstalt zu einer Neueinstellung seiner Insulinversorgung und zur Durchführung notwendiger Untersuchungen sowie dazu verpflichtet werde, Qualifikationsnachweise der Anstaltsärzte beizubringen und – hilfsweise – seine Therapie gegebenenfalls durch einen externen Diabetologen begutachten zu lassen. Die in der Justizvollzugsanstalt durchgeführte Therapie sei unangemessen und gesundheitsschädigend. Da ihm – im Gegensatz zu seiner früheren Behandlung – zu den Mahlzeiten kein kurzfristig wirkendes Insulin gegeben werde, führe jede Nahrungsaufnahme zu gesundheitsschädigenden Blutwerten. Es sei ihm nur durch extremen Nahrungsverzicht möglich, nicht ständig Blutzuckerwerte von über 300 mg/dl hinnehmen zu müssen, die zu Schädigungen unter anderem der Nieren und des Augenhintergrundes führen könnten. Aus Art. 1 GG ergebe sich für einen Strafgefangenen ein Leistungsrecht auf ärztliche Versorgung; Behandlungsmaßnahmen des Anstaltsarztes seien als behördliche Realhandlungen hoheitlicher Art von der gerichtlichen Prüfung nicht ausgenommen. Die gerichtliche Überprüfung richte sich vielmehr nach denselben Grundsätzen wie bei jeder anderen Vollzugsmaßnahme; ein besonderes Arztgewaltverhältnis sei nicht anzuerkennen. Zwar stehe dem Anstaltsarzt hinsichtlich der Therapieform ein Ermessen zu, das Gericht habe jedoch in jedem einzelnen Fall zu überprüfen, ob die Grenzen des ärztlichen Ermessens überschritten seien, der Anstaltsarzt also die Regeln der ärztlichen Kunst eingehalten habe. Seinem Antrag legte der Beschwerdeführer ein Schreiben eines Diabetologen bei, der die alleinige Verabreichung von Protaphane-Insulin bei einem Diabetes mellitus Typ I als nicht zu verantworten bezeichnete. Auf Nachfrage des Gerichts konkretisierte der Beschwerdeführer sein Begehren hinsichtlich der Untersuchungen, indem er beanstandete, dass Untersuchungen der Cholesterinwerte und der Schilddrüsenwerte, regelmäßige Vorstellungen beim Neurologen, gebotene Maßnahmen der Fußpflege sowie Urinuntersuchungen zur Feststellung von Eiweiß im Urin nicht erfolgten.
Die Justizvollzugsanstalt nahm dahingehend Stellung, dass dem Beschwerdeführer nach § 58 StVollzG ein subjektives öffentliches Recht auf gesundheitliche Betreuung zustehe, er aber keinen Anspruch auf eine bestimmte oder von ihm gewünschte Behandlungsmaßnahme, sondern nur Anspruch auf eine im Rahmen sachgerechter ärztlicher Erwägung liegende Heilfürsorge habe; diesem Anspruch werde Rechnung getragen. Nach Angaben des Anstaltsarztes kämen beim Beschwerdeführer auch bei relativ geringen Insulindosen immer wieder hypoglykämische Situationen vor; in der letzten Zeit habe mehrfach ein Notarzt wegen Bewusstlosigkeit gerufen werden müssen. Zudem bestehe der Verdacht, dass der Beschwerdeführer Fremdinsuline, das heißt Insuline, die andere Diabetiker im Hafthaus benutzten, spritze. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer das Ziel verfolge, unsachgemäß und selbstschädigend Insulin zu spritzen. Dies sei geeignet, ihn in die Bewusstlosigkeit zu treiben, und unter ungünstigen Bedingungen lebensbedrohlich. Zu Unterzuckerungen sei es auch gekommen, weil der Beschwerdeführer nichts mehr gegessen habe. Aus diesen Gründen sei die Justizvollzugsanstalt gezwungen, eine Blutzuckereinstellung auf „hohem Niveau” vorzunehmen. Dadurch wäge sie Risiken ab; sie sei sich bewusst, dass dies keine Behandlung lege artis sei. Augenärztliche Untersuchungen sowie eine „diabetisch spezielle Labordiagnostik” hätten stattgefunden. Somit gebe es keine „unterlassenen Untersuchungen”.
