Verfahrensgang
LG Potsdam (Beschluss vom 07.08.2002; Aktenzeichen 23 Qs 95/02) |
AG Potsdam (Beschluss vom 25.04.2002; Aktenzeichen 77 Gs 229/02) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
1. Der Beschwerdeführer war zwischen 1994 und 1999 mehrfach wegen Besitzes geringer Mengen Cannabis in Erscheinung getreten. Die anschließenden Ermittlungsverfahren waren eingestellt worden.
In der Nacht vom 8. auf den 9. April 2002 gegen 0.35 Uhr griff die Polizei den Beschwerdeführer wegen des Verdachts der Körperverletzung auf und stellte ein Tütchen mit Cannabisantragungen bei ihm sicher. Der Bereitschaftsstaatsanwalt ordnete ohne vorherige Einschaltung eines Ermittlungsrichters fernmündlich eine Wohnungsdurchsuchung an. Unmittelbar danach vermerkte der Dienst habende Polizeibeamte in der Ermittlungsakte:
“Bei der Durchsuchung des L.… wurde Cannabis verpackt in einer Plastiktüte gefunden (festgestellt durch ESA Schnelltest).
Laut Auskunftssystem der Polizei ist o.g. Person schon mehrfach wegen Verstoß gegen das BtMG aufgefallen.
Nach Absprache mit dem Bereitschaftsstaatsanwalt wurde die Durchsuchung seiner Wohnung angeordnet. Bis zum Abschluss der Durchsuchungsmaßnahmen besteht der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr. Somit wird Herr L.… bis zur Beendigung dieser Maßnahmen festgehalten.”
Die Durchsuchung wurde von 2.25 Uhr bis 2.45 Uhr vollzogen; dabei stellte die Polizei drei Pfeifenköpfe sicher.
Mit dem angegriffenen Beschluss bestätigte das Amtsgericht Durchsuchung und Beschlagnahme. Die hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf das Landgericht als unbegründet.
2. Der Beschwerdeführer rügt insbesondere eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 13 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG. Mangels staatsanwaltschaftlicher Dokumentation hätten die Strafgerichte die Durchsuchung nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen können. Gefahr im Verzuge habe nicht vorgelegen, weil er wegen Geringfügigkeit der sichergestellten Cannabismenge nicht mit Strafverfolgung habe rechnen müssen. Deshalb sei die Durchsuchung auch unverhältnismäßig.
3. Das Justizministerium des Landes Brandenburg hat in seiner Stellungnahme mitgeteilt, beim Amtsgericht Potsdam bestehe während der Nachtzeit im Sinne des § 104 Abs. 3 StPO kein richterlicher Bereitschaftsdienst. Dies fordere auch der Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG nicht, solange die Regelzuständigkeit des Richters gewahrt bleibe. In Brandenburg sei dies der Fall. Zwischen September 2001 und Januar 2002 hätten landesweit nur vereinzelt Durchsuchungen wegen Nichterreichbarkeit des Richters ohne vorherige richterliche Entscheidung angeordnet werden müssen. Bis zum Juni 2002 sei ein weiterer Fall aufgetreten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.
1. Amtsgericht und Landgericht haben die Eilanordnung der Staatsanwaltschaft aufgrund hinreichender Dokumentation der Eingriffssituation kontrolliert (vgl. zur Dokumentationspflicht der Strafverfolgungsbehörden BVerfGE 103, 142 ≪160≫). Zwar ist zu bemängeln, dass nicht der – primär verantwortliche – Staatsanwalt, sondern der beteiligte Polizeibeamte die Umstände des Eingriffs in der Akte vermerkt hat. Vorliegend reichte der zeitnahe polizeiliche Vermerk jedoch wegen der Evidenz des Falles zur Information des Gerichts aus. Der Vermerk ließ den Tatverdacht (Besitz mehr als geringfügiger Mengen Cannabis) sowie die Zielrichtung der Durchsuchung deutlich erkennen. Klar wurden auch die tatsächlichen Anhaltspunkte des Durchsuchungsverdachts (einschlägige Vordelinquenz) sowie die Umstände, die Gefahr im Verzug begründeten (Nachtzeit, Ergreifen des Beschwerdeführers auf frischer Tat).
