Verfahrensgang
LG Hamburg (Beschluss vom 18.05.2004; Aktenzeichen 616 Qs 39/04) |
AG Hamburg (Beschluss vom 03.05.2004; Aktenzeichen 163 Gs 760/04) |
Tenor
- Der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 18. Mai 2004 – 616 Qs 39/04 – in der Form des Beschlusses vom 1. September 2004 – 616 Qs 39/04 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes, soweit durch ihn die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers bis 20:15 Uhr am 27. November 2003 für rechtmäßig erklärt wurde. In diesem Umfang wird der Beschluss aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
- Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
- Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft unter anderem die Grundrechtskonformität einer Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung im Strafverfahren.
A.
I.
Der Beschwerdeführer nahm am 27. November 2003 an einer Versammlung von Studenten auf dem Hamburger Rathausmarkt teil, mit der für den Erhalt der Hochschule für Wirtschaft und Politik demonstriert werden sollte. Die Versammlung wurde durch die Polizei aufgelöst, und ihre Teilnehmer wurden aufgefordert, den Rathausmarkt zu verlassen. Nach Angaben des Beschwerdeführers kam es zwischen Versammlungsteilnehmern und der Polizei zu geringfügigen körperlichen Auseinandersetzungen, als Beamte versuchten, auf zwei Demonstranten zuzugreifen. Ein Polizeibeamter wurde im Gesicht verletzt. Der Beschwerdeführer, der sich in unmittelbarer Nähe des verletzten Polizisten befand, wurde gegen ca. 15:15 Uhr zu Boden gebracht und gefesselt. Anschließend wurde ihm der Tatvorwurf der versuchten Gefangenenbefreiung, des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und der Körperverletzung eröffnet. Nach der Belehrung wurde er festgenommen. Der Beschwerdeführer verblieb zunächst unter polizeilicher Bewachung vor Ort in der Nähe des Rathauses. Seinen Personalausweis nahm ein ihn bewachender Polizeibeamter an sich. Später wurde der Beschwerdeführer auf eine Polizeidienststelle verbracht. Nach einem Gespräch des Beschwerdeführers mit seiner Verteidigerin wurde er in der Zeit von 20:10 Uhr bis 20:15 Uhr verantwortlich vernommen. Anhand seines Personalausweises wurde seine Identität festgestellt. Der sachbearbeitende Kriminalbeamte ordnete die erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers an. Die Maßnahme wurde in einem anderen Dienstgebäude der Polizei vollzogen. Gegen 1:00 Uhr am Folgetag, dem 28. November 2003, wurde der Beschwerdeführer aus dem Polizeigewahrsam entlassen.
II.
Durch seine Verteidigerin und jetzige Bevollmächtigte suchte der Beschwerdeführer um gerichtliche Überprüfung der gegen ihn ergangenen polizeilichen Maßnahmen nach.
Vom Amtsgericht zur Stellungnahme aufgefordert, gab der sachbearbeitende Polizeibeamte als Grund für das Festhalten des Beschwerdeführers eine Maßnahme nach § 163b StPO an. Eine Feststellung der Identität des Beschwerdeführers vor Ort sei auf Grund der Gesamtsituation nicht möglich gewesen. Auf dem Rathausmarkt sei die Auflösung der Versammlung noch im Gange gewesen. Aus diesem Grund sei der Beschwerdeführer auf die Polizeidienststelle verbracht worden. Die Aufrechterhaltung des Polizeigewahrsams nach Klärung der Identität sei zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung erfolgt.
Das Amtsgericht erklärte die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers bis zum Abschluss der verantwortlichen Vernehmung zum Zwecke der Identitätsfeststellung für rechtmäßig. Das anschließende weitere Festhalten des Beschwerdeführers befand es demgegenüber für rechtswidrig.
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft änderte das Landgericht am 18. Mai 2004 den Beschluss des Amtsgerichts ab. Der Beschwerdeführer habe auch nach Abschluss seiner verantwortlichen Vernehmung im Gewahrsam gehalten werden dürfen. Zu dem Verbringen des Beschwerdeführers auf die Polizeidienststelle führte die Beschwerdekammer aus, dieses sei erforderlich gewesen, um in der Situation des Großeinsatzes bei einer Demonstration einen Abgleich der Daten aus dem Personalausweis zu ermöglichen.
Die vom Beschwerdeführer gegen den amtsgerichtlichen Beschluss eingelegte Beschwerde verwarf das Landgericht. Die Anträge des Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen wies es zurück.