3. Die Strafvollstreckungskammer wies mit angegriffenem Beschluss den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig zurück. Der Gegenstand des Antrags auf gerichtliche Entscheidung sei keine „Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges” im Sinne des § 109 StVollzG. Der Beschwerdeführer begehre nicht die Überprüfung seiner medizinischen Behandlung in der Justizvollzugsanstalt unter vollzugsspezifischen Gesichtspunkten, sondern im Hinblick auf die medizinische Richtigkeit. So habe er in sämtlichen Schreiben zum Ausdruck gebracht, dass er die Therapierung seiner Diabeteserkrankung für medizinisch falsch halte. Auch die „hilfsweise” gestellten Anträge, Qualifikationsnachweise für die Anstaltsärzte zu erbringen oder eine Begutachtung seiner Therapie durch einen externen Diabetologen durchzuführen, hätten keine Maßnahmen im Sinne des § 109 StVollzG zum Gegenstand.
4. Mit der Rechtsbeschwerde wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen seinen Vortrag aus dem vorinstanzlichen Verfahren und wandte sich darüber hinaus gegen die Annahme des Landgerichts, dass Gegenstand seines Antrags keine „Maßnahmen” im Sinne des § 109 StVollzG seien.
5. Das Oberlandesgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss die Rechtsbeschwerde als unzulässig, da es nicht geboten sei, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
6. In der Folgezeit wurde die Therapie des Beschwerdeführers hinsichtlich Art und Dosierung der Insulingaben mehrfach geändert. Nach seinen Angaben erhält er derzeit morgens und abends jeweils vierzehn Einheiten „Protaphane-Insulin” und zusätzlich mittags ab Blutzuckerwerten von 200 mg/dl acht Einheiten kurzfristig wirkenden Insulins, bei Werten ab 250 mg/dl zwölf Einheiten und ab 300 mg/dl sechzehn Einheiten.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 1, Art. 2, Art. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 und Art. 104 GG. Das Landgericht habe seinen Antrag zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen, obwohl es sich bei Behandlungsmaßnahmen des Anstaltsarztes um gerichtlich überprüfbare „Maßnahmen” im Sinne des § 109 StVollzG handele; zudem habe es seine Pflicht zur Sachaufklärung nicht wahrgenommen. Durch die Art der Therapie werde er in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Die Verweigerung einer angemessenen Behandlung verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG sowohl in dessen Eigenschaft als Leistungsrecht als auch, weil jede Nahrungsaufnahme wegen der drohenden Folgeerkrankungen für ihn zur Folter werde. Auch in der Zwischenzeit erfolgte Änderungen seiner Therapie stellten keine ausreichende Behandlung dar. Zur näheren Begründung wiederholt der Beschwerdeführer im Wesentlichen seinen Vortrag aus dem fachgerichtlichen Verfahren.
2. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Der Beschwerdeführer verhalte sich hinsichtlich seiner Behandlung überwiegend nicht kooperativ. Der Krankheitsverlauf sei durch zahlreiche Zwischenfälle gekennzeichnet. Es seien wiederholt lebensgefährdende Unterzuckerungen eingetreten, die den Einsatz von Rettungskräften erforderlich gemacht hätten. Nach Auffassung des Fachdienstes und der Leitung der Justizvollzugsanstalt seien diese Unterzuckerungen durch vom Beschwerdeführer selbst bewusst herbeigeführte Fehldosierungen und Ernährungsfehler entstanden. Nach einem Bericht aus dem Justizvollzugskrankenhaus F. aus dem Jahr 2008 hätten dort mehrere Unterzuckerungssituationen bestanden; dort werde die Vermutung geäußert, dass der Beschwerdeführer seine Haftunfähigkeit herbeiführen wolle. Im Rahmen einer erneuten aufsichtlichen Prüfung hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die medizinische Behandlung und Betreuung des Beschwerdeführers nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Sachkunde erfolgten.