2. Das Fehlen eines richterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit begegnet vorliegend keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Allerdings folgt aus der Regelzuständigkeit des Richters gemäß Art. 13 Abs. 2 Halbsatz 1 GG die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters gegebenenfalls auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes zu sichern (vgl. BVerfGE 103, 142 ≪156≫). Nach der Rechtsprechung des Zweiten Senats zur Erreichbarkeit des Haftrichters bedeutet dies jedoch nicht, dass auch zur Nachtzeit im Sinne des § 104 Abs. 3 StPO unabhängig vom konkreten Bedarf stets ein richterlicher Eildienst zur Verfügung stehen müsste (vgl. BVerfG, NJW 2002, S. 3161 ≪3162≫ unter Hinweis auf BVerfGE 103, 142 ≪146≫). Vielmehr ist ein nächtlicher Bereitschaftsdienst des Ermittlungsrichters von Verfassungs wegen erst dann gefordert, wenn hierfür ein praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht. Kommt es dagegen, wie im Land Brandenburg, nur ganz vereinzelt zu nächtlichen Durchsuchungsanordnungen, so gefährdet das Fehlen eines – gleichwohl wünschenswerten – richterlichen Nachtdienstes die Regelzuständigkeit des Art. 13 Abs. 2 GG nicht.
Bei Tage muss die Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters dagegen uneingeschränkt gewährleistet sein. Deshalb verpflichtet der Richtervorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 GG die Länder insoweit dazu, sowohl innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters Sorge zu tragen. Gleichzeitig müssen dem Richter die notwendigen Hilfsmittel für eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zur Verfügung gestellt werden (vgl. für den richterlichen Haftdienst BVerfG, NJW 2002, S. 3161 ≪3162≫).
3. Auch der Maßstab der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt.
Die angegriffenen Beschlüsse haben bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ohne Verfassungsverstoß die situationsbedingten Grenzen in Rechnung gestellt, die den Erkenntnismöglichkeiten von Polizei und Staatsanwaltschaft bei Wahrnehmung ihrer Eilkompetenz gesetzt sind (vgl. BVerfGE 103, 142 ≪159≫). Polizei und Staatsanwaltschaft war zum Zeitpunkt des Eingriffs lediglich bekannt, dass der Beschwerdeführer über mehrere Jahre hinweg wiederholt wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgefallen und nunmehr mit einer geringfügigen Menge Cannabis angetroffen worden war. Weitere Auskünfte über Einzelheiten und Ausgang früherer strafrechtlicher Verfolgung konnten die Beamten zu diesem Zeitpunkt nicht einholen. Auf dieser beschränkten Erkenntnisgrundlage lag der Verdacht nicht fern, dass der Kontakt des Beschwerdeführers mit Drogen über den Gelegenheitskonsum hinausging und infolgedessen in seiner Wohnung Betäubungsmittel in mehr als nur geringfügigen Mengen zu finden sein würden.
Demzufolge war zwar Durchsuchungsanlass eine Bagatelltat, an deren Verfolgung für sich genommen im Regelfall kein öffentliches Interesse besteht (vgl. BVerfGE 90, 145 ≪188≫). Der Durchsuchungsverdacht richtete sich jedoch aufgrund der Erkenntnisse aus dem Auskunftssystem der Polizei auf Betäubungsmittelkriminalität jenseits der Bagatellgrenze. Aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden war nicht von vornherein mit einer Einstellung des Strafverfahrens zu rechnen. Deshalb stand der Eingriff noch in angemessenem Verhältnis zur Stärke des Tatverdachts und zur Schwere der Tat (vgl. BVerfGE 59, 95 ≪97≫). Dies haben die angegriffenen Beschlüsse im Ergebnis noch vertretbar bejaht.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
NJW 2004, 1442 |
NWB 2004, 1066 |
NVwZ 2004, 981 |
DVP 2004, 343 |
JA 2005, 9 |
Kriminalistik 2004, 407 |
NPA 2004, 0 |