Gegen den Beschluss des Landgerichts erhob der Beschwerdeführer Gegenvorstellung. Diese veranlasste die Beschwerdekammer zu einer teilweisen Änderung ihrer Entscheidung. Mit Beschluss vom 1. September 2004 stellte das Landgericht fest, dass zwar die Anordnung der Maßnahme nach § 81b StPO rechtmäßig gewesen sei. Rechtswidrig sei aber die die Maßnahme begleitende Freiheitsbeschränkung gewesen. Der Beschwerdeführer habe wegen des gegen ihn bestehenden Tatverdachts erkennungsdienstlich behandelt werden dürfen. Dies habe aber nicht ein Festhalten über einen Zeitraum von mehreren Stunden gerechtfertigt.
Das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen des Vorfalls auf dem Hamburger Rathausmarkt ist inzwischen nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
B.
Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer u.a. eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geltend.
Er trägt im Wesentlichen vor, dass es an einer gesetzlichen Grundlage für die Entziehung seiner persönlichen Freiheit gefehlt habe. Zur Identitätsfeststellung sei seine Festnahme nicht erforderlich gewesen. Er habe einen gültigen Personalausweis bei sich geführt, der keine Anzeichen von Fälschung aufgewiesen habe.
Grundrechtswidrig sei auch die Maßnahme nach § 81b StPO gewesen. Zur Tataufklärung seien die abgenommenen Fingerabdrücke nicht geeignet gewesen. Jedenfalls habe kein Grund dafür bestanden, die Ermittlungshandlung noch am Abend des 27. November 2003 vorzunehmen und damit den Gewahrsam bis in die Morgenstunden des Folgetages hinein aufrecht zu erhalten. Dass das Landgericht bei seiner Prüfung der Rechtmäßigkeit des auf § 81b StPO gestützten polizeilichen Handelns zwischen der Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahme und deren Dauer differenziert habe, sei “gekünstelt”. Sei das Festhalten des Beschwerdeführers über die Dauer mehrerer Stunden – wie vom Landgericht festgestellt – rechtswidrig, müsse dies auf die gesamte Maßnahme nach § 81b StPO durchschlagen.
C.
Die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg hat zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Sie hält den Rechtsbehelf für begründet, soweit sich dieser gegen die auf § 163b StPO gestützte Maßnahme zur Identitätsfeststellung richtet. Die Dauer der freiheitsentziehenden Maßnahme sei unverhältnismäßig gewesen. Zwar habe der laufende Polizeieinsatz einer Überprüfung der Identität des Beschwerdeführers am Versammlungsort entgegengestanden. Auf dem nahe gelegenen Polzeirevier, auf das der Beschwerdeführer verbracht worden sei, hätte die Identitätsfeststellung anhand des mitgeführten Personalausweises allerdings unverzüglich nachgeholt werden müssen.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Ermittlungshandlung nach § 81b StPO wende, sei sie demgegenüber unbegründet. Die Voraussetzungen für die Fertigung von Lichtbildern und die Abnahme von Fingerabdrücken hätten vorgelegen. Über den Zeitpunkt und die Dauer der Maßnahme sei nach dem auf die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers hin ergangenen Abänderungsbeschluss des Landgerichts nicht mehr zu befinden.
D.
Die Verfassungsbeschwerde wird, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Landgericht die Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung für rechtmäßig erklärt hat, zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
I.
1. Soweit die Verfassungsbeschwerde angenommen wird, steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen, dass die vom Beschwerdeführer gerügte Freiheitsentziehung schon vor Einlegung des Rechtsbehelfs beendet war. Das Bundesverfassungsgericht hat ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis eines Beschwerdeführers auch dann anerkannt, wenn gegen einen die Freiheit entziehenden Hoheitsakt verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz auf anderem Wege als durch nachträgliche Einlegung der Verfassungsbeschwerde nicht zu erreichen ist (vgl. BVerfGE 76, 363 ≪381≫). Die Freiheit der Person wird durch die Garantie ihrer Unverletzlichkeit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und durch den Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG besonders geschützt. Diesen materiellen und formellen Gewährleistungen wäre nicht genügt, wenn das Recht auf verfassungsgerichtliche Kontrolle einer behaupteten Freiheitsverletzung wegen deren Art und Dauer tatsächlich nicht in Anspruch genommen werden könnte (vgl. BVerfGE 83, 24 ≪29 f.≫).
2. Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde allerdings, soweit sie sich unmittelbar gegen die polizeilichen Maßnahmen und den Beschluss des Amtsgerichts richtet. Durch den Beschluss des Amtsgerichts ist der Beschwerdeführer nicht mehr beschwert. Dieser Beschluss ist durch die Beschwerdeentscheidungen des Landgerichts, denen eine eigenständige rechtliche Prüfung des Sachverhalts durch die Strafkammer zu Grunde liegt, prozessual überholt.
Bezüglich des polizeilichen Handelns fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers. Die Rechtmäßigkeit der von der Polizei getroffenen Maßnahmen ist durch die Strafgerichte überprüft worden und kann im Falle des Erfolges der gegen die gerichtlichen Entscheidungen erhobenen Verfassungsbeschwerde von den Fachgerichten erneut bewertet werden.