3. Die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens haben der Kammer vorgelegen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (s. unter 1. und 2.). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und in einem die Kammerzuständigkeit begründenden Sinne (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) offensichtlich begründet.
1. Der Zulässigkeit der fristgemäß eingegangenen Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass die Therapie des Beschwerdeführers seit Ergehen der fachgerichtlichen Entscheidungen mehrfach umgestellt wurde. Hierdurch ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen, denn auch die geänderte Behandlung entspricht nicht der vom Beschwerdeführer offenbar begehrten, an den Festsetzungen des Justizvollzugskrankenhauses orientierten Behandlung. Unabhängig davon ergibt sich angesichts der chronischen Erkrankung des Beschwerdeführers ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 91, 125 ≪133≫; 96, 27 ≪40 f.≫). Dasselbe gilt hinsichtlich der vom Beschwerdeführer begehrten Untersuchungen, soweit diese zwischenzeitlich erfolgt sein sollten.
2. a) Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern garantiert auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der Bürger hat einen substanziellen Anspruch auf wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪401 f.≫; 104, 220 ≪231 ff.≫).
Für den Bereich des Strafvollzugsrechts wird die verfassungsrechtliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch §§ 109 ff. StVollzG einfachgesetzlich konkretisiert (vgl. BVerfGK 8, 319 ≪322≫). § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG eröffnet in Verbindung mit § 110 StVollzG dem Strafgefangenen gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer. Gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 StVollzG kann er die Verpflichtung zum Erlass einer abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme begehren. Das Prozessrecht – und damit auch der Begriff der Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Sinne des § 109 StVollzG – ist im Lichte der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG auszulegen (vgl. BVerfGK 8, 319 ≪322≫; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Februar 1993 – 2 BvR 594/92 –, NStZ 1993, S. 301 f., vom 1. Juli 1998 – 2 BvR 1758/97 –, NStZ-RR 1999, S. 28, vom 13. April 1999 – 2 BvR 827/98 –, NStZ 1999, S. 428 ≪429≫, und vom 20. März 2007 – 2 BvR 1637/05 –, juris, Rn. 15). Für die Beantwortung der Frage, ob ein Handeln oder Unterlassen der Justizvollzugsanstalt eine regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG darstellt, kommt es darauf an, ob die Möglichkeit besteht, dass dieses Handeln oder Unterlassen Rechte des Gefangenen verletzt (vgl. BVerfGK 8, 319 ≪323≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. März 2007 – 2 BvR 1637/05 –, juris, Rn. 16).
bb) Diesen von Art. 19 Abs. 4 GG vorgegebenen Anforderungen an die Auslegung und Anwendung des Maßnahmebegriffs wird der angegriffene Beschluss des Landgerichts nicht gerecht.
Das Landgericht hat dem Beschwerdeführer jegliche sachliche Prüfung seiner medizinischen Behandlung mit der Begründung verweigert, dass es sich bei dieser Behandlung, soweit er sie im Hinblick auf ihre medizinische Richtigkeit überprüft wissen wolle, nicht um eine Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG handele. Dabei hat es nicht ausreichend berücksichtigt, dass eine nicht fachgerechte medizinische Behandlung oder Nichtbehandlung eines Strafgefangenen dessen Rechte – insbesondere das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – verletzen kann, und dass Art. 19 Abs. 4 GG daher eine Auslegung des Maßnahmebegriffs des § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG verbietet, die die Angemessenheit der medizinischen Behandlung von Strafgefangenen der gerichtlichen Überprüfung entzieht. Gerade Strafgefangene sind, da sie keinen Anspruch darauf haben, einen Arzt ihrer Wahl zu konsultieren (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. November 2008 – 2 BvQ 36/08 –, juris; OLG Nürnberg, Beschluss vom 17. Februar 1999 – Ws 8/99 –, NStZ 1999, S. 479 ≪480≫; KG, Beschluss vom 23. Mai 2005 – 5 Ws 168/05 Vollz –, NStZ 2006, S. 699 ≪700≫; OLG Koblenz, Beschluss vom 19. April 2006 – 1 Ws 833/05 –, juris), in besonderem Maße darauf angewiesen, dass zum Schutz ihrer Grundrechte eine gerichtliche Überprüfung von Entscheidungen der Justizvollzugsanstalt auch insoweit möglich ist, als ärztliche Behandlungen in Rede stehen. Dieser den Gerichten durch Art. 19 Abs. 4 GG zugewiesenen Überprüfungspflicht dürfen sie sich auch nicht im Hinblick auf die fehlende eigene Beurteilungskompetenz in außerjuristischen Fachfragen entziehen; vielmehr haben sie sich erforderlichenfalls der Hilfe von Sachverständigen zu versichern (vgl. BVerfGE 88, 40 ≪59 f.≫).
Zwar beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle auf die Wahrung der Grenzen des pflichtgemäßen ärztlichen Ermessens (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 9. Januar 1981 – 3 Ws 966/80 (StVollz) –, ZfStrVO 1981, S. 382 ≪383 f.≫; KG, Beschlüsse vom 3. November 1982 – 2 VAs 20/82 –, R&P 1985, S. 34 ≪35≫ mit Anm. Volckart, und vom 29. Juni 1984 – 5 Vollz (Ws) 174/84 –, NStZ 1985, S. 45 ≪46≫; LG Regensburg, Beschluss vom 11. Mai 1977 – 2 StVK 49/77 –, ZfStrVO SH 1977, S. 29; Kamann/Spaniol, in: Feest, StVollzG, 6. Aufl. 2012, § 115 Rn. 50; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl. 2008, § 56 Rn. 3; Schuler/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 5. Aufl. 2009, § 109 Rn. 21). Die Wahrung dieser Grenzen muss aber von Verfassungs wegen gerichtlicher Überprüfung unterliegen. Mit dem Anspruch des Gefangenen auf effektiven Rechtsschutz ist es nicht vereinbar, wenn ihm, wie im vorliegenden Fall, die inhaltliche Prüfung eines Rechtsschutzbegehrens, mit dem er die Unangemessenheit einer durch die Justizvollzugsanstalt geleisteten medizinischen Behandlung geltend macht, allein deshalb verweigert wird, weil er sich mit seinem Vorbringen gegen die „medizinische Richtigkeit” der erfahrenen Behandlung wende. Einen anderen als diesen unzureichenden Grund für die Versagung einer Sachprüfung hat das Landgericht nicht angeführt. Ob die Grenzen des ärztlichen Ermessens überschritten waren, hat es aufgrund einer mit den Anforderungen effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbaren Auslegung des Maßnahmebegriffs nicht geprüft, obwohl sich – besonders angesichts der von der Justizvollzugsanstalt selbst erteilten Auskunft, die Behandlung des Beschwerdeführers erfolge nicht lege artis – die Notwendigkeit einer solchen Prüfung im vorliegenden Fall aufdrängen musste.
b) Auch der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 31. März 2011 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
aa) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 ≪58≫; stRspr). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪274 f.≫; 54, 94 ≪96 f.≫; 122, 248 ≪271≫; stRspr). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht oder in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39≫; 117, 244 ≪268≫; 122, 248 ≪271≫; stRspr).
Der rechtsuchende Bürger muss zudem erkennen können, welches Rechtsmittel für ihn in Betracht kommt und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen es zulässig ist (vgl. BVerfGE 49, 148 ≪164≫; 54, 277 ≪292 f.≫; 87, 48 ≪65≫; 107, 395 ≪416≫; 108, 341 ≪349≫; BVerfGK 2, 213 ≪218≫; 6, 72 ≪76≫). Er darf nicht mit einem für ihn nicht übersehbaren „Annahmerisiko” und dessen Kostenfolgen belastet werden (vgl. BVerfGE 49, 148 ≪164≫; 54, 277 ≪293≫; BVerfGK 6, 72 ≪76≫; 16, 362 ≪366≫).
bb) Nach diesem Maßstab ist der Beschluss des Oberlandesgerichts mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar.