II.
Im Umfang ihrer Zulässigkeit ist die Verfassungsbeschwerde allerdings nur zum Teil begründet.
1. Der Beschluss des Landgerichts vom 18. Mai 2004 in der Form des Beschlusses vom 1. September 2004 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) lediglich, soweit er die Freiheitsentziehung zum Zwecke der Identitätsfeststellung für rechtmäßig erklärt hat.
Die von 15:15 Uhr bis 20:15 Uhr am 27. November 2003 dauernde Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers konnte jedenfalls nicht auf § 163b StPO gestützt werden. Die im Grundgesetz normierte Unverletzlichkeit der Freiheit der Person zwingt staatliche Organe dazu, den Umfang von Freiheitsbeschränkungen, die durch die legitime Wahrnehmung staatlicher Aufgaben erforderlich werden, auf das notwendige Maß zu beschränken. Für § 163b StPO hat dieser Grundsatz seinen Niederschlag unmittelbar in der Strafprozessordnung gefunden. § 163c Abs. 1 Satz 1 StPO bestimmt, dass eine Maßnahme nach § 163b StPO in keinem Fall länger aufrechterhalten werden darf als dies zur Feststellung der Identität einer Person erforderlich ist.
Diesen Maßstäben wird das vom Landgericht gebilligte polizeiliche Handeln nicht gerecht.
Die Überprüfung der Identität des Beschwerdeführers gemäß § 163b StPO hätte bereits am Ort des polizeilichen Einsatzes erfolgen können. Der Beschwerdeführer führte bei der Festnahme seinen Personalausweis mit sich, der ihm von einem Beamten abgenommen wurde. Zweifel an der Richtigkeit der Daten im Personalausweis, die weitere Überprüfungen notwendig gemacht hätten, bestanden nicht. Dies belegt der Umstand, dass auch die Identitätsfeststellung auf der Polizeidienststelle lediglich anhand des Ausweises vorgenommen wurde. Eine Überprüfung der Identität des Beschwerdeführers wurde auch nicht durch den auf dem Rathausmarkt anhaltenden Einsatz der Polizeikräfte unmöglich gemacht. Zwar wurde die Auflösung der studentischen Versammlung auch nach Festnahme des Beschwerdeführers weiter betrieben. Der Beamte, der den Personalausweis des Beschwerdeführers in seine Obhut genommen hatte, war aber an diesem Einsatz nicht mehr beteiligt. Zusammen mit einem Kollegen hatte er die Bewachung des Beschwerdeführers abseits des Geschehens übernommen. Vor diesem Hintergrund hätte es zur Durchführung einer Maßnahme nach § 163b StPO eines weiteren Festhaltens des Beschwerdeführers und eines Verbringens auf die Polizeidienststelle nicht bedurft (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 1992 – 2 BvR 658/90 –, NVwZ 1992, S. 767, 768).
2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Ausspruch des Landgerichts im Beschluss vom 1. September 2004 wendet, die Anordnung der auf § 81b StPO beruhenden Ermittlungshandlung sei – anders als deren Vollzug – rechtmäßig gewesen, ist sie unbegründet.
Grundsätzlich lässt sich hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von Eingriffsmaßnahmen der Strafprozessordnung zwischen der Rechtmäßigkeit des Anordnungsgrundes und der Rechtmäßigkeit des Vollzuges unterscheiden (zu den Ausnahmen vgl. BGHSt 44, 265 ≪273≫). Dies belegt unter anderem der Umstand, dass nach früherer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Überprüfung des Maßnahmevollzuges mit dem Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG ein anderer Rechtsweg gegeben war als für die Nachprüfung des Grundes für die Anordnung der Maßnahme (vgl. BGHSt 28, 206 ≪208≫). Vor diesem Hintergrund begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die sog. “erkennungsdienstliche Behandlung” des Beschwerdeführers angesichts des noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gegen diesen bestehenden Tatverdachts für rechtmäßig erachtet hat, obwohl die Durchführung der Ermittlungshandlung wegen der mit ihr verbundenen unverhältnismäßigen Freiheitsbeschränkung rechtswidrig war.
Soweit die Verfassungsbeschwerde Erfolg hat, ist die Sache zu erneuter Rechtsprüfung an das Landgericht zurückzuverweisen. Die Kammer kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass der Eingriff in die persönliche Freiheit des Beschwerdeführers aus anderen Gründen als zur Identitätsfeststellung gerechtfertigt war.
Der Teilerfolg der Verfassungsbeschwerde lässt es gerechtfertigt erscheinen, dass dem Beschwerdeführer die Hälfte der notwendigen Auslagen erstattet wird (§ 34a BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
NStZ-RR 2006, 381 |
NPA 2007 |