§ 119 Abs. 3 StVollzG erlaubt es dem Strafsenat, von einer Begründung der Rechtsbeschwerdeentscheidung abzusehen, wenn er die Beschwerde für unzulässig oder offensichtlich unbegründet erachtet. Da der Strafsenat von dieser Möglichkeit, deren Einräumung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerfGE 50, 287 ≪289 f.≫; 71, 122 ≪135≫; 81, 97 ≪106≫), Gebrauch gemacht hat, liegen über die Feststellung im Beschlusstenor hinaus, dass die in § 116 Abs. 1 StVollzG genannten Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde – Erforderlichkeit der Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung – nicht vorlägen, Entscheidungsgründe, die das Bundesverfassungsgericht einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterziehen könnte, nicht vor. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Beschluss selbst sich verfassungsrechtlicher Prüfung entzöge oder die Maßstäbe der Prüfung zu lockern wären. Vielmehr ist in einem solchen Fall von einem Grundrechtsverstoß bereits dann auszugehen, wenn an der Vereinbarkeit der Entscheidung mit Grundrechten des Beschwerdeführers erhebliche Zweifel bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 1993 – 2 BvR 251/93 –, juris, Rn. 4; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2008 – 2 BvR 378/05 –, juris, Rn. 33; Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Oktober 2011 – 2 BvR 1539/09 –, juris, Rn. 28, und vom 29. Februar 2012 – 2 BvR 368/10 –, juris, Rn. 47).
Solche Zweifel bestehen hier, denn die Entscheidung des Landgerichts weicht sowohl – wie dargestellt – von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des Maßnahmebegriffs (zur Bedeutung einer solchen Abweichung für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde vgl. OLG Celle, Beschluss vom 7. Juli 2006 – 1 Ws 288/06 (StrVollz) –, juris, Rn. 7), als auch von der ganz überwiegenden fachgerichtlichen Rechtsprechung ab, die Behandlungsmaßnahmen des Anstaltsarztes – als behördliche Realhandlungen hoheitlicher Art – zu den gemäß § 109 StVollzG gerichtlich überprüfbaren Maßnahmen zählt (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 9. Januar 1981 – 3 Ws 966/80 (StVollz) –, ZfStrVO 1981, S. 382 ≪383≫; KG, Beschlüsse vom 3. November 1982 – 2 VAs 20/82 –, R&P 1985, S. 34 f. mit Anm. Volckart, und vom 29. Juni 1984 – 5 Vollz (Ws) 174/84 –, NStZ 1985, S. 45 ≪46≫; LG Krefeld, Beschluss vom 25. Mai 1984 – 33 Vollz 39/84 –, NStZ 1984, S. 576; LG Regensburg, Beschluss vom 11. Mai 1977 – 2 StVK 49/77 –, ZfStrVO SH 1977, S. 29). Weshalb unter diesen Umständen die Nachprüfung nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 116 Abs. 1 StVollzG) geboten gewesen sein sollte, ist weder dem Beschluss des Oberlandesgerichts zu entnehmen noch sonst erkennbar und war auch für den Beschwerdeführer nicht vorherzusehen.
c) Ob durch die angegriffenen Entscheidungen weitere Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt worden sind, kann angesichts der bereits festgestellten Verstöße gegen Art. 19 Abs. 4 GG offenbleiben.
IV.
1. Die angegriffenen Beschlüsse des Oberlandesgerichts und des Landgerichts beruhen auf den festgestellten Grundrechtsverstößen. Sie sind daher gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Lübbe-Wolff, Huber, Kessal-Wulf
Fundstellen